Mittwoch, 9. Mai 2018

Karl Marx und die Digitalisierung

Am 5. Mai 1818, also vor 200 Jahren, wurde Karl Marx geboren. Alle Zeitungen sind derzeit voll von ihm. Mario Adorf durfte ihn im Fernsehen spielen. Als sein Trierer Landsmann habe ich meine eigene Sicht auf ihn. Sie mag etwas aus der Reihe fallen. Viele der aktuellen Veröffentlichungen fragen sich, was ein Denker von der Qualität eines Karl Marx wohl zum heutigen Hauptthema zu sagen gehabt hätte. Vielleicht hätte er uns erklärt, wie wir mit der Digitalisierung umgehen sollten. Die Not scheint wirklich groß zu sein. Möge uns doch der Himmel endlich einen Erleuchteten herabregnen. So lautet mein Stoßgebet.  

Biografisches     

Karl Marx wurde anfangs der Preußenzeit in Trier in eine von jüdischen Rabbinern abstammende Familie geboren, die zum Christentum konvertierte. Er absolvierte ein Studium von Jura und Philosophie in Bonn. Er wurde in Jena in Abwesenheit mit einer Arbeit über alt-griechische Philosophie promoviert. Er exponierte sich als Redakteur einer liberalen Zeitung in Köln, musste sich aber 1843 vor der preußischen Obrigkeit in Sicherheit bringen. Er ging mit der Familie (inkl. deutscher Dienstmagd) nach Paris und anschließend nach Brüssel. Der Wuppertaler Fabrikantensohn Friedrich Engels, den er aus seiner Studienzeit kannte, besuchte ihn dort mehrmals und inspirierte ihn zum Schreiben. Im Revolutionsjahr 1848 erschien in Brüssel das ‚Kommunistische Manifest‘, eine von ihm und Engels gemeinsam verfasste Streitschrift. 

Er kam kurz zurück nach Köln, floh jedoch wieder nach Paris, und endete schließlich in London. Er überlebte mühsam in Soho und sah das dortige Elend. Sein Freund Engels unterstützte ihn finanziell. In seiner Londoner Zeit erschien 1867 sein Hauptwerk. Es heißt Das Kapital, umfasst über 800 Seiten und sollte der erste Band eines mehrbändigen Werks werden. Vier seiner Kinder starben früh. Marx starb mit 64 Jahren relativ vereinsamt und liegt neben seiner Frau in London begraben. Drei Töchter überlebten ihn.    

Ausgelöste Bewegungen  

Während Marx und Engels den internationalen Charakter der kommunistischen Bewegung hervorhoben, gab es sehr bald in England, Frankreich und Deutschland kommunistische Parteien. Marx wollte jedoch mit ihnen nichts zu tun haben. Die folgten nämlich nicht seiner Theorie. Noch schlimmer waren die Sozialisten, die glaubten ganz ohne Revolution auszukommen. Später haben Lenin und Mao sich auf seine Lehre berufen, gingen aber völlig andere Wege. Die Lehre von Marx hat seine Adepten darin bestärkt, mit Gewalt eine Veränderung der Gesellschaft herbeizuführen. Er hat seine Leser in die Irre geführt, indem er vorhersagte, dass der Kapitalismus sich selbst zerstören würde.  

Wie wir wissen, kam es ganz anders. Der Kapitalismus passte sich an und bewies, dass er als Wirtschaftssystem dem Kommunismus haushoch überlegen ist. Seine dezentrale Planung kann Fehler vermeiden, an denen jede zentrale Planung hängen bleibt. Vor allem gibt der Kapitalismus vielen Menschen ein Gefühl von Freiheit. Sie dürfen selber planen und Dinge tun, die sie interessieren. Manchmal lässt sich sogar davon leben. Es ist eine bewusste Täuschung zu behaupten, dass mindestens die Hälfte der Menschheit nur dadurch überleben kann, dass sie ihre Muskelkraft anderen Menschen zur Verfügung stellt. Auf diesen gravierenden Beobachtungsfehler fallen auch heute noch viele Ökonomen und Gewerkschaftler herein.  

Meine Sicht des Wirtschaftens  

Kein Mensch ist verpflichtet, andere Menschen zu beschäftigen. Auch nicht die bösen Kapitalisten, selbst wenn sie in Geld schwimmen. Wer sein Vermögen schützt oder vermehrt, ohne andere Menschen auszunutzen oder zu übervorteilen, darf dies tun. Niemand sollte gezwungen sein, Almosen zu verteilen. Es ist aber gut, wenn Vermögende es tun. Vor allem aber müssen sie sich an den Aufgaben der Gemeinschaft (Katastrophenschutz, Verbrechensbekämpfung, Landesverteidigung und dgl.) beteiligen. Einzelne können reicher werden, ohne dass dafür andere etwas abgeben müssen. Der zur Verteilung anstehende wirtschaftliche Kuchen kann insgesamt anwachsen. Das scheint für viele Leute, z. B. für Sozialdemokraten und Gewerkschaften, undenkbar zu sein.

