Dienstag, 28. März 2017

Metternich und sein System im Spiegel der neueren Geschichtsforschung

Wer an Napoléon als den Veränderer Europas denkt, kann eigentlich nicht seinen großen Gegenspieler Metternich übersehen. Sein Bild schwankt allerdings in der Geschichte. Für die Bürger, aber erst recht für die Adligen meiner Heimat, war er eine der wichtigsten politischen Bezugspersonen, bevor wir von den Preußen ‚umerzogen‘ wurden. Anstatt für ihn wurden für den Preußen Bismarck überall im Rheinland Denkmäler errichtet, damit er als Lichtgestalt der Geschichte einen Platz in unserem Bewusstsein einnahm. Der Münchner Historiker Wolfram Siemann (*1946) legte im Jahre 2016 eine neue Biographie vor, die versucht das Bild etwas zurechtzurücken. Sie heißt Metternich  ̶  Stratege und Visionär und umfasst gedruckt etwa 940 Seiten.


Während Studienzeit um 1790

Siemann zeichnet Metternich als einen Kosmopoliten und Anhänger der alten Reichsordnung, der sich dagegen wehrte, dass ‚deutsch‘ als kleindeutsch definiert oder gar mit preußisch gleichgesetzt wurde. Eine der letzten großen Biographien Metternichs erschien 1926 von dem Österreicher Heinrich von Srbik (1878-1951). Er war später NSDAP-Mitglied und begeisterter Befürworter des Anschlusses an Deutschland. Nach ihm soll Metternich keinerlei Willen gezeigt haben, einem deutschen Kulturimperialismus Vorschub zu leisten. Außerdem habe er sich von jeglichem 'Germanisieren' distanziert und war für die Gleichberechtigung aller Nationalitäten innerhalb der österreichischen Monarchie. Nach diesem Vergleich konnte ich – als Rheinländer und Liberaler  ̶  nicht mehr widerstehen und musste das Buch lesen. Für mich hat es sich gelohnt. Im Folgenden gebe ich vor allem die Details wieder, die für mich neu und interessant waren.

Herkunft und Aufstieg der Familie

Die Familie ist seit der Merowigerzeit, also dem fünften Jahrhundert nach Chr., in der Kölner und Trierer Gegend nachgewiesen. Es wird teilweise sogar angenommen, sie sei römischen Ursprungs gewesen. Sie hat am Fuß der Burg Hemmerich den Ort Metternich gegründet und nannte sich später Herren zu Metternich. Metternich ist heute ein Ortsteil von Weilerswist und liegt etwa 30 km westlich von Bonn, auf halbem Wege nach Euskirchen. Der Kernbesitz der Familie lag im Tal der Swist, einem Lössgebiet zwischen Eifel und Ville.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist die Stammesfolge der Hauptlinie für 14 Generationen nachgewiesen, beginnend mit einem Sibodo (ca. 1325 – ca. 1382), einem Lehensmann des Erzstifts Köln. Diese Linie führt drei Jakobsmuscheln im Wappen. Es gab mehrere, heute größtenteils ausgestorbene Nebenlinien, so die Burscheid (in Luxemburg), Niederberg, Chursdorf (in Hessen), Rodendorf (in Lothringen) und Müllerarck. Mit dem Erwerb der Winneburg und der Burg Beilstein, beide bei Cochem an der Mosel, verlegte die Stammlinie 1552 ihren Hauptsitz an die Untermosel und führte beide Burgnamen als Teil des Titels. Als Dank für die Unterstützung des Hauses Habsburg im 30-jährigen Krieg bzw. bei der nachfolgenden Kaiserwahl wurde die Familie 1635 zu Freiherrn und 1679 zu Grafen erhoben.

Zum Ansehen und Selbstbewusstsein des Hauses trug es bei, dass es drei kurfürstliche Erzbischöfe hervorgebracht hatte. Der einflussreichte von ihnen war Lothar, der Erzbischof von Trier (1599-1623). Später folgten Lothar Friedrich als Erzbischof  von Mainz (1673-1675), und Karl Heinrich, ebenfalls in Mainz (1679). Des Weiteren gab es über 100 geistliche Domherren in Trier, Köln und Mainz, die der Familie entstammten. Unter ihrem Einfluss wurde dafür gesorgt, dass das Familienvermögen nicht zersplittert wurde. Es wurde 1648 in eine unteilbare Stiftung (ein so genanntes Fideikommiss) überführt.

