Freitag, 25. November 2016

Nachdenkliches aus der Eifler Jugendzeit

Als mein Alterskollege und einstiger Dorfnachbar Bernhard S., der heute in Wertheim am Main lebt, den Band 3 meiner Eifelbücher [1] las, fühlte er sich veranlasst, mich an einige Erlebnisse und Ereignisse unserer gemeinsamen Jugendzeit zu erinnern, die mir teilweise entfallen waren. Wir geben diese Geschichten im Folgenden wieder. Sie wurden vom Blog-Verwalter leicht überarbeitet und werden von ihm in der Ichform kommentiert.


Dorfansicht mit Gasthaus Zillien (als Ausschnitt) um 1938

Bernhard S. war mit seinen Eltern um 1938 in mein Heimatdorf Niederweis verschlagen worden. Es war die Zeit des Westwallbaus. Wie ich in [2] berichtete, war dies eine Zeit des wirtschaftlichen und sozialen Umbruchs. Während die meisten Beschäftigten des Westwallbaus 1940 unsere Region verließen, blieben einige für immer. So Bernhard und seine Eltern. Aus der Distanz von über 70 Jahren ist Bernhard heute in der Lage offen über die Diskriminierung zu sprechen, die sowohl er wie auch seine Familie erfuhren. Diese hatte zwei Gründe. Die S. waren nicht nur Zugreiste aus einer nicht-bäuerlichen Welt, sie waren zudem Protestanten. Das was Bernhard erzählt, charakterisiert zwar die Eifel von vor 70 Jahren, es ist aber nicht typisch. Ähnliches passierte auch in vielen andern Gegenden Deutschlands. Ich gebe Bernhard das Wort zwecks Darstellung seiner Sicht. Kleine Ergänzungen habe ich in eckigen Klammern hinzugefügt.

Warum hatten wir in Niederweis, wenn über die Familie S. gesprochen wurde, den Schmähnamen  „der Jude“.  Auch ich wurde als Kind so genannt. Mein Vater, der Bäcker, Konditor und Küchenmeister war, übernahm 1938 die Westwallküche im Haus Zillien in Niederweis. Hier wurde für die vielen Arbeiter am Westwall ein Essen gekocht. Er hatte die Erfahrung einer Großküche in Düsseldorf im größten und ersten Hotel [der Stadt] und auch in der Küche der Pferderennbahn Düsseldorf-Grafenberg als Küchenchef erworben. Matthias Zillien, der Vater von Gustav und Franziska, verstarb 1938. Seine Frau verkraftete diesen Schicksalsschlag nicht. Sie wurde [seelisch] krank. Sein Bruder, der Onkel Michel, hat dann die Gaststätte, in der auch die Großküche war,  an meinen Vater verpachtet. Gustav und Franziska kamen zu Pflegefamilien nach Wolsfeld. [Zwei jüngere Kinder kamen nach Pickließem bei Dudeldorf]

Mein Vater holte meine Mutter und mich nach Niederweis, wo ich dann auch in die Volksschule ging. Aus der Betreibung der Gaststätte baute mein Vater eine Essen- und Gebrauchswarenverkauf für die Westwallarbeiter auf und fuhr damals mit einem Bauer-DKW die Baustellen ab und verkaufte sein Angebotssortiment. Er machte viel Geld, was natürlich den Bauern nicht gefiel. Somit hatten wir dann unseren Spitznamen. Der brachte uns natürlich im dritten Reich Probleme. Erst nachdem mein Vater den Arier-Nachweis über seine Familie vorzeigte, hatten wir Ruhe. Die väterliche Ahnenlinie geht zurück bis 1700 und es waren Schullehrer, Poststellenleiter, Chorleiter und Ärzte darunter. Die mütterliche Ahnenlinie geht zurück bis 1200 und auch hier waren Persönlichkeiten vorzuweisen. Unter anderem war ein Vorfahr persönlicher Generaladjutant Friedrich des Großen, Karl Theophil Guichard, genannt Quintus Icilius. Oder ein anderer Familienzweig, der zur damaligen Zeit eine der bedeuteten Porzellanmanufakturen in Magdeburg betrieb.

