Stephan Bierling (*1962) ist Professor für internationale Politik in Regensburg. Sein aktuelles Buch
heißt: Vormacht
wider Willen. Die deutsche Außenpolitik von der Wiedervereinigung
bis zur Gegenwart, München 2014, 304
Seiten. Ich las zuerst nur das Schlusskapitel. Es ging mir nämlich bei diesem
Autor nicht darum, noch eine Meinung zu Kohl, Schröder und Merkel kennen zu lernen.
Das ist uninteressant. Vielmehr wollte ich erfahren, was Bierling und seine
Fachkollegen unter ‚wissenschaftlicher‘ Politik-Analyse verstehen. Dieses Mal
war es Peter Hiemann, der mich dazu motivierte, das Buch nicht nur zu
überfliegen. Er schrieb nämlich:
Einer Rezension des Buches entnehme ich,
dass Bierling versucht, wesentliche Einflüsse von Kohl, Schröder und Merkel auf
historische Ereignisse zu analysieren bzw. darzustellen. Vermutlich beruhen
Bierlings Einschätzungen deutscher Regierungschefs auf deren
Charaktereigenschaften und deren 'staatstragenden' Zielsetzungen wie Sicherheit,
Wohlfahrt, nationalen Interessen (primär ökonomische Interessen), internationale
Einbindung (zurückhaltend und selbstbewusst), multilaterale Einbindungen und Normalisierung
kritischer Beziehungen (vor allem zu Russland).
Bierling hält vermutlich persönliche
Vorstellungen, Motivationen und Zielsetzungen von Regierungschefs für
entscheidend, wie sich Staatswesen international darstellen, positionieren und
orientieren. Meines Erachtens kommt es vor allem auf Fähigkeiten einer
Gesamtregierung an, internationale dynamisch sich ändernde Situationen ohne
Vorbehalte wahrzunehmen, Situationen und langfristige Konsequenzen realistisch
einzuschätzen und politische Aktionen entsprechend vielfältigen internationalen
Interessenlagen (politischen Umgebungen) 'anzupassen'. 'Anpassen' bedeutet in diesem Sinn nicht, opportunistisch
sondern den Verhältnissen angemessen zu reagieren bzw. zu agieren. Die
Durchsetzung staatstragender Interessen hängt vor allem von der ökonomischen
'Mächtigkeit' eines Staatswesens ab.
Außenpolitische Ereignisse und Verträge
Die
internationale 'Mächtigkeit' von Kohl, Schröder und Merkel kann meines
Erachtens am ehesten eingeschätzt werden, wenn deren Rolle bei international
epochalen historischen Ereignissen und internationalen Vertragsvereinbarungen
analysiert und offengelegt wird. Die in der Tabelle gelisteten Ereignisse bzw. Vertragsvereinbarungen nach
dem zweiten Weltkrieg waren und sind grundlegend für das heutige demokratisch
orientierte Deutschland. Die meisten Regierungsentscheidungen kamen und kommen
weniger auf Grund 'staatstragender'
Zielsetzungen sondern auf Grund pragmatischer Notwendigkeiten zustande.
Internationale Handlungsoptionen von Regierungen sind durch existierende
internationale Vertragsvereinbarungen eingeschränkt. Deutsche Regierungen haben
nach dem zweiten Weltkrieg erst 1990 staatliche Souveränität zurückgewonnen.
Meine Perspektive auf Regierungshandeln
dürfte im 21. Jahrhundert für demokratisch orientierte Staaten zutreffen,
weniger für autokratisch regierte Staaten. Anfang des 20. Jahrhunderts waren
noch vorwiegend persönliche Vorstellungen, Motivationen und Zielsetzungen von
Regierungschefs für das Schicksal ganzer Nationen ausschlaggebend. Bierling
bezweifelt, „ob Deutschland als „risikoscheuer, post-militärischer
Handelsstaat“ den sicherheitspolitischen Gefahren, die sich aus Staatenzerfall
und islamischen Terrorismus ergeben, zu begegnen im Stande sei“. Sollte sich
jedoch durch Ihr Studium herausstellen, dass Bierling sehr wohl wesentliche
Einflüsse von Kohl, Schröder und Merkel auf internationale Vereinbarungen
darstellt, werde ich das Buch lesen. Stephan Bierlings Vorstellungen haben
vielleicht das Potential, eine Basis für weitere Konversationen mit wechselnden
Perspektiven zu sein.
