Mittwoch, 13. März 2019

Informatiker und Gesellschaft – eine Selbstdiagnose

In vielen öffentlichen Diskussionen wird der Eindruck vermittelt, dass alles besser würde, wenn mehr auf Experten gehört würde. Die Informatik und damit die Informatiker kommen immer dann ins Spiel, wenn Themen wie Automatisierung, Informationsverbreitung, öffentliche Beteiligung und Überwachung im Vordergrund stehen. Im Folgenden wird versucht zu umreißen, welche Beiträge hier von Informatikern mit Recht zu erwarten sind. Das Wort Informatiker steht hier für alle Stufen der beruflichen Qualifikation, für alle damit verbundenen Tätigkeitsprofile und für Vertreter beider bzw. aller Geschlechter.

Selbstbild des Informatikers

Als Informatiker versteht sich jemand, der aufgrund seiner Ausbildung und/oder Erfahrung in der Lage ist, informationsverarbeitende Prozesse zu automatisieren. Solche Prozesse sind in sehr vielen Geschäftsfeldern zu finden, in vielen professionellen und nicht-professionellen Tätigkeiten, im Privatbereich wie in der Wirtschaft und der Gesellschaft. Für die Automatisierung zugänglich sind solche Prozesse, bei denen die benötigten Daten digital erfasst werden können oder bereits in digitalisierter Form vorliegen.

Die Automatisierung ist immer dann sinnvoll, d.h. erstrebenswert, wenn der Umfang der Daten erheblich ist, die Verarbeitung schnell und die Verteilung der Ergebnisse weiträumig geschehen soll, oder wenn ein hohes Maß an Zuverlässigkeit erreicht werden soll. Die Automatisierung erfolgt heute (fast) immer durch den Einsatz programmgesteuerter Maschinen, die sowohl als Einzelprozessoren wie als Verbundnetz in Erscheinung treten. Der menschliche Aspekt der Informationsverarbeitung kann an unterschiedlichen Stellen zum Tragen kommen. Menschen sind entweder Gestalter, Betroffene oder Nutzer. Sie bestimmen Sinn, Wert und Form.

Jemand betrachtet sich als Informatiker, wenn seine Informatik-Kompetenz für sein berufliches Auskommen bestimmend ist. Bei einer Vielzahl von anderen Berufen können gewisse Informatik-Kompetenzen nützlich sein.

Gesellschaft und ihre Bedürfnisse

Das Wort Gesellschaft wird hier als Abstraktion aufgefasst für eine Vielzahl von Ausprägungen wie Familie, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Gemeinde, Berufs- oder Altersgruppe, Sprachgemeinschaft oder Staatsvolk. Da alle diese Ausprägungen sich sehr unterscheiden, wird das Wort fast immer mit der umfassenderen Einheit assoziiert. Das ist entweder die Sprachgemeinschaft oder das Staatsvolk.

Der deutschsprachige Leser mag daher primär an das deutsche, das österreichische oder einen Teil des schweizerischen Volks (Deutsch-Schweizer) denken. Beim französisch-sprechenden Leser sind es Franzosen, frankophone Schweizer, Kanadier und Belgier (Wallonen). In beiden Fällen handelt es sich um über 100 Millionen Menschen. Wesentlich kleiner sind dagegen die Gesellschaften  Luxemburgs (etwa 600.000 Menschen, davon 47% Ausländer) und Maltas (etwa 430.000 Menschen). Von einer europäischen oder sogar einer globalen Gesellschaft zu sprechen, ist nicht üblich. Im Grunde gibt es ein Vielzahl inhomogener Gesellschaften mit diversen Abgrenzungen und Überlappungen. Die Frage ist berechtigt, ob es die Gesellschaft überhaupt gibt. Sie ist vielleicht ein Phantom. Das kann nicht daran hindern, das Wort Gesellschaft für eine Anhäufung von Individuen mit oder ohne Gemeinsamkeiten zu verwenden, vor allem in der Form Gesellschaft von X oder Gesellschaft für Y.

