Wer an Napoléon als den Veränderer Europas
denkt, kann eigentlich nicht seinen großen Gegenspieler Metternich übersehen. Sein
Bild schwankt allerdings in der Geschichte. Für die Bürger, aber erst recht für
die Adligen meiner Heimat, war er eine der wichtigsten politischen Bezugspersonen,
bevor wir von den Preußen ‚umerzogen‘ wurden. Anstatt für ihn wurden für den
Preußen Bismarck überall im Rheinland Denkmäler errichtet, damit er als
Lichtgestalt der Geschichte einen Platz in unserem Bewusstsein einnahm. Der Münchner
Historiker Wolfram Siemann (*1946) legte im Jahre 2016 eine neue Biographie vor, die versucht das
Bild etwas zurechtzurücken. Sie heißt Metternich ̶ Stratege und Visionär und umfasst gedruckt etwa 940 Seiten.
Siemann zeichnet Metternich als einen
Kosmopoliten und Anhänger der alten Reichsordnung, der sich dagegen wehrte,
dass ‚deutsch‘ als kleindeutsch definiert oder gar mit preußisch gleichgesetzt
wurde. Eine der letzten großen Biographien Metternichs erschien 1926 von dem
Österreicher Heinrich von Srbik (1878-1951). Er war später NSDAP-Mitglied und
begeisterter Befürworter des Anschlusses an Deutschland. Nach ihm soll
Metternich keinerlei Willen gezeigt haben, einem deutschen Kulturimperialismus
Vorschub zu leisten. Außerdem habe er sich von jeglichem 'Germanisieren'
distanziert und war für die Gleichberechtigung aller Nationalitäten innerhalb
der österreichischen Monarchie. Nach diesem Vergleich konnte ich – als Rheinländer
und Liberaler ̶ nicht mehr widerstehen und musste das Buch
lesen. Für mich hat es sich gelohnt. Im Folgenden gebe ich vor allem die
Details wieder, die für mich neu und interessant waren.
Herkunft und Aufstieg der Familie
Die Familie ist seit der Merowigerzeit, also
dem fünften Jahrhundert nach Chr., in der Kölner und Trierer Gegend
nachgewiesen. Es wird teilweise sogar angenommen, sie sei römischen Ursprungs
gewesen. Sie hat am Fuß der Burg Hemmerich den Ort Metternich gegründet und
nannte sich später Herren zu Metternich. Metternich ist heute ein Ortsteil von
Weilerswist und liegt etwa 30 km westlich von Bonn, auf halbem Wege nach
Euskirchen. Der Kernbesitz der Familie lag im Tal der Swist, einem Lössgebiet zwischen
Eifel und Ville.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist die
Stammesfolge der Hauptlinie für 14 Generationen nachgewiesen, beginnend mit
einem Sibodo (ca. 1325 – ca. 1382), einem Lehensmann des Erzstifts Köln. Diese
Linie führt drei Jakobsmuscheln im Wappen. Es gab mehrere, heute größtenteils
ausgestorbene Nebenlinien, so die Burscheid (in Luxemburg), Niederberg,
Chursdorf (in Hessen), Rodendorf (in Lothringen) und Müllerarck. Mit dem Erwerb
der Winneburg und der Burg Beilstein, beide bei Cochem an der Mosel, verlegte
die Stammlinie 1552 ihren Hauptsitz an die Untermosel und führte beide Burgnamen
als Teil des Titels. Als Dank für die Unterstützung des Hauses Habsburg im
30-jährigen Krieg bzw. bei der nachfolgenden Kaiserwahl wurde die Familie 1635
zu Freiherrn und 1679 zu Grafen erhoben.
Zum Ansehen und Selbstbewusstsein des Hauses
trug es bei, dass es drei kurfürstliche Erzbischöfe hervorgebracht hatte. Der
einflussreichte von ihnen war Lothar, der Erzbischof von Trier (1599-1623).
Später folgten Lothar Friedrich als Erzbischof von Mainz (1673-1675), und Karl Heinrich,
ebenfalls in Mainz (1679). Des Weiteren gab es über 100 geistliche Domherren in
Trier, Köln und Mainz, die der Familie entstammten. Unter ihrem Einfluss wurde dafür
gesorgt, dass das Familienvermögen nicht zersplittert wurde. Es wurde 1648 in eine
unteilbare Stiftung (ein so genanntes Fideikommiss) überführt.
