Schon vor meinem Aufenthalt in Rostock
war ich von Münchner Bekannten gefragt worden, ob ich nicht Lust hätte, nach
meinem Eintritt in den vorgezogenen Ruhestand für einige Jahre als Professor an
die TU München (TUM) zu kommen. Während ich meinen westdeutschen Horizont um
Erfahrungen in den Neuen Bundesländern erweiterte, liefen die Vorbereitungen.
Alles, was ich selbst tun konnte, bestand darin im Februar 1993 mit einem Nachtzug
von Rostock nach München zu fahren, um gegen 11 Uhr einen Probevortrag zu
halten. Das Thema habe ich vergessen. Ich trat meinen Dienst im Mai 1993 an und
schied Ende April 1997 aus.
Abb. 1: Emblem der TUM
Seriöses Angebot
Über das Angebot, das mir gemacht wurde,
weiter zu verhandeln, sah ich wenig Grund. Es war ein Dreijahresvertrag mit der
Option, ihn um ein Jahr zu verlängern. Die Vergütung entsprach dem Gehalt eines
C4-Professors. Ein Beamter des Kultusministeriums brachte mir den Vertrag ins
Institut. Derselbe Beamte besuchte mich auch später noch einige Male, und erkundigte
sich, ob ich mit Allem zufrieden sei. Obwohl ich schon Honorarprofessor der
Universität Stuttgart war, verlieh der bayrische Staat mir nochmals den Titel
Professor, und das auf Lebenszeit. Um den Stuttgarter Titel nicht zu verlieren,
musste ich der dortigen Rektorin allerdings einen Brief schreiben. Sinngemäß
stand darin: Ich verlasse Stuttgart nicht, weil ich meine hiesigen
Verpflichtungen nicht erfüllen kann oder möchte, sondern weil ich gebeten worden sei, der TU München
aufgrund meiner Erfahrungen vorübergehend zu helfen. Nach Ablauf der
vorgesehenen 3-4 Jahre werde ich meine Stuttgarter Vorlesung wieder anbieten,
was ich dann auch tat.
Abb. 2; Glockenturm der TUM
Die beiden Kollegen, die vom Institut für
Informatik als meine Gesprächspartner bestimmt waren, sagten mir, dass ich den
Lehrstuhl für Computergrafik erhalten würde. Es war dies einer von 12
planmäßigen Lehrstühlen, der aber bisher nicht besetzt werden konnte. Außer mit
dem Lehrstuhlinhaber war er noch mit vier Planstellen ausstaffiert. Die Büros lagen
im Stammgebäude der TUM, der Arcisstraße 21. Bezüglich der Besetzung der
Sekretariatsstelle und einer Wissenschaftlerstelle würde man mir helfen. Wie
sich herausstellte, waren alle diesbezüglichen Zusagen am Tage meines
Dienstantritts erfüllt, und zwar zu meiner vollsten Zufriedenheit.
Standesgemäßer und kollegialer Empfang
Meine Position war von den über 100
Mitarbeitern des Instituts dadurch abgehoben, dass ich Lehrstuhlinhaber war. Im
Rechenzentrum, in der Bibliothek, überall kam man mir respektvoll entgegen. Ich
durfte meinem Lehrstuhl einen neuen Namen geben und wählte
‚Software-Ingenieurwesen‘. Für mich war dies eine Analogie zum
Bauingenieurwesen (engl. civil engineering). Kein Münchner, sondern ein
externer Besucher wunderte sich über diese Bezeichnung und fragte mich, warum
ich nicht ‚Software Engineering‘ gewählt habe. Das sei doch moderner. Für mein
Büro durfte ich in einem Münchner Möbelhaus eine vollständige Ausstattung (mit Teppich
und Wandbildern) aussuchen.
Für eine meiner freien Stellen hatte ich
in Rostock einen Mitarbeiter angeworben, der gerade eine Diplomarbeit in
Computergrafik abgeliefert hatte. Das Land Bayern wollte ihn jedoch nicht
anstellen, bevor er seine Unbedenklichkeit bezüglich eventueller Stasi-Vergangenheit
nachweisen konnte. Das hätte seine Anstellung und Übersiedlung nach München
leicht 2-3 Monate verzögert. Kein Problem, sagten die Münchner Kollegen. Wir
tauschen und nehmen den Ossi solange auf eine von Siemens finanzierte Stelle.