Eine Gesellschaft hat das Bedürfnis sich selbst zu verstehen, d.h. ihre Wünsche, ihre Hoffnungen, ihre Unterschiede und ihre Gemeinsamkeiten. Der Glaube herrscht vor, dass dieses Wissen uns zu rationalem Handeln führen wird. Eine Gesellschaft sollte auch darüber informiert sein, wieweit sie gewissen Idealen entspricht, was die Beteiligung an Entscheidungsprozessen oder der Verteilung von Besitz und Gütern betrifft. Dabei muss die Information über den Status Quo getrennt erfolgen von der Werbung für Veränderungen. Für diese Aufgabe fühlen sich unter anderem die öffentlichen Medien (Rundfunk, Presse) von Berufswegen verantwortlich.

Im Jahre 1776 haben bekanntlich die Verfassungsväter der USA als erste konkrete Wunschvorstellungen ihrer Bürger gegenüber der Gesellschaft festgeschrieben, so das Recht auf Privateigentum und das Suchen nach Glück. Einige spätere Verfassungen sahen sich veranlasst, das Privateigentum, ja den Kapitalismus ganz zu verbieten und stattdessen das marxistische Gedankengut als die Grundlage für das Zusammenleben zu erklären. Unser deutsches Grundgesetz (GG) ist ein Kompromiss. Es besagt, dass Eigentum verpflichtet (Art. 14), und zwar soll es dem Wohle der Allgemeinheit dienen – was immer das heißt. Ferner fordert es die Angleichung der Lebensverhältnisse (Art. 72) in allen Regionen seines Geltungsbereichs. In Deutschland herrscht weitgehende Übereinstimmung, dass das GG eine angemessene und akzeptierte Basis der Gesellschaft darstellt. Keine ernstzunehmende politische Kraft bezweifelt dies  – welch ein Glücksfall der Geschichte.

Fachliche Beiträge von Informatikern für die Gesellschaft

Fasst man den Begriff der Gesellschaft so auf wie oben beschrieben, haben Informatiker kaum Aufgaben der Gesellschaft gegenüber, die über die anderer Berufsgruppen wesentlich hinausgehen. Sofern sie ihre eigentliche Tätigkeit verantwortungsvoll ausführen, liefern sie meist einen positiven Beitrag zu Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Informatiker hat keinen Grund die von ihm gewählte Tätigkeit als solche kritisch zu hinterfragen oder sich von ihr zu distanzieren. Er muss nur solche Projekte machen, die ihm zusagen und die ethisch und moralisch einwandfrei sind. Informatiker sind normalerweise in der komfortlaben Position, dass ihnen die Kunden die Türe einrennen.

Es geht hier darum, wann und wie der Informatiker aktiv werden soll, wenn er Kompetenzen besitzt, die andere Berufe nicht besitzen. Er sollte dabei der Gesellschaft als Ganzer helfen, bei einer ihr drohenden Gefahr vorzubeugen, aus einer Notlage zu entkommen oder möglicherweise entgangenen Nutzen zu realisieren.

Informatiker handeln auch dann professionell, wenn sie mögliche Nutzer auf das Potential ihrer Technik hinweisen, wo dies angebracht oder sinnvoll ist. Das darf aber nicht als lästig oder überheblich empfunden werden. So sollte ein Informatiker die öffentliche Verwaltung auf Schwächen hinweisen, die leicht mittels Informatik-Lösungen behoben werden können. Informatiker dürfen ihre Auftraggeber aus der Wirtschaft auf Mängel in ihrer Wettbewerbsfähigkeit hinweisen, sowohl was den Vergleich zu Mitbewerbern als auch den Vergleich zu Branchenfremden betrifft, sowohl aus dem Inland wie aus dem Ausland. Das Eingreifen des Informatikers kann unter anderem darin bestehen Projekt-Betroffene zu identifizieren, die dies von sich aus nicht merken oder vor Risiken und Auswirkungen zu warnen, die Nicht-Fachleute leicht übersehen.

Beispiel A: Wie ein Arzt, der auch außerhalb seiner Praxis seine Mitmenschen vor Rauchen warnt und Bewegung empfiehlt, so sollte ein Informatiker, wo immer er kann, dazu raten seine Daten zu verschlüsseln, Passwort-Schutz zu verwenden und keine unbekannten E-Mail-Anhänge zu öffnen. Das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnik (SIT) in Darmstadt hat ein besonders einfaches Verfahren mit der Bezeichnung Volksverschlüsselung entwickelt und in den allgemeinen Gebrauch überführt.