All dies verlieh den Familienmitgliedern ein hohes Maß an Unabhängigkeit und Selbstsicherheit. Man beanspruchte stets aus eigenem Recht zu leben, mit eigenem Besitz und eigener Herrschaft über Land und Leute. Auf ‚Parvenus‘, wie etwa Napoléon einer war, schaute man herab. Die Metternichs gaben sich einen sehr bezeichnenden Wappenspruch, nämlich 'Kraft im Recht'. [Mich erinnert dies unwillkürlich an ‚Kraft durch Freude‘!] Die drei Fundamente, auf denen alles ruhte, hießen Kaiser, Kirche, Familienstärke. Dank der expliziten Hilfe seiner geistlichen Mitglieder gelang es der Familie in den religiösen Wirren um den 30-jährigen Krieg herum ein vorher Protestanten gehörendes größeres Landgut in Böhmen zu erwerben. Schloss Königswart (tschechisch Kynzvart) wurde 1794, also nach der französischen Besetzung des linken Rheinufers, zur Zuflucht der Familie. Heute ist es ein Golfclub.



Gut Königswart

Eltern, Jugend und Ausbildung

Metternichs Vater, Franz Georg von Metternich (1746-1818), war Gesandter des Kaisers an den Höfen der Kurfürsten von Trier und Köln mit Sitz in Koblenz. In der Zeit von 1791-1794 war er ‚dirigierender Minister‘ für die österreichischen Niederlande in Brüssel. Die Mutter war eine Maria Beatrix von Kageneck. Vater und Mutter standen mit ihren Kindern stets in französisch-sprachlichem brieflichen Kontakt, wenn immer sie an getrennten Orten lebten.

Klemens Wenzel Lothar Nepomuk von Metternich (1773-1859) wurde im heute noch bestehenden Palais der Familie in Koblenz geboren. Der Trierer Bischof und Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Sachsen wurde sein Taufpate. Er und sein jüngerer Bruder Josef wurden von zwei Hauslehrern im Sinne der Aufklärung unterrichtet. Einer von ihnen war der elsässische Protestant Johann Friedrich Simon. In Begleitung ihrer Hauslehrer gingen beide Brüder von 1788-1790 zum Studium nach Straßburg. Unter anderem belegte man Staatskunde bei dem Historiker Christoph Wilhelm von Koch. Von ihm stammt der Satz: ‚Die Geschichte ist eine Abfolge von Fortschritten und Täuschungen, von Aufklärung und Aberglauben‘. In Straßburg erlebte man Ende Juli 1789 die Erstürmung des Rathauses durch Revolutionäre, angeführt von Johann Friedrich Simon, der sich später in Paris den Jakobinern anschloss. [Übrigens wurde nach der Niederschlagung des Aufstands durch die Bürgerwehr am 23.7.1789 ein aus Mainz stammender Zimmergeselle gehängt, angeblich weil er 60 Louisdor bei der Rathausplünderung mitgenommen haben soll]

Überleben in einer Revolution, England-Erfahrung

Metternich wollte sein Studium an der Universität in Mainz fortsetzen, was aber durch den 1792 erfolgten Einmarsch französischer Revolutionstruppen unter General Custine verhindert wurde. Er ging deshalb vorübergehend zu seinem Vater nach Brüssel. Von dort aus verfolgte er, was in Mainz und anderswo ablief. Er las mit Interesse alle Schriften, welche die Mainzer Republikaner produzierten, so auch die von Georg Forster. Auch nahm er das vorschnelle Ende der Mainzer Republik zur Kenntnis, herbeigeführt durch den Einmarsch preußischer und hessischer Truppen und die darauffolgende Hinrichtung Custines auf der Guillotine in Paris.