Fachdisziplin Internationale Politik
Was mich nach Vorwort und Schlusskapitel
– und Hiemanns Empfehlung – bewog, doch das ganze Buch zu lesen, war der
folgende Satz aus dem Vorwort: ‚Für Advokaten der strukturalistischen Politik-Analyse ist es erstaunlich, wie sehr
einzelne Kanzler der Europapolitik, dem zentralen Bereich der deutschen
Außenpolitik, ... ihren persönlichen Stempel aufdrückten.‘
Des Weiteren benutzt Bierling
Fachausdrücke, die mir nicht geläufig waren. Neben den ‚Strukturalisten‘ gäbe
es Neorealisten. Bei denen könne sich Deutschland der Machtpolitik nicht
entziehen (da musste ich an Henry Kissinger denken). Die Konstruktivisten
leiten das heutige Handeln ganz aus der Vorgeschichte ab. Im Falle Deutschlands
ist dies die Jahrhundertkatastrophe Nationalsozialismus (Stichwort Auschwitz). Liberale
sähen den Staat als Transmissionsriemen an, um persönliche Ziele durchzusetzen.
Schließlich gäbe es noch die Institutionalisten. Diese sähen die Einbindung in
EU, NATO, UNO, usw. als bestimmend für die Außenpolitik an. Da haben wir sie
wieder, die wissenschaftliche Fachsprache und die unterschiedlichen Schulen. Mit
Enttäuschung stellte ich beim Lesen des Buches fest, dass auf diese Einteilung nach
Sichtweisen im weiteren Buch kein Bezug genommen wird.
Die Politikwissenschaft
ist Teil der modernen Sozialwissenschaften und beschäftigt sich (laut Wikipedia)
mit dem Lehren und Erforschen politischer Prozesse, Strukturen und Inhalte. Absolventen
dieses Studiums finden Verwendung im Lehramt, in der Publizistik, in Parteien
und Parlamenten, in Verbänden sowie in der öffentlichen Verwaltung und in internationalen
Organisationen. Die Politikwissenschaft ist wie alle Geisteswissenschaften eine
Verbalwissenschaft (im Sinne des Biologen Ulrich Kutschera) und keine Realwissenschaft.
Bei ihr steht das sprachliche Erfassen und Gliedern von Meinungen und
Sachverhalten im Mittelpunkt des Interesses.
Drei Kanzler, drei Stile
Bierling bemüht sich, die Grundsätze
deutscher Außenpolitik am Wirken von drei Kanzlern herauszuarbeiten. Während
Kohl und Merkel über mehr als zehn Jahre an der Spitze zur Verfügung standen,
beschränkte sich Schröders Zeit auf sieben Jahre. Außer vom Kanzler selbst wird
Außenpolitik vor allem vom Außen- und Verteidigungsminister gestaltet. Vor
allem in der Europapolitik spielen auch andere Resorts eine Rolle, so z. B. der
Finanz- und der Wirtschaftsminister. Auch der Landwirtschafts-, Verkehrs- und
Umweltminister verbringen viel Zeit in Brüssel.
Deutsche Außenpolitiker seit 1982
Über die sehr unterschiedlichen Stile von Kohl, Schröder und Merkel sei hier nur kurz berichtet. Helmut Kohl war überzeugter Europäer, von Bierling als Integrationist bezeichnet. Er war auch emotional sehr empfänglich. Eine Kohl-Biografie des Historikers Hans-Peter Schwarz wurde im November 2012 in diesem Blog besprochen. Deshalb soll hier auf die beiden Nachfolger Kohls etwas stärker eingegangen werden.