Beispiel B: Wenn Senioren nicht recht wissen, wie sie ihre Zeit sinnvoll verwenden, oder wie sie mit ihren Einschränkungen umgehen sollen, können ihnen Informatiker wertvolle Hinweise geben. Das Netzwerk der Senioren-Internet-Initiative (SII) leistet genau dies für Baden-Württemberg. Der Kollege Rul Gunzenhäuser und der Autor stellten dieser wie auch anderen ähnlichen Initiativen Kursmaterial zur Verfügung, in dem 18 für Senioren besonders attraktive Computer-Anwendungen vorgestellt werden.

Beispiel C. Wie der Nobelpreis die Naturwissenschaften, die Medizin und die Wirtschaftswissenschaft stimuliert, so stimuliert der Turing-Preis die Informatik. Dieser von der Association for Computer Machinery (ACM) seit 1966 jährlich einmal verliehene Preis hatte bisher erst einen deutschsprachigen Empfänger, nämlich Niklaus Wirth von der ETH Zürich. Auch in Deutschland engagieren sich die verschiedensten Sponsoren auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlicher Weise in die Förderung von Wissenschaft und Kultur. In diesem Sinne verleiht die Ernst-Denert-Stiftung Preise für ausgezeichnete Leistungen auf dem Gebiet des Software-Ingenieurwesens. Außerdem fördert sie einen Stiftungslehrstuhl an der TU München. Denert war Eigentümer eines Software-Unternehmens in München.

Beispiel D: Wenn es darum geht, auf die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung hinzuweisen, die der Wirtschaft als Ganzer offen stehen, sollten sich Informatiker hierfür nicht zu schade sein. So leitet der Kollege Manfred Broy (München) nach seiner Emeritierung eine entsprechende bayrische Initiative (Zentrum Digitalisierung Bayern). Eine Vielzahl bayrischer Unternehmen machte von dem Angebot Gebrauch, ihre Pläne bezüglich Digitalisierung evaluieren und verbessern zu lassen.

Beispiel E: Computer haben das Potential, die Lebensqualität der Menschen, besonders das von Behinderten zu verbessern. Es sollten Anstrengungen unternommen werden, Informatiker darauf hinzuweisen, Fortschritte in der humanen Nutzung von Computern anzustreben. Diesem Zweck dient der Wolfgang-Heilmann-Preis der Integrata-Stiftung aus Tübingen. Wie Denert so war Heilmann Besitzer eines Software-Hauses.

Beispiel F: Die Informatik hat das Potential, das Lehren und Lernen auf allen Bildungsstufen erheblich zu verbessern. Sie kann zu besseren Lehrmaterialien führen, etwa durch das Einbinden von dynamisch ablaufenden Simulationen. Vor allem aber kann sie den Zwang zur physikalischen Präsenz und Gleichzeitigkeit von Schüler und Lehrveranstaltung überwinden. Eine Methode sind verteilte Online-Kurse (engl. Massive open online courses, Abk. MOOC). Hier leitet das Hasso-Plattner-Institut (HPI) der Universität Potsdam wertvolle Pionierarbeit. Der Kollege Christoph Meinel und sein Team haben nicht nur diese Darbietungsform in Deutschland populär gemacht, sie haben mehrere aktuelle Themengebiete aufbereitet und über 150.000 Hörer gewonnen.

Nicht-fachbezogene Beiträge von Informatikern

Sehr oft werden Fachleute durch ihre Arbeit auch für Themen sensibilisiert, die weit über ihr Fachgebiet hinausgehen. Der Fachmann übt dabei seine Bürgerpflicht aus, allerdings mit besonderer Effizienz. Die wirtschaftlichen Erfolge der Informatik haben auch in Deutschland ehemalige Kollegen in die Lage versetzt, eine allgemeine Mäzen-Funktion wahrzunehmen. Oft sind es Stiftungen, die auch nicht-fachliche Beiträge leisten, die der Gesellschaft allgemein zugutekommen. Es ist zu erwarten, dass in Zukunft vermehrt von Informatikern angestoßene Initiativen in Erscheinung treten.