Anstatt in Deutschland weiter zu studieren, bewog ihn sein Vater zunächst nach England zu gehen, wo er von März bis Juli 1794 blieb. Dieser (erste) Aufenthalt beeinflusste sein Weltbild derart, dass er immer wieder darauf Bezug nahm, bis an sein Lebensende. Unter anderem hatte er die Schriften von Edmund Burke (1729-1797) genau studiert. Vor allem dessen Buch 'Reflections on the French Revolution' von 1790 hatte es ihm angetan. Er ließ es später von seinem Freund Friedrich Gentz ins Deutsche übersetzen.

Burke argumentierte, dass Ordnung und das Recht auf Eigentum die Grundlagen jeder Gesellschaft seien. Der Fortschritt habe auch Kehrseiten, es sei denn er ist gebunden an die Idee einer generationenübergreifenden Gemeinschaft. Durch Verlust der 'alten Ordnung' mache sich eine Regierung abhängig von der 'Zustimmung durch warme Anhänger und enthusiastische Verfechter'.  Eine Demokratie kann leicht in eine Demagogie entarten. Die Kraft der Freiheit muss 'operationalisiert' werden in Frieden und Ordnung.

Metternich pflegte die Sitzungen des Oberhauses zu besuchen, wo er Burke persönlich erleben konnte. Ihn beeindruckte die uralte Universität in Oxford, die pulsierende Finanzwelt (City) und die in Portsmouth erkennbare Seemacht. Er war enttäuscht von den ‚kümmerlichen‘ Stadthäusern des Adels. 'Dieses große Land...ist stark durch seine unerschütterliche Überzeugung vom Wert des Rechts, der Ordnung und der Freiheit', so schrieb er noch 1848. 'Wenn ich nicht das wäre, was ich bin, wollte ich ein Engländer sein' (so steht es in einem Brief von 1819).

Neustart in Wien und Heirat

Metternichs Vater musste im Juli 1794 vor den französischen Revolutionstruppen aus Brüssel fliehen. Er wurde entlassen und reiste über Benrath (bei Düsseldorf) nach Wien. Der Sohn Klemens wäre am liebsten in die USA ausgewandert, entschied sich aber dafür in Europa zu bleiben, weil er Stammhalter im Fideikommiss der Familie war. Während das Haus in Koblenz, insbesondere seine Bibliothek, geplündert wurde, betätigte sich Metternich auf dem Gut Königswart in Böhmen. Er bemühte sich darum, den Besitz zu sichern und die Finanzen zu ordnen.

Es soll während des Faschings 1795 in Wien gewesen sein, als Eleonore von Kaunitz und Metternich sich kennen lernten. Sie war eine Enkeltochter von Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg (1711-1792), dem Staatskanzler unter Maria Theresia, Josef II. und Leopold II.  Eleonore muss ihren Vater schnell dafür gewonnen haben, der Ehe zuzustimmen. Trotzdem fand eine strenge Vermögensprüfung statt. Dabei wurde der linksrheinische Besitz der Metternichs als irreal (also nicht verfügbar) angesehen. Die böhmischen Güter waren teils verschuldet. Der Kaiser rettete die Situation, indem er dem Vater Metternichs eine Gratifikation für seine Tätigkeit in Belgien überwies, die es ihm erlaubte, auf einen Schlag alle Schulden zu tilgen. Die Hochzeit fand im September 1795 auf Schloss Austerlitz statt. Das Stadthaus der Familie Kaunitz ist heute Amtssitz des österreichischen Bundeskanzlers. 

Metternich selbst hörte ab 1795 Vorlesungen an der Universität Wien in Geologie, Chemie, Physik, Botanik und Medizin [In dieser Phase könnte Kontakt zu dem Niederweiser Baron, Klemenz Wenzel von der Heyden, bestanden haben, der um die gleiche Zeit in Wien studierte].

Durch die erste Niederlage gegen Napoléon in Italien und den Frieden von Campo Formio verlor Österreich unter anderem das linke Rheinufer. Für die anschließenden Verhandlungen in Rastatt Anfang 1798 bis Anfang 1799 wurde Metternichs Vater der Bevollmächtigte des österreichischen Kaisers. Metternich Junior begleitete ihn als Sekretär.