All dies verlieh den Familienmitgliedern ein
hohes Maß an Unabhängigkeit und Selbstsicherheit. Man beanspruchte stets aus
eigenem Recht zu leben, mit eigenem Besitz und eigener Herrschaft über Land und
Leute. Auf ‚Parvenus‘, wie etwa Napoléon einer war, schaute man herab. Die Metternichs
gaben sich einen sehr bezeichnenden Wappenspruch, nämlich 'Kraft im Recht'. [Mich
erinnert dies unwillkürlich an ‚Kraft durch Freude‘!] Die drei Fundamente, auf
denen alles ruhte, hießen Kaiser, Kirche, Familienstärke. Dank der expliziten
Hilfe seiner geistlichen Mitglieder gelang es der Familie in den religiösen
Wirren um den 30-jährigen Krieg herum ein vorher Protestanten gehörendes
größeres Landgut in Böhmen zu erwerben. Schloss Königswart (tschechisch
Kynzvart) wurde 1794, also nach der französischen Besetzung des linken
Rheinufers, zur Zuflucht der Familie. Heute ist es ein Golfclub.
Gut Königswart
Eltern, Jugend und Ausbildung
Metternichs Vater, Franz Georg von
Metternich (1746-1818), war
Gesandter des Kaisers an den Höfen der Kurfürsten von Trier und Köln mit Sitz
in Koblenz. In der Zeit von 1791-1794 war er ‚dirigierender Minister‘ für die
österreichischen Niederlande in Brüssel. Die Mutter war eine Maria Beatrix von
Kageneck. Vater und Mutter standen mit ihren Kindern stets in französisch-sprachlichem
brieflichen Kontakt, wenn immer sie an getrennten Orten lebten.
Klemens Wenzel
Lothar Nepomuk von Metternich (1773-1859) wurde im heute noch bestehenden Palais der Familie in
Koblenz geboren. Der Trierer Bischof und Kurfürst Clemens Wenzeslaus von
Sachsen wurde sein Taufpate. Er und sein jüngerer Bruder Josef wurden von zwei
Hauslehrern im Sinne der Aufklärung unterrichtet. Einer von ihnen war der
elsässische Protestant Johann Friedrich
Simon. In Begleitung ihrer Hauslehrer gingen beide Brüder von 1788-1790 zum
Studium nach Straßburg. Unter anderem belegte man Staatskunde bei dem Historiker
Christoph Wilhelm von Koch. Von ihm stammt der Satz: ‚Die Geschichte ist eine
Abfolge von Fortschritten und Täuschungen, von Aufklärung und Aberglauben‘. In
Straßburg erlebte man Ende Juli 1789 die Erstürmung des Rathauses durch Revolutionäre, angeführt von Johann
Friedrich Simon, der sich später in Paris den Jakobinern anschloss. [Übrigens
wurde nach der Niederschlagung des Aufstands durch die Bürgerwehr am 23.7.1789
ein aus Mainz stammender Zimmergeselle gehängt, angeblich weil er 60 Louisdor
bei der Rathausplünderung mitgenommen haben soll]
Überleben in einer Revolution,
England-Erfahrung
Metternich wollte sein Studium an der
Universität in Mainz fortsetzen, was aber durch den 1792 erfolgten Einmarsch französischer
Revolutionstruppen unter General Custine verhindert wurde. Er ging deshalb
vorübergehend zu seinem Vater nach Brüssel. Von dort aus verfolgte er, was in
Mainz und anderswo ablief. Er las mit Interesse alle Schriften, welche die
Mainzer Republikaner produzierten, so auch die von Georg Forster. Auch nahm er
das vorschnelle Ende der Mainzer Republik zur Kenntnis, herbeigeführt durch den
Einmarsch preußischer und hessischer Truppen und die darauffolgende Hinrichtung Custines auf
der Guillotine in Paris.