Beispiel G. In der Diskussion um die Volkszählung 1983 haben Informatiker erheblich dazu beigetragen, dass das Recht der informationellen Selbstbestimmung in Deutschland konkretisiert wurde. So wurde durch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Bürger wissen muss, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn gespeichert hat. Die gefundene Lösung gilt als richtungsweisend und wurde in anderen Ländern teilweise übernommen.

Beispiel H: Ihre Erfolge erzielte die Informatik zwar als Ingenieurwissenschaft. Da diese auf den Naturwissenschaften basieren, ist es angebracht für alle MINT-Fächer zu werben. Dieses Anliegen verfolgt die Klaus-Tschira-Stiftung in Heidelberg. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Des Weiteren fördert sie die verständliche Aufbereitung und Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse. Wie Plattner so war auch Tschira ein Gründer der Firma SAP in Walldorf. Der dritte der bekannten Gründer, Dietmar Hopp, betreibt Regionalentwicklung und Sportförderung. Außerdem investiert er in Biotech-Startups.

Nicht gerechtfertigtes Engagement und falsche Erwartungen

Von einem Informatiker erwartet die Gesellschaft ein abgewogenes Urteil über die Leistungsfähigkeit der Informatik als Technik. Einseitig positive Übertreibungen sind fehl am Platz, genauso wie extrem negative Darstellungen. Wer das Publikum zu Unrecht verängstigt, missbraucht seine Verantwortung. Ein Fachmann darf, ja muss darauf hinweisen, wenn der Wert einer Technik oder einer technischen Lösung in Fachkreisen umstritten ist.

Anders ist es mit der bewussten Vertretung eines Standpunkts, der Vorteile für den Betreffenden nach sich zieht. Jeder Fachmann − aus gleich welchem Feld − tut gut daran zu erkennen zu geben, ob er seine Meinung aus Sicht eines neutralen Fachmanns abgibt, oder ob er Partei für eine für ihn vorteilhafte Sache ergreift. Bestehen hier Unklarheit oder gar Zweifel, wird stets Parteilichkeit unterstellt. Informatiker sind hier keine Ausnahme. Man kann es als Dilemma ansehen, dass Wissen am ehesten dort zu finden ist, wo auch wirtschaftliches Interesse besteht.

Ein Informatiker sollte sich bewusst sein, dass Information aus Sicht ihres Besitzers meist einen für sein Geschäft entscheidenden Wert hat. Als Ausdruck des Eigentumsrechts unserer Verfassung muss niemand Information oder Wissen gegen seinen Willen offenlegen. Nur ein explizites Urteil kann dies erzwingen.

Beispiel I: Der Chaos Computer Club (CCC) in Hamburg ist offensichtlich daher so erfolgreich, weil er keine Gelegenheit auslässt, um auf Pannen und Gerüchte mit Presseverlautbarungen zu reagieren. Es entsteht folglich der Eindruck, dass Computer vorwiegend Gefahren und Bedrohungen darstellen. Die Gesellschaft für Informatik (GI), die Fachvertretung aller Informatiker, fühlt sich anscheinend herausgefordert, ins selbe Horn zu blasen. Schließlich ist auf diese Weise ein Maximum an Aufmerksamkeit zu erreichen. Die GI muss sich allerdings fragen lassen, ob und wie weit sie damit die Informatik fachlich und technisch weiterbringt.

Beispiel J: Viele Informatiker scheinen Sympathisanten von WikiLeaks und Julian Anssage zu sein. Der Öffentlichkeitseffekt, den die durch Raub oder Täuschung erworbenen Informationen erzielen, scheint die Illegalität des Erwerbs zu rechtfertigen. Es erscheint mir recht anmaßend zu sein, wenn zwielichtige Gestalten sich das Recht nehmen der Welt zu erklären, was öffentliches Interesse ist. Die Argumente für offenen Quellcode und schwachen Patentschutz deuten nicht selten auf mangelndes Unrechtsbewusstsein hin.

Nachbemerkung

Die Frage des professionellen Verhaltens von Informatikern hat viele Aspekte. Hier wurde nur ein ganz bestimmter Ausschnitt betrachtet. Auf eine etwas anders ausgerichtete Behandlung [1] des Themas sei hingewiesen.