Erste diplomatische Stationen: Dresden, Berlin, Paris

Metternich wurde 1801 als Gesandter Österreichs an den sächsisch-polnischen Königshof nach Dresden geschickt. Seine 104 Seiten umfassenden politischen Instruktionen hatte er vollständig selbst verfasst und vom Kaiser genehmigen lassen. Zu den Analysen, die er von Dresden nach Wien lieferte, gehören Aussagen wie diese: Preußen versucht die Reichsverfassung zu zerstören und leidet an einer blinden Verdickungssucht; England strebt ein Welthandelsmonopol an. Persönlich von Bedeutung wurde der Aufenthalt durch drei Bekanntschaften, die er hier machte, die Gräfin Bagration, Wilhelmine von Sagan und den Preußen Friedrich Gentz. Mit allen dreien hatte er später immer wieder intensiven Kontakt, insbesondere während der Zeit des Wiener Kongresses.

Als zweite Station seiner diplomatischen Karriere wurde Metternich von 1803 bis 1806 Gesandter in Berlin. Hier lernte er neben preußischen Politikern, wie Karl August von Hardenberg (1750-1822). Wilhelm von Humboldt und dem Freiherrn von Stein auch Zar Alexander von Russland kennen. Obwohl er im November 1805 noch in Potsdam einen Beistandsvertrag mit Preußen und Russland aushandelte, musste Metternich einsehen, dass von den Partnern kaum militärische Hilfe gegen Napoléon zu erwarten sei. Inzwischen standen Napoléons Armeen in Süddeutschland und fügten den alleingelassenen Österreichern eine Niederlage nach der andern bei. Nach der Schlacht bei Austerlitz musste sich Österreich Ende 1805 im Frieden von Pressburg damit abfinden, die Einrichtung der von Frankreich geschaffenen Königreiche von Bayern und Württemberg anzuerkennen.

Metternich wechselte Anfang 1806 als Botschafter nach Paris, wo er bis 1809 blieb. Es war dies eine äußerst heikle Mission. Es dauerte bis August 1808 bis er schließlich als Botschafter des österreichischen, und nicht des römischen Kaisers akkreditiert wurde.

Napoléon und das Ende des ‚alten Reiches‘ 

Inzwischen hatte Napoléon ganz Europa seinen Stempel aufgedrückt. Er besiegelte das Ende des Römischen Reiches Deutscher Nation indem er 16 deutsche Rheinbundstaaten in August 1806 zwang, aus dem Reich auszutreten. Auf Wunsch Napoléons legte daraufhin Kaiser Franz die römische Kaiserkrone nieder. Napoléon sah sich als Nachfolger Karls des Großen und als der  Protektor eines neuen Reiches. 

Als nächstes bezwang Napoléon die demoralisierten Preußen bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806, bevor er in Tilsit einen Frieden schloss. Österreich startete seinerseits einen Angriff, erlitt aber im März 1809 eine Niederlage bei Regensburg. Napoleon zog in Wien ein, der Kaiser musste fliehen. Nach zwei weiteren Niederlagen bei Aspern und Wagram kam es zum Frieden von Schönbrunn. Darin musste Österreich das Innviertel und Salzburg an Bayern abtreten und den Rest Oberitaliens (sowie Dalmatien) an Frankreich. In dieser Situation wurde Metternich Außenminister. 

Es erfolgte jetzt ein außenpolitischen Kurswechsel Österreichs. Metternich nannte dies ‚aktive‘ Neutralität. Er vermied es damit, sich auf dem Niveau der 16 Rheinbundstaaten einzuordnen. Seine Strategie bestand darin, Napoléon zu umschwärmen, anstatt ihn zu bekämpfen. Die Folge war, dass eine Ehe Napoléons mit der österreichischen Kaisertochter Marie Louise angebahnt wurde und Österreich sich verpflichtete, Frankreich militärisch zu unterstützen. Das führte später dazu, dass ein 30.000 Mann starkes Auxiliarkorps am Russlandfeldzug teilnahm, sich aber von Kampfhandlungen weitgehend fernhielt. Metternich begleitete Marie Louise und blieb ein halbes Jahr in Paris. Dies hatte den Effekt, dass Napoléon Metternich sehr früh in seine Pläne Russland betreffend einweihte.

