Carsten
Linnemann (* 1977) ist ein Politiker der jüngeren Generation und
promovierter Volkswirt. Er ist Vorsitzender der Mittelstands- und
Wirtschaftsvereinigung (MIT) der CDU/CSU und Stellvertretender Vorsitzender der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Bei den Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 gewann
er das Direktmandat im Wahlkreis Paderborn mit einem Spitzenergebnis. In einem
Buch mit dem Titel Die machen eh, was sie wollen (2017,
168 S.) gibt er Antworten zu den Fragen, die ihm häufig von Wählern gestellt wurden.
Da sie sich wohltuend von dem abheben, was sozialistische oder
nationalistische Zeitgenossen bekunden, soll hier eine Auswahl wiedergegeben
werden.
Gesellschafts-und Wirtschaftsordnung
Die durch unser Grundgesetz festgelegte Gesellschaftsordnung ist
die repräsentative Demokratie. Dass diese Form gewählt wurde hängt mit der
Geschichte unseres Landes zusammen und mit seiner Größe. Kleinere Länder, wie
etwa die Schweiz, haben mehr Elemente einer direkten Demokratie als wir. Auf
kommunaler und regionaler Ebene ist dies auch bei uns möglich und
erstrebenswert.
Unsere Wirtschaftsordnung basiert auf dem Ordo-Liberalismus.
Dieser wurde in den 1930er Jahren von Walter Eucken gelehrt und ist auch als
Freiburger Schule bekannt. Von Ludwig Erhardt wurde er in die deutsche Politik
eingeführt und als soziale Marktwirtschaft bezeichnet und beworben. Seine
konstituierenden Prinzipien sind offene Märkte mit frei ausgehandelten Preisen,
Privateigentum, Vertragsfreiheit, persönliche und unternehmerische Haftung
sowie ein stabiler und verlässlicher staatlicher Rahmen.
Der Staat darf sich zwar wirtschaftlich engagieren, soll sich aber
zurückhalten. Wieweit er korrigierend eingreifen muss, ist umstritten. Oft wird
der Ordo-Liberalismus als Neo-Liberalismus verhöhnt. Das beruht meist auf einer
Verwechslung mit dem Monetarismus, auch als Chicago-Schule bekannt.
Europäische Union und Euro
Die nationale Politik tut gut daran, die EU als Realität und
Chance zu akzeptieren. Es gibt viele Dinge, die sie besser kann als ein
Nationalstaat. Ein Beispiel ist die Auseinandersetzung mit international aktiven Monopolisten
wie Google und Facebook. Die EU und der Euro haben auch Schwächen, die
ausgebügelt werden müssen. Die einzelnen Länder treiben zurzeit eher
auseinander als dass sie zusammenwachsen. So gibt es Dissensen mit Ungarn und
Polen wegen ihrer Flüchtlingspolitik und wegen Verfassungsfragen. Die Europäische
Zentralbank (EZB) versucht den Südländern Krediterleichterungen zu verschaffen,
die zu Lasten der Nordländer gehen. Es fehlt auch eine Insolvenzordnung für
Euroländer. Der Weg vorwärts mag zwar schwierig erscheinen, ein Zurück ist
jedoch wenig sinnvoll. Der Brexit möge eine Ausnahme bleiben. Eine Warnung ist
er auf jeden Fall.
Migranten und Flüchtlinge
Im Jahre 2015 hat eine Flüchtlingswelle von Afrika und Asien ganz
Europa erschüttert. Nach geltendem Recht hatten 60-70% der Zugereisten keinen
Anspruch auf einen Bleibestatus. Es waren dies Migranten, die ein besseres
Leben suchten, aber keine Flüchtlinge, die einer Bedrohung entkommen waren und
daher Schutz benötigten. Diese Gruppe von Menschen schafft uns das Problem,
dass wir nur einen Teil zur freiwilligen Rückreise bewegen können. Die illegal
Eingewanderten abzuschieben, ist fast immer mit Schwierigkeiten verbunden.
Es war eine Illusion anzunehmen, dass durch Flüchtlinge oder
Migranten sich der Mangel an Fachkräften entspannen könnte. Dafür werden ganz
andere Personengruppen benötigt. Um diese müssen wir gezielt werben.
Energiewende und Digitalisierung
Im Vergleich zu andern Ländern Europas ist bei uns die
Energiewende besonders radikal. Mit dem Ausstieg aus den fossilen Energiequellen
verbinden wir den Ausstieg aus der Kernenergie. Durch das
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) haben
wir nicht nur das Preissystem des Strommarkts zerstört, wir machten uns auch von
volatilen Stromquellen abhängig, die keine sichere Versorgung auf lange Sicht
darstellen. Nicht nur der Verkehr, auch die Weiterentwicklung unserer Industrie
verlangen eine wettbewerbsfähige und stabile Stromversorgung. Auch hier hat
eine europäische Lösung bessere Chancen als rein nationale Bemühungen.
