Seit Max
Planck im Jahre 1900 feststellte, dass Licht als Körnchen (Quanten) zu
verstehen ist und seit Albert Einstein 1915 die Allgemeine Relativitätstheorie
in die Welt setzte, haben Physiker darum gerungen, beide Auffassungen in
Übereinstimmung zu bringen. Man suchte die umfassende Vereinigung dieser
Theorien (engl. great unifying theory,
Abk. GUT). Ohne auf die diversen Alternativen einzugehen, wird im Folgenden ein
Kandidat näher beschrieben, der nach meinem Dafürhalten zur Zeit gute
Aussichten hat, akzeptiert zu werden. Noch ist es ein Vorschlag neben andern. Der
Vorschlag hat einige bestechende Eigenschaften.
Urheber
und Namensgebung
Meist
werden drei Physiker als die Urheber dieser Theorie genannt: der Inder Abhay Ashtekar (*1949), der
US-Amerikaner Lee Smolin (*1955) und der
Italiener Carlo Rovelli (*1956). Im
Folgenden dient Rovellis Buch Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint (2016, 320 Seiten) als primäre Quelle und Bezugspunkt. Auch
der zugehörige Wikipedia-Eintrag ist sehr ausführlich und hilft daher dem
Verständnis. Meinem Freund Hans Diel bin ich für einige klärende Diskussionen
zum Thema Quantenphysik sehr dankbar. Der vorliegende Blog-Beitrag wurde durch
ein dieser Tage stattgefundenes Gespräch veranlasst.
Der
Name Schleifen-Gravitation (engl. loop gravitation)
stammt von Ashtekar und Smolin. Sie hatten 1986 nachgewiesen, dass die Wheeler-DeWitt-Gleichung,
mit der die Gravitation in Wellenform beschrieben wird, zu Lösungen führt, wenn
man für die Feldlinien eines Kraftfelds Schleifen zulässt.
Grundlegende
Annahmen
Das,
was man als Raum bezeichnet, ist nicht ein Hintergrund für das physikalische
Geschehen, sondern Teil desselben. Er ist selbst ein dynamisches Objekt, das
den Gesetzen der Quantenmechanik gehorcht. Vor allem ist er nicht unendlich
teilbar. Die Untergrenze für die Teilbarkeit des Raumes ergibt sich aus der
Planckschen Länge. Diese beträgt bekanntlich 10-33 cm.
Elementarteilchen
lassen sich als Knoten in einem mehrdimensionalen Netz auffassen. Ein
Kubikzentimeter enthält maximal 1099 Knoten. Anstatt an ein Netz zu
denken, ist die Vorstellung eines Schaumes hilfreicher. Da Knoten Eigenschaften
haben, die man mit dem Spin des Teilchens vergleichen kann, spricht man
vereinfachend von Spin-Schäumen. Wenn Teilchen neu entstehen oder vorhandene
verschwinden, wenn ihre Eigenschaften oder ihre Beziehungen untereinander sich
ändern, verändert sich der Schaum. Der Schaum kann wachsen oder in sich
zusammenfallen. Diese Veränderungen stellen den Zeitfluss dar. Auch hier gibt
es eine Untergrenze. Sie heißt Plancksche Zeiteinheit und entspricht 10-43
Sekunden. Keine Ereignisse können kürzer sein. Dadurch sind Raum und Zeit
‚gequantelt‘. Sie stellen kein Kontinuum mehr dar. Das unendlich Kleine gäbe es
weder auf den Raum bezogen, noch auf die Zeit. Dasselbe gilt übrigens am
anderen Ende für das unendlich Große in Raum und Zeit – ist aber außerhalb dieses
Themas.
Den Raum
sollte man sich vorstellen als ein Gewebe vibrierender Quantenkörnchen.
Quantenfelder bilden Raum und Zeit, Materie und Licht. Die Realität sei ein
Netzwerk von körnigen Ereignissen. Wenn sie sich beeinflussen, d.h. wenn
Prozesse wechselwirken, dann tauschen sie Information aus. Zwischen Ereignissen
seien Raum und Zeit in einer Wolke aus Wahrscheinlichkeiten aufgelöst.
