Am letzten Wochenende wies ich Peter
Hiemann in Grasse auf das Phänomen Trump hin. Ich schrieb: ‚In der
Titelgeschichte des aktuellen SPIEGEL (5/2016) werden Donald Trump gute Chancen
eingeräumt, nächster US-Präsident zu werden. Ich will die Argumente hier nicht
alle auflisten. Daran denkend, wie Hitler das deutsche Wählervolk gewann, weiß
ich, wie leicht demokratische Gesellschaften zu verführen sind. Trump würde
außerdem gut zu Putin passen, aber auch zu Le Pen, Orban, Kaczyinski und dgl.
Vielleicht ist der weltweite Rechtsdrall mein nächstes Blog-Thema?‘ Bereits am Dienstag
(2.2.2016) erwiderte Peter Hiemann:
Die im SPIEGEL beschriebenen
Wahlkampfauftritte Donald Trumps und die Ergebnisse der Vorwahl in Iowa eignen
sich ganz gut für ein paar Einschätzungen der gegenwärtigen gesellschaftlichen
Situation in USA. Die Republikaner erreichen speziell mit Trump Wählergruppen
- mit antidemokratischen Argumenten wie: „Unser Land ist verweichlicht“; „Yes, I can“ - USA braucht einen starken Führer; „Glaube an [seine] naturgegebenen [genetischen] Fähigkeiten“; „Einrichtung einer Datenbank, in der alle Muslime erfasst sind“; „Einreisestopp für alle Muslime“; „In Sachen Führung kriegt Putin eine Eins“; „Ich bin der größte Militarist, den es gibt“; „Washington repräsentiert ein verkommenes politisches System“ (wie Brüssel in Europa); „Es sind immer nur die Journalisten, die mich nach Konzepten fragen“.
- mit unrealistischen Absichtserklärungen wie „hohe Schutzzölle auf importierte chinesische Produkte“; „nach Asien und Mexiko verlagerte Jobs nach USA zurückholen“; „eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen, und Mexiko wird dafür bezahlen“.
- mit destabilisierenden Falschmeldungen und Gerüchten wie „Jeb Bush ist Niedrigenergie-Mensch“; „Marco Rubio ist außerordentlich stark verschwitzt“; „Chelsey Clinton ist nicht das Kind von Bill Clinton“; „Bill Clinton hat mindestens einen Sohn mit einer schwarzen Prostituierten gezeugt“; „Die Clintons sind geldgeile Opportunisten und Kriminelle“; „Redet mal mit den Leuten in Deutschland. Europa wird gerade zerstört“.
- Einschätzung der New York Times: "Wut trug Ted Cruz zum Sieg. Und sie hinderte Hillary Clinton daran, einen echten Erfolg zu verbuchen. Die Abstimmung hier in Iowa war das Abbild eines heiß gelaufenen Amerikas, das so unzufrieden ist, dass es sich einem um sich schlagenden evangelikalen Republikaner zuwendet, der die Zerstörung eines von Korruption durchzogenen Systems fordert. Und die Wähler schickten eine deutliche Botschaft an demokratische Führer, dass sie nicht bereit dazu sind, ihren Ärger über die Wall Street (...) beiseitezuschieben und mit Clinton ein langjähriges Parteimitglied zu krönen, das Millionen durch Vortragshonorare von den großen Banken angehäuft hat."
- Einschätzung des SPIEGEL: Der 74-jährige Bernie Sanders erkämpft fast ebenso viele Stimmen wie Hillary Clinton. Der Erfolg des Sozialisten stürzt die Demokraten in eine Sinnkrise. Das ist ein Erfolg für Sanders, der sich dem Kampf gegen den Kapitalismus verschrieben hat, gegen die Ungleichheit, gegen die Wall-Street-Bonzen. "Wir hatten kein Geld, wir hatten keine Bekanntheit", erinnerte sich Sanders an die bescheidenen Anfänge seiner Kandidatur. "Und wir nahmen es mit der mächtigsten politischen Organisation der Vereinigten Staaten von Amerika auf."