Napoléons Abstieg und Ende

Nach dem Brand Moskaus im Oktober 1812, schaltete Metternich um. Er begann eine Front gegen Napoléon zu organisieren. Seine Formel lautete jetzt ‚bewaffnete Mediation‘. Bereits im Mai 1813 schlug er eine europäische Ordnung vor mit Russland, Preußen, England und Frankreich als Partnern. Dies fand große Zustimmung bei seinem englischen Freund, dem Viscount Castelreagh (1769-1822). Dieser wurde später ein enger Kooperationspartner und bestimmte wesentlich die Ergebnisse des Wiener Kongresses. Metternich trug seine Pläne Napoléon bei einer 9-stündigen persönlichen Unterredung in Dresden vor. Napoléon lehnte ab.

Metternich hat über dieses Gespräch ein handschriftliches Protokoll angefertigt. Darin steht das für ihn so schockierende Zitat:  'Un homme que moi se f…  de la vie d'un million d'hommes!'. Das nicht ausgeschriebene Wort wird von Kennern als ‚fout‘  gelesen, was so viel wie ‚piepegal sein‘ heißt. Es kam noch zu einem Vermittlungsversuch im August in Prag, ehe es im Oktober 1813 zur alles entscheidenden Schlacht bei Leipzig kam. Metternich wurde am ersten Tag gefangen genommen, wurde jedoch von Napoléon freigelassen, um zu verhandeln.

Die Verbündeten dachten nicht mehr daran und wollen zuerst zum Rhein vorstoßen. Darauf wechselten die Rheinbundstaaten einer nach dem andern die Seite. Große Begeisterung herrschte, als auch Bayern dies tat. Bei einem Treffen mit dem Zar in Frankfurt überzeugten Metternich und Castelreigh diesen nach der Vertreibung Napoléons wieder die Monarchie der Bourbonen zur Macht zu verhelfen. Da Kaiser Franz und Metternich noch in Dijon festsaßen, als der Zar schon in Paris einritt, verhandelte dieser allein mit Charles-Maurice de Talleyrand (1754-1838), dem selbsternannten Vertreter Frankreichs. Als Metternich davon erfuhr, dass man Napoléon nicht weiter als bis Elba verbannt hatte, gefiel dies ihm überhaupt nicht. Dennoch ließen er und der Zar sich anschließend in London gemeinsam feiern, wobei die Verleihung der Ehrendoktorwürde in Oxford für Metternich besonders erwähnenswert ist. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 wurde aus dem Grafen der Fürst Metternich.

Wiener Kongress ordnet Europa neu

Mit Castelreighs Hilfe hatte Metternich das Konzept eines Friedenskongresses vorbereitet. Die vier Verbündeten der Völkerschlacht von Leipzig sollten die Leitung übernehmen. Frankreich, Schweden, Spanien und Portugal sollten beteiligt werden. Alle von Napoléons territorialen Umstrukturierungen betroffenen Herrschaften, Organisationen und Körperschaften konnten sich vertreten lassen. Metternichs Freund Gentz würde Protokoll führen. Von den synchron laufenden Verhandlungen seien vier Themenkreise erwähnt.

  • Polen: Sowohl Preußen wie Russland wollen sich auf Polens Kosten ausdehnen. Ein dem Sachsenkönig zugeordneter Rest soll übrig bleiben.
  • Deutschland: An die Stelle des Rheinbunds soll ein Deutscher Bund treten.
  • Italien: Österreich soll alle an Frankreich verlorenen Gebiete, außer dem Kirchenstaat, zurück erhalten.
  • Stellung der Reichsgrafen: Für die im ‚Alten Reich‘ dem Kaiser direkt unterstellten Personen und Territorien soll eine Regelung gefunden werden.