Anstatt in Deutschland weiter zu studieren, bewog
ihn sein Vater zunächst nach England zu gehen, wo er von März bis Juli 1794
blieb. Dieser (erste) Aufenthalt beeinflusste sein Weltbild derart, dass er
immer wieder darauf Bezug nahm, bis an sein Lebensende. Unter anderem hatte er
die Schriften von Edmund Burke (1729-1797) genau studiert. Vor allem dessen Buch 'Reflections on the French Revolution'
von 1790 hatte es ihm angetan. Er ließ es später von seinem Freund Friedrich
Gentz ins Deutsche übersetzen.
Burke argumentierte, dass Ordnung und
das Recht auf Eigentum die Grundlagen jeder Gesellschaft seien. Der Fortschritt
habe auch Kehrseiten, es sei denn er ist gebunden an die Idee einer
generationenübergreifenden Gemeinschaft. Durch Verlust der 'alten Ordnung'
mache sich eine Regierung abhängig von der 'Zustimmung durch warme Anhänger und
enthusiastische Verfechter'. Eine Demokratie kann leicht in eine Demagogie entarten. Die Kraft
der Freiheit muss 'operationalisiert' werden in Frieden und Ordnung.
Metternich pflegte die Sitzungen des
Oberhauses zu besuchen, wo er Burke persönlich erleben konnte. Ihn beeindruckte die uralte
Universität in Oxford, die pulsierende
Finanzwelt (City) und die in Portsmouth erkennbare Seemacht. Er war enttäuscht
von den ‚kümmerlichen‘ Stadthäusern des Adels. 'Dieses große Land...ist stark durch seine
unerschütterliche Überzeugung vom Wert des Rechts, der Ordnung und der
Freiheit', so schrieb er noch 1848. 'Wenn ich nicht das wäre, was ich bin,
wollte ich ein Engländer sein' (so steht es in einem Brief von 1819).
Neustart in Wien und Heirat
Metternichs Vater musste im Juli 1794 vor den
französischen Revolutionstruppen aus Brüssel fliehen. Er wurde entlassen und
reiste über Benrath (bei Düsseldorf) nach Wien. Der Sohn Klemens wäre am
liebsten in die USA ausgewandert, entschied sich aber dafür in Europa zu
bleiben, weil er Stammhalter im Fideikommiss der Familie war. Während das Haus
in Koblenz, insbesondere seine Bibliothek, geplündert wurde, betätigte sich
Metternich auf dem Gut Königswart in Böhmen. Er bemühte sich darum, den Besitz zu
sichern und die Finanzen zu ordnen.
Es soll während des Faschings 1795 in Wien
gewesen sein, als Eleonore von Kaunitz und Metternich sich kennen lernten. Sie
war eine Enkeltochter von Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg (1711-1792), dem Staatskanzler unter Maria
Theresia, Josef II. und Leopold II. Eleonore muss ihren Vater schnell dafür
gewonnen haben, der Ehe zuzustimmen. Trotzdem fand eine strenge Vermögensprüfung
statt. Dabei wurde der linksrheinische Besitz der Metternichs als irreal (also nicht verfügbar) angesehen. Die böhmischen Güter waren teils verschuldet. Der Kaiser rettete die
Situation, indem er dem Vater Metternichs eine Gratifikation für seine
Tätigkeit in Belgien überwies, die es ihm erlaubte, auf einen Schlag alle Schulden zu tilgen.
Die Hochzeit fand im September 1795 auf Schloss Austerlitz statt. Das Stadthaus
der Familie Kaunitz ist heute Amtssitz des österreichischen Bundeskanzlers.
Metternich selbst hörte ab 1795 Vorlesungen an der Universität Wien in Geologie, Chemie, Physik, Botanik und Medizin [In dieser Phase könnte Kontakt zu dem Niederweiser Baron, Klemenz Wenzel von der Heyden, bestanden haben, der um die gleiche Zeit in Wien studierte].
Metternich selbst hörte ab 1795 Vorlesungen an der Universität Wien in Geologie, Chemie, Physik, Botanik und Medizin [In dieser Phase könnte Kontakt zu dem Niederweiser Baron, Klemenz Wenzel von der Heyden, bestanden haben, der um die gleiche Zeit in Wien studierte].
