Zurzeit vergeht kaum eine Woche, ohne
dass von Selbstmordattentaten berichtet wird. Wie allgemein bekannt kann man einen Selbstmordattentäter
nicht durch Strafandrohung von seinem Vorhaben abbringen. Eine Verschärfung von
Gesetzen, ja selbst die Androhung der Todesstrafe sind wirkungslos. Die
polizeiliche Observierung von Plätzen, Märkten, Bussen und anderen
Menschenansammlungen ist nur bedingt möglich und wenig erfolgversprechend.
Trotzdem oder gerade deshalb muss man über mögliche Abwehrmaßnahmen nachdenken.
Sie müssen vor der Tat wirksam werden,
spätestens in letzter Minute. Obwohl ich weder Kriminologe noch Geheimdienstexperte
bin, stelle ich im Folgenden zusammen, was mir an Möglichkeiten einfällt.
Täterprofile und -motive
Bei männlichen Tätern muslimischer
Herkunft wird oft damit argumentiert, dass ihnen die versprochene Belohnung im
Jenseits als Motiv der Tat dienen könnte. Nach muslimischer Lehre wird ein
Glaubensmärtyrer im Paradies von einer Schar himmlischer Jungfrauen erwartet,
die sich um ihn kümmern würden. Für die allerdings wesentlich geringere Zahl
weiblicher Täter wird dieses Bild nicht bemüht, auch nicht ein Bild mit
umgekehrten Geschlechtern. Ich würde solche mystischen Vorstellungen nicht als
Motiv ernsthaft in Erwägung ziehen.
Es ist jedoch anzunehmen, dass sich die
Täter fast immer als Opfer für eine gute Sache ansehen. Diese Opferrolle fällt
ihnen umso leichter, je mehr sich der Einzelne als Teil einer Gruppe oder einer
Ethnie ansieht, die derzeit in Bedrängnis ist. Die Gruppe kann im eigenen Land
von anderen Gruppen oder externen Mächten bedroht sein. Täter mit muslimischem
Hintergrund können aber auch im Ausland leben, etwa in Frankreich, und sich dort
gesellschaftlich benachteiligt fühlen. Entscheidend ist nicht die wirkliche
Situation, sondern das individuelle Gefühl. Dieses kann von wenigen Propagandisten
angeheizt worden sein. Eine besondere Rolle spielen in dieser Hinsicht die so
genannten Hassprediger. Sie beeinflussen oft mehrere potentielle Täter. Als
direkte Auftraggeber sind sie aber meist nicht greifbar.
Zwischen dem Entschluss zur Tat und der Durchführung
liegen oft nur wenige Tage oder Wochen. Es kann aber auch 2-3 Jahre dauern wie
im Falle der Täter des 11. September 2001 in New York und Washington, DC (kurz 9/11 genannt). Diese mussten noch zuerst einen Pilotenkurs in den USA
absolvieren. Es handelt sich also um eine überlegte Entscheidung und nicht um
eine Laune des Augenblicks. Wenn der Schritt mit einer Gruppe Gleichgesinnter
abgesprochen wurde, findet nicht selten eine formelle Verabschiedung statt. Der
Täter wird als Held gefeiert und ein Abschiedsvideo für die Hinterbliebenen
erstellt.
Typische Täter haben keine besondere Veranlagung
zum Suizid. Es handelt sich aber oft um labile Charaktere, die selbst nicht über
einen starken Antrieb verfügen oder großes Selbstvertrauen besitzen. Sie lassen
sich leicht von einer Gruppe beeinflussen und in die Opferrolle hineindrängen. Die
meisten Täter sind 20-30 Jahre alt. Es erscheint uns etwas befremdlich, wenn
der so genannte Islamische Staat (IS) behauptet, ganze Heerscharen von europäischen Jugendlichen angeworben zu
haben, die nach Syrien reisten, um sich für Selbstmordattentate zur Verfügung
zu stellen.
Vermutete Ziele eines Attentats
Über die Ziele, die durch ein Selbstmordattentat
erreicht werden sollen, kann man meistens nur spekulieren. Der Attentäter
selbst kann ja nicht befragt werden, es sei denn das Attentat misslingt
aufgrund technischer Fehler. Sollte der Täter im Auftrag gehandelt haben, gibt
es Hintermänner. An sie heranzukommen, ist meistens nicht leicht.