Für den Deutschen Bund wurde eine Art österreichisch-preußische Doppelhegemonie vereinbart. Sowohl diese beiden Führer wie auch mehrere Mitgliedsstaaten verfügten über Territorien, die außerhalb des Bundes lagen. Im Prinzip gehörte alles zum Deutschen Bund, was im Mittelalter zum Deutschen Reich gehörte, also auch Böhmen und Luxemburg. Der Idee eines reinen Nationalstaats ging man bewusst aus dem Wege. Bei der Frage der Reichsgrafen war Metternichs Familie direkt betroffen. Metternichs Vater, der in dieser Angelegenheit seine Standesgenossen vertrat, konnte zwar den Titel und einige andere Privilegien retten, nicht jedoch den gesamten alten Besitz. Es gab keine Bischöfe mehr als Landesherrn und keine nicht-mediatisierten Adeligen.


Als Diplomat (um 1820)

Mehr über den Kongress zu sagen, will ich mir ersparen. Die Hauptfiguren (Zar Alexander, Castelreigh, Hardenberg und Talleyrand) hatte Metternich bereits alle im Laufe seiner früheren Karriere kennengelernt, ebenso wie einige der Nebenfiguren (Gentz, Bagration und Sagan).

Karlsbad und das System Metternich

Sowohl die hohe Staatsverschuldung wie diverse Rückschläge wirtschaftlicher Art begünstigten immer mehr einen fremdenfeindlichen Nationalismus, besonders in strukturarmen Gebieten. Eine Veranstaltung, die Aufsehen erregte, war das 1817 begangene Wartburg-Fest. Hier kam es zur Verbrennung liberaler Schriften. Dazu gehörte auch ein Buch des Schriftstellers August von Kotzebue (1761-1819). Als dieser daraufhin von Weimar in das angeblich sicherere Mannheim umzog, wurde er dort im März 1819 von einem Teilnehmer des Wartburgfests ermordet. Der Täter war ein Burschenschafter und Theologiestudent aus Jena mit Namen Karl Ludwig Sand. '… hier, Du Verräter des Vaterlandes'  soll er dabei gerufen haben.

Metternich, der sich gerade auf Italienreise befand, wurde von seinem Freund Gentz mit Ausschnitten deutscher und österreichischer Zeitungen und Flugblättern der Burschenschaften versorgt. Wegen der darin zum Ausdruck gebrachten Sympathie für den Täter, glaubte Metternich, es mit einem Komplott zu tun zu haben. Er lud deshalb die Innenminister von 11 Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes zu einem Treffen ein. Das Ergebnis waren die berühmten Karlsbader Beschlüsse. Sie enthielten ein Verbot der Burschenschaften, einen staatlichen Beauftragten für jede Hochschule, der die Lehre überwachen sollte sowie eine bundesweite Vorzensur für periodisch erscheinende Schriften.

Im Mai 1820 wurde Sand wegen des Mordes zum Tode verurteilt und hingerichtet. ‚Ich sterbe in der Kraft meines Gottes‘, soll er gerufen haben [Das erinnert sehr an das ‚Allahu akbar‘ heutiger Terroristen und Gotteskrieger]. Zuschauer hätten ihre Taschentücher in das Blut des Enthaupteten getaucht. Die Bretter des Schafotts wurden von einem Anhänger Sands für den Bau eines Gartenhauses verwendet. Die englische Presse war überrascht über das weit verbreitete Mitgefühl für Sand und die damit verbundene Kritik am ‚System Metternich‘. Dieser Ausdruck stand unter Zeitgenossen bald für jeden Versuch des Staates, sich gegen Aufwiegler zur Wehr zu setzen, ja, als Inbegriff gesellschaftlicher Unterdrückung. Metternich wurde 1821 Staatskanzler. Sein Freund Castelreigh starb 1822 durch Selbstmord.

Metternichs privates Leben und private Unternehmungen

Metternichs erste Ehefrau, Eleonore von Kaunitz, starb 1825 in Paris. Er heiratete 1827 Antonia von Leykam, die damals 21 Jahre alt war. Seine dritte Frau hieß Melanie von Zichy-Ferraris, die er 1831 heirate. Sie starb 1854 im Alter von 49 Jahren. Insgesamt hatte Metternich 12 Kinder, von denen nur vier ihn überlebten.