Vertreter der etablierten
Mittelschichten tendieren in Sorge um Sicherheit und Fortbestand ihres Wohlstands
nach 'rechts' im Verlangen nach Autorität des Staates. Vertreter der jungen
Generationen aller Bevölkerungsgruppen tendieren in Sorge um ausreichende
Berufsperspektiven nach 'links' im Protest gegen Wall-Street. Wir erleben
spannende Zeiten. Der Spiegel-Artikel über Russlands derzeitige Außenpolitik
ist sehr aufschlussreich. Er beschreibt mit welchen Mitteln destabilisierende
Aktionen wirksam gestaltet werden. Glaubt Trump im Ernst, dass er von Putin auf
Grund seiner Persönlichkeit 'hochgeschätzt' wird? („Er ist ein wirklich
brillanter Mann und ohne Zweifel sehr talentiert“.)
Nach dieser Vorarbeit bleibt mir nichts
anders übrig, als auch meine Gedanken ‚zu Papier‘ zu bringen. Ich beginne mit
Amerika. Danach möchte ich auf die europäischen Ausprägungen des Phänomens
Rechtsextremismus eingehen.
Isolationisten und Cowboy-Allüren
Nach Phasen des Interventionismus befinden
sich jetzt in den USA die Isolationisten im Auftrieb. Barack Obama trug dem bereits
Rechnung, indem er die Auslandseinsätze amerikanischer Truppen drastisch
reduzierte. Donald Trump mag uns als sehr extrem erscheinen. Er treibt an sich
nur eine Bewegung auf die Spitze, die sich Tea Party nennt. Diese
existiert bereits seit 2009. Der Name erinnert an die Boston Tea Party von 1773. Politisch steht sie für eine Verringerung der Macht der
Bundesregierung. Sie wird von der religiösen Rechten und den Neokonservativen
getragen. Mit ihr wendet sich der konservativere Teil der Republikaner gegen das
Establishments der Partei. Sarah
Palin, die ehemalige Gouverneurin von
Alaska, ist ein auch bei uns bekanntes Mitglied. Im Januar 2016 verkündete die
Sprecherin der Tea Party, dass ihre Organisation den texanischen Senator Ted
Cruz (und nicht Donald Trump) als Präsidenten der USA empfiehlt.
Einer meiner amerikanischen Kollegen,
mit dem ich bis zu seinem Tode vor drei Jahren rege E-Mails austauschte, war
politisch sehr interessiert und informiert. Wir diskutierten oft politische
Trends und Ereignisse auf der ganzen Welt. Er stammte aus Georgia und stand den
Republikanern nahe. Irgendwann gestand er mir, dass er seit der Kandidatur von Barry Goldwater (1909-1998) bei
keiner Präsidentschaftswahl mehr abgestimmt habe. Goldwater war 1964 Kandidat
der Republikaner. Er war gegen die Bürgerrechtsgesetze, durch die die in den
Südstaaten praktizierte Rassentrennung aufgehoben wurde. Außerdem trat er für
einen Rückzug des Staates aus vielen Bereichen ein. So betrachtete er Eingriffe
des Staates in das Renten-, Gesundheits- und Bildungswesen als Widerspruch zur
Idee der individuellen Freiheit. Goldwater verlor damals gegen Lyndon Johnson. Ähnliche
Ideen werden heute von rechten Republikanern und Donald Trump immer noch (oder
wieder) vertreten.
Oft wundert es uns Europäer, wenn
amerikanische Politiker einen etwas prahlerischen, cowboy-haften Sprachstil und
ein entsprechendes Gehabe an den Tag legen. Manches an Donald Trump lässt sich
damit erklären. Wem eine amerikanische Sekretärin schon einmal damit drohte,
die ‚Fresse zu polieren‘ (engl. smash your face) ist bezüglich amerikanischer
Umgangsformen etwas gelassener.
Nationalisten und Anti-Europäer
Dass Frankreich große gesellschaftliche
Probleme aufgrund seiner Einwanderer hat, ist schon lange bekannt. Die Partei ‚Front
National‘ (FN), die 1972 vom Vater Jean-Marie Le Pen gegründet worden war, wurde inzwischen auf die
Tochter Marine vererbt. Das von dieser Partei belegte Thema hat zurzeit
Hochkonjunktur. Präsident François
Hollande ließ sich in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik zu einem Kurs
verleiten, der dem des FN sehr nahe kommt. Ihr stellvertretender Vorsitzender Florian Philippot regte an,
zwischen Franzosen zu unterscheiden, die es nur dem Pass nach sind und solchen, die
es mit dem Herzen sind. Genau das suggeriert auch Hollande, wenn er vorschlägt,
alle straffällig gewordenen Einwanderer auszuweisen.