Gerhard Schröder dachte stärker national als alle Kanzler vor und nach ihm. Er war sehr um die Souveränität Deutschlands besorgt, war also ein Souveränist. Dass er sich dabei manchmal wie ein Polterer aufführte, bekamen vor allem die USA zu spüren. Zu Russlands Putin entwickelte er eine fast groteske Männerfreundschaft. Putin honorierte diese, indem er Schröder ein stattliches Alterseinkommen im Aufsichtsrat der Firma Nord Stream verschaffte. Der zwischen Putin und Schröder vereinbarte Bau dieser Öl-Pipeline erfolgte ganz ohne Polen und das Baltikum zu beteiligen. Da es diese wirtschaftlich schwächte, hat es diese mit Recht verärgert.
Angela Merkel liegt in der Europapolitik
sehr stark auf Kohls Linie, wiegt ab und verhandelt mit großer Ausdauer. Zu
Frankreichs Nicolas Sarkozy hatte sie einen guten Draht, was seinen Nachfolger François Hollande dazu verleitete, zunächst auf Abstand zu
gehen. Merkel verstand es trotzdem, Hollande dafür zu gewinnen, ihre Politik
etwa Russland gegenüber zu unterstützen. Auch die USA unter Barack Obama
machten es Merkel nicht immer leicht (Stichwort Abhörskandal). Dennoch blieb
die Kommunikation immer offen.
Schwerpunkt Europa und Finanzen
Das Glanzstück deutscher Außenpolitik
ist die Europapolitik. Nach der deutschen Wiedervereinigung entstand in England
und Frankreich Angst vor einer deutschen wirtschaftlichen Dominanz. Um dem
entgegenzusteuern, vereinbarten Mitterand und Kohl die Einführung der
gemeinsamen Währung. Im Vertrag von Maastricht wurden 1991 auf deutschen Wunsch
Defizit- und Schuldengrenzen festgelegt, sowie die Eigenverantwortlichkeit der
Partner für ihre Haushalte (No-bail-out-Klausel). Als Kanzler Schröder es verhinderte,
dass Deutschland einen Blauen Brief wegen der eigenen Defizitüberschreitung erhielt,
brüskierte dies vor allem die kleineren Länder.
Während Joschka Fischer in allem sehr
pro-europäisch agierte, versuchte Gerhard Schröder deutsche Zahlungen für die
EU zu reduzieren, was ihm aber nicht gelang. In seiner Regierungszeit sank die
Zustimmung zur EU von 70 auf 50%. Weitere vier Jahre hätten Schröder vermutlich
ausgereicht, um eine Mehrheit der deutschen Wähler für einen EU-Austritt zu
gewinnen. ‚Deutschland ist eine erwachsene Nation, die ihre Entscheidungen in
Berlin trifft und nirgendwo anders‘, pflegte er zu sagen. Durch den Beitritt
Polens, Tschechiens und Ungarn zur EU (und NATO) rückte Deutschland ins Herz
Europas. Später kamen noch Slowenien, Estland und Zypern hinzu.
Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise von
2007 kam es zur größten Bewährungsprobe des Euro-Raumes. Mangels fehlender
politischer Mechanismen erwies sich die Europäische Zentralbank (EZB) als
Retter in der Not. Auf deutsches Drängen hin wurde eine Vergemeinschaftung von
Schulden (Euro-Bonds, Transferunion) verhindert und langfristige Währungsstützen
(ESF, ESM) eingeführt. Die Krise verlangte eine deutsche Führung, die auch
wahrgenommen wurde. ‚Scheitert der Euro, scheitert Europa.‘ Mit dieser
überspitzten Formulierung begründete Merkel ihre Politik. Sie gewann damit
sowohl die Unterstützung des Parlaments wie der Bevölkerung. Frankreich und
England, aber auch Polen und Italien akzeptierten die deutsche Führungsrolle.
