Dienstag, 12. Januar 2016

Integration als Aufgabe und Prozess

In seinem Blog-Beitrag überschrieben ‚Unser Problem und das der Flüchtlinge‘ weist Hartmut Wedekind darauf hin, dass man das Flüchtlingsproblem von zwei Seiten sehen muss. Beide Seiten hätten ein Problem, aber auch eine Chance. Wir Deutsche müssten die Integration zulassen und ermöglichen. Der Flüchtling müsste sie wollen, ja anstreben. Auf die Interessenlage der Flüchtlinge hätten wir Deutsche allerdings kaum Einfluss. Als Beispiel, was er tun würde, müsste er in Syrien Asyl suchen, sagt Wedekind, dass er auf den Plätzen von Damaskus Grimms Märchen auf Arabisch erzählen würde. Im Folgenden werde ich versuchen für das Problem der Einwanderung einige Lösungsmöglichkeiten zu beschreiben, und zwar aus Sicht der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft.

Integrationsaufgabe

Nach meinem Eindruck ist der Begriff Integration reichlich überstrapaziert. Er ist zu einer Art von Zauberwort geworden, mit dem man eines der größten Probleme unserer Tage lösen zu können glaubt. Integration drückt sowohl eine Aufgabe wie einen Prozess aus. Die Aufgabe besteht darin aus den hilfesuchenden Fremden sich selbst versorgende Einheimische zu machen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den (echten) Asylsuchenden, die sofort nach Hause wollen, sobald sich ihre persönliche Bedrohung aufgelöst hat, und anderen Personengruppen. Die Integrationsaufgabe besteht nur für den Teil der Flüchtlinge, der hier bleiben will. Je nachdem, wen man fragt, seien dies 15 bis 25%. Hinzu rechnen muss man jedoch alle Armutsmigranten. Sie sind nicht durch Krieg und Verfolgung bedroht, erhalten also keinen Asylantenstatus. Ihre Zahl ist vermutlich wesentlich höher als die Zahl der Asylanten, die integriert werden wollen oder müssen.

Ohne Zweifel ist die Integration der aktuellen Zuwandererströme eine Herkules-Aufgabe. Sie erfordert Planung und Anstrengungen, weit über das übliche Maß hinaus. Unangenehm und für jede geordnete Planung abträglich ist es, dass die Wünsche und Träume der Flüchtlinge nicht immer von der Realität erfüllt werden. Wer glaubte, maximal ein halbes Jahr im Asyl bleiben zu müssen, bei dem kann es auch sechs Jahre dauern, bis sich die Verhältnisse ändern. Gerade im Nahen Osten gibt es Flüchtlingsprovisorien, die schon 30 Jahre bestehen. Im Gegensatz zu Asylanten besteht bei Armutsflüchtlingen diese Unsicherheit nicht. Sie haben den Entschluss gefasst, nach einem langfristigen neuen Lebensmittelpunkt zu suchen. Sie sind bereit, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen und den Neuanfang zu wagen. Bei vielen Zuwanderern können falsche Erwartungen bezüglich des Gastlandes bestehen, die das Einleben erschweren oder behindern. Aus der Ferne sieht manches anders und meist prächtiger aus als aus der Nähe. Auch die Medien können dafür verantwortlich sein, dass ein verzerrtes Bild vermittelt wurde. Vor allem aber erzeugen die früheren Migranten fast immer ein positiv überzeichnetes Bild, auch wenn die eigenen Erwartungen nicht ganz erfüllt wurden.

Die wahren Zahlenverhältnissen berücksichtigend werde ich im Folgenden statt von Asylbewerbern vorwiegend von Migranten sprechen. Der Begriff Flüchtlinge ist ein Synonym für Asylbewerber. Flüchtlinge haben gewisse Rechte, die Migranten im Allgemeinen nicht genießen, zum Beispiel das Recht auf Asyl. Nur sie unterliegen der Genfer Flüchtlingskonvention.