Durch die erste Niederlage gegen Napoléon in
Italien und den Frieden von Campo Formio verlor Österreich unter anderem das
linke Rheinufer. Für die anschließenden Verhandlungen in Rastatt Anfang 1798
bis Anfang 1799 wurde Metternichs Vater der
Bevollmächtigte des österreichischen Kaisers. Metternich Junior begleitete ihn
als Sekretär.
Erste diplomatische Stationen: Dresden,
Berlin, Paris
Metternich wurde 1801 als Gesandter Österreichs
an den sächsisch-polnischen Königshof nach Dresden geschickt. Seine 104 Seiten
umfassenden politischen Instruktionen hatte er vollständig selbst verfasst und
vom Kaiser genehmigen lassen. Zu den Analysen, die er von Dresden nach Wien
lieferte, gehören Aussagen wie diese: Preußen versucht die Reichsverfassung zu
zerstören und leidet an einer blinden Verdickungssucht; England strebt ein Welthandelsmonopol
an. Persönlich von Bedeutung wurde der Aufenthalt durch drei Bekanntschaften,
die er hier machte, die Gräfin Bagration, Wilhelmine von Sagan und den Preußen Friedrich
Gentz. Mit allen dreien hatte er später immer wieder intensiven Kontakt,
insbesondere während der Zeit des Wiener Kongresses.
Als zweite Station seiner diplomatischen Karriere
wurde Metternich von 1803 bis 1806 Gesandter in Berlin. Hier lernte er neben
preußischen Politikern, wie Karl August von
Hardenberg (1750-1822). Wilhelm von Humboldt und dem Freiherrn von Stein
auch Zar Alexander von Russland kennen. Obwohl er im November 1805 noch in
Potsdam einen Beistandsvertrag mit Preußen und Russland aushandelte, musste
Metternich einsehen, dass von den Partnern kaum militärische Hilfe gegen
Napoléon zu erwarten sei. Inzwischen standen Napoléons Armeen in Süddeutschland
und fügten den alleingelassenen Österreichern eine Niederlage nach der andern bei.
Nach der Schlacht bei Austerlitz musste sich Österreich Ende 1805 im Frieden
von Pressburg damit abfinden, die Einrichtung der von Frankreich geschaffenen Königreiche
von Bayern und Württemberg anzuerkennen.
Metternich wechselte Anfang 1806 als
Botschafter nach Paris, wo er bis 1809 blieb. Es war dies eine äußerst heikle
Mission. Es dauerte bis August 1808 bis er schließlich als Botschafter des
österreichischen, und nicht des römischen Kaisers akkreditiert wurde.
Napoléon und das Ende des ‚alten Reiches‘
Inzwischen hatte Napoléon ganz Europa seinen
Stempel aufgedrückt. Er besiegelte das Ende des Römischen Reiches Deutscher
Nation indem er 16 deutsche Rheinbundstaaten in August 1806 zwang, aus dem
Reich auszutreten. Auf Wunsch Napoléons legte daraufhin Kaiser Franz die römische Kaiserkrone nieder. Napoléon sah sich als Nachfolger Karls des Großen und
als der Protektor eines neuen Reiches.
Als nächstes bezwang Napoléon die demoralisierten
Preußen bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806, bevor er in Tilsit einen Frieden
schloss. Österreich startete seinerseits einen Angriff, erlitt aber im
März 1809 eine Niederlage bei Regensburg. Napoleon zog in Wien ein, der Kaiser
musste fliehen. Nach zwei weiteren Niederlagen bei Aspern und Wagram kam es zum
Frieden von Schönbrunn. Darin musste Österreich das Innviertel und
Salzburg an Bayern abtreten und den Rest Oberitaliens (sowie Dalmatien) an Frankreich.
In dieser Situation wurde Metternich Außenminister.
Es erfolgte jetzt ein außenpolitischen
Kurswechsel Österreichs. Metternich nannte dies ‚aktive‘ Neutralität. Er
vermied es damit, sich auf dem Niveau der 16 Rheinbundstaaten einzuordnen.
Seine Strategie bestand darin, Napoléon zu umschwärmen, anstatt ihn zu
bekämpfen. Die Folge war, dass eine Ehe Napoléons mit der österreichischen
Kaisertochter Marie Louise angebahnt wurde und Österreich sich
verpflichtete, Frankreich militärisch zu unterstützen. Das führte später dazu,
dass ein 30.000 Mann starkes Auxiliarkorps am Russlandfeldzug teilnahm,
sich aber von Kampfhandlungen weitgehend fernhielt. Metternich begleitete Marie
Louise und blieb ein halbes Jahr in Paris. Dies hatte den Effekt, dass Napoléon
Metternich sehr früh in seine Pläne Russland betreffend einweihte.