Dass wir unseren protestantischen Mitschüler, wenn es zum Streit kam, als Juden bezeichneten, hatte ich in [2] erwähnt. Sehr aufschlussreich ist folgende Geschichte:

Meine Mutter und ich wohnten [um 1950] in Alsdorf [dem Nachbardorf]. Meine Schwester Gertrud kam mit Ihrem Sohn Horst zu Besuch. In Alsdorf war gerade der Weihbischof zu Gast und meine Schwester traf Ihn auf der Straße. Der Weibischof ging mit erhobenen Armen auf meine Schwester Gertrud zu und nahm das Kind auf den Arm. Dieses griff umgehend nach seinem Kruzifix. Eine ältere Frau aus Alsdorf fiel fast in Ohnmacht, und sagte zum Weihbischof: „Aber Herr Hochwürden, wie können Sie dieses Kind auf den Arm nehmen. Es ist doch evangelisch“. Empört klärte er die Frau auf, indem er sagte  "Alle Menschen, die an Gott glauben, sind gleich, egal ob katholisch oder evangelisch.“ Beschämend ging die Frau nach Hause. So sind wir, die Familie S., in Niederweis [und Umgebung] angesehen worden.


Kleidersammlung für Winterhilfswerk 1941

Die nächste Geschichte war mir vorher nicht bekannt. Sie regt zum Nachdenken an.

Weißt Du auch, dass wir während des Kriegs jedem Niederweiser Soldaten immer wieder etwas aus Niederweis über Feldpost geschrieben haben und immer wieder waren die Kuverts mit Zigaretten gefüllt. Bis heute hat sich keiner in Wort und Schrift bedankt. Stattdessen musste meine Mutter bei den Bauern betteln gehen, um ein paar Eier, Mehl oder Milch zu erhalten. Wir sind nie anerkannt gewesen, weil wir evangelisch und faule Städter waren.

Über den Einzug der Amerikaner am 27. Februar 1945 erzählt Bernhard die folgende Geschichte:

Alfred Thies [ein Alterskollege], ein Verwandter aus Ralingen, der bei Disch gewohnt hat, und ich, wir drei standen mit einer weißen Flagge auf der Hauptstraße zwischen Deinem Elternhaus und Zillien (Wir konnten ein paar Worte Englisch. die wir auf der Oberschule gelernt  hatten). Wir waren die ersten im Ort, die Amerikaner 1945 mit den Worten auf Englisch "In diesem Ort sind keine deutschen Soldaten mehr" empfingen. Daraufhin sind die wie eine Traube um uns gestanden und wir wurden mit der berühmten Blockschokolade und Zigaretten beschenkt. So war es, und alles andere stimmt nicht.

Hier darf ich Bernhard geringfügig korrigieren. Wie an anderer Stelle [2, S.87] berichtet, gingen Alfred Thies und ich den Amerikanern entgegen, schon ehe sie das Dorf Niederweis betreten hatten. In den Gärten auf der anderen Seite der Nims zeigten wir ihnen nämlich, wo Minen lagen. Das folgende Ereignis hatte ich in [4] erwähnt. Mir war allerdings ein etwas anderer Ablauf berichtet worden.

Nach dem Verlassen der amerikanischen Soldaten kamen die Luxemburger Soldaten zur Bewachung. Diese alle waren im Schloss (also bei Broich [dem damaligen Pächter]) stationiert. Wir die Jugend und auch die Einwohner sind sehr gut mit den Soldaten ausgekommen und hatten ein gutes Verhältnis. Nach einem Wachwechsel auf der Einicht-Brücke (unterhalb von Niederweis) haben sich die abgelösten Soldaten in die Wachstube zurück in ihr Quartier begeben. Dort ereignete sich ein Unfall. Einer der Soldaten sagte zu seinem Kameraden so im Spaß „Jemp, stell dich in den Ecken. Ich erschieße dich“. In dem Glauben  ̶  was auch Vorschrift ist  ̶  die Munition ist nach Diensteinsatz entfernt, stellte er sich in den Ecke, der Kamerad legte an und ein Schuss löste sich und er fiel tot um. Es war sehr tragisch. Wir haben nur dieses erfahren. Die Untersuchungen wurden aufgenommen, ein Ergebnis wurde nicht bekannt.