Sollte der Euro ursprünglich die deutsche wirtschaftliche Vormachtstellung brechen, so verstärkte er sie in Wirklichkeit ganz erheblich.
Schwerpunkt Weltklima und Welthandel
Deutschland spielt bei diesen Themen
zwar eine starke Rolle, ist aber nicht dominierend oder immer konsequent. Da
die deutsche Wirtschaft in Schwellenländern wie China, Brasilien und Indien gut
aufgestellt ist, bemüht sich auch die Politik ihrerseits um gute Beziehungen.
Kanzler Schröder war in sieben Regierungsjahren sechsmal in Peking. Angela
Merkel hat einige Schwierigkeiten, weil sie nicht bereit ist,
ethisch-moralische Fragen völlig auszuklammern (Beispiel Empfang des Dalai
Lamas).
In der Klimapolitik kommt es darauf an,
Worte und Taten in Übereinstimmung zu bringen. Nach der frühen Unterzeichnung
des Kyoto-Abkommen im Jahre 1997 wurde Klaus Töpfer der erste Leiter des Umweltprogramms
der UNO. Das Scheitern der Politiker in Kopenhagen wird durch den Erfolg von
2015 in Paris teilweise wieder wettgemacht. Woran jedoch große Zweifel
bestehen, ist der tatsächliche Effekt der beschlossenen Maßnahmen. Der
entschlossene Atomausstieg Deutschlands wird zwar bewundert. Klimapolitisch
erschwert er das Erreichen der vereinbarten Ziele. Die deutsche Autoindustrie
gilt allgemein als Augapfel der deutschen Politik. Ihr zuliebe wurden immer
wieder Ausnahmen ausgehandelt. Wurde Schröder als Autokanzler beschimpft, so
war ihm das vermutlich nicht unangenehm. Er war nämlich vor seiner Kanzlerzeit Ministerpräsident
des Bundeslandes Niedersachsen, das Großaktionär bei VW ist.
NB.: Dass Skandale wie die
Abgasmanipulation bei VW-Dieselautos gerade jetzt auffallen, zerstört
nachträglich viel von dem Vertrauen, das der deutschen Klimapolitik über
Jahrzehnte hinweg entgegengebracht wurde.
Schwachpunkt Sicherheitspolitik,
insbesondere Terrorbekämpfung
Die Sicherheitspolitik hatte einst zwei
Aspekte, Sicherheit für Deutschland und Sicherheit vor Deutschland. Gerade
Frankreich und England waren daher nicht sofort nach Gründung der
Bundesrepublik bereit, gewisse Rechte aufzugeben. Daher war und ist die gute
Zusammenarbeit mit den USA in allen Sicherheitsfragen umso wichtiger. Während
Deutschland sich lange vor militärischen Einsätzen drücken konnte, kam es 1995
nach dem Massaker der Serben in Srebrenica zur Wende. Im späteren Kosovo-Krieg
flog Deutschland 1999 bereits Lufteinsätze, obwohl es dafür kein UN-Mandat gab.
Obwohl Teile der SPD gegen eine deutsche Beteiligung votierten, stand Gerhard Schröder
fest auf der Seite der Bündnispartner. Joschka Fischer benutzte das moralische
Argument ‚Nie wieder Auschwitz‘, um seine Parteifreude zu überzeugen. Er wurde auf
einer Veranstaltung seiner Partei sogar tätlich angegriffen.