Napoléons Abstieg und Ende
Nach dem Brand Moskaus im Oktober 1812, schaltete
Metternich um. Er begann eine Front gegen Napoléon zu organisieren. Seine
Formel lautete jetzt ‚bewaffnete Mediation‘. Bereits im Mai 1813 schlug er eine
europäische Ordnung vor mit Russland, Preußen, England und Frankreich als Partnern. Dies fand
große Zustimmung bei seinem englischen Freund, dem Viscount Castelreagh (1769-1822). Dieser wurde später ein enger
Kooperationspartner und bestimmte wesentlich die Ergebnisse des Wiener
Kongresses. Metternich trug seine Pläne Napoléon bei einer 9-stündigen
persönlichen Unterredung in Dresden vor. Napoléon lehnte ab.
Metternich hat über dieses Gespräch ein
handschriftliches Protokoll angefertigt. Darin steht das für ihn so
schockierende Zitat: 'Un homme que moi
se f… de la vie d'un million d'hommes!'.
Das nicht ausgeschriebene Wort wird von Kennern als ‚fout‘ gelesen, was so viel wie ‚piepegal sein‘
heißt. Es kam noch zu einem Vermittlungsversuch im August in Prag, ehe es im
Oktober 1813 zur alles entscheidenden Schlacht bei Leipzig kam. Metternich
wurde am ersten Tag gefangen genommen, wurde jedoch von Napoléon freigelassen,
um zu verhandeln.
Die Verbündeten dachten nicht mehr daran und
wollen zuerst zum Rhein vorstoßen. Darauf wechselten die Rheinbundstaaten einer
nach dem andern die Seite. Große Begeisterung herrschte, als auch Bayern dies
tat. Bei einem Treffen mit dem Zar in Frankfurt überzeugten Metternich und
Castelreigh diesen nach der Vertreibung Napoléons wieder die Monarchie der
Bourbonen zur Macht zu verhelfen. Da Kaiser Franz und Metternich noch in Dijon festsaßen,
als der Zar schon in Paris einritt, verhandelte dieser allein mit Charles-Maurice de Talleyrand (1754-1838), dem selbsternannten Vertreter
Frankreichs. Als Metternich davon erfuhr, dass man Napoléon nicht weiter als
bis Elba verbannt hatte, gefiel dies ihm überhaupt nicht. Dennoch ließen er und
der Zar sich anschließend in London gemeinsam feiern, wobei die Verleihung der
Ehrendoktorwürde in Oxford für Metternich besonders erwähnenswert ist. Nach der
Völkerschlacht bei Leipzig 1813 wurde aus dem Grafen der Fürst Metternich.
Wiener Kongress ordnet Europa neu
Mit Castelreighs Hilfe hatte Metternich das
Konzept eines Friedenskongresses vorbereitet. Die vier Verbündeten der Völkerschlacht
von Leipzig sollten die Leitung übernehmen. Frankreich, Schweden, Spanien und Portugal
sollten beteiligt werden. Alle von
Napoléons territorialen Umstrukturierungen betroffenen Herrschaften,
Organisationen und Körperschaften konnten sich vertreten lassen. Metternichs
Freund Gentz würde Protokoll führen. Von den synchron laufenden Verhandlungen
seien vier Themenkreise erwähnt.
- Polen: Sowohl Preußen wie Russland wollen sich auf Polens Kosten ausdehnen. Ein dem Sachsenkönig zugeordneter Rest soll übrig bleiben.
- Deutschland: An die Stelle des Rheinbunds soll ein Deutscher Bund treten.
- Italien: Österreich soll alle an Frankreich verlorenen Gebiete, außer dem Kirchenstaat, zurück erhalten.
- Stellung der Reichsgrafen: Für die im ‚Alten Reich‘ dem Kaiser direkt unterstellten Personen und Territorien soll eine Regelung gefunden werden.