Kein Mensch muss arbeiten, erst recht nicht für andere Menschen. Niemand muss seine Arbeitskraft jemandem opfern, um zu überleben. Jeder Mensch muss sich jedoch ernähren. Das tun Jäger, Fischer und Sammler (oder Tahitianer), indem sie sich in der Natur bedienen. Bauern tun es, indem sie ein Feld oder einen Garten bearbeiten. Niemand sollte daran gehindert werden, sich selbst zu versorgen. Wieweit Fensterbänke oder Dachgärten hierfür ausreichen, sollte alsbald geklärt werden. Man darf auch betteln gehen (wie die buddhistischen Mönche), oder eine (Gratis-) Tafel besuchen. Wer stattdessen ein bedingungsloses Grundeinkommen fordert (wie der zurzeit sehr bekannte Philosoph Richard David Precht), soll auch sagen, wer die dafür erforderlichen Summen aufbringen müsste. Das wird meist unterschlagen. Vielleicht denkt man an die Schöpfung von Kaufkraft per Bitcoins.

Nochmals Digitalisierung, diesmal aus Marxscher Sicht

Das Gespenst der Digitalisierung geht um. So modifizierte mein Kollege Hartmut Wedekind den ersten Satz des Kommunistischen Manifest in seinem Blog-Beitrag mit dem Titel Marx heute. Er schließt nicht aus, dass demnächst die Betroffenen unsere Digitalsysteme stürmen und demolieren werden. Wer wie die Marxisten glaubt, dass die Wirtschaft vorwiegend wegen der abhängig-beschäftigten Lohnarbeiter existiert, muss sich Sorgen machen über das Wegfallen toller von Unternehmern bisher nicht selbst wahrgenommener Aufgaben. Das beginnt mit dem Baumfällen, setzt sich fort in chemischen Fabriken, die Faservlies produzieren, dem Transport großer Rollen zu Druckereien, dem Bedrucken von Papier mit variablen Metallstücken (Typen genannt), der Belieferung von Buchläden per Lastwagen, usw. Dank des technischen Fortschritts, hier Digitalisierung genannt, können dutzendweise Arbeiten entfallen, die ein Unternehmer ohne Lohnarbeiten vergeben zu müssen, einfach ignorieren kann. Dies erweist sich für die Jünger von Karl Marx als unverkraftbar und darf daher nicht vorkommen.

Bekanntlich haben die ehemaligen Heizer auf Dampfloks es in einigen Ländern geschafft, auch auf E-Loks mitfahren zu dürfen. Da auch jetzt nach der gleichen Logik verfahren werden könnte, muss man den starken Arm zeigen. Büchermacher aller Länder vereinigt euch. So würde ich den Schluss des Kommunistischen Manifests verändern, wollte ich mich in die Marxsche Denkweise versetzen. Gemeint sind hier natürlich Setzer, Binder und Händler, nicht die Autoren. Nicht der kreative Originator zählt, sondern die Handlanger und die Abstauber. Ich habe Büchermacher gesagt, weil das Wort Buchmacher nicht ganz passt. Buchmacher leben nämlich davon, dass sie anderen Leuten Wetten verkaufen. Das ist Kapitalismus der schlimmsten Art.

Digitalisierung in Zahlen  

Die Digitalisierung begann vor etwa 50 Jahren und steigert sich gerade in die Phase einer Massenanwendung. Ihr Potential wird von immer mehr Menschen erkannt. Auch einige Warner sind plötzlich aufgewacht. 
                 
                
              Ausgewählte Zahlen   
 
Wie jeder Fachmann weiß, ist der technische Fortschritt bestimmend für unser Fachgebiet, die Informatik. Fortschritt lässt sich meist gut in Zahlen darstellen. In unserem Fach kommt man nicht umhin Werte zu verwenden, die sich über mehrere Größenordnungen verändern. So habe ich selbst erlebt, dass die Speicherkapazität von der Lochkarte bis hin zur SD-Karte (mit 2 Terabyte) um den Faktor von 25 Milliarden gewachsen ist. Diese Vervielfachung hat die meisten Menschen erst in den letzten 30 Jahren erreicht. In der obigen Tabelle habe ich das Jahr 2038 abgeschätzt, indem ich zuerst einen Vergleich der Jahre 1998 und 2018 vornahm. Dazu benutzte ich öffentlich zugängliche Datenquellen. Zitiert sind marktübliche Endnutzerpreise. Für die Netzübertragung habe ich den neuesten in Schweden angebotenen Preis (30 Euro für 10 Gigabit/Sekunde/Monat) gewählt.    