Die Wirkung kommt zunächst von dem
Willensakt und der Entschlossenheit, die durch die Tat zum Ausdruck gebracht
werden. Sehr oft sollen außer dem Täter selbst auch möglichst viele andere
Menschen zu Tode kommen. Je größer die Zahl der Opfer, je bekannter der Ort,
umso größer ist die mediale und psychologische Wirkung. Oft kann aus den
Umstanden der Tat auf den gedachten Gegner geschlossen werden. Es kann sich um
einzelne Politiker oder Prominente handeln, die man treffen will, oder eine
bestimmte Regierung, deren Sicherheitskräfte, eine Unternehmensbranche oder das
ganze Land. Die 9/11-Attentate sollten die gesamten USA treffen.
Dem Gegner soll durch die Art der
Ausführung der Attentate seine Machtlosigkeit vor Augen geführt werden. Wird
dieses Ziel der Terrororganisation Al Qaida mit Recht unterstellt, so geht die
Nachfolgeorganisation IS darüber hinaus. Sie beabsichtigt offensichtlich eine Verunsicherung
der gesamten westlichen Gesellschaft. Angeblich sieht man diese dem sicheren
Abstieg oder gar der Auflösung verfallen und will dem nachhelfen. Aus dem
erwarteten Chaos soll dann ein neues Kalifenreich als Sieger hervorgehen, das
große Teile der Welt umfasst. Es sei dies der Idealzustand für alle Islam-Gläubigen
auf Erden. Als Kalif bezeichnet sich derzeit der Iraker Abu Bakr al Baghdadi. Diese Ziele des IS haben zum Beispiel die Gesprächspartner von Jürgen Todenhöfer bei dessen Besuch in Mossul klar formuliert. Mögen sie uns noch so spinnert erscheinen, das ändert nichts für die Betroffenen.
Deutschland betreffend scheint das Ziel
darin zu bestehen, das Misstrauen zwischen der einheimischen Bevölkerung und
den Flüchtlingen aus islamischen Ländern zu vergrößern. Es soll die viel
gerühmte Willkommenskultur in das Gegenteil verkehrt werden. Das jüngste Attentat in Istanbul am 12. Januar 2016, das neun deutsche Todesopfer zur Folge hatte, soll
Rache für das deutsche Engagement im Syrienkonflikt als Motiv gehabt haben.
Noch haben sich keine Hintermänner geäußert. Wir haben daher nur Vermutungen.
Das nur zwei Tage später in Jakarta
verübte Attentat richtete sich gegen ein Einkaufszentrum. Was der IS damit
bezweckt, in der größten muslimischen Nation der Welt Unheil anzurichten,
entgeht den bekannten Erklärungsversuchen.
Erschwerung und Verhinderung
Will man derartige Opferattentate
erschweren oder verhindern, muss man die verschiedenen Formen der Ausführung
unterscheiden. Ich konzentriere mich zunächst auf die sehr häufig benutzte Form,
dass sich der Täter in unmittelbare Nähe der zusätzlich anvisierten Opfer
begibt, um dort einen mit Sprengstoff
bestückten Gürtel zu entzünden. Das mit Sprengstoff voll geladene Auto kommt dem am nächsten, egal ob Personen- oder Lastauto.
Sprengstoffe können heute dank
des Spürsinns speziell trainierter Hunde entdeckt werden. Könnte man genug
Hunde trainieren, würde man keine Massenveranstaltung oder Reisegruppe ohne eine
ausreichende Anzahl von Spürhunden zulassen. Die entscheidende Frage ist, ob
sich diese spezielle Spürfähigkeit technisch nachbauen lässt. Gäbe es einen chemisch
oder elektronisch nachgebauten Spürhund, wäre das ein tolle Zusatzfunktion für
jedes Smartphone. Eine Alternative ist die Erkennung von versteckten
massereichen Objekten auf optischem Wege oder mittels Röntgenstrahlen. Auch auf
dieser Basis ließen sich für ein Smartphone geeignete Sensoren vorstellen. Allein
schon die Ankündigung, dass an entsprechenden Geräten gearbeitet wird und
demnächst im Testeinsatz verfügbar seien, könnte bereits abschreckende Wirkung
haben. Anstatt des Erkennens könnte auch die erzwungene Zündung der
Sprengladung sehr hilfreich sein.