Bei der Frage der Digitalisierung räumt Linnemann ein, dass wir in
Deutschland diesem Thema wegen Euro, Flüchtlingen und Energiewende zu wenig
Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Heute hänge Deutschland zurück, was den Ausbau
eines Gigabit-Glasfasernetzes betrifft. In vielen Gesprächen mit
Mittelständlern spiele dieses Thema eine Rolle. Einem Juwelier, der fragte, ob
er auch davon betroffen sei, sagte Linnemann, er solle sich beraten lassen. Was
ich dem Juwelier (und jedem Mittelständler) sagen würde, ist Folgendes: Er muss
dafür sorgen, dass sein Angebot einzigartig wird und dass es im Netz bekannt
wird. Dort muss er sehr schnell und verlässlich liefern und ein einfaches
Abrechnungssystem zur Verfügung stellen. Mit anderen Worten. Er muss die
‚Amazonisierung‘ des Marktes akzeptieren, falls er nicht untergehen will.
Renten und Sozialstaat
Politiker müssen heute die Altersgruppe der Rentner besonders ernst
nehmen. Diese stellen derzeit 40% der Wähler dar, mit steigender Tendenz. Das
heißt aber nicht, dass sie Rentner bevorzugen müssen, und zwar zu Lasten
jüngerer Menschen. Rentner haben dafür Verständnis. Es muss ihnen aber erklärt werden.
Das generelle Vorziehen des Renteneintrittsalters von 65 auf 63
sieht Linnemann als Fehler an. Er kenne keinen einzigen Dachdecker, der mit 64
Jahren noch seinen Beruf ausübte, aber mehrere Senioren, die an Marathonläufen
teilnahmen. Deshalb habe er für eine Flexibilisierung gekämpft und auch durchgesetzt.
Die so genannte ‚Schweigende Mitte‘ ist es, die wenig politische Forderungen
stelle. Wenn sie es doch tut, dann fordert sie eine Reduzierung der Sozialabgaben.
Linnemann hält nichts von einer Alters- und Krankenversicherung aus einem Topf.
Er fände es aber gut, wenn der Staat Rückstellungen bilden würde für
Beamtenpensionen und diese nicht der nachfolgenden Generation von Steuerzahlern
aufbürden würde. Mit Wolfgang
Clement, einem früheren SPD-Politiker, ist er sich einig: ‚Alle rufen nach
dem Staat, ... selbst die Gewerkschaften‘. Für Konservative und Liberale soll
der Staat mehr Schiedsrichter als Mitspieler sein. Als Alleinunterhalter ist er
unerwünscht.
Politische Teilnahme und Demokratie-Stil
Nicht nur Politiker hätten einen Reputationsverlust erlitten.
Genauso betroffen seien Manager,
Journalisten und Gewerkschaftler. Das Phänomen existiere aber nicht nur in
Deutschland, sondern in ganz Europa und den USA. Es artikuliere sich oft als
Kampf gegen das Establishment. Dass Abgeordnete als ‚die da oben‘ bezeichnet
werden, sei nichts Neues. Das habe ihm der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert gesagt,
der über 30 Jahre im Parlament war.
Leider sind rund 40 % der Abgeordneten des deutschen Bundestages Juristen,
Politologen und Soziologen. Es fehlten Selbständige und Ingenieure. Bezüglich
der Frage, ob es Volksabstimmungen auf Bundesebene geben sollte, ist er
derselben Meinung wie die Väter und Mütter des Grundgesetzes. Sie hatten Angst
vor und schlechte Erfahrungen mit Demagogen und Manipulatoren.
Für politische Bildung mehr zu tun, ist zweifellos sinnvoll. Ob
dazu gehört, dass Zeitungslesen als Schulfach eingeführt wird, wie dies Renate Köcher
vorschlägt, ist sehr fraglich. Eine große Koalition (Groko) fördert das Gefühl
der Alternativlosigkeit. Das hilft der AfD. Politiker könnten sich ruhig etwas
zurücknehmen. Sie dürfen eingestehen, dass sie nicht alles wissen. Sie sollten
daher Gesetze mit Verfallsdatum vorsehen. Sie sollten nichts schönreden, aber
auch nicht schwarzmalen. Von Franz-Josef Strauß stamme der Satz: ‘Ein Politiker
muss dem Volk aufs Maul schauen, aber er darf ihm nicht nach dem Mund reden‘.
PS. Wer sagt, die CDU sei nichts als ein Kanzlerwahlverein, der hört
vermutlich nicht genug hin.