Integrationsprozess

Das Wort Integration suggeriert eigentlich ein 'Zusammenmischen' von gleichstarken Elementen, also einen Prozess, bei dem ein Mischprodukt entsteht. Aus Weiß und Rot wird Rosa. Das will aber kaum jemand, zumindest auf Seiten der heutigen deutschen Bevölkerung. Wir denken eher an Assimilierung (oder Assimilation), den Prozess, den Erdogan im Falle seiner türkischen Auswanderer als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnete. Man sagt A, meint aber B. Das ist im Leben oft so. Man nennt das auch Euphemismus. Das ist ein so genanntes Hehlwort, das der Verbrämung und Beschönigung eines unangenehmen Sachverhalts dient. Nur zum Vergleich: In der Biologie ist die geschlechtliche Fortpflanzung immer eine Form der Kombination von Genen. Soweit Gene eine Rolle für das Individuum (den Genotyp) spielen, findet eine Mischung statt, wenn auch keine planbare oder systematische.

Weder in der Wirtschaft noch im Sozialen will man derzeit diese Form von Integration. Man hofft, dass der Migrant oder die Migrantin sich voll der bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung anpassen. Das geht aber nur, falls diese bereit sind, gewisse Eigenheiten aufzugeben. Multikulti war einmal ein Traum bei einer Gruppe von Politikern, die heute sehr ruhig geworden ist. Bei der Assimilation geht es üblicherweise um die Verschmelzung einer Minderheit mit der Mehrheit des Volkes. Sie umfasst fast immer die Sprache, das Schulsystem und den Arbeitsmarkt. Bräuche und Trachten können beibehalten werden, rücken aber an den Rand. Sie werden zur Folklore. Sehr schwierig sind immer die gesellschaftlichen Kontakte zu Mitgliedern anderer Gruppen. Bei den Polen im Ruhrgebiet blieben nur Name und Konfession übrig. Bei einigen 'integrierten' Türken und Arabern ist dies ähnlich, e.g. Özdemir und Al-Wazir.

Diese Form der Anpassung klappt nur solange, wie die Zahl der Migranten gering ist. Je größer die Zahlen, umso eher gibt es Gruppenbildung und Absonderung. Heiratet man untereinander, entstehen Parallelgesellschaften. Massen von jungen Männern ergeben fast immer Ärger, gleich ob als Asylbewerber oder Migranten. Es sei denn, sie bleiben nur für eine beschränkte Zeit, zum Beispiel als Studierende oder als Saisonarbeiter. Die Ereignisse in der Neujahrsnacht in Köln bewiesen sehr schmerzhaft, welche Gefahren bereits heute aus dieser Personengruppe erwachsen können.

Die Integration von Ausländern hat große Ähnlichkeiten mit der Erziehung von Kindern. Auch sie müssen für das gesellschaftliche Leben und den Arbeitsmarkt fit gemacht werden  ̶  obwohl manche Pädagogen aufschreien, wenn man dies als Hauptziel ihrer Bemühungen fordert. Integration ist in weiten Teilen ein Bildungsprozess. Sofern nicht der Eigenantrieb reicht, kann er eine gezielte Erziehung (auch schon mal Edukation genannt) erfordern. Der Verlauf des Integrationsprozesses kann sehr unterschiedlich sein, je nach dem Lebensalter, wann er einsetzt, oder der beruflichen Ausrichtung, die angestrebt wird. Nur einige Hinweise sollen dazu gegeben werden.

Unterschiede nach Altersstufen

Hier lassen sich fünf große Stufen unterscheiden. Gemeint ist das Alter einzelner Familienmitglieder zum Zeitpunkt der Einwanderung.
  • Vorschul- und Grundschulkinder (unter 10 Jahren): Hier sind die Voraussetzungen am günstigsten. Die Lernfähigkeit ist enorm.
  • Sekundarstufe (bis 18 Jahre): Oft reichen Zusatzkurse, um Anschluss an Sprach- und Lernniveau zu erreichen.
  • Lehr- ober Studienzeit (bis 25 Jahre): Nach Spracherwerb gute Einstiegsmöglichkeit in Lehre oder Studium.
  • Frühe Berufs- und Ehejahre (bis etwa 40 Jahre): Nur bei wenigen Berufen Anpassung möglich. Oft signifikanter Aufwand.
  • Spätere Berufsjahre (über etwa 40 Jahren): Große Anpassungsschwierigkeiten.

