In vielen öffentlichen Diskussionen wird der Eindruck vermittelt,
dass alles besser würde, wenn mehr auf Experten gehört würde. Die Informatik
und damit die Informatiker kommen immer dann ins Spiel, wenn Themen wie
Automatisierung, Informationsverbreitung, öffentliche Beteiligung und
Überwachung im Vordergrund stehen. Im Folgenden wird versucht zu umreißen,
welche Beiträge hier von Informatikern mit Recht zu erwarten sind. Das Wort
Informatiker steht hier für alle Stufen der beruflichen Qualifikation, für alle
damit verbundenen Tätigkeitsprofile und für Vertreter beider bzw. aller Geschlechter.
Selbstbild des Informatikers
Als Informatiker versteht sich jemand, der aufgrund seiner
Ausbildung und/oder Erfahrung in der Lage ist, informationsverarbeitende
Prozesse zu automatisieren. Solche Prozesse sind in sehr vielen
Geschäftsfeldern zu finden, in vielen professionellen und nicht-professionellen
Tätigkeiten, im Privatbereich wie in der Wirtschaft und der Gesellschaft. Für
die Automatisierung zugänglich sind solche Prozesse, bei denen die benötigten
Daten digital erfasst werden können oder bereits in digitalisierter Form
vorliegen.
Die Automatisierung ist immer dann sinnvoll, d.h. erstrebenswert, wenn
der Umfang der Daten erheblich ist, die Verarbeitung schnell und die Verteilung
der Ergebnisse weiträumig geschehen soll, oder wenn ein hohes Maß an
Zuverlässigkeit erreicht werden soll. Die Automatisierung erfolgt heute (fast) immer
durch den Einsatz programmgesteuerter Maschinen, die sowohl als
Einzelprozessoren wie als Verbundnetz in Erscheinung treten. Der menschliche Aspekt
der Informationsverarbeitung kann an unterschiedlichen Stellen zum Tragen
kommen. Menschen sind entweder Gestalter, Betroffene oder Nutzer. Sie bestimmen
Sinn, Wert und Form.
Jemand betrachtet sich als Informatiker, wenn seine
Informatik-Kompetenz für sein berufliches Auskommen bestimmend ist. Bei einer
Vielzahl von anderen Berufen können gewisse Informatik-Kompetenzen nützlich
sein.
Gesellschaft und ihre Bedürfnisse
Das Wort Gesellschaft
wird hier als Abstraktion aufgefasst für eine Vielzahl von Ausprägungen wie
Familie, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Gemeinde, Berufs- oder Altersgruppe,
Sprachgemeinschaft oder Staatsvolk. Da alle diese Ausprägungen sich sehr
unterscheiden, wird das Wort fast immer mit der umfassenderen Einheit
assoziiert. Das ist entweder die Sprachgemeinschaft oder das Staatsvolk.
Der deutschsprachige Leser mag daher primär an das deutsche, das
österreichische oder einen Teil des schweizerischen Volks (Deutsch-Schweizer) denken.
Beim französisch-sprechenden Leser sind es Franzosen, frankophone Schweizer,
Kanadier und Belgier (Wallonen). In beiden Fällen handelt es sich um über 100
Millionen Menschen. Wesentlich kleiner sind dagegen die Gesellschaften Luxemburgs (etwa 600.000 Menschen, davon 47%
Ausländer) und Maltas (etwa 430.000 Menschen). Von einer europäischen oder sogar
einer globalen Gesellschaft zu sprechen, ist nicht üblich. Im Grunde gibt es
ein Vielzahl inhomogener Gesellschaften mit diversen Abgrenzungen und Überlappungen.
Die Frage ist berechtigt, ob es die Gesellschaft überhaupt gibt. Sie ist
vielleicht ein Phantom. Das kann nicht daran hindern, das Wort Gesellschaft für
eine Anhäufung von Individuen mit oder ohne Gemeinsamkeiten zu verwenden, vor
allem in der Form Gesellschaft von X oder Gesellschaft für Y.
