Donnerstag, 9. April 2015

Erinnerungen an Klaus Tschira (1940-2015)

Zu den Kollegen, von deren Tod wir dieser Tage erfuhren, gehört Klaus Tschira. Er war neben Dietmar Hopp und Hasso Plattner der dritte der SAP-Gründer, die lange den Weg dieses Software-Unternehmens bestimmten. Dietmar Hopp gilt als die väterliche Unternehmerpersönlichkeit, die sich stark um die Auswahl, Förderung und Motivation von Mitarbeitern kümmerte. Hasso Plattner ist der Visionär, der neue Technologien und Märkte erschloss und den es dazu trieb, das Unternehmen in Richtung USA  auszudehnen. Klaus Tschira oblag es, die Werkzeuge und Sprachen zur Verfügung zu stellen, mit denen sich universelle Anwendungen bauen ließen.

Hopp war 1967 Mitarbeiter meiner Abteilung im IBM Labor Böblingen. Er verließ uns, um zur Niederlassung Mannheim zurückzukehren, weil nach seiner Meinung die Systementwicklung zu weit vom Kunden und dessen Anwendungen entfernt sei. Plattner lernte ich 1969 bei einer der ersten Veranstaltungen der deutschen ACM-Sektion kennen, wo er sich sehr lebhaft an der Diskussion beteiligte. Auf Tschira traf ich erst in den 1980er Jahren, als wir beide im Präsidium der Gesellschaft für Informatik (GI) waren. Da er als einziger der drei aktiven SAP-Gründer den Kontakt zur GI pflegte, trafen wir uns immer wieder bei GI-Veranstaltungen. Als GI-Fellows brachten uns zuletzt die jährlichen Fellow-Treffen der GI zusammen.

In meinem Blog-Beitrag über die Firma SAP vom April 2011 hatte ich den Weg dieses Unternehmens nachgezeichnet. Er begann mit einem internationalen Kunden in Deutschland und führte in den Weltmarkt für ERP-Anwendungen. SAP ist heute Deutschlands größtes und erfolgreichstes Informatik-Unternehmen. Tschira war im Jahre 1998 als Mitarbeiter der Firma ausgeschieden und 2007 aus dem Aufsichtsrat.

Einige Nachrufe in der Presse und von Fachgesellschaften

Auf die ersten Nachrufe im Rhein-Neckar-Fernsehen wurde ich von Klaus Küspert hingewiesen. Weitere Nachrufe erschienen in Tageszeitungen wie der Süddeutschen Zeitung und der FAZ. Aber auch der Fachverlag Heise und andere Branchenmedien würdigten ihn. Die Gesellschaft für Informatik (GI) widmete ihm fünf Zeilen. Das folgende Bild zeigt ihn im Jahre 2014 an der Universität Heidelberg.




Erinnerungen zweier Kollegen

Am 4.4.2015 schrieb Hartmut Wedekind (aus Darmstadt): Ich denke an Klaus Tschira zurück und insbesondere an das Erstaunliche, was ich von ihm, einem  Naturwissenschaftler, vor über 20 Jahren erfuhr. Wir saßen damals  in seinem Büro und ich bekam von ihm ein Privatissime in Sachen "Lohn-und Gehaltsabrechnung", kurz auch "payroll" genannt. Ich habe dabei furchtbar viel gelernt. Oder anders formuliert: Mich hat's fast vom Sessel gehauen. Das Wichtigste sei es, so führte er damals aus, bei "Lohn-und Gehalt" den Verarbeitungsprozess strikt von seinem zugrunde liegende Regelwerk zu trennen. Denn was ändert sich bei "Lohn und Gehalt" ständig? Antwort: Die Regeln der Gesetze und Verordnungen und nicht etwa  die Verarbeitungsprozesse. Und dann stellte er, der Physiker, im Detail seine von ihm gemanagte Implementierung vor. Das Regelwerk wurde als Box vorgestellt, die man nach Änderungsbedarf in das komplizierte Gerüst einer Lohn- und Gehaltsabrechnung hinein schieben und heraus holen konnte. Dass  Tschira mir etwas für die allgemeine  Prozessentwicklung  ganz Fundamentales  erklärte (nicht nur für Lohn und Gehalt), begriff ich in seiner Tiefe erst später. Und wenn ich mich heute  mit "Prozessgesteuerten  Anwendungen" und den ausgesonderten Regelwerken in der Sprache BPMN befasse, denke ich immer noch an Klaus Tschira und sein "payroll"- Beispiel zurück. Von Klaus Tschira konnte man immer etwas lernen.

