Großbritanniens Premierministerin Theresa May ist mit ihrem
Brexit-Deal gescheitert. “Die größte Niederlage, die es jemals im britischen
Unterhaus gegeben hat” - Theresa May hat mit ihrem Brexit-Deal einen traurigen
Rekord aufgestellt. Der Premierministerin fehlten bei einem Ergebnis von 432 zu
202 satte 230 Stimmen. Das toppe den vorigen Rekord von 166 fehlenden Stimmen
aus dem Jahr 1924 mit Leichtigkeit, so beschrieb es eine bekannte Tageszeitung
(The
Independent).
Kommentare aus deutscher Sicht
Als Administrator eines Blogs, der das Thema Brexit schon öfters
behandelte, stieß ich eine Diskussion im Leserkreis an. Hier ein kurzes
Protokoll:
Bertal Dresen (BD): Die klare Abfuhr, die Theresa May am Dienstag bekam, hat mich doch etwas überrascht. Das ganze Unterhaus hat sich
gegen die Jugend und die Wirtschaft des Landes verschworen. Kann es sein, dass
der No-Deal-Brexit viel zu schwarz gemalt wird? Was passiert am 30. März und
danach, wenn nirgends Zöllner auftauchen? 'Just keep going!'.
Hartmut Wedekind (Darmstadt): Was
passiert am 30.3.? Ganz einfach: Bilaterale Einzelhandelsverträge ohne Zölle
(bilateral! Das Multilaterale geht sowieso nicht in die politischen Köpfe, auch
nicht bei denen, die Multilateralität predigen). Eine hohe Abstraktionsleistung
wird verlangt. Und das hat man in den Schulen nicht gelernt.
Interessen sind konkret, Zwecke und Ziele, die man erreichen will,
sind abstrakt, also einer Invarianz
bzgl. konkreter Interessen ausgesetzt. Wir erleben einen Niedergang der
Intellektuellen, die eigentlich für's
Abstrakte zuständig sind. Gibt's die noch? Was sollen Zölle? Finanzzölle? Das Geld kann eine Regierung sich
anderweitig beschaffen. Schutzzölle? Das
geht wegen gegenseitiger Racheakte in die Hose.
Einzelverträge am 30.3.: Und dann in der Rest-EU "Business as usual". Bis der letzte
Rest der EU auch platzt, weil wir nichts in der Birne haben. Dann werden wir
weiter sehen. Lauter ungeschulte Leute, wohin man hinblickt. Das ist nicht Demokratie im aufklärerischen Sinne, das ist −
jetzt kommt das Wort − breiter Populismus von Leuten, die nichts Konstruktives
gelernt haben. Etwas anderes kann sich ein Land auch gar nicht leisten, als
"business as usual". Das
nennt man journalistisch Pragmatismus, besser wäre Opportunismus, die günstige
Gelegenheit erwischen wie beim Spiel. Spieler sind's die da oben. Noch nicht
einmal China, die USA oder Russland, die Großen also sind frei vom Opportunismus.
Intellektualität und ihre Vertreter
steckt man auch dort am besten in die
Labors. Die dürfen dann auch mal ein bisschen herumbloggen.
PS: Die Jugend in England soll die Klappe halten. Die haben
somit kein Recht, sich zu beschweren. Die
sind beim Brexit 2016 überwiegend nicht
zur Wahl gegangen. Da liegt der Hund begraben. Die paar Intellektuellen in
London und Oxbridge, die gegen den Brexit waren, machen den Kohl dann auch nicht mehr fett. Und: Die Regierung unter Cameron hatte
die Lage 2016 völlig unterschätzt. Der
Geisteszustand seiner auch jugendlichen Bevölkerung war ihm nicht bekannt.
BD: Meine Frage war, wer ist interessiert und in der Lage in Dover und
Calais Zölle zu erheben. Ich bezweifele, dass es solche Idioten gibt. Die vorhergesagten Staus kann es daher garnicht geben. Dass im
Unterhaus viele verbohrte Hornochsen sitzen, ist offensichtlich. Dass bei den
Tories die Hälfte Brexiteers sind, war mir klar. Boris Johnson ist nur der
lauteste. Enttäuscht bin ich von der Labour-Fraktion. Machte sich doch einst Tony Blair sehr stark für die EU. Jetzt macht Jeremy Corbyn Spielchen. Ich glaube, der
verrechnet sich. Nur dass dabei das Land leidet, das stört ihn nicht.