Das geschah dann auch, ohne dass die Betroffenen dies überhaupt merkten. Ein
Grund, warum derartige Umdisponierungen problemlos abliefen, war die Tatsache,
dass das gesamte Budget der Fakultät Informatik einem einzigen Institut, also
einer Kostenstelle, zugeordnet war. An anderen Universitäten sind die Lehrstühle
für Informatik oft auf verschiedene Institute aufgeteilt, damit jedes über
seine eigenen Mittel verfügen kann. Auch später erwies sich diese Flexibilität
immer wieder als Vorteil. Sie setzte aber eine gute und vertrauensvolle Kooperation voraus.
Vorlesungen, Übungen und Studenten
Die Hauptaufgabe eines Professors
besteht bekanntlich darin, Vorlesungen und Übungen anzubieten, deren
erfolgreicher Besuch von Studierenden des Fachgebiets als Studienleistung
anerkannt wird. Man verschonte mich mit dem Abhalten von Einführungsvorlesungen
für Informatiker. Ich durfte mich auf Veranstaltungen für Fortgeschrittene
beschränken, musste jedoch eine Mindestzahl von Semesterwochenstunden
erreichen. Ich stellte Kopien aller benutzten Folien am Semesteranfang zur
Verfügung. Je nach Lust und Laune wich ich auch davon ab und erzählte Dinge,
von denen ich wusste, dass sie Studenten interessieren. Etwa, wie man sich
bewirbt, wie in der Industrie die Leistungsbeurteilung erfolgt, aufgrund der
die Gehaltssteigerungen ermittelt werden, oder wie Projekte organisiert werden.
Im Sommersemester lud ich alle meine Hörer jeweils einmal zu einem Treffen in
einen Münchner Biergarten ein. Es kamen nie über 30.
Abb. 4: Vortragender im Hörsaal
(anlässlich einer Fachtagung)
(anlässlich einer Fachtagung)
Da ich selbst einmal Vermessungskunde
studiert hatte, traf es mich, als die Münchner Geodäten die Fakultät Informatik
darum baten, eine Einführungsvorlesung in Informatik für Geodäten zu halten. Mir
fiel dabei auf, dass dieser Studiengang, anders als vor 50 Jahren, heute einen
hohen Anteil weiblicher Studierende aufweist. Durch so genannte
Drittmittelprojekte (siehe unten) wuchs die Zahl der Mitarbeiter im Laufe der
Zeit auf sieben. Zwei bis drei meiner
wissenschaftlichen Mitarbeiter organsierten die Übungen. Vor allem betreuten
sie die Diplomarbeiten, die von Studierenden am Lehrstuhl angefertigt wurden.
Es waren etwa ein Dutzend. An einige der Diplomanden und ihre Arbeiten erinnere
ich mich heute noch sehr gut.
Eine
besondere Veranstaltungsform waren die so genannten Seminare. Sie wurden
meist von mehreren Lehrstühlen zusammen angeboten. So boten mein Kollege Manfred Broy und ich ein gemeinsames Seminar zum Thema Software-Entwicklung und –Bewertung an,
bei dem von Studierenden zu damals aktuellen Themen vorgetragen wurde.
Prüfungen und Promotionen
Eine Besonderheit der Münchner
Prüfungsordnung war, dass im Hauptdiplom für das Fach Informatik nur eine
einzige mündliche Prüfung abzulegen war. Sie umfasste jedoch Stoff von vier
oder fünf Vorlesungen. Die halbstündigen Prüfungen wurden auf alle Ordinarien,
d.h. Lehrstuhlinhaber, aufgeteilt. Jeder musste also Stoff prüfen, den er nicht
selbst gelesen hatte. Man erhielt dafür die Skripte der Kollegen. Ich lernte
auf diese Weise alles kennen, was jeder Münchner Informatiker können und wissen
musste, etwa bezüglich Datenbanken, Netzwerken und Künstlicher Intelligenz.
Ein Prüfling, mit dem ich vorher nie gesprochen
hatte, kam einige Stunden nach der Prüfung zu mir ins Büro. Er wollte wissen,
warum er statt einer glatten Eins (also Sehr gut) nur eine Eins Minus bekommen
habe. Er hätte doch alles gewusst, was ich gefragt hatte. Meine Antwort war:
Ich hätte am selben Tag mehrere Leute geprüft, die alles gewusst hätten. Einige
hätten erheblich päziser, flüssiger und ausführlicher geantwortet als er. Ich
glaube, ich konnte ihn nicht zufrieden stellen. Es hat sich übrigens nie jemand
bei mir beschwert, den ich hatte durchfallen lassen.