Unterschiede nach Berufsgruppen

Vier Gruppen lassen sich bilden, die sich wesentlich voneinander unterscheiden.
  • Ungelernte Tätigkeiten: Schnelle Einsatzfähigkeit ohne Zeitverlust.
  • Haushalts- und Pflegeberufe: Einfache Sprachkenntnisse ausreichend; Leichte Übertragbarkeit des nötigen Wissens.
  • Handwerkliche Tätigkeiten/Facharbeiter: Beschränkter Sprachschatz ausreichend; Lehr- und Lernphase im Bereich von 1-2 Jahren.
  • Akademische Berufe: Keine oder nur aufwendige Umqualifizierung möglich. Erhebliches Sprachvermögen unabdingbar. Bei Naturwissenschaften und Technik leichter als bei Geisteswissenschaften und Medizin.

Spezifische Maßnahmen und Techniken

Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die entweder der Migrant oder die aufnehmende Seite ergreifen können, um den Integrationsprozess zu beschleunigen. Einige Beispiele folgen.
  • Patenschaften durch Bürger, individuelle Integrationshelfer, Stipendien.
  • Soziales und politisches Engagement des Migranten bzw. der Migrantin, z. B. Politische Parteien, Lokalpolitik, Kirchen, Bürgerinitiativen (NGOs), Schulsport, Elternbeirat.
  • Gesellschaftliche Kontaktpflege. z. B. Schützen-, Musik-, Gesang-, Kegelverein; Wandern, Feuerwehr, Modelleisenbahn, Modellflieger, Erwachsenensport (Fußball, Tennis, Radeln, Rudern). 
  • Vorlegen von Prüfungsnachweisen und Leumundszeugnissen. 
  • Früher Familiennachzug; Verkürzung des Aufenthalts in Massenquartieren.
Als nicht förderlich anzusehen ist das sehr starke Engagement in Landsmannschaft- oder Heimatvereinen. Es ist eine Illusion anzunehmen, dass sich Wirtschaft und Gesellschaft im Voraus ändern können, um Migranten entgegen zu kommen. Dass schließt nicht aus, dass durch Migranten verursachte Änderungen im Nachhinein zutage treten. Vorhandene englische Sprachkenntnisse sollten als europäische Lingua Franca besondere Anerkennung finden.

Da war doch noch etwas

Integration im beschriebenen Umfang ist ein komplexer Prozess. Unser Fachgebiet, die Informatik, nimmt für sich in Anspruch, dass sie Methoden und Werkzeuge bereitstellt, um Aufgaben und Prozesse jeder Art zu beschreiben. Einige Kolleginnen und Kollegen sprechen dabei lieber vom Spezifizieren. Das umfasst die notwendige Unterscheidung von Soll- und Istprozessen. Ich bin mir nicht im Klaren, ob aus diesem Wissen Nutzen gezogen werden kann für diese Diskussion. Das passende Schlagwort hätte ich schon: Big Processes. Vielleicht können mir Leser auf die Sprünge helfen.

3 Kommentare:

  1. Peter Hiemann schrieb:

    da ich das Thema 'Integration' für sehr wichtig ansehe, habe ich dem Abschnitt 'Selbstorganisation' meines letzten Essays einen entsprechend Abschnitt hinzugefügt:

    Eine wesentliche Komponente selbstorganisierter Systeme ist vermutlich deren Fähigkeit, veränderte oder zusätzliche neu wahrgenommene Systemelemente in ein Gesamtsystem zu 'integrieren'. Der Begriff 'Integration' wird in vielfältigen Sachverhalten verwendet. Hier wird er als Bezeichnung eines Prozesses benutzt, der den Zweck verfolgt, ein existierendes Gesamtsystem so zu verändern, dass es weiterhin 'funktioniert'. Integration und Funktion (ob es sich um Gene, geistige Vorstellungen oder gesellschaftliche Institutionen handelt) werden als Einheit in einem Gesamtzusammenhang innerhalb gegebener Systemgrenzen betrachtet.