Auch Klaus Küspert (aus Jena) erinnerte sich dieser Tage: Sein Stifterwesen und die vielfältigen Engagements sind schon enorm. Teils war einem das ja gar nicht immer bewusst, weil es sich wiederum unter dem Dach der Stiftungen 'versteckte'. Ich bekam jetzt gerade etwas mit von seiner Förderung im Bereich Krebsbehandlung, sicher eine von -zig Initiativen (und mehr) der Stiftungen. Die wesentlichsten fachlichen Spuren bei SAP kann ich nur als Außenstehender beurteilen: Er hat meines Wissens im Bereich HR/HCM bis in die 1990er hinein Einfluss ausgeübt, sowie als ABAP-Vater, nachher gemeinsam mit Gerhard Rodé. Man kann auch sagen: Die anderen Gründer wurden von der GI nicht für "würdig" erachtet und somit nicht eingeladen, Plattner erst in den letzten Jahren. Die Universitätsinformatik hat doch die SAP über Jahrzehnte leider ignoriert: wegen ABAP, etc.  Das war wie früher das Verhältnis der Uni-Informatiker zu Fortran und Cobol. Das Verhältnis zur Wirtschaftsinformatik war natürlich anders. Ich bekam auch einmal 1998 eine bitterböse E-Mail von ihm - das kann nicht jeder oder jede von sich behaupten, es 'adelt'.

Eigene Erinnerungen

Auf meinen Wunsch hin, hatte Klaus Tschira mir technisches Material zu SAP-Produkten und System-Architekturen zur Verfügung gestellt. Sie betrafen sowohl das R/2- wie das R/3-System, deren Plattformen und Strukturen. Ich habe dieses Material in meinen Vorlesungen in Stuttgart, Rostock und München intensiv verwendet. Meine Studenten haben dies sehr geschätzt. Sie waren dankbar, dass sie auch erfahren konnten, wie und mit welchen Methoden und Werkzeugen in der Praxis gearbeitet wurde.

Aus persönlichen Gesprächen mit Klaus Tschira erinnere ich mich an zwei Beobachtungen, die ihn (und mich) sehr beeindruckten. Wenn Informatiker zu ihm ins Vorstellungsgespräch kamen, fragten sie meistens in welcher Sprache bei SAP programmiert würde. Wenn er dann ABAP erwähnte, hätte das zur Folge gehabt, dass einige ihre Bewerbung zurückzogen. Es sei eines Informatikers nicht würdig in einer Sprache der Vierten Generation (4GL) zu programmieren. So hatten es ihnen ihre Professoren eingehämmert.

Eine Einsicht überraschte ihn (ebenso wie mich). Es wäre immer eine grundlegende Weisheit der ganzen Branche gewesen, dass die Technik sich der statischen Organisation und den Abläufen anpassen müsste. Die Technik sei die Dienerin, das Unternehmen mit seiner vorhandenen Organisation die Herrin. Es seien nicht die dümmsten Kunden gewesen, die eingesehen hätten, dass man auch schon mal die Organisation an die im Markt vorhandene Software anpassen müsste. Denn Organisation, d.h. Abläufe und Verantwortlichkeiten, sei kein Selbstzweck, sondern auch nur ein Mittel zum Zweck. Die Software zu ändern, könne teurer zu stehen kommen als die Organisation zu ändern.

Klaus Tschira war ein Kollege, wie sie unsere Branche nur wenige besaß. Er konzentrierte sich auf Dinge, die Bedeutung hatten und die funktionierten. Werbung und großes Gerede lagen ihm nicht. Nach seinem Ausscheiden aus der Wirtschaft konnte er seinen Träumen nachgehen. Er förderte die Jugend, die Naturwissenschaften und deren Anerkennung durch die Gesellschaft. Auch dafür danken wir ihm. Da viele seiner Stiftungen über seinen Tod hinaus weiterleben werden, wird er nicht so schnell vergessen sein. 

Nachtrag vom 21.4.2015

In der Heidelberger Stadthalle gedachten gestern 500 eingeladene Gäste in einer Trauerfeier  an Klaus Tschira. Heinrich C. Mayr aus Klagenfurt, ein früherer GI-Prädident, war einer der Redner.

Nachtrag vom 26.4.2015

Heute wurde Dietmar Hopp 75 Jahre alt. Im Interview der Rhein-Neckar-Zeitung wird sogar der Beginn seiner Berufslaufbahn am Schönaicher First in Böblingen erwähnt.

1 Kommentar:

  1. Einen Nachruf auf KlausTschira von Andreas Reuter gab es in den Communications of the ACM, Vol. 58 No. 6, Seite 21; Document 10.1145/2769955

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