Abb. 5: Nach bestandener Prüfung
Drei meiner Mitarbeiter konnten ihre
Dissertationen erfolgreich abschließen. Die Arbeiten wurden von einen
Ko-Referenten, d.h. Zweitberichter, und mir bewertet. Außerdem fand eine
mündliche Prüfung statt. In mindestens ebenso viel Fällen übernahm ich das
Ko-Referat einer Arbeit an einen anderen Lehrstuhl. Auch bei Prüfungen in
anderen Fakultäten fungierte ich schon mal als Zweitberichter, etwa in BWL oder Elektrotechnik. Die drei Dissertationen meines Lehrstuhls waren:
- Klaus Bergner: Spezifikation großer Objektgeflechte mit Komponentendiagrammen, 1996 (Bergner ist heute Geschäftsführer von 4Soft GmbH in München).
- Jörn Trilk: Skalierbare Visualisierung objektorientierter Software, 1998 (Trilk ist heute Abteilungsleiter bei der BMW AG in München).
- Ricarda Weber: Accounting and Payment Concepts for Fee-Based Scientific Digital Libraries, 2000 (Weber ist heute wissenschaftliche Mitarbeiterin der Siemens AG in München).
Von den
Dissertationen, die ich als Zweitgutachter bewertete, fällt mir eine ein, in
der Navier-Stokes-Differentialgleichungen numerisch behandelt wurden
(Hauptgutachter Arndt Bode). In einer andern Arbeit wurden historische Dokumente
aus der Sammlung des Adelshauses Oettingen-Wallerstein digitalisiert
(Hauptberichter Rudolf Bayer). An der Vielfalt von Themen und Verfahren bestand
wahrlich kein Mangel.
Abb. 6: Prüfer
nach der Arbeit
Kontakte mit Kollegen, Veranstaltungen
der Uni
Alle 12 Professoren des Instituts trafen
sich während der Vorlesungszeit jeweils Freitagsnachmittags zum Tee oder Kaffee.
Der Raum wechselte. Besprochen wurden alle Probleme, welche die Fakultät als
Ganzes betrafen. Mal ging es um eine geplante Neuberufung, mal um die Ausstattung
eines Hörsaals mit Kameras und Projektionsgerät. Auch größere
Drittelmittel-Anträge wurden vorgestellt oder der Stand des Institutsneubaus in
Garching besprochen. Wenn besonders wichtige Themen behandelt wurden, kamen
sogar emeritierte Kollegen angereist. Als solche habe ich die Reduzierung des
Mathematik-Anteils im Studienplan in Erinnerung, aber auch den geplanten Umzug
der Institutsbibliothek. Für offizielle Beschlussfassungen gab es einen
gewählten Fakultätsrat und andere Gremien wie den Senat der Universität. Deren
Sitzungen wurden beim Professorentee lediglich vorbereitet, allerdings
gründlich und gewissenhaft.
Abb. 7: Fassanstich durch Präsidenten der TUM
Auch die Kontakte privater Art waren
vielfältig. Auf sie will ich nicht näher eingehen. Nur eine typische Erfahrung eines Ortsfremden soll wiedergegeben werden. Wenn man versucht per
U-Bahn vom Isartor nach Grünwald zu fahren, gelangt man zunächst nach Hollriegelsreut. Das Taxi, das einen von dort über das Isartal nach Grünwald bringt, muss aus der Innenstadt
kommen. Also hätte man auch gleich per Taxi fahren können.
Außer auf eine eigene Klinik (das
Klinikum rechts der Isar) ist die TU München sehr stolz auf ihre Fakultät für
Brauwesen in Weihenstephan. An vier von fünf Lehrstühlen gibt es Versuchsbrauereien.