Referenz

1. Endres, A.: Professionalität und Verantwortung in der Informatik. Informatik Spektrum 26,4 (2003), 261-266

7 Kommentare:

  1. Christoph Meinel aus Potsdam schrieb: Mir gefällt Ihre Fragestellung und die Gedanken dazu.

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  2. Manfred Broy (zurzeit in Palo Alto) schrieb: Mit dem, was Sie schreiben und noch stärker mit dem, was Sie beabsichtigen, bin ich ganz bei Ihnen. Ich habe den Eindruck, dass die Informatik als akademische Disziplin weitgehend ignoriert, welche Bedeutung die Informatik praktisch bekommen hat. Das gilt natürlich nicht pauschal. Es gibt sicher Ausnahmen, und einige davon sprechen Sie ja an, aber ich habe den Eindruck, dass sich die Informatik gerade in ihrer praktischen Anwendung und Bedeutung so schnell entwickelt, dass es vielen Informatikprofessoren gerade in Deutschland schwerfällt, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Sie blenden das aus, bleiben stehen und kommen damit in gewisser Weise ihrer grundlegenden Verantwortung für das Fach, für die Lehre und die Forschung nicht wirklich nach.

    Ich sehe das im Moment deshalb so deutlich vor Augen, weil ich gerade in Palo Alto bin und an der Stanford University als Co-Chair an einem Mini-Summit mitgewirkt habe, der sich um die Frage der europäischen Softwareindustrien kümmert. Mir war das im Wesentlichen klar, aber trotzdem war ich doch noch einmal nahezu schockiert über die Art und Weise, wie hier das Thema Informatik als Möglichkeit gesehen wird, im großen Stil Geschäftserfolg anzustreben. Ich habe u.a. Andreas von Bechtolsheim getroffen und konnte mich auch etwas länger mit ihm unterhalten, und er ist wirklich ein interessanter Prototyp der Denkweise hier im Silikon Valley. Er wird zu dem Thema auch in Kürze einen Artikel in der „ZEIT“ veröffentlichen, der − wie ich meine − sehr symptomatisch ist für die unterschiedlichen Sichtweisen.

    Letztendlich erzeugen die unterschiedlichen Entwicklungen − Silicon Valley zum einen und die anderen Hot Spots weltweit − Entwicklungen wie Software-Plattformfirmen und Ökosysteme. Daneben China, das mit atemberaubender Geschwindigkeit nach vorne geht, alles gestützt auf eine wirklich unglaubliche Entwicklung der Technologie und des Eindringens der Technologie in alle Lebens- und Geschäftsbereiche − Software frisst im wahrsten Sinne des Worte die Welt − die große Bedeutung, die das Thema für die unterschiedlichen Volkswirtschaften hat und die dramatischen Veränderungen, die dadurch ausgelöst werden, gleichzeitig die Veränderungen in den Köpfen der Menschen und in der Art und Weise, wie sie ihren Beruf und Alltag bestreiten, und daneben die Herausforderungen des Fachs Informatik vor dem Hintergrund einer Politik, die das Thema wirklich ganz und gar nicht versteht und darauf entweder euphorisch oder eher ablehnend oder nach dem Motto „Nicht sehen, Nichts hören, Nichts sagen“ reagiert. Gleichzeitig haben wir in Deutschland eine Wirtschaft, die sich vielerlei Hinsicht unglaublich schwertut, in die Themen kompetent einzusteigen. Gerade die etablierten Unternehmen der sogenannten Old Economy haben kaum klare Strategien, geben sich nach außen einen eher fortschrittlichen Anstrich, aber bis auf wenige Ausnahmen haben sie in ihrer strategischen Sicht das Thema nicht durchdrungen oder sind zumindest viel zu langsam, die Dinge aufzugreifen.

    Mich lässt das alles − ehrlich gesagt − ein wenig ratlos. Wie man diese vielen Themen und zusätzlich die schönen interessanten wissenschaftlichen Fragestellungen unseres Gebietes alle unter einen Hut bringen soll, wird mir mehr und mehr zum Rätsel. Nichtsdestoweniger freue ich mich, dass Sie sich diesem Thema unverdrossen widmen. Es wäre wichtig, dass das mehr Informatiker mit der gleichen Ernsthaftigkeit täten.