Eine Gesellschaft hat das Bedürfnis sich selbst zu verstehen, d.h.
ihre Wünsche, ihre Hoffnungen, ihre Unterschiede und ihre Gemeinsamkeiten. Der
Glaube herrscht vor, dass dieses Wissen uns zu rationalem Handeln führen wird. Eine
Gesellschaft sollte auch darüber informiert sein, wieweit sie gewissen Idealen entspricht,
was die Beteiligung an Entscheidungsprozessen oder der Verteilung von Besitz
und Gütern betrifft. Dabei muss die Information über den Status Quo getrennt
erfolgen von der Werbung für Veränderungen. Für diese Aufgabe fühlen sich unter
anderem die öffentlichen Medien (Rundfunk, Presse) von Berufswegen verantwortlich.
Im Jahre 1776 haben bekanntlich die Verfassungsväter der USA als
erste konkrete Wunschvorstellungen ihrer Bürger gegenüber der Gesellschaft festgeschrieben,
so das Recht auf Privateigentum und das Suchen nach Glück. Einige spätere
Verfassungen sahen sich veranlasst, das Privateigentum, ja den Kapitalismus ganz
zu verbieten und stattdessen das marxistische Gedankengut als die Grundlage für
das Zusammenleben zu erklären. Unser deutsches Grundgesetz (GG) ist ein
Kompromiss. Es besagt, dass Eigentum verpflichtet (Art. 14), und zwar soll es dem
Wohle der Allgemeinheit dienen – was immer das heißt. Ferner fordert es die Angleichung
der Lebensverhältnisse (Art. 72) in allen Regionen seines Geltungsbereichs. In
Deutschland herrscht weitgehende Übereinstimmung, dass das GG eine angemessene
und akzeptierte Basis der Gesellschaft darstellt. Keine ernstzunehmende
politische Kraft bezweifelt dies – welch
ein Glücksfall der Geschichte.
Fachliche Beiträge von Informatikern für die Gesellschaft
Fasst man den Begriff der Gesellschaft so auf wie oben
beschrieben, haben Informatiker kaum Aufgaben der Gesellschaft gegenüber, die
über die anderer Berufsgruppen wesentlich hinausgehen. Sofern sie ihre
eigentliche Tätigkeit verantwortungsvoll ausführen, liefern sie meist einen
positiven Beitrag zu Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Informatiker hat keinen
Grund die von ihm gewählte Tätigkeit als solche kritisch zu hinterfragen oder
sich von ihr zu distanzieren. Er muss nur solche Projekte machen, die ihm
zusagen und die ethisch und moralisch einwandfrei sind. Informatiker sind
normalerweise in der komfortlaben Position, dass ihnen die Kunden die Türe
einrennen.
Es geht hier darum, wann und wie der Informatiker aktiv werden
soll, wenn er Kompetenzen besitzt, die andere Berufe nicht besitzen. Er sollte dabei
der Gesellschaft als Ganzer helfen, bei einer ihr drohenden Gefahr vorzubeugen,
aus einer Notlage zu entkommen oder möglicherweise entgangenen Nutzen zu
realisieren.
Informatiker handeln auch dann professionell, wenn sie mögliche
Nutzer auf das Potential ihrer Technik hinweisen, wo dies angebracht oder
sinnvoll ist. Das darf aber nicht als lästig oder überheblich empfunden werden.
So sollte ein Informatiker die öffentliche Verwaltung auf Schwächen hinweisen,
die leicht mittels Informatik-Lösungen behoben werden können. Informatiker
dürfen ihre Auftraggeber aus der Wirtschaft auf Mängel in ihrer
Wettbewerbsfähigkeit hinweisen, sowohl was den Vergleich zu Mitbewerbern als
auch den Vergleich zu Branchenfremden betrifft, sowohl aus dem Inland wie aus
dem Ausland. Das Eingreifen des Informatikers kann unter anderem darin bestehen
Projekt-Betroffene zu identifizieren, die dies von sich aus nicht merken oder
vor Risiken und Auswirkungen zu warnen, die Nicht-Fachleute leicht übersehen.
Beispiel A: Wie
ein Arzt, der auch außerhalb seiner Praxis seine Mitmenschen vor Rauchen warnt
und Bewegung empfiehlt, so sollte ein Informatiker, wo immer er kann, dazu
raten seine Daten zu verschlüsseln, Passwort-Schutz zu verwenden und keine
unbekannten E-Mail-Anhänge zu öffnen. Das Fraunhofer-Institut für Sichere
Informationstechnik (SIT)
in Darmstadt hat ein besonders einfaches Verfahren mit der Bezeichnung Volksverschlüsselung
entwickelt und in den allgemeinen Gebrauch überführt.