Kooperationen mit dieser Fakultät stehen hoch im Kurs. Beim Sommerfest der TUM
wurden alle neuberufenen Professoren eingeladen, sich für den Bierausschank zur
Verfügung zu stellen. Natürlich gab es eigenes Bier. Der Präsident der Universität
schlug das erste Fass an. Erwähnen möchte ich noch das zwei Mal pro Semester stattfindende
Abendessen in einem Gästehaus der Firma Siemens auf dem Gelände des
Nymphenburger Schlosses. Heinz Gumin war der Gastgeber in seiner Funktion als
Vorsitzenden der Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Alle Münchner Professoren
der Fachbereiche Elektrotechnik und Informatik waren eingeladen. Nach dem Essen
gab es einen Gastvortrag. Die Themen betrafen meist Grenzgebiete zwischen der
Technik einerseits und Kunst, Kultur, Geistes- und Lebenswissenschaften
andererseits.
Mittelbau und Landespolitik
An einigen Universitäten, die ich
kennengelernt hatte, stand der akademische Mittelbau (d.h. die nicht als
Ordinarien eingestuften wissenschaftlichen Mitarbeiter der Lehrstühle) etwas in
Opposition zur Professorenschaft. An der TUM schien dies weniger der Fall zu sein,
zumindest fiel es mir nicht auf. Im Gegenteil: Sie schienen sich in Bezug auf Effektivität
und Loyalität gegenseitig zu überbieten. Manche hatten 20 und mehr Dienstjahre
auf dem Buckel. Einige waren promoviert, andere nicht. Besonders gut erinnere
ich mich an ein Faktotum, eine bayrische Frohnatur, die sich bei Problemen
jeder Art als ‚Kümmerer vom Dienst‘ bewährte. Er soll hier anonym bleiben, weil
er damit stellvertretend für den Münchner Mittelbau stehen kann. Sobald der Mitarbeiter
einem versprach: ‚Ich werde darüber nachdenken‘ konnte man das Problem als gelöst
ansehen. Es spielte keine Rolle, ob es sich um eine technische oder eine administrative
Angelegenheit handelte. Bei ihm machte sich die Nähe zu Österreich, ja zu
Südeuropa, bemerkbar. Anders ausgedrückt: Er war das positive Gegenbeispiel
eines preußischen Beamten. Wenn immer Vorschriften im Wege standen, kam bei ihm
ein besonders hohes Maß an Kreativität zum Vorschein. Bitte denken Sie ja nicht, dass etwas Illegales geschah.
Abb. 8: Ausflug an den Starnberger See
Dass die TUM ein Aushängeschild
bayrischer Förderpolitik war, ließ sich nicht verheimlichen. So erschienen
immer wieder Landespolitiker, um sich zu vergewissern, dass die Steuergelder
gut angelegt seien. In allerbester Erinnerung habe ich ein persönliches Gespräch
mit Alois Glück, dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der CSU im bayrischen
Landtag. Wenn alle Politiker so wären ̶ so dachte ich
mir damals ̶ gäbe es keine
Politikverdrossenheit. Auf der Kehrseite stand eine Feststellung, die wohl nur
ich als Nicht-Bayer machte. Bei allen geografischen Darstellungen, die in
Projektanträgen an die Landesregierung vorkamen, endete die Welt in
Aschaffenburg.
Projekt MeDoc
Zum Schluss sei das Drittmittel-Projekt
erwähnt, das meine Münchner Zeit ganz erheblich beeinflusste. Als Mitglied im
Fachbeirats des Fachinformationszentrums (FIZ) Karlsruhe waren mir die Unterschiede im Informationsverhalten der einzelnen Fachgebiete bekannt. Während
Biologen, Chemiker, Mathematiker und Physiker eifrige Nutzer von
Nachweis-Datenbanken waren, spielten sie für Informatiker so gut wie keine
Rolle. Die Computing Surveys der Association
for Computing Machinery (ACM) erfüllten diese Aufgabe zufriedenstellend. Ähnlich
wie bei anderen Ingenieuren steckt das für Informatik-Praktiker wichtige Wissen
vorwiegend in erfolgreichen Produkten. Publikationen in Fachzeitschriften sind eh nur ein Hobby, außer für einige Hundert angehende Informatik-Professoren.