Raum mit
Quantenkörnchen
Der
Raum sei ein Gravitationsfeld und sonst nichts. Der Raum sei real, er wogt,
biegt und krümmt sich, so wie ein Magnetfeld. Mathematisch beschreiben lässt er
sich als Riemann-Raum. Der Gauß-Schüler Bernhard Riemann (1826-1866)
behandelte gekrümmte Oberflächen und Räume mittels eines Krümmungstensors. Der
ist verschieden von Null, sofern die Krümmung größer oder kleiner als Null ist.
Bei einer positiven Krümmung handelt es ich um einen Buckel, bei negativer
Krümmung um eine Delle. In der physikalischen Realität ist die Krümmung da am
größten, wo Masse oder Materie ist.
Der
Raum würde gebildet durch die Wechselwirkung von Gravitationsquanten. Er
entspricht einem Spin-Netzwerk, in dem Knoten Beziehungen zur Umgebung
darstellen. Das Spin-Netz ist eine Aussage über den Quantenzustand des
Gravitationsfelds. Die Links sagen, welche Punkte Nachbarn sind. Auch die Zeit
entsteht wie der Raum im Gravitationsfeld. Prozesse, die Netzwerke verändern, laufen
in Raumzeit ab. Sie werden als Spin-Schäume dargestellt. Die Zeit kann nicht
beliebig in kleinere Einheiten zerlegt werden, Bei einem Pendel können zwischen
der Ausschlaglänge von 5 und der von 6 cm nur endlich viele Pendelausschläge
liegen. Die uns hier fehlende Information ist endlich.
Detailausschnitt eines Seifenschaums
Physikalisch gesehen bestehe die Welt nur aus Feldern und Teilchen (auch Partikel genannt). Im Grunde seien Felder und Teilchen dasselbe. Sie seien Quantenfelder. Felder bestehen aus Quanten. Teilchen sind die Quanten eines Feldes. Teilchen sind nur da, wo sie mit anderen Teilchen interagieren. Sie haben keinen absoluten, sondern nur einen relativen Ort. Was uns als ein Objekt erscheint, sei in Wirklichkeit ein monotoner Prozess, der eine Weile andauert. Eine Welle dagegen sei kein Objekt. Zusammengefasst: Die Welt im subatomaren Bereich bestehe nicht aus Steinchen, sondern aus einem ständigen Wimmeln und Vibrieren.
Ganz anders erscheint uns dagegen die makroskopische Ebene. Hier können Längen miteinander verglichen werden, ebenso Zeiten. Es macht dort Sinn, über die Dauer von Ereignissen zu sprechen. Längen oder Zeiten müssen geometrischen Anordnungen oder Ereignisketten zugeordnet werden können, die nahe genug zueinander sind, dass wir sie vergleichen können. Messen ist hier stets nur ein Vergleichen.
Erklärte Phänomene in der Realität
Eine Theorie ist nur dann besser als eine andere, wenn sie bereits beobachtete Phänomene erklären kann, die andere Theorien nicht erklären können. Hier einige Kandidaten, die genannt werden:
- Langwellige Gravitationswellen auf einer flachen Hintergrund-Raumzeit
- Die Formel von Jacob Bekenstein, wonach die Entropie eines schwarzen Lochs proportional zu dessen Oberfläche ist
- Die Hawking-Strahlung, die von schwarzen Löchern emittiert wird
- Eine positive kosmologische Konstante, für deren Existenz astronomische Beobachtungen zwingende Indizien geliefert haben.
Keiner dieser
Fälle erscheint mir wirklich so konkret zu sein, dass seine Erklärung als
schlüssiger Beweis gelten könnte. Im Grunde handelt es sich dabei weniger um beobachtete
Phänomene als um Vermutungen oder Theorien. Vielleicht finden sich noch bessere
Beispiele.