Gerhard Schimpf (Pforzheim): Dieses
Land hat beim ersten Referendum beschlossen, sich in das rechte Bein zu
schießen, in der Hoffnung, dass sie dann besser gehen können. Die Regierung hat
nun einen Plan vorgelegt und das Parlament hat dagegen gestimmt, sich
alternativ in das linke Bein zu schießen. Vielleicht hinken sie in ein paar
Wochen auf beiden Beinen. Wie wir die Briten kennen, werden sie danach stolz
darauf sein „to be different“ und es der Welt gezeigt zu haben.
Peter Hiemann (Grasse): ich schätze,
dass das Chaos im Englischen Unterhaus und die Spaltung in der Englischen
Gesellschaft ähnlich ein, wie das Chaos der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich,
die Dominanz populistischer Parteien in Italien, die rasche Entwicklung einer
nationalorientierten Partei in Deutschland, und das Entstehen autokratischer
Regime in Ungarn und Polen. Es sind Hinweise, dass derzeit die Verhältnisse in
westlichen Demokratien gestört sind. Derzeit ist 'Hochzeit' für Populisten.
Vermutlich werden wir bald wissen, wer demnächst in England einen
Führungsanspruch auf populistische Weise geltend machen wird.
Lothar Monshausen (Bitburg): Es
ist halt nicht so einfach das zu verstehen, was die Engländer (also nicht die
Schotten, Nordiren oder Waliser) wollen. Trotzdem ist ein Brexit auch für die
EU ein herber Verlust, da es bei Zollkontrollen mit tausenden LKW-Staus bis
nach London kommen kann (Prognose von Prof. Sinn). Auch das
"Machtverhältnis" im EU-Parlament wird sich dann vermutlich nach
Süden verlagern (wenn man die Einwohnerzahlen vergleicht). Die Abstimmungen im
EU-Parlament sind dann auch bei der bevorstehenden Wahl dieses Jahr nicht zu
unterschätzen, weil in Deutschland kaum jemand seine Stimme abgibt, außer von
der AfD, die ja nationale Interessen im Vordergrund sieht. Das ist übrigens
auch ein Trend in anderen südlichen Ländern Europas. Es ist halt die
gefährliche Drift der Hochbezahlten und Unterbezahlten - in Frankreich entsteht
wieder eine eine neue "Revolution". Es ist die Aufgabe der
EU-Politiker das Gefühl "EU-First" mal gegen die Macht der Chinesen
und USA entgegenzutreten, dagegen ist der "Brexit" nur ein Problem
des ehemaligen britischen Imperiums. Ich hoffe, dass meine Aussagen nicht
lächerlich sind, aber wir werden sehen....
Wie geht es weiter?
Bei der gestrigen Vertrauensabstimmung erhielt Theresa May – wie erwartet
− alle Stimmen ihrer Partei und die der Nordirischen Unionisten (DUP). Damit bleibt
die Regierung im Amt. Ihr bleiben jetzt gerade mal drei Tage, um einen "Plan
B" auszutüfteln. Dabei will die EU gar nicht neu verhandeln, wie sie es
bereits mehrfach betonte. Alles sieht also nach einem “harten Brexit” aus,
einem unkontrollierten Ausstieg Ende März. Das mag aber eine Mehrheit der
Abgeordneten des Unterhauses nicht. Das Theater geht jedenfalls weiter. Den Deus ex machina gibt
es bei Shakespeare zwar äußerst selten im Vergleich zu allerlei Intrigen und
Komplotten, zu Mord und Totschlag. Wir lassen uns überraschen.