Auf dem Pferdebalken (vorne Bernhard, hinten Gertrud) 1943

Hier wie auch im Folgenden wird das gute Verhältnis zu den Luxemburger Soldaten betont, an das ich mich auch erinnere.

Wir waren sehr oft mit den [Luxemburger] Soldaten zusammen. Unter andrem haben wir mit den Soldaten in der Nims Fische gefangen. Dazu verwendeten wir Dynamitwürfel, die wir Seifenstücke nannten. Es wurde ein Sprengkapsel mit Zündschnur in die Seifenstücke geklemmt. Wir alle wussten, wie lange wir Zeit hatten bis zu Explosion. Wir zählten die Zeit ab und warfen den Sprengsatz in die Nims.  Nach der Explosion holten wir die toten Fische aus der Nims. Das gleiche wollte dann auch einer der Soldaten machen. Wir waren dabei, offensichtlich aber in Entfernung, als der Sprengsatz in der Hand des Soldaten explodierte und ihm die Hand abriss.

Nach Abschluss seiner Volksschulzeit ging Bernhard in eine Lehre bei Thomas Eppers, dem Mechanikermeister im Dorf. Seine Werkstatt lag in der Dorfmitte. Der ‚Tommes‘, wie wir ihn nannten, war ein Unikum. Ich hatte in [3] an ihn erinnert.

Während meiner Lehrzeit wurde das durch Kriegseiwirkung zerstörte Kreuz auf dem Kirchturm erneuert. Für den Wetterhahn musste wetterfestes Material verwendet werden. Das wurde in Form einer Artillerie-Kartusche gefunden. Die kann man natürlich nicht wie Blech verwenden. Das Material ist sehr hart und hat die Form eines Rohres mit Boden. Wir wollten das Material bearbeitungsfähig machen. Wir legten die Kartusche in ein Schmiedefeuer und brachten sie auf dunkelrotglühende Temperatur. Dann kam die Kartusche in kaltes Wasser zum Entspannen. Nun konnten wir arbeiten. Zuerst wurde der Boden abgesägt, dann der Länge nach aufgeschlitzt und dann aufgewickelt und flach geklopft. Immer wieder musste der obige Entspannungsvorgang wiederholt werden. Als wir dann das Blech flach und eben hatten, wurde der Wetterhahn darauf gezeichnet und ausgearbeitet. Es wurde dann noch auf dem Mittelpunkt der Drehpunkt festgelegt und eine Drehachse angebracht. Soweit der Wetterhahn. Das Kirchenkreuz wurde von Thomas Eppers, der auch die Arbeiten am Wetterhahn begleitete und half, persönlich hergestellt und mit der dazugehörigen Kunstschmiedearbeit ausgestattet. Nun war alles fertig und es ist Brauch, das Kreuz der Gemeinde zu zeigen. Wir zogen dann durchs Dorf, unterstützt durch einen Bewohner aus der Burg mit Musik. Wir wollten auch dem ganzen Dorf das Kreuz zeigen, aber die Spenden der Bewohner waren zu stark und wir schafften es nicht. Die Brennereien [der Niederweiser Bauern] haben in der 45er und 50er Jahren den Schnaps so um die 50-52% gemacht.