Vorhersagen
der Theorie
Neue Theorien
führen manchmal dazu, dass Vorhersagen von Ereignissen gemacht werden können,
die bisher nicht wahrgenommen wurden. Es könnte sich herausstellen, dass die
Lichtgeschwindigkeit von der Wellenlänge des Lichtes abhängt. Die Abweichungen
von dem üblichen Wert fallen besonders dann ins Gewicht, wenn die Wellenlänge
vergleichbar mit den Knotenabständen und damit der Plancklänge wird. In diesem
Falle würden Photonen gewissermaßen die Quantenstruktur der Raumzeit zu spüren
bekommen. Auch hier bestehen noch Verbesserungsmöglichkeiten.
Historische
Wurzeln
Rovelli
ist bemüht zu zeigen, dass diese Theorie uralte Wurzeln hat. Er sieht ihren
Ursprung im griechischen Altertum. Es sei Demokrit von Abdera (459-371 vor Chr.),
ein Schüler des Leukipp aus Milet, gewesen, der ein sehr ähnliches Weltbild
vertrat. Sein Hauptsatz lautete: Tiere und Träume bestehen aus Atomen, so auch Licht,
Meer, Städte und Sterne. Außerdem lehrte er, dass Materie nicht unendlich
teilbar sei. Schon im Altertum wurde er von Platon und Aristoteles bekämpft.
Sie postulierten, dass das Geistige über dem Materiellen stünde, und dass die
Idee Vorrang vor der Realität habe. Die Welt habe weder Ziele noch Ursachen,
meinte Demokrit.
Alle
Schriften des Demokrit gingen verloren, von Aristoteles dagegen keine einzige.
Nur was der römische Autor Lukrez (94-53 vor Chr.) über
ihn überlieferte, wurde wiederentdeckt. Im Mittelalter galt sein Denken als noch
heidnischer als das des Aristoteles. Noch das Konzil von Trient im Jahre 1551
verbot das Studium und die Verbreitung dieser Ideen. Demokrits Weltbild wird als atomistischer
Materialismus bezeichnet.
Moderne
Wissenschaftssoziologie
Im
Schluss sei vermerkt, dass die hier beschriebene Theorie ein weiteres Beispiel
darstellt, wie Wissenschaft arbeitet. Schon vor Jahren beklagte sich Lee
Smolin, dass überall auf der Welt Physiklehrstühle nur von Anhängern der String-Theorie
besetzt seien, und dass Leute, die eine alternative Theorie verträten, kaum
eine Chance hätten, sich erfolgreich zu bewerben. Es scheint mir dies eine Erklärung
dafür zu sein, dass Rovelli, obwohl in Verona geboren, in Marseille lehrt und
seine Schüler überall in Europa tätig sind, nur nicht in Italien.
Was
Rovelli über Information in der Physik sagt, kann nicht sehr befriedigen. Er
gesteht dies auch ein. Wie alle Physiker ist er nicht über Claude Shannons
Gedanken aus den 1950er Jahren hinausgekommen. Das führt ihn zu Aussagen
folgender Art: Der Tee in einer Tasse wird kälter, weil Information verloren
geht. Über jedes System lässt sich stets neue Information gewinnen. Information
(gemeint ist wohl Entropie) kann nur abnehmen und nie zunehmen. Wer eine andere
Auffassung kennenlernen will, sei auf einen Beitrag von 2011 in diesem Blog
verwiesen.
Das einzige erhaltene Textfragment des Lukrez wurde um 1417 von dem italienischen Humanisten Poggio Bracciolini in einer nicht genannten deutschen Klosterbibliothek gefunden.
AntwortenLöschenBracciolini war auf dem Konzil in Konstanz. Als sein Chef Johannes XXIII. abgesetzt wurde, war er arbeitslos. Er besuchte daraufhin mehrere deutsche Klosterbibliotheken. Er brachte etwa ein Dutzend lateinische Klassikertexte mit nach Hause, die er dort gefunden hatte.
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