Für den Deutschen Bund wurde eine Art
österreichisch-preußische Doppelhegemonie vereinbart. Sowohl diese beiden Führer
wie auch mehrere Mitgliedsstaaten verfügten über Territorien, die außerhalb des
Bundes lagen. Im Prinzip gehörte alles zum Deutschen Bund, was im Mittelalter
zum Deutschen Reich gehörte, also auch Böhmen und Luxemburg. Der Idee eines
reinen Nationalstaats ging man bewusst aus dem Wege. Bei der Frage der
Reichsgrafen war Metternichs Familie direkt betroffen. Metternichs Vater, der
in dieser Angelegenheit seine Standesgenossen vertrat, konnte zwar den Titel
und einige andere Privilegien retten, nicht jedoch den gesamten alten Besitz.
Es gab keine Bischöfe mehr als Landesherrn und keine nicht-mediatisierten
Adeligen.
Als Diplomat (um 1820)
Mehr über den Kongress zu sagen, will ich mir
ersparen. Die Hauptfiguren (Zar Alexander, Castelreigh, Hardenberg und
Talleyrand) hatte Metternich bereits alle im Laufe seiner früheren Karriere
kennengelernt, ebenso wie einige der Nebenfiguren (Gentz, Bagration und Sagan).
Karlsbad und das System Metternich
Sowohl die hohe Staatsverschuldung wie diverse
Rückschläge wirtschaftlicher Art begünstigten
immer mehr einen fremdenfeindlichen Nationalismus, besonders in strukturarmen
Gebieten. Eine Veranstaltung, die Aufsehen erregte, war das 1817 begangene
Wartburg-Fest. Hier kam es zur Verbrennung liberaler Schriften. Dazu gehörte
auch ein Buch des Schriftstellers August von Kotzebue (1761-1819). Als dieser daraufhin von Weimar in
das angeblich sicherere Mannheim umzog, wurde er dort im März 1819 von einem
Teilnehmer des Wartburgfests ermordet. Der Täter war ein Burschenschafter und
Theologiestudent aus Jena mit Namen Karl Ludwig Sand. '… hier, Du Verräter
des Vaterlandes' soll er dabei gerufen
haben.
Metternich, der sich gerade auf Italienreise
befand, wurde von seinem Freund Gentz mit Ausschnitten deutscher und
österreichischer Zeitungen und Flugblättern der Burschenschaften versorgt.
Wegen der darin zum Ausdruck gebrachten Sympathie für den Täter, glaubte
Metternich, es mit einem Komplott zu tun zu haben. Er lud deshalb die Innenminister
von 11 Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes zu einem Treffen ein. Das Ergebnis
waren die berühmten Karlsbader
Beschlüsse. Sie enthielten ein Verbot
der Burschenschaften, einen staatlichen Beauftragten für jede Hochschule, der die
Lehre überwachen sollte sowie eine bundesweite Vorzensur für periodisch erscheinende
Schriften.
Im Mai 1820 wurde Sand wegen des Mordes zum
Tode verurteilt und hingerichtet. ‚Ich sterbe in der Kraft
meines Gottes‘, soll er gerufen haben [Das erinnert sehr an das ‚Allahu akbar‘
heutiger Terroristen und Gotteskrieger]. Zuschauer hätten ihre Taschentücher in das Blut des Enthaupteten getaucht. Die Bretter des Schafotts wurden von einem Anhänger Sands für den Bau eines Gartenhauses
verwendet. Die englische Presse war überrascht über das weit verbreitete Mitgefühl für Sand und die damit verbundene Kritik am ‚System
Metternich‘. Dieser Ausdruck stand unter Zeitgenossen bald für jeden Versuch
des Staates, sich gegen Aufwiegler zur Wehr zu setzen, ja, als Inbegriff
gesellschaftlicher Unterdrückung. Metternich wurde 1821 Staatskanzler. Sein
Freund Castelreigh starb 1822 durch Selbstmord.