Als Ersatz für den linksrheinischen Besitz erhielt die Familie 1803 das säkularisierte Klostergut Ochsenhausen in Oberschwaben. Da es hochverschuldet war, hatten die Metternichs wenig Freude daran. Durch die Rheinbundakte Napoléons kam es im Jahre 1806 zu Württemberg und verlor seine Reichsunmittelbarkeit. Der württembergische König galt den untergeordneten Adeligen gegenüber als besonders unerträglich. Das verleitete einen von ihnen (Waldburg-Zeil) zu dem Satz: ‚Lieber Sauhirt in der Türkei als Standesherr in Württemberg`. Es gelang 1825 den Besitz an den württembergischen König für 1,2 Mio. Gulden zu verkaufen.

Nach dem Wiener Kongress schenkte der Kaiser den Metternichs 1816 Schloss Johannisberg im Rheingau, ein heute noch sehr berühmtes Weingut. Metternichs Familie hielt sich dort regelmäßig auf und empfing gerne Gäste, vor allem aus dem nahen Frankfurt. Heinrich Heine schrieb darüber: ‚Ich hielt den Wein, der dort wächst, immer für den Besten, und für einen gar klugen Vogel den Herrn des Johannisbergs‘. Als 1848 Mainzer und Frankfurter Turner das Weingut stürmten, wurde es erfolgreich von seinem Nassauer Amtmann verteidigt. Metternich erwarb auch die beiden Schlösser Winneburg und Beilstein wieder. Er ließ beide jedoch als Ruinen bestehen.


Gut Plaß

Nach dem Verkauf von Ochsenhausen erwarb Metternich 1826 die frühere Zisterzienserabtei Plaß (tschechisch Plasy) in der Nähe von Pilsen. Der Kaufpreis betrug 1,1 Mio. Gulden. Mit einem Kredit der Rothschilds wurde nach Erz und Kohle geschürft. Man wurde fündig und eröffnete die Fertigung von Nägeln, Löffeln, Achsen, Rädern, Pflugscharen, Herdplatten und dergleichen. Metternich baute auch eine Wohnsiedlung für die dort tätigen über 300 Arbeiter.

Tod von Kaiser Franz und Metternichs Ende

Als Kaiser Franz 1835 starb und Ferdinand sein Nachfolger wurde, verlor Metternich alsbald seine Stellung am Hofe. Der Finanzminister soll nachgeholfen haben, indem er ihn als klerikal und Ultramontanen denunzierte. Als 1848 Unruhen ausbrachen, zuerst in Palermo und Paris, griffen sie alsbald auf Wien über. Demonstranten forderten eine Verfassung. Als sie am 13. März 1848 vor dem Regierungsgebäude erschienen und Metternich als ‚Hemmung des Fortschritts‘ beschimpften, entschloss er sich zu fliehen.


Als Greis (um 1850)

Unter einem Decknamen reiste er per Kutsche über Dresden und Hannover nach Den Haag. Von dort nahm er ein Schiff nach England und gelangte am 19. April nach London. Seine Güter in Österreich wurden beschlagnahmt. Er hatte Kontakte zu Wellington und Disraeli und verfolgte die Verhandlungen in der Frankfurter Paulskirche. Im Oktober 1849 übersiedelte er nach Brüssel. Anfang 1851 erlaubte Kaiser Franz Josef die Rückkehr nach Wien, wo er im Juni 1859 starb. Zum Leichenbegängnis erschienen Freunde, Bewunderer und Mitkämpfer, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

NB: Wie die deutsche oder - genauer gesagt - die kleindeutsche Geschichte weiterging, hatte ich im Juni 2014 in diesem Blog beschrieben.