Beispiel B: Wenn
Senioren nicht recht wissen, wie sie ihre Zeit sinnvoll verwenden, oder wie sie
mit ihren Einschränkungen umgehen sollen, können ihnen Informatiker wertvolle
Hinweise geben. Das Netzwerk der Senioren-Internet-Initiative (SII)
leistet genau dies für Baden-Württemberg. Der Kollege Rul Gunzenhäuser und der
Autor stellten dieser wie auch anderen ähnlichen Initiativen Kursmaterial
zur Verfügung, in dem 18 für Senioren besonders attraktive Computer-Anwendungen
vorgestellt werden.
Beispiel C.
Wie der Nobelpreis die Naturwissenschaften, die Medizin und die Wirtschaftswissenschaft
stimuliert, so stimuliert der Turing-Preis
die Informatik. Dieser von der Association for Computer Machinery (ACM) seit
1966 jährlich einmal verliehene Preis hatte bisher erst einen deutschsprachigen
Empfänger, nämlich Niklaus Wirth von der ETH Zürich. Auch in Deutschland
engagieren sich die verschiedensten Sponsoren auf unterschiedlichen Ebenen und
in unterschiedlicher Weise in die Förderung von Wissenschaft und Kultur. In diesem
Sinne verleiht die Ernst-Denert-Stiftung
Preise für ausgezeichnete Leistungen auf dem Gebiet des Software-Ingenieurwesens.
Außerdem fördert sie einen Stiftungslehrstuhl an der TU München. Denert war
Eigentümer eines Software-Unternehmens in München.
Beispiel D: Wenn
es darum geht, auf die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung hinzuweisen,
die der Wirtschaft als Ganzer offen stehen, sollten sich Informatiker hierfür
nicht zu schade sein. So leitet der Kollege Manfred Broy (München) nach seiner
Emeritierung eine entsprechende bayrische Initiative (Zentrum
Digitalisierung Bayern). Eine Vielzahl bayrischer
Unternehmen machte von dem Angebot Gebrauch, ihre Pläne bezüglich
Digitalisierung evaluieren und verbessern zu lassen.
Beispiel E: Computer
haben das Potential, die Lebensqualität der Menschen, besonders das von
Behinderten zu verbessern. Es sollten Anstrengungen unternommen werden,
Informatiker darauf hinzuweisen, Fortschritte in der humanen Nutzung von
Computern anzustreben. Diesem Zweck dient der Wolfgang-Heilmann-Preis
der Integrata-Stiftung aus Tübingen. Wie Denert so war Heilmann Besitzer eines
Software-Hauses.
Beispiel F: Die
Informatik hat das Potential, das Lehren und Lernen auf allen Bildungsstufen
erheblich zu verbessern. Sie kann zu
besseren Lehrmaterialien führen, etwa durch das Einbinden von dynamisch
ablaufenden Simulationen. Vor allem aber kann sie den Zwang zur physikalischen
Präsenz und Gleichzeitigkeit von Schüler und Lehrveranstaltung überwinden. Eine
Methode sind verteilte Online-Kurse (engl. Massive
open online courses, Abk. MOOC). Hier leitet das Hasso-Plattner-Institut (HPI) der Universität Potsdam wertvolle Pionierarbeit. Der Kollege
Christoph Meinel und sein Team haben nicht nur diese Darbietungsform in
Deutschland populär gemacht, sie haben mehrere aktuelle Themengebiete
aufbereitet und über 150.000 Hörer gewonnen.
Nicht-fachbezogene Beiträge von Informatikern
Sehr oft werden Fachleute durch ihre Arbeit auch für Themen
sensibilisiert, die weit über ihr Fachgebiet hinausgehen. Der Fachmann übt
dabei seine Bürgerpflicht aus, allerdings mit besonderer Effizienz. Die wirtschaftlichen
Erfolge der Informatik haben auch in Deutschland ehemalige Kollegen in die Lage
versetzt, eine allgemeine Mäzen-Funktion wahrzunehmen. Oft sind es Stiftungen,
die auch nicht-fachliche Beiträge leisten, die der Gesellschaft allgemein zugutekommen.