Peter Hiemann aus Grasse schrieb: Das Spiegel-Interview mit David Davis, zurückgetretener Minister des Ministeriums für den Austritt aus der EU, gibt eine gute Einsicht in eine britische Vorstellung:
AntwortenLöschen“Man kann nur erfolgreich verhandeln, wenn man sich die Option offenhält abzubrechen.“ ...„Unsere nationale Unabhängigkeit aus der Hand zu geben, konnte ich nicht mehr verantworten“... „Ätzende Debatten sind in der Geschichte Großbritanniens immer mal wieder vorgekommen... In der Suezkrise beispielsweise in den Fünfzigerjahren oder zu Zeiten Margaret Thatschers. Aber es hat sich dann immer wieder beruhigt.“
Davis liegt richtig, dass die derzeitige Institution EU nicht in der Position (und in der Lage?) ist, offen mit ihren Mitglieder zu verhandeln. Davis liegt falsch, wenn er glaubt, wie in alten Zeiten britische Souveränität und Unabhängigkeit gegenüber den mächtigen global Playern (USA, Russland, China) aufrecht erhalten zu können. Glaubt Davis wirklich, dass Demokratie da ist, um Gemüter zu beruhigen?
Man darf gespannt sein, ob und welche Konsequenzen Großbritannien und die EU-Administration aufgrund der derzeitigen chaotischen Zustände (auch in Italien) ziehen wird.
Man darf bezweifeln, dass Davis Beitrag zum derzeitigen demokratischen Entscheidungsprozess hilfreich ist. Winston Churchill, ein wahrhafter Verfechter demokratischer Gesellschaftsverhältnisse, hätte vermutlich Davis darauf hingewiesen, dass demokratische Verhältnisse immer wieder aufs Neue gestaltet werden müssen.
AntwortenLöschenÜbrigens war Churchill sehr offen, seine und anderer Denkweisen zu kommentieren:
"Demokratie ist die schlechteste Regierungsform - außer all den anderen
Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind."
„Dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: Die ungleichmäßige Verteilung
der Güter. Dem Sozialismus hingegen wohnt eine Tugend inne: Die
gleichmäßige Verteilung des Elends“.
„Am faulsten sind die Parlamente, die am stärksten besetzt sind.“
„Eine gute Rede soll das Thema erschöpfen, nicht die Zuhörer.“
„Die Reiche der Zukunft sind Reiche des Geistes.“
Hartmut Wedekind aus Darmstadt schrieb: Neulich abends bei Maybritt Illner, sagte zum Schluss eine britische Labour-Abgeordnete: „Kein britischer Politiker wird die britischen Interessen hinten anstellen und etwa europäischen Interessen den Vorrang geben.“ Und Herr Gauland lachte. Die anderen saßen betroffen da.
AntwortenLöschenDas ist der Punkt, als es interessant wurde, wurde leider abgeblendet, aus Zeitmangel. Ist das bei uns Kontinentalen anders oder bilden wir uns da nur etwas ein, in Sachen Politscher Union? Sind wir die Spinner? EWG, wie also wie früher eine reine Wirtschaftsgemeinschaft langt doch. Mehr geht nicht, inkl. Euro. Alles andere, insbesondere die (unkontrollierte) Migration à la Deutschland, zerlegt Europa (politisch), sagte mal der Stern-Journalist Jörges.
Deshalb: Passen Sie mal auf: Es wird zu einem Rückbau und nicht zu einer politschen Union kommen. Und Herr Gauland lacht weiter, weil wir die Spinner sind.
Peter Hiemann schrieb: Wie Hartmut Wedekind hoffe ich, dass es zu einem Rückbau der EU kommt. Aber so, dass wir nicht die Spinner sind und Gauland darüber lacht. Es wäre ein Fortschritt, wenn sich bei der EU-Wahl im Mai ein Kandidat als Kommisionspräsident durchsetzt, der eine Reform der EU angeht. Die EU könnte die Rolle einer politischen Union spielen, die das Mandat erhält, sich um internationale gesellschaftliche Probleme zu kümmern, die national nicht gelöst werden können. Für nationale Gesetzgebung sind ausschliesslich demokratische Staaten legitimiert. Eine zukünftige EU muss in der Lage sein, entsprechend einer EU-Charta Mitglieder aufzunehmen und auszuschliessen.
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