Von den an Hochschulen tätigen
Informatikern wurde ein besserer Nachweis von ‚grauer‘ Literatur gewünscht (d.h. von Instituts- und Tagungsberichten) und die elektronische Beschaffung der
Volltexte. In enger Abstimmung mit der Gesellschaft für Informatik (GI)
initiierte ich das Projekt und übernahm seine Leitung. Unterstützt wurde ich
dabei von je einem Vertreter des FIZ Karlsruhe (Andreas Barth) und des
Springer-Verlags Heidelberg (Arnoud de Kemp), sowie von einem hauptamtlichen
Projektleiter (Michael Breu von FAST e.V. in München). Von den Hochschullehrern
engagierten sich Hans-Jürgen Appelrath (Oldenburg), Dieter Fellner (damals in Bonn),
Norbert Fuhr (Dortmund), Hermann Helbig (Hagen), Thomas Ottmann (Freiburg) und Heinz
Schweppe (Berlin) überdurchschnittlich stark. Präsidium und Vorstand der GI
verfolgten das Projekt mit Interesse. Ohne die Hilfe der jeweiligen Präsidenten
(Wolfgang Glatthaar und Wolfried Stucky) hätten manche Klippen nicht umschifft
werden können. Ohne die Verantwortlichen im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wäre es
gar nicht nicht erst geflogen. Wir wären weder hochgekommen, noch gelandet.
Abb. 9: Einige Köpfe des MeDoc-Teams
Das Akronym MeDoc steht für
‚Multimedia electronic Documents‘.
Es war ein Leitprojekt des BMBF und
hieß offiziell Entwicklung und Erprobung
offener volltextbasierter Informationsdienste in der Informatik. Seine
erste Phase lief von September 1995 bis August 1997 und war mit 7,9 Mio. DM
subventioniert. Das Projekt hatte Auswirkungen weit über München hinaus. Rechnet
man alle Personen zusammen, die als Entwickler, Systembetreuer, Anbieter und
Nutzer von Inhalten, usw. mit dem Projekt in Berührung kamen, kommt man auf
über 4000 Leute. Die Ziele, der Verlauf und die Ergebnisse des Projekts sind in
einer großen Anzahl von Veröffentlichungen ausführlich dokumentiert [1..3]. Es gibt mehrere Bücher, Dissertationen, Fachartikel, Tagungsbeiträge und Ausstellungsobjekte. Deshalb füge
ich hier nur drei kurze tabellarische Zusammenfassungen ein.
Tab. 1: Partner des MeDoc-Projekts und Systemstruktur
Den Münchner Anteil des Projekts
verantwortete Anne Brüggemann-Klein. Sie verfasste das Pflichtenheft für das
MeDoc-System und leistete zusammen mit Kolleginnen und Kollegen die wesentlichen Beiträge zur
Abrechnungsfunktion.
Tab. 2: Angebotene
Inhalte im MeDoc-System
Bereits im Titel drückt sich die vom
Ministerium gewünschte Art der Bemühungen aus. Es sollte etwas entwickelt und in
der Praxis erprobt werden. Der Begriff ‚Forschung‘ kam nicht vor. Dass damit
Hochschulen leicht überfordert seien, lag auf der Hand, sofern sie überhaupt
zur Teilnahme zu motivieren waren. Da für die Projektarbeit jedoch keine
Industrieunternehmen, sondern nur hersteller-neutrale Hochschulgruppen gewonnen
werden durften, waren gewisse Probleme
vorprogrammiert. Auf sie einzugehen, erspar ich mir. Bei den
Nachfolge-Projekten schoben sich andere Fachgebierte in den Vordergrund, z.B.
Chemie und Mathematik. Die Informatik habe bereits genug ‚abgesahnt‘, hieß es.
Einige der Projektbeteiligten konnten ihre Erfahrungen auf dem neuen Gebiet zur
Anwendung bringen, indem sie sich erfolgreich um DFG-Projekte bewarben, dieses
Mal aber als reine Forschungsprojekte deklariert, ohne die Auflage auch etwas
zum Laufen zu bringen und Nutzer dafür zu gewinnen.
Tab. 3: Weitere Projekt-Mitarbeiter
Rückblickend sagen einige der
Teilnehmer, dass für sie das Projekt zu früh war. Sie waren damals noch nicht
davon überzeugt, dass ein so gravierender Wandel des Publikationswesens
bevorstand oder sie waren noch unsicher, welche Änderungen sie am meisten
betreffen würden oder welche technischen Lösungen und Formate sich durchsetzen
würden. Über den von MeDoc angestrebten Idealzustand verfüge ich seit etwa drei
Jahren. Bei mir heißt er Skoobe. Dieses Geschäftsmodell gestattet es mir, für
9,99 Euro pro Monat fast beliebig viele Bücher zu lesen, ohne mich aus dem Haus
zu bewegen. Auch der neue Leiter der ETH-Bibliothek in Zürich (Rafael Ball) will weniger Papierbücher kaufen. Die Zeit des Bestandsaufbaus sei endgültig vorbei, meinte er dieser Tage.