Es ist zu erwarten, dass in Zukunft vermehrt von Informatikern angestoßene
Initiativen in Erscheinung treten.
Beispiel G.
In der Diskussion um die Volkszählung 1983 haben Informatiker erheblich dazu
beigetragen, dass das Recht der informationellen
Selbstbestimmung in Deutschland konkretisiert wurde. So wurde durch das
Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Bürger wissen muss, wer was wann
und bei welcher Gelegenheit über ihn gespeichert hat. Die gefundene Lösung gilt
als richtungsweisend und wurde in anderen Ländern teilweise übernommen.
Beispiel H: Ihre
Erfolge erzielte die Informatik zwar als Ingenieurwissenschaft. Da diese auf
den Naturwissenschaften basieren, ist es angebracht für alle MINT-Fächer zu
werben. Dieses Anliegen verfolgt die Klaus-Tschira-Stiftung in
Heidelberg. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und
Technik. Des Weiteren fördert sie die verständliche Aufbereitung und
Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse. Wie Plattner so war auch Tschira ein
Gründer der Firma SAP in Walldorf. Der dritte der bekannten Gründer, Dietmar
Hopp, betreibt Regionalentwicklung und Sportförderung. Außerdem investiert er in
Biotech-Startups.
Nicht gerechtfertigtes Engagement und falsche Erwartungen
Von einem Informatiker erwartet die Gesellschaft ein abgewogenes
Urteil über die Leistungsfähigkeit der Informatik als Technik. Einseitig
positive Übertreibungen sind fehl am Platz, genauso wie extrem negative
Darstellungen. Wer das Publikum zu Unrecht verängstigt, missbraucht seine
Verantwortung. Ein Fachmann darf, ja muss darauf hinweisen, wenn der Wert einer
Technik oder einer technischen Lösung in Fachkreisen umstritten ist.
Anders ist es mit der bewussten Vertretung eines Standpunkts, der
Vorteile für den Betreffenden nach sich zieht. Jeder Fachmann − aus gleich
welchem Feld − tut gut daran zu erkennen zu geben, ob er seine Meinung aus
Sicht eines neutralen Fachmanns abgibt, oder ob er Partei für eine für ihn
vorteilhafte Sache ergreift. Bestehen hier Unklarheit oder gar Zweifel, wird
stets Parteilichkeit unterstellt. Informatiker sind hier keine Ausnahme. Man
kann es als Dilemma ansehen, dass Wissen am ehesten dort zu finden ist, wo auch
wirtschaftliches Interesse besteht.
Ein Informatiker sollte sich bewusst sein, dass Information aus
Sicht ihres Besitzers meist einen für sein Geschäft entscheidenden Wert hat.
Als Ausdruck des Eigentumsrechts unserer Verfassung muss niemand Information oder
Wissen gegen seinen Willen offenlegen. Nur ein explizites Urteil kann dies
erzwingen.
Beispiel I: Der
Chaos Computer Club (CCC)
in Hamburg ist offensichtlich daher so erfolgreich, weil er keine Gelegenheit
auslässt, um auf Pannen und Gerüchte mit Presseverlautbarungen zu reagieren. Es
entsteht folglich der Eindruck, dass Computer vorwiegend Gefahren und
Bedrohungen darstellen. Die Gesellschaft für Informatik (GI), die
Fachvertretung aller Informatiker, fühlt sich anscheinend herausgefordert, ins
selbe Horn zu blasen. Schließlich ist auf diese Weise ein Maximum an
Aufmerksamkeit zu erreichen. Die GI muss sich allerdings fragen lassen, ob und
wie weit sie damit die Informatik fachlich und technisch weiterbringt.
Beispiel J:
Viele Informatiker scheinen Sympathisanten von WikiLeaks und
Julian Anssage zu sein. Der Öffentlichkeitseffekt, den die durch Raub oder
Täuschung erworbenen Informationen erzielen, scheint die Illegalität des
Erwerbs zu rechtfertigen. Es erscheint mir recht anmaßend zu sein, wenn
zwielichtige Gestalten sich das Recht nehmen der Welt zu erklären, was
öffentliches Interesse ist. Die Argumente für offenen Quellcode und schwachen
Patentschutz deuten nicht selten auf mangelndes Unrechtsbewusstsein hin.