Reparatur des zerstörten Kirchturms 1945

Reflektionen

Das Gesagte wirft die Frage auf, ob die angeschnittenen Probleme alle einer entfernten Vergangenheit angehören. Wegen der verstärkten Durchmischung der deutschen Bevölkerung sind konfessionelle Konflikte heute kaum noch erkennbar. Auch der abnehmende Einfluss der Kirchen spielt dabei eine Rolle. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nahm fast jedes Eifeldorf Flüchtlingsfamilien aus den verlorenen Ostprovinzen Deutschlands auf und integrierte sie. So auch unser Heimatdorf. Verkehr und Tourismus sorgten dafür, dass Stadt- und Landmenschen sich immer häufiger begegneten und austauschen konnten. Auch führten immer mehr Urlaubs- und Geschäftsreisen über Landesgrenzen hinaus. Die Vereinigung Europas schien die Bindung an Nationalstaaten zu lockern oder zurückzudrängen. Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Sport und Unterhaltung orientieren sich global.

Im Augenblick scheint es, als ob die Gefahr bestünde, dass sich Völker oder gesellschaftliche Gruppen wieder auseinanderlebten. Es wird von gespaltenen Gesellschaften und von nationalen Egoismen gesprochen. Radikale und Extreme lehnen sich allerorts gegen Ausgleich und Toleranz auf. Möge die Erinnerung an Vergangenes dabei helfen, dass Gefahren erkannt und bekämpft werden. Abschottung, Fremdenhass, Isolation und Misstrauen sind Sackgassen. Wir sollten sie vermeiden.

Referenzen

  1. Endres, A.: Geschichten aus der Eifelheimat. Band 3, 2016
  2. Erinnerungen an eine Eifler Jugendzeit. Ibidem. Band 1, 2008, 76-93
  3. Zehn Persönlichkeiten aus fünf Jahrhunderten Niederweiser Geschichte. Ibidem. Band 1, 2008, 136-147
  4. Bitburg und Echternach im Blick oder das deutsch-luxemburgische Grenzland. Ibidem, Band 3, 13-18


Nachtrag vom 8.12.2016

      Bernard lieferte dieser Tage die folgende Ergänzung.
e   
      Meine Lehrzeit bei Thomas Eppers war vom Juli 1945 bis Dezember 1949. Ich habe den Wiederaufbau sehr nah miterlebt, zumal auch die Firma Eppers alles [was durch den Krieg zerstört war] erneuern musste. Die Jugend weiß vieles nicht.

Die Westwallbunker lieferten vieles, was benötigt wurde. Es wurde demontiert, was nicht niet- und nagelfest war. Gesucht wurden u.a. Ventilatorengebläse (für eine Schmiedeesse), Stromkabel, sowohl für Licht- wie Starkstrom. Es waren natürlich auch die ganzen Dächer kaputt. Die erste Hilfe lieferten uns die Hinterlassenschaften der Ami-Soldaten in Form der verbrauchten Geschosskartuschen. Wir legten diese in ein Sandbett und trennten mit Hammer und Flachmeißel den Boden ab. Dann wurde der Zylinder sehr mühevoll aufgerollt und flach geklopft. Es ergab dann ein Trapezblech. Diese wurden dann zum Abdecken von Dächern verwendet. [Unser ganzes Scheunendach entstand auf diese Art]. Zum Aufbau [von Gebäuden] wurden auch Mörtel und Bauholz benötigt.

Holz lieferte der Wald. Alle durch Beschuss beschädigten Bäume durfte man holen. In diesen Bäumen waren natürlich auch Granatsplitter, die man nicht immer gesehen hatte. Ich kann mich erinnern, bei Disch im Hof stand eine Kreissäge von circa einem Meter Durchmesser, angeschlossen an ein Geleis mit Schlitten. Auf die Schlitten wurde der Baum gelegt und in Form gesägt. Wenn man einen [Granat-] Splitter erwischt hatte, musste das Sägeblatt wieder neu gefeilt, also geschliffen werden.

Zwischen Niederweis und Irrel war eine Sägemühle mit einem Holzgatter, auch stark beschädigt. Sie steht jetzt in einem Museum in der Eifel [in Kommern bei Mechernich]. Um Bretter zu sägen, hat mein Lehrmeister dieses Gatter während meiner Lehrzeit wieder gangbar gemacht. Als alles fertig war zum Probelauf, wartete man auf die Lieferung des Antriebsriemens. In der Nachkriegszeit waren diese schwer zu bekommen. Abhilfe kam [endlich] und zwar machte Romika [in Trier] solche Flachriemen. Der war blau mit einem Gewebe etwa 10-12 mm stark und etwa 20 cm breit. Der wurde auf Länge passend gemacht, montiert und es konnte losgehen. Das Gatter lief.