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  3. Ernst Denert aus München schrieb: Mit Ihrer Grundaussage bin ich völlig einig: Ich mag es nicht, wenn Leute ihre weltanschaulichen und politischen Ansichten mit ihrer beruflichen Qualifikation zu legitimieren und zu überhöhen versuchen, wenn sie sie doch als gewöhnlicher Bürger sagen könnten. Nicht jeder einfache Ingenieur oder Informatiker kann eine Deutungshoheit beanspruchen wie einst die Göttinger Achtzehn in Sachen Atomenergie. Derartige Anmaßung hat mich aus der GI getrieben.

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  4. Peter Hiemann aus Grasse schrieb: Was Manfred Broy über die akademische Disziplin Informatik sagt, trifft den Nagel auf den Kopf. Wenn der Begriff 'Gesellschaft' nicht nur mit „umfassender Einheit einer Sprachgemeinschaft oder eines Staatsvolks' assoziiert wird, sondern mit den Funktionen und der Umwelt eines Staatswesens, eröffnen sich Perspektiven, die den Einfluss von IT auf die Gesellschaft zeigen.

    Ich neige dazu, Computeranwendungen generell in zwei Klassen aufzuteilen, sinnvoll und fragwürdig. Der Begriff 'sinnvoll' bedeutet, dass Computeranwendungen positiv eingeschätzt werden, weil sie gesellschaftliche soziale Sicherheit (z.B. Vermögen, Einkommen) gewährleisten, berufliche Perspektiven für umfassende Bevölkerungsgruppen (z.B. Kindergartenpersonal, Krankenhauspersonal, Alterspflegepersonal, Polizei etc.) ermöglichen, und grundlegendes Rechtsempfinden nicht verletzen. Der Begriff ‚fragwürdig' bedeutet, dass Computeranwendungen unter Vorbehalt eingeschätzt werden, ob sie auch mögliche Ursachen für irritierende, störende, chaotische oder gar schädliche Einflüsse auf Gesellschaftsverhältnisse sein können.

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  5. Zufällig wurde ich dieser Tage an eine Initiative erinnert, die mein Ex-Kollege Peter Drescher vor 20 Jahren ins Leben rief. Es ist die Selbsthilfegruppe Herzklappenpatienten Holzgerlingen (http://www.shg-herzklappe-hzg.de). Per Internet beraten ehrenamtliche Mitglieder Patienten in ganz Europa, von Litauen bis Ungarn. Die Gruppe stellt Informationsmaterial zur Verfügung und veranstaltet Vorträge von Experten.

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  6. Peter Mertens aus Nürnberg wies mich auf seinen Artikel in der Zeitschrift WIRTSCHAFTSINFORMATIK UND MANAGEMENT im Heft 01/2011 hin. Er ist überschrieben mit ‚Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Wirtschaftsinformatik‘. Hier vertritt Mertens weitgehend dieselben Ansichten, die ich in meinem Blog-Beitrag vertrete. Wo Mertens von Wirtschaftsinformatik (WI) spricht, rede ich von Informatik allgemein. Dieselbe Haltung zu gesellschaftlichen Fragen und Anforderungen, die Mertens von der WI verlangt oder erwartet, verlange und erwarte ich von allen Informatikern. Ich sehe keinen Grund, warum mehr technisch orientierte Informatikerinnen und Informatiker von dieser Betrachtungsweise ausgenommen werden. Tun sie es selber, schaffen sie sich ein ernsthaftes Problem.

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  7. Peter Hiemann aus Grasse schrieb: Zwischen 2011 und 2019 ist im Bereich IT viel passiert. Heute gibt es IT-Anwendungen, die direkten Einfluss auf individuelle Denk- und Verhaltensweisen sowie die natürliche Umwelt und die gesellschaftlichen Verhältnisse haben. Ich bin der Auffassung, dass heute jeder − unabhängig von dessen spezieller gesellschaftlichen Position − für sein Denken und Verhalten gesellschaftliche Verantwortung trägt. Warum soll für Techniker und Informatiker nicht gelten, was für Naturwissenschaftler zunehmend eine Rolle spielt?

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