Nachbemerkung
Die Frage des professionellen Verhaltens von Informatikern hat
viele Aspekte. Hier wurde nur ein ganz bestimmter Ausschnitt betrachtet. Auf
eine etwas anders ausgerichtete Behandlung [1] des Themas sei hingewiesen.
Referenz
1. Endres, A.: Professionalität und Verantwortung in der Informatik. Informatik Spektrum 26,4 (2003), 261-266
Christoph Meinel aus Potsdam schrieb: Mir gefällt Ihre Fragestellung und die Gedanken dazu.
AntwortenLöschenManfred Broy (zurzeit in Palo Alto) schrieb: Mit dem, was Sie schreiben und noch stärker mit dem, was Sie beabsichtigen, bin ich ganz bei Ihnen. Ich habe den Eindruck, dass die Informatik als akademische Disziplin weitgehend ignoriert, welche Bedeutung die Informatik praktisch bekommen hat. Das gilt natürlich nicht pauschal. Es gibt sicher Ausnahmen, und einige davon sprechen Sie ja an, aber ich habe den Eindruck, dass sich die Informatik gerade in ihrer praktischen Anwendung und Bedeutung so schnell entwickelt, dass es vielen Informatikprofessoren gerade in Deutschland schwerfällt, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Sie blenden das aus, bleiben stehen und kommen damit in gewisser Weise ihrer grundlegenden Verantwortung für das Fach, für die Lehre und die Forschung nicht wirklich nach.
AntwortenLöschenIch sehe das im Moment deshalb so deutlich vor Augen, weil ich gerade in Palo Alto bin und an der Stanford University als Co-Chair an einem Mini-Summit mitgewirkt habe, der sich um die Frage der europäischen Softwareindustrien kümmert. Mir war das im Wesentlichen klar, aber trotzdem war ich doch noch einmal nahezu schockiert über die Art und Weise, wie hier das Thema Informatik als Möglichkeit gesehen wird, im großen Stil Geschäftserfolg anzustreben. Ich habe u.a. Andreas von Bechtolsheim getroffen und konnte mich auch etwas länger mit ihm unterhalten, und er ist wirklich ein interessanter Prototyp der Denkweise hier im Silikon Valley. Er wird zu dem Thema auch in Kürze einen Artikel in der „ZEIT“ veröffentlichen, der − wie ich meine − sehr symptomatisch ist für die unterschiedlichen Sichtweisen.
Letztendlich erzeugen die unterschiedlichen Entwicklungen − Silicon Valley zum einen und die anderen Hot Spots weltweit − Entwicklungen wie Software-Plattformfirmen und Ökosysteme. Daneben China, das mit atemberaubender Geschwindigkeit nach vorne geht, alles gestützt auf eine wirklich unglaubliche Entwicklung der Technologie und des Eindringens der Technologie in alle Lebens- und Geschäftsbereiche − Software frisst im wahrsten Sinne des Worte die Welt − die große Bedeutung, die das Thema für die unterschiedlichen Volkswirtschaften hat und die dramatischen Veränderungen, die dadurch ausgelöst werden, gleichzeitig die Veränderungen in den Köpfen der Menschen und in der Art und Weise, wie sie ihren Beruf und Alltag bestreiten, und daneben die Herausforderungen des Fachs Informatik vor dem Hintergrund einer Politik, die das Thema wirklich ganz und gar nicht versteht und darauf entweder euphorisch oder eher ablehnend oder nach dem Motto „Nicht sehen, Nichts hören, Nichts sagen“ reagiert. Gleichzeitig haben wir in Deutschland eine Wirtschaft, die sich vielerlei Hinsicht unglaublich schwertut, in die Themen kompetent einzusteigen. Gerade die etablierten Unternehmen der sogenannten Old Economy haben kaum klare Strategien, geben sich nach außen einen eher fortschrittlichen Anstrich, aber bis auf wenige Ausnahmen haben sie in ihrer strategischen Sicht das Thema nicht durchdrungen oder sind zumindest viel zu langsam, die Dinge aufzugreifen.
Mich lässt das alles − ehrlich gesagt − ein wenig ratlos. Wie man diese vielen Themen und zusätzlich die schönen interessanten wissenschaftlichen Fragestellungen unseres Gebietes alle unter einen Hut bringen soll, wird mir mehr und mehr zum Rätsel. Nichtsdestoweniger freue ich mich, dass Sie sich diesem Thema unverdrossen widmen. Es wäre wichtig, dass das mehr Informatiker mit der gleichen Ernsthaftigkeit täten.