Im September 2001 (nach 9/11) versprach
Schröder die ‚uneingeschränkte Solidarität' mit den angegriffenen USA. Da der
Überfall in Deutschland vorbereitet wurde, waren unsere Sicherheitsorgane
blamiert. Bei der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn sagte daher
Deutschland seine Beteiligung an der Isaf-Truppe zu. Daraus wurde ein fast
15-jähriger Einsatz. Als George Bush im Jahre 2002 im Irak einmarschieren
wollte, kam es zum Bruch zwischen Bush und Schröder. Jeder sah sich vom andern
als getäuscht an. Für den US-Verteidigungsminister Rumsfeld wurden Deutschland
und Frankreich zum ‚alten Europa‘. Um die USA zu provozieren, traf sich Schröder
mit Chirac und Putin in Sotchi. Putin
durfte vor dem Bundestag sprechen. Zwischen Deutschland und den USA herrschte dagegen
Funkstille.
In Afghanistan wandelte sich der Einsatz
im Laufe der Jahre von einer Stabilisierungsmission zur Aufstandsbekämpfung. Statt
Schulen und Krankenhäuser zu bauen, mussten Soldaten jetzt ihre Behausungen
gegen angreifende Taliban verteidigen. Erst nachdem es Tote gegeben hatte, durften Worte wie Kampf und Krieg verwendet werden. Da ein ‚robuster Einsatz‘ jedoch vom
Parlament nicht erlaubt war, verschlechterte sich der Ruf deutscher Soldaten
rasant. Als im Falle einer geplanten Sanktion gegen Libyen Deutschland 2011 im
Weltsicherheitsrat gegen die USA, England und Frankreich Position bezog, war
ein Tiefpunkt erreicht. Deutschland war zum Abwiegler und Bedenkenträger der internationalen
Gemeinschaft geworden.
Selbstdiagnose und Ermutigung
Bierling sieht Deutschland ̶ wie schon von
Hiemann erwähnt ̶ als
risikoscheuen, post-militärischen Handelsstaat, der Führungsaufgaben ablehnt.
Es müsste sich nach seiner Meinung als Verantwortungsnation verstehen, die sich
um die Probleme der Welt kümmert. Sie darf nicht vor ihnen fliehen. Obwohl es
deutschen Politikern widerstrebt Macht auszuüben, muss Deutschland sie nutzen,
um die Welt weiterzuentwickeln. Das Ziel muss es sein, internationale
Krisensituationen zu stabilisieren und anderen Nationen die Möglichkeit zu
verschaffen, ihre politische und ökonomische Zukunft autonom und auf friedliche
Weise zu gestalten.
Das Aufbauen stabiler politischer
Strukturen (engl. nation building) durch Außenstehende ist etwas, was die USA
immer wieder vergebens versuchten. Afghanistan und Irak sind abschreckende
Beispiele. Dennoch bleiben noch genug andere Aufgaben für militärische
Interventionen durch die Weltgemeinschaft, z.B. Streit um Wasser und bebaubares
Land, Terror und Flüchtlinge. Dafür werden keine Bodentruppen benötigt. Jedoch
sind Luft- und Seeeinsätze sinnvoll etwa gegen verbrecherische Organisationen
und Regime wie im Kosovo, Mali und Libyen. (Syrien kommt im Buch noch nicht
vor.) Timothy Garton Ash wird zitiert mit der Bemerkung, Deutschland sei unverzichtbar
geworden bei (allen) wirtschaftlichen Problemen. Es müsste bereit sein,
überproportionale Lasten zu tragen.
Das deutsche Grundgesetz legt im
gewissen Sinne die Dominanz der Innenpolitik gegenüber der Außenpolitik fest. Der
Bundestag kann der Regierung Fesseln anlegen, die in anderen Demokratien undenkbar sind. Das
Bundesverfassungsgericht (BVG) wiederum kann das Parlament auf den Boden der
Legalität zurückrufen.
Zusätzliche Bemerkungen
Nach Fertigstellung des Bierling-Buches ging
das Leben weiter, auch die Außenpolitik. In ihren Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 argumentierten Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Joachim Gauck ähnlich wie Bierling.