Dass es Aufgabe einer Regierung sein
könnte, einer Branche die Unsicherheit vor dem technologischen Wandel zu nehmen
und ihr die Möglichkeit zu verschaffen, selbst Einfluss zu nehmen, wird auch
heute in Sonntagsreden immer wieder gefordert. Für die Medien- und Verlagsbranche
ist diese Art der Hilfe offensichtlich fehl am Platze. Auch heute ̶ etwa 20 Jahre nach
MeDoc ̶ ist diese
Branche nur am Schutz ihrer historischen Privilegien interessiert. Genau das
drückt sich im Streit zwischen Verlegern wie Axel-Springer und Technologiefirmen
wie Google aus. Anstatt der
Bundesregierung werden heute die EU-Kommission oder das EU-Parlament als
Schutzmacht vorgeschoben.
NB.: Die Tabellen
1 und 2 stammen aus dem bei der GI-Jahrestagung in Aachen abgelieferten
Projektbericht [1]. In Tabelle 3 sind alle Namen aufgeführt, die in [2] als
Autoren erscheinen, aber in diesem Text nicht erwähnt wurden. Dass sie die
eigentlich Aktiven waren, sollte nicht vergessen werden. In der Referenz [3] findet
man auch eine erste Bewertung und Einordnung des Projekts.
Leben in München
Darüber zu reden, was München als Stadt
zu bieten hat, heißt Eulen nach Athen zu tragen. Nur soviel: Wir kamen uns vor
wie gerade verheiratet. Unsere Kinder ließen uns alleine umziehen. Sie waren
entweder im Studium oder schon im Beruf. Meine Frau und ich wohnten zentral am
Isartorplatz. Statt im Auto fuhr ich per U-Bahn
zur Arbeit. In Fußgänger-Abstand lagen der Viktualienmarkt und das Hofbräuhaus.
Das Theater am Gärtnerplatz, aber auch die Oper und die großen Museen waren
nicht weit.
Abb. 10; Mit Gästen auf dem Oktoberfest
Im Sommer hatten wir bezüglich Biergärten
die Qual der Wahl. Sonntägliche Ausflüge führten uns ins Isartal, zum Tegernsee
oder zum Starnberger See. Der Chiemsee war schon etwas weiter entfernt. Dennoch
schafften wir es zu einer Matinee in Schloss Herrenchiemsee zusammen mit den
bayrischen Royalisten. Zum Oktoberfest gingen wir amerikanischen Besuchern
zuliebe. Ein letztes alpines Skiwochenende verbrachten wir 1996 in Lengries.
Danach stiegen wir auf Langlauf um.
Abb. 11: In Schloss Herrenchiemsee
Wertender Rückblick auf die Münchner
Zeit
Aus der Distanz von nunmehr fast 20
Jahren traue ich mich, eine Antwort auf die Frage zu geben: Was haben diese
vier Jahre für mich gebracht? Die Antwort hat mehrere Aspekte. Ob mein Ausflug
zur Hochschule für andere Menschen etwas gebracht hat, soll hier nicht in
Betracht gezogen werden.
Finanziell trug
die Verlängerung meiner Lebensarbeitszeit zweifellos zur Absicherung meines späteren
Lebensabschnitts bei ̶ obwohl ich keinen zusätzlichen Rentenanspruch
erwarb. Fachlich brachten mich die zusätzlichen Jahre in eine ganz neue
Umgebung. Nach 35 Jahren in der Privatwirtschaft empfing mich nun der
öffentliche Dienst. Wie bereits angedeutet, war ich angenehm überrascht über
die Sensibilität und das Pflichtgefühl bayrischer Beamter.