3 Kommentare:

  1. Peter Hiemann aus Grasse schrieb:

    ich habe die Ausführungen über Metternich mit großem Interesse gelesen. Ich war gespannt, ob ich etwas erfahren konnte, das ich bei meinen Überlegungen zum Thema 'politische Perspektiven' berücksichtigen sollte. Im folgenden ein Abschnitt meiner Überlegungen:

    Gesellschaft aus autokratischer Systemperspektive

    Ludwig XIV. (1638 – 1715) war der Ansicht: „L’État c'est moi“. Er ist als „Sonnenkönig“, um das sich alles dreht, in die Geschichtsbücher eingegangen. Vermutlich glaubte er zu wissen und bestimmen zu müssen, wie aus ungeordneten Ansammlungen von Individuen geordnete Strukturen des Staates zu formen sind. Vielleicht erklären die Schriften Clemens Metternichs am besten, nach welchen Regeln monarchistische Systeme funktionierten.

    Clemens von Metternich (1773–1859) gilt als Schöpfer des nach ihm benannten metternichschen Systems. Dieses System umfasst Vorschläge für die politische Gestaltung Europas des 19. Jahrhunderts. Solche Vorschläge waren notwendig geworden, weil Grenzen und Eigentumsvereinbarungen zwischen europäischen Mächten, die durch Napoleon als Folge der Französische Revolution verändert worden waren, neu verhandelt werden mussten. Es ging bei der „Neugestaltung Europas“ um die Restauration der politischen Verhältnisse eines monarchistisch regierten Europas, das gegen die Ideen der Aufklärung abgesichert werden sollte. Lässt man die feudalistischen Interessen Metternichs beiseite, definiert das metternichsche System eine klare politische Strategie. Das System baut auf den drei Hauptsäulen Legitimität, Autorität und Stabilität auf. Um das System zu stützen, müssen Regierungen folgende politischen Prinzipien beachten: Gottgegebene Legitimität, politisches Machtmonopol, Gleichgewicht der inneren Mächte, Verhinderung oppositioneller [d.h. aufwieglerischer] Gruppen, Verteidigung existierender Zustände. Der Historiker Manfred Botzenhart schätzt, wenn Metternich auch den Systembegriff ablehnte, sprach er doch von „politischen Prinzipien,“ die für ihn den gleichen Geltungsanspruch hatten wie Naturgesetze.

    Es ist nicht zu übersehen, dass autokratisch orientierte politische Systeme des 21. Jahrhundert sich mehr oder weniger nach Metternichs Prinzipien orientieren.

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  2. Wenn ich aus einer 1000-Jahre lang sich selbst versorgenden Familie entstammen würde, gesehen hätte, was Sansculotten an Unsinn anrichten, und außerdem lernte, wie ein 'Parvenu' namens Napoleon sich aufspielt und was den 'kühlen' Engländern erspart bleibt, was würde ich dem Erbmonarchen eines übernationalen Gebildes, genannt Römisches Reich Deutscher Nation, raten?

    Man darf nicht aus heutiger Sicht urteilen, sondern nur mit dem Wissen der damaligen Zeit. Nur so sollte man Metternich beurteilen. Der Nicht-Preuße Siemann kann dabei helfen.

    Die EU hat zwar weniger, aber durchaus ähnliche Probleme. Das UK hat sich gerade abgesondert, wobei Theresa May - wie sie gestern Donald Tusk verriet - inständig hofft, dass auch Nordirland, Schottland, Wales und Gibraltar ihr die Stange halten.

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  3. Peter Hiemann schrieb:

    Auch ich bin der Ansicht, dass sich viele Repräsentanten der Französischen Revolution irrsinnig verhalten haben. Wohl niemand bezweifelt heute, dass Napoleons imperiale Pläne wahnsinnig waren. Auf der anderen Seite haben sich Napoleons Vorstellungen eines modernen Zivilrechts bewährt.

    Metternich hat sich im Rahmen seiner persönlichen Erfahrungen und Möglichkeiten um den gesellschaftlichen Frieden im Europa seiner Epoche verdient gemacht hat. Es spricht gegen Persönlichkeiten wie Putin, Erdogan oder Trump, dass ihnen nichts besseres eingefallen ist, als sich auf Metternichs Vorstellungen zu beziehen. Es spricht für Metternich, dass dessen Vorstellungen sehr solide durchdacht waren.

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