Zum Mauern [von Gebäudewänden] brauchte man Speiß [Mörtel]. Es ist dies ein Gemisch aus gelöschtem Kalk und Sand. Woher nehmen? Sand war vorhanden, aber der gebrannte Kalk fehlte. Hinter der Eisenbahn [im Nussbachtal] war ein alter Kalksteinbruch mit einem Zwillingsbrennofen. Die wurden wieder zum Leben erweckt und es wurde aus den gebrochenen Steinen Kalk gebrannt. Dieser Vorgang ging so ab: Die gebrochenen Kalksteine wurden nach bestimmten Regeln in dem gemauerten Ofen eingestapelt und dann abgedeckt. Dann wurde unten ein Feuer mit Buchenscheidholz gemacht und die ganzen Steine erhitzt. Es dauerte natürlich Tage. Nach dem Erkalten wurden dann die Steine, also der gebrannte Kalk, an der Baustelle in einem Trog mit Wasser begossen (‚gelöscht‘) und es entstand ein weißer Brei. Dieser wurde mit Sand vermischt und zum Maurer aufs Gerüst getragen. Ich persönlich habe über Wochen während meiner Lehrzeit beim Wiederaufbau [von Gebäuden] gearbeitet.

Was alles repariert und neu gebaut wurde: Eine Transmissionsanlage und ein Heuaufzug bei Billen in Kaschenbach, eine fest installierte Dreschmaschine [bei einem andern Bauern], Wiederinstandsetzung der Molkerei in Irrel, Umbau eines Schlüter-Bulldog [Schlepper] von Holzvergasen auf Dieselmotor, Elektroinstallation in der Kirche Alsdorf, Reparatur von Mähmaschinen, Dreschmaschinen, Milchzentrifugen usw., usw. Eigentlich alles, was so anfiel. Thomas Eppers half, wo er konnte. [Es gab kaum etwas, das er nicht konnte].

So war es nötig, die [zum Schloss gehörende] Mahlmühle unterhalb des Dorfes wieder gangbar zu machen. Der zuständige Müller war Herr Kiemes, der mit seiner Familie und den drei Kindern Theo. Gertrud (Trudi genannt) und Irmgard oben im Dorf wohnte. Die notwendigen Arbeiten waren, das Wasserrad, die Mühlsteine, alles musste auf Vordermann gebracht werden. Ein Problem gab es bei der 6- oder 8-eckigen Mehltrommel. Die musste mit einem ganz feinen Seidenstoff bespannt werden. Nach mehreren Versuchen konnte ein passender Stoff gefunden werden. In die laufende Trommel lief das Mahlgut ein und wurde getrennt in Mehl und Spleiß [Kleie]. Den Spleiß bekamen die Schweine. So kamen wir dann nach dem Krieg wieder zu Mehl. Später hat dann der Sohn Theo die Mühle betreut. Wir waren als Jugendliche viel unten an der Mühle, zumal Theo ein guter Freund von mir war. Ich hatte bis zu seinem Tode 2014 immer wieder Kontakt zu Ihm. Er arbeitete nach Schließung der Mühle bis zu seinem Ruhestand in Langsur bei Trier als Müller.



    Nachtrag am 9.12.2013

     Ich hatte Bernhard nach den Umständen gefragt, wie sein Vater zu Tode gekommen war. Hier sein trauriger und ergreifender Bericht.
  
