Zu den
Kollegen, von deren Tod wir dieser Tage erfuhren, gehört Klaus Tschira. Er war
neben Dietmar Hopp und Hasso Plattner der dritte der SAP-Gründer, die lange den
Weg dieses Software-Unternehmens bestimmten. Dietmar Hopp gilt als die väterliche
Unternehmerpersönlichkeit, die sich stark um die Auswahl, Förderung und Motivation
von Mitarbeitern kümmerte. Hasso Plattner ist der Visionär, der neue Technologien
und Märkte erschloss und den es dazu trieb, das Unternehmen in Richtung
USA auszudehnen. Klaus Tschira oblag es,
die Werkzeuge und Sprachen zur Verfügung zu stellen, mit denen sich universelle
Anwendungen bauen ließen.
Hopp
war 1967 Mitarbeiter meiner Abteilung im IBM Labor Böblingen. Er verließ uns,
um zur Niederlassung Mannheim zurückzukehren, weil nach seiner Meinung die Systementwicklung
zu weit vom Kunden und dessen Anwendungen entfernt sei. Plattner lernte ich
1969 bei einer der ersten Veranstaltungen der deutschen ACM-Sektion kennen, wo
er sich sehr lebhaft an der Diskussion beteiligte. Auf Tschira traf ich erst in
den 1980er Jahren, als wir beide im Präsidium der Gesellschaft für Informatik
(GI) waren. Da er als einziger der drei aktiven SAP-Gründer den Kontakt zur GI
pflegte, trafen wir uns immer wieder bei GI-Veranstaltungen. Als GI-Fellows
brachten uns zuletzt die jährlichen Fellow-Treffen der GI zusammen.
In
meinem Blog-Beitrag über die Firma SAP
vom April 2011 hatte ich den Weg dieses Unternehmens nachgezeichnet. Er begann
mit einem internationalen Kunden in Deutschland und führte in den Weltmarkt für
ERP-Anwendungen. SAP ist heute Deutschlands größtes und erfolgreichstes
Informatik-Unternehmen. Tschira war im Jahre 1998 als Mitarbeiter der Firma ausgeschieden und 2007 aus dem Aufsichtsrat.
Einige Nachrufe
in der Presse und von Fachgesellschaften
Auf die
ersten Nachrufe im Rhein-Neckar-Fernsehen wurde ich von Klaus
Küspert hingewiesen. Weitere Nachrufe erschienen in Tageszeitungen wie der Süddeutschen Zeitung und der FAZ.
Aber auch der Fachverlag Heise und andere Branchenmedien würdigten ihn. Die
Gesellschaft für Informatik (GI) widmete ihm fünf
Zeilen. Das folgende Bild zeigt ihn im Jahre 2014 an der Universität Heidelberg.
Erinnerungen
zweier Kollegen
Am
4.4.2015 schrieb Hartmut Wedekind (aus Darmstadt): Ich denke an Klaus Tschira zurück und insbesondere
an das Erstaunliche, was ich von ihm, einem
Naturwissenschaftler, vor über 20 Jahren erfuhr. Wir saßen damals in seinem Büro und ich bekam von ihm ein
Privatissime in Sachen "Lohn-und Gehaltsabrechnung", kurz auch
"payroll" genannt. Ich habe dabei furchtbar viel gelernt. Oder anders
formuliert: Mich hat's fast vom Sessel gehauen. Das Wichtigste sei es, so
führte er damals aus, bei "Lohn-und Gehalt" den Verarbeitungsprozess
strikt von seinem zugrunde liegende Regelwerk zu trennen. Denn was ändert sich
bei "Lohn und Gehalt" ständig? Antwort: Die Regeln der Gesetze und
Verordnungen und nicht etwa die
Verarbeitungsprozesse. Und dann stellte er, der Physiker, im Detail seine von
ihm gemanagte Implementierung vor. Das Regelwerk wurde als Box vorgestellt, die
man nach Änderungsbedarf in das komplizierte Gerüst einer Lohn- und
Gehaltsabrechnung hinein schieben und heraus holen konnte. Dass Tschira mir etwas für die allgemeine Prozessentwicklung ganz Fundamentales erklärte (nicht nur für Lohn und Gehalt),
begriff ich in seiner Tiefe erst später. Und wenn ich mich heute mit "Prozessgesteuerten Anwendungen" und den ausgesonderten
Regelwerken in der Sprache BPMN befasse, denke ich immer noch an Klaus Tschira
und sein "payroll"- Beispiel zurück. Von Klaus Tschira konnte man
immer etwas lernen.