Ehe wir dank neuer Technik über neue
Detektoren verfügen, die jeder Polizist oder Reiseleiter bei sich führen
könnte, müssen wir nach nicht-technischen Lösungen suchen. Nur eine Idee möchte
ich vertiefen. Warum ist es nicht möglich, alle Sprengstoffhersteller auf der
ganzen Welt festzustellen und zu registrieren? Einerseits könnte die Materialbeschaffung
und der Absatz kontrolliert werden. Andererseits könnten alle legalen Hersteller
gezwungen werden, ihre Sprengstoffe durch einen chemischen Zusatz zu
kennzeichnen. Dieser Zusatzstoff könnte das Produkt für elektronisches oder
chemisches ‚Schnüffeln‘ geeigneter machen. Bekanntlich findet zwischen
Verbrechern und Sicherheitsorganen ein nicht endender Wettlauf statt, der
sowohl die technischen wie die nicht-technische Verbesserungen betrifft. Jede
Lösung wirkt daher nur einige Jahre lang. Das ist jedoch kein Grund, nicht nach
ihnen zu suchen.
Neben Sprengstoff basierten Attentaten
kennen wir leider noch viele andere Formen. Für Angriffe mit Waffengewalt steht
das gesamte Arsenal zur Verfügung, über das auch reguläre Streitkräfte
verfügen. Waffenbesitz zu kontrollieren oder zu verbieten ist ein sehr
umfassendes und schwieriges Thema, auf das ich nicht näher eingehen will. Für
das Entdecken mitgeführter Waffen gelten einige der Aussagen, die weiter oben
für Sprengstoff gemacht wurden. Eine besonders schwer zu bekämpfende Form
terroristischer Angriffe ist das Besetzen und das anschließende Umfunktionieren
von Verkehrsmitteln (wie Flugzeuge, Züge, Schiffe und Busse) oder von Verkehrseinrichtungen
und Veranstaltungsorten (wie Stadien, Flughäfen, Bahnhöfen und Tunnels). Zum
Glück blieb uns bisher der Einsatz atomarer oder chemischer Waffen durch Einzeltäter erspart. Nur staatliche Streitkräfte sind verantwortungsloser.
Schutzmaßnahmen
Dass Polizisten auch bei uns ihren
Außendienst mit kugelsicheren Westen bekleidet versehen, gehört fast zum
Straßenbild. Was sich bei Soldaten und Polizisten bewährt hat, könnte auch
Touristen schützen, wenn sie in Gruppen durch unsichere Städte wandern. An die
Vorstellung, dass Helme und Schutzwesten bei Gruppenreisen und beim Besuch von
Open-Air-Konzerten unverzichtbar sind, müssen wir uns noch gewöhnen. Ein
Reiseführer könnte seine Kunden schützen, indem er das Umfeld mit verbesserten
Körper-Scannern durchleuchtet, die auf Waffen oder Sprengstoff aus fünf Metern
Entfernung ansprechen.
Ein in den USA oft verwandtes Argument
lautet, dass man sich gegen Gewalt am besten schützt, indem man sich selbst
bewaffnet. Auch in Israel ist diese Mentalität verbreitet. So erinnere ich mich
an einen dortigen Reiseleiter, der uns im April 1983 im Kleinbus durch das
ganze Land fuhr. Unter seinem Fahrersitz lag seine Uzi. In andern Teilen der Welt erfüllt die Marke
Kalaschnikow diese Funktion. Zum Glück wurde sie während unserer Reise nicht
benötigt. Um ein Paket, das mitten auf der Uferstraße am See Genezareth lag,
machten alle Autos einen großen Bogen. Israel lebt mit terroristischer
Bedrohung seit über 30 Jahren und hat sie verinnerlicht.