Es ist schon verwunderlich, dass in
Ungarn und Polen plötzlich Nationalisten das Sagen haben. Unter der Herrschaft
des Kommunismus war man gezwungen gewesen kosmopolitisch zu denken. Wichtiger
als nationales Wohlergehen war die von Moskau angestrebte Weltrevolution. Dass Viktor Orban und Jaroslaw Kaczyinski nicht unbedingt danach streben, die gerade gewonnene Unabhängigkeit wieder
in der EU zu opfern, ist an sich verständlich. Wenn Ungarn in der Flüchtlings-
und Medienpolitik eigene Wege gehen will, muss es sich im Klaren sein, dass
dies nicht ohne Auswirkung auf die solidarische Unterstützung des Landes durch
die anderen EU-Mitglieder bleiben wird.
Unverbesserliche gibt es immer wieder
In Deutschland gab es nach 1949 immer
wieder rechte Splitterparteien. Als rechtsextrem werden bei uns Parteien und
Gruppierungen bezeichnet, die einer völkisch bestimmten autoritären Staatsform
den Vorzug geben. Erinnert sei an die DRP, die NPD und die Republikaner. Sie
zeichnen sich aus durch Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus
sowie die Verharmlosung und Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Ihr
Wählerpotential schwankte bisher zwischen 6 und 17%. Die AfD unter Frauke Petry
bewegt sich bei neuesten Umfragen im oberen Teil dieser Skala. Solange
Ereignisse wie die in Köln als Folge von Merkels Flüchtlingspolitik angesehen
werden, kommt dies der AfD zugute. Sie ist die einzige Partei, die von
Schwächen der derzeitigen Koalitionsregierung profitiert. Petrys Forderung eines
Schießbefehls auf Flüchtlinge kann allerdings den Aufwärtstrend der AfD stoppen.
Philosophisches zur Geschichte
Nicht immer helfen Philosophen, wenn es
darum geht Geschichte zu erklären. Hegels Dialektik ist eine Ausnahme, weshalb sie auch Karl Marx benutzte. Hegel sah in Geschichte
eine Gedankenkette, bestehend aus These und Antithese, die in der Synthese
zusammengeführt werden. Wird in einer Phase der Nationalismus zu sehr betont,
folgt darauf eine Phase des Internationalismus. Das gleiche gilt umgekehrt. Es
setzt allerdings voraus, dass die Menschheit lernfähig ist. Das Lernen kann
allerdings langsam und selektiv erfolgen. Meist werden dazu Generationen benötigt.
Peter Hiemann schrieb:
AntwortenLöschenBernie Sanders vertritt seit 2007 den Bundesstaat Vermont im US-Senat. Er bezeichnet sich selbst als „demokratischen Sozialisten“. Das folgende Zitat repräsentiert seine politische Motivation, die ausschlaggebend für seine Kandidatur gewesen sein dürfte: „There are millions and millions of people who are tired of establishment politics, who are tired of corporate greed, who want a candidate that will help lead a mass movement in this country. ... What people are saying is, "Enough is enough. The billionaire class cannot have it all."
Die Aussage eines Spiegel Journalisten „Sanders, hat sich dem Kampf gegen den Kapitalismus verschrieben“ wird Sanders politischer Grundeinstellung sicherlich nicht gerecht.
Die Sorge Fontanes ‚Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär ist, hat keinen Verstand‘ hat für die große Mehrheit der Bevölkerung in USA wenig Bedeutung. Um heutigen gesellschaftlichen Situationen gerecht zu werden, würde Sanders vielleicht sagen: 'Wer mit 40 nicht verstanden hat, dass jede Gesellschaft existierende Missstände (wie z.B. von der Gesellschaft verursachte Umweltschäden) auf evolutionäre Weise beheben muss, hat wenig Verstand.'
Der SPIEGEL 6/2016 listet folgende 14 Parteien als rechtspopulistisch:
AntwortenLöschenBelgien: Vlaams Belang, Dänemark: Dänische Volkspartei, Deutschland: AfD, Finnland: Finnen, Frankreich: FN, Groß-Britannien: UK Independence Party, Italien: Liga Nord, Niederland: Partei für die Freiheit, Norwegen: Fortschrittspartei, Österreich: FPÖ, Polen: Recht und Gerechtigkeit, Schweden: Schwedendemokraten, Schweiz: Schweizerische Volkspartei, Ungarn: Fidesz.
Fünf von ihnen sind derzeit an einer Regierungskoalition beteiligt.