Für die beiden letzten Zeilen muss man wissen, dass die Bevölkerung Deutschlands mit 80 Millionen nahezu konstant blieb. Die Weltbevölkerung ist weiterhin steigend, und zwar mit den folgenden Werten: 1998: 5 Mrd., 2018: 7 Mrd., 2038: 11 Mrd. Außerdem ist angenommen, dass die Medienkapazität von 2 Terabyte, über die jeder Internet-Nutzer heute verfügt, sich im Laufe der nächsten 20 Jahre verzehnfachen wird.    

Neue Schreckensmeldungen    

Der SPIEGEL hat in Heft 19/2018 mal wieder einige Leute zu Wort kommen lassen, die die Digitalisierung in Grund und Boden verteufeln. Sie potenziere die Ausbeutung und Ungleichheit der Menschen, sie führe zum Anhäufen von Vermögen, sie mache es leichter den Einzelnen durch Roboter und Algorithmen zu ersetzen, sie mache ihn manipulierbar und ausnutzbar. Ich erspare es mir, die Leute namentlich zu benennen, die dies von sich gaben. Sie haben es nicht verdient.  

Der Haus-Philosoph des SPIEGEL hat sogar einen Hoffnungsschimmer entdeckt. Vielleicht sei es gar nicht so schlimm, wenn Robbies die körperliche Arbeit übernehmen, die im alten Griechenland ohnehin Frauen und Sklaven machten. Das erlaubte es Männern damals sich in Cafés zu treffen und Philosophie zu betreiben. Die Schlussfolgerung der SPIEGEL-Redaktion lautet: Wir brauchen neue Geschichten, um den bevorstehenden Wandel zu erklären und vorzubereiten. Ich möchte hinzufügen, dass dies bessere Geschichten sein müssen, als die Karl Marx erzählte oder die seine Adepten bis heute nachbeten.

4 Kommentare:

  1. Peter Hiemann aus Grasse schrieb: Meines Erachtens gibt es zwei Perspektiven, um Karl Marx' Arbeiten einzuschätzen. Um Marx als Wissenschaftler gerecht zu werden, kommt man nicht umhin zu versuchen, seine umfassenden ökonomischen Studien und Analysen zu würdigen. Von Marx' Vorgehen und Sorgfalt wird mancher Ökonom auch heute beeindruckt sein. Um Marx als Philosoph gerecht zu werden, kommt man nicht umhin zu versuchen, sich in die menschenunwürdige Lage der damaligen Fabrikarbeiter zu versetzen.

    Vermutlich würde ein Marx auch heute hervorragende Arbeit leisten, um die ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse umfassend zu studieren und zu analysieren. Vielleicht würde ein Marx heute Obama als Kompagnon wählen, um ein Manifest mit der Aufforderung „Gerechte aller Länder vereinigt Euch“ zu verfassen.

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  2. Würde man doch endlich ein besseres Wort als Arbeit finden. Nicht um (unselbständige) Arbeit muss sich die Gesellschaft Gedanken machen, sondern um Ernährung und Unterhaltung, Brot und Spiele wie schon in Rom. Um selbständige und kreative Beschäftigung kümmern sich Interessierte selber. Der Staat muss sie nur gewähren lasssen und evtl. fördern. Stattdessen erwartet man das Heil in Lohn- oder Fronarbeit. Arbeitsplätze, Arbeitsplätze schreien alle, auch wenn sie in der Waffenindustrie oder in veralteten Betrieben liegen. Lasst doch die Leute lieber ins Kino oder ins Sportstadion gehen. Wieso hat körperliches Arbeiten einen ethischen Wert? Der medizinische Wert mag ja bestehen. Den hat aber Sport in gleichem Maße.

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    1. Peter Hiemann schrieb: Meines Erachtens kommt es weniger darauf an, ein zusätzliches Wort für die Vielzahl möglicher Betätigungen zu finden. Vielmehr gilt es, Unterschiede möglicher Unternehmungen hervorzuheben, und nicht anzunehmen, dass alle Unternehmen gesellschaftlich vorteilhaft sind.

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    2. Kein Bauer ist des Gesindes wegen da. Kein Unternehmer ist dazu da, um Arbeitsplätze zu schaffen. Unternehmer müssen Arbeiten machen und Dienste anbieten, die benötigt werden. Arbeiter sehen das nicht als ihre Aufgabe an.

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