Hartmut Wedekind aus Darmstadt schrieb: Spät kommt er, dieser Herr Linnemann, viel zu spät. Der Zug ist längst abgefahren in Richtung Köln, Ellwangen und weiter. Die Richtung der Frau Merkel, seiner Chefin, heißt "falscher, naiver, stehen-gebliebener und nicht fortentwickelter Humanismus". In dem Zug sitzt auch ein Reinhard Marx, Kardinal seines Zeichens, und ein Herr Bedford-Strom, Bischof der evangelischen Kirche. Alle sind Mitglieder eines Trivialvereins zwecks Erkenntnisverweigerung, voraufklärerisch. Eigentlich im Jahre 2018 nach Christus, 300 Jahre nach der Aufklärung, unfassbar, das Ganze. Man bekommt den Mund nicht mehr zu, vor Erstaunen und Schrecken, und haut sich auf die Schenkel und beklagt sich mit Schmerzen im Gesicht und im Geiste: "Das gibt's doch gar nicht!". "Kai meta" (was nun) sagten die alten Griechen. Die tun einem weh, schon wenn man sie sieht. Was haben die, die so viel von Bildung reden, in der Schule eigentlich gelernt? Wahrscheinlich nur Blabla und Gedöns, also Trivialkram. Deutschland scheint eine Trivial-Nation zu werden, nichts im Kopf, nur alles im Bauch, der immer dicker wird, physisch, mental scheint der Geist zu schrumpfen.
AntwortenLöschenPeter Hiemann aus Grasse schrieb: Es kommt m. E. nicht darauf an zu versuchen, eine heile Welt zu 'basteln', sondern darauf, dass Vertreter politischer Institutionen fortlaufend sinnvolle Orientierungsrahmen zur Verfügung stellen, die real existierende ökonomische Verhältnisse reflektieren, die beachtet und akzeptiert werden, und die Menschen motivieren, sich um eine verträgliche Welt zu bemühen.
AntwortenLöschenAm Beginn des 21. Jahrhunderts existiert die Gelegenheit zu beobachten und einzuschätzen, wie unterschiedlichste staatliche Regime agieren. Streng islamisch geprägte Regime orientieren sich an traditionellen, religiös begründeten, paternalistischen Prinzipien. In autokratisch geprägten Regimen verfolgen Vertreter politischer Institutionen und Vertreter wirtschaftlicher Unternehmen gemeinsame Interessen, zum Beispiel Regierungen und Oligarchen. Technologisch führende demokratische Regime orientieren sich am Erfolg ihrer Unternehmen. Es könnte sich herausstellen, dass China langfristig die Voraussetzungen besitzt, eine weltweit führende Rolle zu spielen, sowohl hinsichtlich der Entwicklung digitaler Anwendungen als auch hinsichtlich der Gestaltung einer digitalisierten Gesellschaft. China verfügt über eine Strategie (einen Orientierungsrahmen), um globale Handelsinfrastrukturen (Seidenstraße des 21. Jahrhunderts) in Kooperation mit anderen Staaten zu modernisieren. China verfügt über Kapital, das es global für produktive (nicht spekulative) Investitionen einzusetzen gedenkt. China verfügt über beachtliches Potential an führendem technischen und unternehmerischen Personal. China besitzt politische Macht, Ziele national und international durchzusetzen.
Am Beginn des 21. Jahrhunderts stellt sich auch die Frage: Wie werden sich demokratisch orientierte Gesellschaften langfristig entwickeln? Die Antwort hängt entscheidend davon ab, was Aufklärung im 21. Jahrhundert bedeutet: Werden Menschen sich ihres Verstandes bedienen, um demokratische Rechte und Möglichkeiten wahrzunehmen und zu verteidigen? Oder werden Menschen ihre Mündigkeit leichtfertig an Demagogen, Populisten oder Algorithmen hingeben?
Der Philosoph Immanuel Kant äußerte in dem Essay „Was ist Aufklärung?“ aus dem Jahr 1784 die Ansicht, die heute noch aktuell ist: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“
AntwortenLöschenAm Beginn des 21. Jahrhunderts versucht Homo sapiens herauszufinden, wie es gelingen könnte, sein selbst verschuldetes Unvermögen, gesellschaftliche Verhältnisse verträglich zu gestalten. zu überwinden. Er ist aufgefordert, althergebrachte Vorstellungen zu überdenken: hinsichtlich Natur und Klima des blauen Planeten, hinsichtlich wachsender Erdbevölkerung und deren Versorgung mit Nahrung und Wasser, hinsichtlich Zugang zu Bildung und komplexen Bildungsinhalten, hinsichtlich sich verändernder Gesellschaftsstrukturen.