Mein inzwischen leider bereits
verstorbener Freund und Kollege Eike Jessen bat mich am Tage meiner
Verabschiedung von München etwas zu reflektieren. In einer kleinen Feier mit
Kollegen und Mitarbeitern gab ich meine damaligen Gedanken zum Besten. Obwohl
ich einige Details vergessen habe, will ich die wichtigsten Punkte hier
wiederholen. Zuerst wollte Jessen wissen, was mich am meisten positiv
beeindruckt hätte. Meine Antwort hatte mehrere Teile: Die Kollegialität der
Kollegen untereinander (ich nannte als Beispiel die fehlende Stasi-Entlastung
eines neuen Mitarbeiters), die Motivation des Mittelbaus und die Nonchalance aller
gegenüber administrativen Fragen. Als Beispiel für Letzteres gab ich an, dass
jemand mich fragte, wie viele Rechner (PCs oder Grafikstationen) mein Lehrstuhl
besäße. Ich gab eine Zahl an, die etwa der Zahl der fest angestellten
Mitarbeiter entsprach. Tatsächlich waren es etwa doppelt so viele. Wurde ein
Student oder eine Aushilfskraft am Lehrstuhl beschäftigt, ging ein Mitarbeiter
zum technischen Dienst und sagte der Lehrstuhl meines Professors benötigt
einen weiteren Rechner, und schon bekam er ihn. In der Industrie war ich
gewohnt, mehr Grips für die Begründung von Anschaffungen aufzuwenden.
Nicht leicht zu beantworten war die
Frage, was - wenn ich das Sagen hätte – ich
ändern würde. Ich gab hierzu drei Antworten: Erstens müsse die Durchlässigkeit
von FH-Studenten erheblich verbessert werden. In der Praxis sind FH-Ingenieure
oft besser als Ingenieure, die von einer Uni kommen. Ich hatte es mehrmals in den vier Münchner Jahren erlebt,
wie schwer Kollegen es hatten, wenn sie einen Mitarbeiter, der von
einer FH kam, promovieren wollten. Das ganze Kollegium musste überzeugt werden.
In einem Falle musste der Kandidat sogar noch zusätzliche
Mathematik-Vorlesungen hören, bevor er zur Promotion zugelassen wurde.
Mein zweiter Punkt betraf die Rolle der
Mathematik im Informatik-Studium. Ich fände es skandalös, dass Lehrende, die selbst
keine Informatiker sind, also nicht aus dem eigenen Fachgebiet kommen, fast die
Hälfte der Informatik-Studierenden davon abbringen, ihr Studium erfolgreich
abzuschließen. Mir ist bekannt, dass die Münchner Informatiker seither selbst
bestimmen, welche mathematischen Stoffe ihre Studierenden hören müssen. Ob die für
das spätere Berufsleben größtenteils unnötige Mathematik weiterhin als zentraler
Stolperstein dient, weiß ich nicht. Ich befürchte ja. Es erinnert an die
Diskussion über den Wert von Latein für die Schulung des logischen Denkens. Als
ob man an Hand von Problemen aus der Informatik nicht auch Denken lernt.
Beim dritten Punkt stieß ich auf nur
beschränktes Verständnis. An einer technischen Hochschule hielte ich es nicht
für vertretbar, dass kaum Wert auf Erfindungen gelegt wird. Ich könnte dies nur
so verstehen, dass das Denken der meisten Kollegen durch Mathematiker
beeinflusst wird. Für einen Mathematiker zählt einzig die frühzeitige Publikation
in einer angesehenen Fachzeitschrift, nicht aber ein erfolgreiches Produkt
oder ̶ wenn es nicht
dazu kam ̶ eine
Veröffentlichung per Patentantrag. Selbst die Idee, dass ein Patent als echte Veröffentlichung
zählt, und zwar von etwas, das einen ökonomischen Wert darstellt, will vielen
Informatikern nicht so recht in den Kopf. Um es sportlich auszudrücken: Wieso
gibt sich die TUM damit zufrieden, was Erfindungen anbetrifft, in derselben
Klasse zu spielen wie Bielefeld und die FU Berlin, nämlich in der unteren
Kreisklasse? An dieser Situation scheint sich auch heute wenig geändert zu
haben. Es ist dies meines Erachtens mit ein Grund für die geringen Erfolge der deutschen
Informatik als eigenständige Industrie. Indem ich dies immer wieder wiederhole,
hoffe ich, dass irgendwann der Groschen fällt.