Fast wie eine Pandemie
Fast wie eine Pandemie
Leider ist das Selbstmordattentat ein äußerst
heimtückisches Verbrechen, bei dem viele der klassischen Schutzmaßnahmen
versagen. Genau das wissen die Täter und nutzen es aus. Der Preis ist auf der Täterseite
sehr hoch ̶ nämlich das eigene Leben. Aber seine Wirkung
ist auch enorm. Es bedient meines Erachtens einen skurrilen Allmachtsdünkel. Dabei
geht es ums Zerstören statt ums Aufbauen, ums Töten statt ums Heilen oder
Beleben. So wie jeder Amoklauf generell die Frage nach Schwächen der menschlichen Psyche aufwirft, so tut dies auch jedes Selbstmordattentat. Es ist zu hoffen, dass die Motivation für diese Opferform auch mal
wieder nachlässt. Noch grassiert sie wie eine Seuche.
Peter Hiemann aus Grasse schrieb:
AntwortenLöschenDie von der IS-Organisation verfolgte Strategie hat sicherlich viele Aspekte, die Jugendliche emotional und ideologisch motivieren, sich der IS-Organisation anzuschließen. Vor allem jedoch verfolgt die IS-Organisation sehr professionell eine Strategie des Terrors, die sie von Geheimdienstexperten des ehemaligen Regimes Saddam Husseins übernommen hat.
Der Spiegel-Artikel (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-134097196.html) des letzten Jahres zeigt deutlich, wie IS ein "System der Angst" aufgebaut hat, das sich nicht nur gegen seine 'Feinde' richtet, sondern ebenso wirksam innerhalb der IS-Organisation angewandt wird.
Die IS-Eliten haben früh die Vorteile gesehen, dass mit jungen unverheirateten Ausländern „absolut loyale Truppen“ gebildet werden können, die „bedingungslos einem zentralen Kommando gehorchen“. Die IS-Eliten waren von Beginn an „der Ansicht, dass man auch mit noch so fanatischen Glaubensüberzeugungen keinen Sieg erringen könne. Aber man konnte sich den Glauben der anderen zunutze machen“.
Die Ausbreitung von IS-Kämpfern ist nicht vergleichbar mit der unkontrollierten Ausbreitung eines Virus, es handelt sich dabei um von der IS-Organisation geplante Aktionen (Rekrutierungen und Ausbildungen). Ich denke, dass der von IS ausgehende Terror mit Mitteln beantwortet werden muss, die existierende Kommandostrukturen, Finanzierungsquellen und Infrastrukturen für Waffenlieferungen zerschlagen können:
- mit nationalen militärischen Mitteln und internationalem Engagement in Gebieten des Irak und Syriens
- mit nationalen militärischen Mitteln und internationaler Unterstützung in instabilen Staaten wie Libyen oder Nigeria
- mit geheimdienstlichen Mitteln in stabilen Staaten.
Defensive Schutzmaßnahmen können die vom IS ausgehende Terrorgefahr nur geringfügig mindern. Internationale militärische Aktionen sollten möglichst durch UN-Resolutionen untermauert werden.
Slavoj Žižek heißt der slowenische Philosoph, der im SPIEGEL (Heft 3/2016) die Kölner Ereignisse als ‚Karneval der Underdogs‘ deutet. In Anlehnung an seinen französischen Kollegen Alain Badiou spricht er von ‚faschistischen Nihilisten, die den Neid auf den Westen in selbstzerstörerischen Hass verwandeln‘. Aus diesem Milieu rekrutiere auch der IS seine Todeskandidaten.
AntwortenLöschenPeter Hiemann schrieb:
LöschenŽižek ist mir schon mehrfach als 'Eiferer' aufgefallen, der es versteht, sich publikumswirksam Aufmerksamkeit 'als Philosoph' in der Presse zu verschaffen. Ich finde, Žižek kann sich nicht entscheiden, als Philosoph mit einer fundierten Weltsicht oder als Psychoanalytiker mit beschränkten medizinischem Wissen unterwegs zu sein…....Ich habe mich schon länger entschlossen, Žižek nicht als zuverlässige Quelle für meine Überlegungen hinsichtlich neurologischer oder gesellschaftlichen Vorstellungen zu verwenden. .... Ich vermute, dass Slavoj Žižek leichtfertig vielfältige, durchaus unterschiedlich motivierte gesellschaftliche Ereignisse in die Kategorie ‚Karneval der Underdogs‘ einordnen würde.