Metternichs privates Leben und private Unternehmungen
Metternichs erste Ehefrau, Eleonore von
Kaunitz, starb 1825 in Paris. Er heiratete 1827 Antonia von Leykam, die damals
21 Jahre alt war. Seine dritte Frau hieß Melanie von Zichy-Ferraris, die er
1831 heirate. Sie starb 1854 im Alter von 49 Jahren. Insgesamt hatte Metternich
12 Kinder, von denen nur vier ihn überlebten.
Als Ersatz für den linksrheinischen Besitz
erhielt die Familie 1803 das säkularisierte Klostergut Ochsenhausen in
Oberschwaben. Da es hochverschuldet war, hatten die Metternichs wenig Freude
daran. Durch die Rheinbundakte Napoléons kam es im Jahre 1806 zu Württemberg
und verlor seine Reichsunmittelbarkeit. Der württembergische König galt den
untergeordneten Adeligen gegenüber als besonders unerträglich. Das verleitete
einen von ihnen (Waldburg-Zeil) zu dem Satz: ‚Lieber Sauhirt in der Türkei als Standesherr in
Württemberg`. Es gelang 1825 den Besitz an den württembergischen König für 1,2
Mio. Gulden zu verkaufen.
Nach dem Wiener Kongress schenkte der Kaiser den Metternichs 1816
Schloss Johannisberg im Rheingau, ein heute noch sehr berühmtes Weingut. Metternichs
Familie hielt sich dort regelmäßig auf und empfing gerne Gäste, vor allem aus
dem nahen Frankfurt. Heinrich Heine schrieb darüber: ‚Ich hielt den Wein, der
dort wächst, immer für den Besten, und für einen gar klugen Vogel den Herrn des Johannisbergs‘.
Als 1848 Mainzer und Frankfurter Turner das Weingut stürmten, wurde es
erfolgreich von seinem Nassauer Amtmann verteidigt. Metternich erwarb auch die beiden Schlösser Winneburg und Beilstein wieder. Er ließ beide jedoch
als Ruinen bestehen.
Gut Plaß
Nach dem Verkauf von Ochsenhausen erwarb
Metternich 1826 die frühere Zisterzienserabtei Plaß (tschechisch Plasy) in der
Nähe von Pilsen. Der Kaufpreis betrug 1,1 Mio. Gulden. Mit einem Kredit der Rothschilds wurde nach
Erz und Kohle geschürft. Man wurde fündig und eröffnete die Fertigung von Nägeln,
Löffeln, Achsen, Rädern, Pflugscharen, Herdplatten und dergleichen. Metternich baute auch eine
Wohnsiedlung für die dort tätigen über 300 Arbeiter.
Tod von Kaiser Franz und Metternichs Ende
Als Kaiser Franz 1835 starb und Ferdinand sein
Nachfolger wurde, verlor Metternich alsbald seine Stellung am Hofe. Der Finanzminister
soll nachgeholfen haben, indem er ihn als klerikal und Ultramontanen
denunzierte. Als 1848 Unruhen ausbrachen, zuerst in Palermo und Paris, griffen
sie alsbald auf Wien über. Demonstranten forderten eine Verfassung. Als sie am
13. März 1848 vor dem Regierungsgebäude erschienen und Metternich als ‚Hemmung
des Fortschritts‘ beschimpften, entschloss er sich zu fliehen.
Als Greis (um 1850)
Unter einem Decknamen reiste er per Kutsche
über Dresden und Hannover nach Den Haag. Von dort nahm er ein Schiff nach
England und gelangte am 19. April nach London. Seine Güter in Österreich wurden
beschlagnahmt. Er hatte Kontakte zu Wellington und Disraeli und verfolgte die Verhandlungen
in der Frankfurter Paulskirche. Im Oktober 1849 übersiedelte er nach Brüssel.
Anfang 1851 erlaubte Kaiser Franz Josef die Rückkehr nach Wien, wo er im Juni 1859
starb. Zum Leichenbegängnis erschienen Freunde, Bewunderer und Mitkämpfer, um ihm die
letzte Ehre zu erweisen.
NB: Wie die deutsche oder - genauer gesagt - die kleindeutsche Geschichte weiterging, hatte ich im Juni 2014 in diesem Blog beschrieben.
NB: Wie die deutsche oder - genauer gesagt - die kleindeutsche Geschichte weiterging, hatte ich im Juni 2014 in diesem Blog beschrieben.