Referenzen
- Breu, M., Brüggemann-Klein, A., Endres, A.: Elektronische Informations- und Publikationsdienste für die Informatik - Ergebnisse des Projekts MeDoc. GI-Jahrestagung 1997
- Barth, A., Breu, M., Endres, A., de Kemp, A. (eds); Digital Libraries in Computer Science: The MeDoc Approach. LNCS 1392, Heidelberg 1998
- Endres, A., Fellner, D.W. ; MeDoc-Dienst der
deutschen Informatik. In: Digitale
Bibliotheken, 2000. S. 375-388
Durch das Projekt MeDoc gelangte ich früh an einige interessante Informationen und Einsichten. Zu einem Projekt-Workshop 1996 in Dagstuhl hatten wir einen Vertreter eines kalifornischen Start-ups namens Google eingeladen. Auf die Frage, was er von unseren Abrechnungsverfahren hielte, meinte er: Den Nutzer zahlen zu lassen, das sollten wir vergessen. Google hielte sich konsequent an die Anbieter. Im Falle von Google erwies sich dieses Prinzip bekanntlich als sehr erfolgreich. Auch europäische Verleger haben davon gelernt und schwenken inzwischen auf das ‚Author-pays-Modell‘ um. Sie wollen wissenschaftliche Beiträge genau so behandeln wie Werbeschriften von Privatfirmen. Mich stört nur, dass die betroffenen Wissenschaftler jetzt fordern, dass auch diese ihre Werbung vom Steuerzahler finanziert wird. Wo Stiftungen dies tun, ist nichts einzuwenden.
AntwortenLöschenBei der APE2016 im Januar in Berlin standen einige der bei MeDoc bereits diskutierten Fragen im Mittelpunkt des Interesses. So forderte der Eröffnungsredner (Barend Mons) ̶ allerdings mit wenig Hoffnung auf Erfolg ̶ dass man die einem Artikel zugrunde liegenden Daten nicht länger als Anhängsel eines Artikels (engl. supplementary material) betrachten sollte, das in Schubladen verschwindet, sondern als zum Text gleichwertiges Material, das einer systematischen Archivierung zugeführt wird. Der Vertreter der Max-Planck-Gesellschaft (Ralf Schimmer) wiederholte die nahe liegende Forderung, dass sämtliche Ergebnisse öffentlich geförderter Forschung frei zugänglich (engl. open access) sein sollten.
Ein Enkel, der zurzeit an der TUM studiert, schrieb:
AntwortenLöschenHabe Deinen neuen Blog grad in der U-Bahn gelesen. Er hat mir sehr gefallen, da die Tatsache, dass er primär private Erinnerungen zusammenfasst, ihn greifbarer macht als andere abstraktere und wissenschaftlichere Blogbeiträge von Dir. Folglich war es sehr angenehm ihn zu lesen. Ich habe nochmals eine andere Seite der TUM kennengelernt.... Zudem hat es mich erstaunt, dass der Präsident seit damals kein Jahr gealtert zu sein scheint.
Klaus Küspert aus Jena bemerkte zu Abb. 4:
AntwortenLöschenWir in der Jenaer Informatik tragen bei unseren Vorlesungen gar nichts (sic!), nicht mal eine Krawatte - höchstens zottelige Bärte. Zum Thema Krawatte kenne ich einen schönen Ausspruch eines Kollegen aus Süddeutschland vor vielen Jahren: "Wenn ich ohne Anzug/Krawatte die Vorlesung halte, könnte man mich ja mit einem Soziologen verwechseln!"
Kommentare sind manchmal doppeldeutig. Auch klein Erna irritierte ihre Zuhörer, als sie berichtete Oma und Opa säßen abends stundenlang da und hätten nichts an.
LöschenMir fällt das Thema meines Probevortrags in München wieder ein. Er lautete ungefähr ‚Empirisches Qualitäts-Management in Software-Projekten‘. Ich behandelte die Lehren, die ich aus meinen Fehleruntersuchungen bei Software-Projekten gezogen hatte. In einem Seminar für das Software-Management-Team einer schweizerischen Bank in Zürich war das, was ich propagierte, vereinfachend als die Endres-Methode angekündigt worden. In 2-3 Sätzen: Sieh Dir an, welche Fehler, d.h. Abweichungen vom Plan, Deinem Team in den letzten Projekten unterlaufen sind. Versuche Dir die Ursachen für diese Fehler zu erklären, d.h eine Theorie für ihre Entstehung zu bilden. Ändere Dein Vorgehensmodell so, dass möglichst viele Fehlerursachen ausgeschlossen werden. Bei der Inspektion des aktuellen Projektmaterials, insbesondere des Entwurfs und des Programmcodes, suche nach bekannten und verwandten Fehlern und Fehlerursachen.
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