Die Bundesrepublik solle sich in außenpolitischen Problemen ‚früher und
substantieller einbringen`, sagte Gauck. Das Umdenken scheint also begonnen zu
haben. Im Ukraine-Konflikt verfolgte Merkel eine multilaterale, ausgewogene,
deeskalierende Politik. Bei den Verhandlungen für das Minsker Abkommen von 2014
moderierte sie nicht nur. Frankreichs Hollande ließ ihre Führung zu. Ob die
Flüchtlingskrise unseren Staat an die Grenzen seiner Leistungs- und
Anpassungsfähigkeit führen wird, wird sich zeigen. Einige Beobachter sehen
diese Grenze schon als überschritten an.
Peter Mertens aus Nürnberg schrieb:
AntwortenLöschenJetzt weht der Mantel der Geschichte vorbei, von dem man – frei nach Helmut Kohl – einen Zipfel erhaschen muss. Die Vorstöße von Cameron zu mehr Subsidiarität in der EU könnte die deutsche Regierung stark unterstützen: Die Institutionen der EU sollen regeln, was aus der Sache heraus supranational geregelt werden muss, wie z. B. einen koordinierten Ausstieg aus der Atomenergie oder die Bekämpfung des internationalen Verbrechens. Auf der Ebene der Nationalstaaten kümmert man sich um die Verkehrsinfrastruktur und ihre Finanzierung (Kfz-Steuer) in Abhängigkeit von den Verkehrsströmen im Staat oder um die Zinspolitik als Funktion der nationalen Demographie (Vermeiden von Altersarmut), des Verschuldungsgrads und der Inflation. Die Bildungspolitik könnte weiterhin im Wettbewerb der Bundesländer gestaltet werden. Für die Krankenhauskapazitäten tragen die Landkreise die Verantwortung und für die erlaubten Silvesterknaller die Gemeinden. Und nicht umgekehrt: Relativ sichere Kernkraftwerke im Osten und Westen Deutschlands werden gegenwärtig im Rahmen der für die deutschen Bürgerinnen und Bürger so teuren Energiewende stillgelegt, aber die schlecht beleumundeten Meiler knapp hinter den Staatsgrenzen zu Belgien, Frankreich und Tschechien zum Teil sogar ausgebaut.
Die Annäherung an GB müsste mit einer etwas größeren Distanz zu den Mittelmeerländern einschließlich Frankreich einhergehen, die hartnäckig immer wieder Anlauf nehmen, das Geld der deutschen Steuerzahler und Sparer zu „solidarisieren“. Aber wehe, ein Deutscher käme auf die Idee, im Interesse eines wirtschaftlich starken Europas die „solidarische“ Abschaffung extrem kurzer gesetzlich geregelter Arbeitszeiten zu fordern.
Der EURO gilt mittlerweile bis in die Reihen der Dichterfürsten und der Euromantiker als falsch konstruiert. Jeder seriöse Architekt und Ingenieur plädiert irgendwann dafür, kostspielige und unsichere Reparaturen an einer Fehlkonstruktion einzustellen, und nimmt einen neuen Entwurf in Angriff.
Ich kann dieser Position ein großes Maß an Sympathie entgegenbringen. Man sollte jedoch bedenken, dass die Briten ihre Wirtschaft bereits stark deindustrialisiert haben und fast nur noch auf Finanzen und andere Dienste setzen. Täten wir dies auch, käme es zum 'Clash'.
LöschenPraktisch tätige Ingenieure verwerfen einen von Kunden benutzten Systementwurf nie leichtfertig. Sie berücksichtigen auch Probleme, die jede Umstellung mit sich bringt.
AntwortenLöschenIch habe bisher noch von keinem Währungskonzept für Europa gehört, das signifikant besser ist als der jetzige Euro. Noch halten die in Maastricht eingebauten Sicherheiten. Zurück zu DM, Franc, Peseta und Lira will doch niemand, der nicht auch die Idee eines europäischen Staatenverbunds begraben will.