Ernst Denert aus München schrieb: Mit Ihrer Grundaussage bin ich völlig einig: Ich mag es nicht, wenn Leute ihre weltanschaulichen und politischen Ansichten mit ihrer beruflichen Qualifikation zu legitimieren und zu überhöhen versuchen, wenn sie sie doch als gewöhnlicher Bürger sagen könnten. Nicht jeder einfache Ingenieur oder Informatiker kann eine Deutungshoheit beanspruchen wie einst die Göttinger Achtzehn in Sachen Atomenergie. Derartige Anmaßung hat mich aus der GI getrieben.
AntwortenLöschenPeter Hiemann aus Grasse schrieb: Was Manfred Broy über die akademische Disziplin Informatik sagt, trifft den Nagel auf den Kopf. Wenn der Begriff 'Gesellschaft' nicht nur mit „umfassender Einheit einer Sprachgemeinschaft oder eines Staatsvolks' assoziiert wird, sondern mit den Funktionen und der Umwelt eines Staatswesens, eröffnen sich Perspektiven, die den Einfluss von IT auf die Gesellschaft zeigen.
AntwortenLöschenIch neige dazu, Computeranwendungen generell in zwei Klassen aufzuteilen, sinnvoll und fragwürdig. Der Begriff 'sinnvoll' bedeutet, dass Computeranwendungen positiv eingeschätzt werden, weil sie gesellschaftliche soziale Sicherheit (z.B. Vermögen, Einkommen) gewährleisten, berufliche Perspektiven für umfassende Bevölkerungsgruppen (z.B. Kindergartenpersonal, Krankenhauspersonal, Alterspflegepersonal, Polizei etc.) ermöglichen, und grundlegendes Rechtsempfinden nicht verletzen. Der Begriff ‚fragwürdig' bedeutet, dass Computeranwendungen unter Vorbehalt eingeschätzt werden, ob sie auch mögliche Ursachen für irritierende, störende, chaotische oder gar schädliche Einflüsse auf Gesellschaftsverhältnisse sein können.
Zufällig wurde ich dieser Tage an eine Initiative erinnert, die mein Ex-Kollege Peter Drescher vor 20 Jahren ins Leben rief. Es ist die Selbsthilfegruppe Herzklappenpatienten Holzgerlingen (http://www.shg-herzklappe-hzg.de). Per Internet beraten ehrenamtliche Mitglieder Patienten in ganz Europa, von Litauen bis Ungarn. Die Gruppe stellt Informationsmaterial zur Verfügung und veranstaltet Vorträge von Experten.
AntwortenLöschenPeter Mertens aus Nürnberg wies mich auf seinen Artikel in der Zeitschrift WIRTSCHAFTSINFORMATIK UND MANAGEMENT im Heft 01/2011 hin. Er ist überschrieben mit ‚Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Wirtschaftsinformatik‘. Hier vertritt Mertens weitgehend dieselben Ansichten, die ich in meinem Blog-Beitrag vertrete. Wo Mertens von Wirtschaftsinformatik (WI) spricht, rede ich von Informatik allgemein. Dieselbe Haltung zu gesellschaftlichen Fragen und Anforderungen, die Mertens von der WI verlangt oder erwartet, verlange und erwarte ich von allen Informatikern. Ich sehe keinen Grund, warum mehr technisch orientierte Informatikerinnen und Informatiker von dieser Betrachtungsweise ausgenommen werden. Tun sie es selber, schaffen sie sich ein ernsthaftes Problem.
AntwortenLöschenPeter Hiemann aus Grasse schrieb: Zwischen 2011 und 2019 ist im Bereich IT viel passiert. Heute gibt es IT-Anwendungen, die direkten Einfluss auf individuelle Denk- und Verhaltensweisen sowie die natürliche Umwelt und die gesellschaftlichen Verhältnisse haben. Ich bin der Auffassung, dass heute jeder − unabhängig von dessen spezieller gesellschaftlichen Position − für sein Denken und Verhalten gesellschaftliche Verantwortung trägt. Warum soll für Techniker und Informatiker nicht gelten, was für Naturwissenschaftler zunehmend eine Rolle spielt?
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