Peter Hiemann aus Grasse schrieb:
AntwortenLöschenich habe die Ausführungen über Metternich mit großem Interesse gelesen. Ich war gespannt, ob ich etwas erfahren konnte, das ich bei meinen Überlegungen zum Thema 'politische Perspektiven' berücksichtigen sollte. Im folgenden ein Abschnitt meiner Überlegungen:
Gesellschaft aus autokratischer Systemperspektive
Ludwig XIV. (1638 – 1715) war der Ansicht: „L’État c'est moi“. Er ist als „Sonnenkönig“, um das sich alles dreht, in die Geschichtsbücher eingegangen. Vermutlich glaubte er zu wissen und bestimmen zu müssen, wie aus ungeordneten Ansammlungen von Individuen geordnete Strukturen des Staates zu formen sind. Vielleicht erklären die Schriften Clemens Metternichs am besten, nach welchen Regeln monarchistische Systeme funktionierten.
Clemens von Metternich (1773–1859) gilt als Schöpfer des nach ihm benannten metternichschen Systems. Dieses System umfasst Vorschläge für die politische Gestaltung Europas des 19. Jahrhunderts. Solche Vorschläge waren notwendig geworden, weil Grenzen und Eigentumsvereinbarungen zwischen europäischen Mächten, die durch Napoleon als Folge der Französische Revolution verändert worden waren, neu verhandelt werden mussten. Es ging bei der „Neugestaltung Europas“ um die Restauration der politischen Verhältnisse eines monarchistisch regierten Europas, das gegen die Ideen der Aufklärung abgesichert werden sollte. Lässt man die feudalistischen Interessen Metternichs beiseite, definiert das metternichsche System eine klare politische Strategie. Das System baut auf den drei Hauptsäulen Legitimität, Autorität und Stabilität auf. Um das System zu stützen, müssen Regierungen folgende politischen Prinzipien beachten: Gottgegebene Legitimität, politisches Machtmonopol, Gleichgewicht der inneren Mächte, Verhinderung oppositioneller [d.h. aufwieglerischer] Gruppen, Verteidigung existierender Zustände. Der Historiker Manfred Botzenhart schätzt, wenn Metternich auch den Systembegriff ablehnte, sprach er doch von „politischen Prinzipien,“ die für ihn den gleichen Geltungsanspruch hatten wie Naturgesetze.
Es ist nicht zu übersehen, dass autokratisch orientierte politische Systeme des 21. Jahrhundert sich mehr oder weniger nach Metternichs Prinzipien orientieren.
Wenn ich aus einer 1000-Jahre lang sich selbst versorgenden Familie entstammen würde, gesehen hätte, was Sansculotten an Unsinn anrichten, und außerdem lernte, wie ein 'Parvenu' namens Napoleon sich aufspielt und was den 'kühlen' Engländern erspart bleibt, was würde ich dem Erbmonarchen eines übernationalen Gebildes, genannt Römisches Reich Deutscher Nation, raten?
AntwortenLöschenMan darf nicht aus heutiger Sicht urteilen, sondern nur mit dem Wissen der damaligen Zeit. Nur so sollte man Metternich beurteilen. Der Nicht-Preuße Siemann kann dabei helfen.
Die EU hat zwar weniger, aber durchaus ähnliche Probleme. Das UK hat sich gerade abgesondert, wobei Theresa May - wie sie gestern Donald Tusk verriet - inständig hofft, dass auch Nordirland, Schottland, Wales und Gibraltar ihr die Stange halten.
Peter Hiemann schrieb:
AntwortenLöschenAuch ich bin der Ansicht, dass sich viele Repräsentanten der Französischen Revolution irrsinnig verhalten haben. Wohl niemand bezweifelt heute, dass Napoleons imperiale Pläne wahnsinnig waren. Auf der anderen Seite haben sich Napoleons Vorstellungen eines modernen Zivilrechts bewährt.
Metternich hat sich im Rahmen seiner persönlichen Erfahrungen und Möglichkeiten um den gesellschaftlichen Frieden im Europa seiner Epoche verdient gemacht hat. Es spricht gegen Persönlichkeiten wie Putin, Erdogan oder Trump, dass ihnen nichts besseres eingefallen ist, als sich auf Metternichs Vorstellungen zu beziehen. Es spricht für Metternich, dass dessen Vorstellungen sehr solide durchdacht waren.