Auch
Klaus Küspert (aus Jena) erinnerte sich dieser Tage: Sein Stifterwesen und die vielfältigen
Engagements sind schon enorm. Teils war einem das ja gar nicht immer bewusst,
weil es sich wiederum unter dem Dach der Stiftungen 'versteckte'. Ich bekam
jetzt gerade etwas mit von seiner Förderung im Bereich Krebsbehandlung, sicher
eine von -zig Initiativen (und mehr) der Stiftungen. Die wesentlichsten
fachlichen Spuren bei SAP kann ich nur als Außenstehender beurteilen: Er hat meines
Wissens im Bereich HR/HCM bis in die 1990er hinein Einfluss ausgeübt, sowie als
ABAP-Vater, nachher gemeinsam mit Gerhard Rodé. Man kann auch sagen: Die
anderen Gründer wurden von der GI nicht für "würdig" erachtet und
somit nicht eingeladen, Plattner erst in den letzten Jahren. Die Universitätsinformatik
hat doch die SAP über Jahrzehnte leider ignoriert: wegen ABAP, etc. Das war wie früher das Verhältnis der
Uni-Informatiker zu Fortran und Cobol. Das Verhältnis zur Wirtschaftsinformatik
war natürlich anders. Ich bekam auch einmal 1998 eine bitterböse E-Mail von ihm
- das kann nicht jeder oder jede von sich behaupten, es 'adelt'.
Eigene
Erinnerungen
Auf
meinen Wunsch hin, hatte Klaus Tschira mir technisches Material zu
SAP-Produkten und System-Architekturen zur Verfügung gestellt. Sie betrafen
sowohl das R/2- wie das R/3-System, deren Plattformen und Strukturen. Ich habe
dieses Material in meinen Vorlesungen in Stuttgart, Rostock und München
intensiv verwendet. Meine Studenten haben dies sehr geschätzt. Sie waren
dankbar, dass sie auch erfahren konnten, wie und mit welchen Methoden und
Werkzeugen in der Praxis gearbeitet wurde.
Aus
persönlichen Gesprächen mit Klaus Tschira erinnere ich mich an zwei Beobachtungen,
die ihn (und mich) sehr beeindruckten. Wenn Informatiker zu ihm ins Vorstellungsgespräch
kamen, fragten sie meistens in welcher Sprache bei SAP programmiert würde. Wenn er dann
ABAP erwähnte, hätte das zur Folge gehabt, dass einige ihre Bewerbung
zurückzogen. Es sei eines Informatikers nicht würdig in einer Sprache der
Vierten Generation (4GL) zu programmieren. So hatten es ihnen ihre Professoren eingehämmert.
Eine
Einsicht überraschte ihn (ebenso wie mich). Es wäre immer eine grundlegende
Weisheit der ganzen Branche gewesen, dass die Technik sich der statischen Organisation
und den Abläufen anpassen müsste. Die Technik sei die Dienerin, das Unternehmen
mit seiner vorhandenen Organisation die Herrin. Es seien nicht die dümmsten
Kunden gewesen, die eingesehen hätten, dass man auch schon mal die Organisation
an die im Markt vorhandene Software anpassen müsste. Denn Organisation, d.h.
Abläufe und Verantwortlichkeiten, sei kein Selbstzweck, sondern auch nur ein
Mittel zum Zweck. Die Software zu ändern, könne teurer zu stehen kommen als die Organisation zu ändern.
Klaus
Tschira war ein Kollege, wie sie unsere Branche nur wenige besaß. Er konzentrierte
sich auf Dinge, die Bedeutung hatten und die funktionierten. Werbung und großes Gerede lagen ihm nicht. Nach seinem Ausscheiden
aus der Wirtschaft konnte er seinen Träumen nachgehen. Er förderte die Jugend,
die Naturwissenschaften und deren Anerkennung durch die Gesellschaft. Auch
dafür danken wir ihm. Da viele seiner Stiftungen über seinen Tod hinaus weiterleben
werden, wird er nicht so schnell vergessen sein.
Nachtrag vom 21.4.2015
In der Heidelberger Stadthalle gedachten gestern 500 eingeladene Gäste in einer Trauerfeier an Klaus Tschira. Heinrich C. Mayr aus Klagenfurt, ein früherer GI-Prädident, war einer der Redner.
Nachtrag vom 26.4.2015
Heute wurde Dietmar Hopp 75 Jahre alt. Im Interview der Rhein-Neckar-Zeitung wird sogar der Beginn seiner Berufslaufbahn am Schönaicher First in Böblingen erwähnt.
Nachtrag vom 21.4.2015
In der Heidelberger Stadthalle gedachten gestern 500 eingeladene Gäste in einer Trauerfeier an Klaus Tschira. Heinrich C. Mayr aus Klagenfurt, ein früherer GI-Prädident, war einer der Redner.
Nachtrag vom 26.4.2015
Heute wurde Dietmar Hopp 75 Jahre alt. Im Interview der Rhein-Neckar-Zeitung wird sogar der Beginn seiner Berufslaufbahn am Schönaicher First in Böblingen erwähnt.
Einen Nachruf auf KlausTschira von Andreas Reuter gab es in den Communications of the ACM, Vol. 58 No. 6, Seite 21; Document 10.1145/2769955
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