       Niederweis war das erste Dorf hinter der evakuierten Zone. Wir lagen in kontinuierlichem und regelmäßigem Artillerie-Beschuss der Amerikaner aus Luxemburg, das schon erobert war. [Wie in [2] beschrieben, bestand diese Situation von September 1944 bis Februar 1945]

       Wir konnten nachts nicht in unseren Keller, weil er zu feucht war. Nur tagsüber hielten wir uns dort auf. Zum Schlafen gingen wir in einen Futtervorratskeller über die Straße zur Familie Disch. Eigentlich dachten wir, dass wir im Keller unter der Scheune [von Disch] sicher seien. Über dem Gewölbekeller lag etwa 10 Meter Stroh. Aber leider zündete eine Phosphorgranate dieses an, und es war unmöglich, sich weiter dort in diesem Keller in Sicherheit zu begeben. Wir zogen um ins Wohnhaus und bauten im dortigen Keller unser Matratzenlager auf. Um Splitterschäden zu vermeiden bzw. zu verringern, hatte mein Vater für die unteren Fenster jeweils aus starken Dielen [oder Bohlen] eine Füllung vors Fenster gebaut. Eine von ihnen hielt aber nicht fest und er suchte nach einer Stütze. Gerade in diesem Zeitraum gab es mal wieder einen Feuerüberfall.
  
       Wir waren auf den Abschussknall so fixiert, dass wir schon wussten, wohin gezielt wurde. Ich stand in der Haustür und sah meinem Vater zu und sagte noch: ‚Vater ein Feuerüberfall, komm‘. Seine Antwort war: ‚Die gehen alle unten ins Tal‘. Die sind auch dort eingeschlagen, aber dank des aufgeweichten Bodens als Blindgänger und kamen nicht zur Explosion. Ein Geschoss ist aber über den First unseres Hauses direkt auf die befestigte Straße geflogen und krepiert. Die Granate explodierte und riss nur ein etwa 10 cm tiefes und ein Meter im Durchmesser großes Loch in die Straße. Dementsprechend sind die Splitter flach in die Umgebung geflogen. Ein Splitter traf meinen Vater von links im linken Oberbauch und riss eine etwa 20 mm breite Wunde.  Mein Vater lief trotzdem noch in den Keller und sagte: ‚Putzt mir doch das Blut ab‘. Wir sahen aber kein Blut. Der herbeigerufene Stabsarzt und ein Offizier namens Reichert (angeblich ein Bruder von dem aus dem SWR-Künstlerteam) brachten meinen Vater zu einem Transportwagen, der ihn dann nach Helenenberg ins Lazarett brachte. Von dort aus wurde er nach Schweich [bei Trier] transportiert, wo er auf dem Transport starb. Er liegt dort auch auf dem Heldenfriedhof beerdigt.

       Wie uns mitgeteilt wurde, hat mein Vater als Katholik noch die letzte Ölung erhalten. Als der Krieg vorbei war, ließen wir eine Messe lesen, die in der katholischen Kirche in Alsdorf stattfand. Meine Mutter, meine Schwester und ich waren evangelisch. Wir wurden vorher vom damaligen Pastor [Heinrich Hoffmann] von der Kanzel angesagt, leider aber mit einem Misston [als Folge] der damaligen Glaubenslehre. Er sagte: ‚Das Ehepaar war zwar nicht verheiratet, aber Franz S. hat ja die letzte Ölung erhalten und ist somit wieder zum Glauben zurückgekehrt‘. Angeblich führte zur damaligen Zeit eine Hochzeit mit einem Andersgläubigen zum Ausschluss aus der katholischen Kirche. [Diese Aussage basiert auf einer zwar verbreiteten Meinung, die aber nicht zutreffend war]

       Leider hatte unsere Familie jahrelang unter der damaligen Glaubenslehre leiden müssen, und zwar deshalb: Mein Vater war katholisch, ging aber nicht in die Kirche, und wir, der Rest der Familie, waren evangelisch. Niederweis war damals ein sehr konservatives katholisches Eifeldorf. Ich muss aber auch sagen, der damalige Pastor trug im höchsten Maß zu dieser Situation bei. Gott sei Dank hat sich diese damalige Glaubenseinstellung durch Zuwanderung von Flüchtlingen usw. sehr stark zum Positiven geändert.

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