    Bei Integrationsprozessen ist zu beachten, auf welche Systemkategorie sie sich beziehen.

    Kategorie Biologie: Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung werden zwei Sätze funktionstüchtiger DNA, d.h. funktionstüchtiger weiblicher und männlicher Genen weitergegeben. Beider Sätze Gene sind in das System DNA integriert, weil sie sich im Laufe der langfristigen Evolution als funktionsfähig und reproduktionsfähig 'bewährt' haben Nicht funktionsfähige Gene haben nicht überlebt (Selektion!).

    Kategorie Neurologie: Jeder Mensch erbt die Fähigkeit, seine Umgebung wahrzunehmen und zu lernen. Jeder Mensch erwirbt Vorstellungen und Handlungsfähigkeiten, die er in seiner gegebenen oder gewählten Umgebung benötigt, um als soziales Wesen 'funktionsfähig' zu sein und zu bleiben. Jeder Mensch selektiert und integriert fortwährend vielfältige Vorstellungen, die deshalb 'funktionieren', weil sie für ihn individuell 'sinnvoll' sind. Bereits existierende Vorstellungen können revidiert oder aussortiert werden, indem nicht funktionstüchtige Elemente nicht mehr benutzt werden (neurologisches Prinzip: use it or lose it).

    Kategorie Gesellschaft: Eliten einer Gesellschaft organisieren sich mittels funktionsfähiger Institutionen entsprechend verfügbarer menschlichen Vorstellungen und Handlungsfähigkeiten. Die Eliten einer Gesellschaftsordnung werden versuchen, eine existierende Gesellschaftsordnung zu erhalten. Gesellschaften, die Institutionen flexibel verändern können, besitzen die Möglichkeiten, langfristig zu überleben. Institutionen, die sich nicht bewähren oder sich als funktionsuntüchtig erweisen, können revidiert werden und einen Integrationsprozess durchlaufen, der in einer veränderten funktionsfähigen Gesellschaftsordnung resultiert.

    Integrationsprozesse sind vermutlich integraler Bestandteil selbstorganisierter Systeme. Integrationsprozesse sind ebenso nützlich und notwendig (?), damit von Menschen planerisch (nicht selbstorganisierte) gestaltete gesellschaftliche Systeme 'funktionieren'.

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  2. Die derzeitige Situation in Deutschland erfordert die relativ kurzfristige Integration von mehr als einer Million Flüchtlingen aus Regionen, deren Bevölkerungen vorwiegend dem muslimischen Glauben 'verpflichtet' sind. 'Verpflichtet' in dem Sinne, dass es Muslimen untersagt ist, ihre Glaubensorientierung zu ändern, um etwa mit Nichtmuslimen Familien zu gründen, die eine andere Glaubensrichtung vertreten möchten.

    Sind Integrationsprozesse und institutionelle Veränderungen bzw. Einrichtungen in Übereinstimmung mit Vostellungen der existierenden deutschen Bevölkerung denkbar, damit die derzeitige säkular orientierte Gesellschaft in Deutschland streng muslimisch orientierten Familien zur Heimat werden kann?

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  3. Ich habe folgende Fragen und Aussagen heute an zwei CDU-Bundestagsabgeordnete geschickt:

    'Die Ereignisse in der Neujahrsnacht in Köln werfen die Frage auf, ob die von einem Rudel junger Männer begangene sexuelle Nötigung im Verbund mit räuberischer Erpressung nicht ein besonders schwerer und dieser Form bisher weitgehend unbekannter Straftatbestand ist, der durch die derzeitige Einwanderungspolitik begünstigt wird. Da dies große Konsequenzen auf das öffentliche Leben haben wird, müsste da nicht die Polizei und das Rechtssystem vorbeugend oder regulierend tätig werden? Es ist außerdem meine Befürchtung, dass diese Übergriffe auf unsere Gesellschaftsform einen politischen Hintergrund haben.'

    Sollte ich - wider Erwarten - eine Antwort bekommen, werde ich darüber berichten.

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