Die Mitglieder
der Jugendorganisation der SPD, die Jusos, fallen hin und wieder auf. Meist hat
dann einer ihrer Aktiven etwas gesagt oder getan, was nicht in die Tagespolitik
der Mutterpartei passt. Dieser Tage bereitete die ZEIT Kevin Kühnert eine
Plattform, um sich auszulassen. Kühnert ist bundesweit bekannt geworden durch
seinen Widerstand gegen den Eintritt der SPD in die Große Koalition. Zwei
Aussagen hatten es dieses Mal in sich. (a) Man solle Firmen wie BMW endlich in
Kollektivbesitz überführen und (b) Man solle kein Eigentum an Wohnungen
zulassen, die man nicht selbst bewohnt.
Reaktion
der SPD und der Gewerkschaften
Es war
nicht zu verwundern, dass alle rechts von der SPD stehenden politischen Gruppierungen
sich nur dadurch unterschieden, mit welchen Worten sie ihre Abscheu zum
Ausdruck brachten. Erwähnenswert ist nur die Reaktion der SPD. Der rechte Seeheimer
Kreis der SPD unter einem Johannes Kahrs sprach vom Verdacht auf
Rauschmittelgenuss. Der Finanzminister Olaf Scholz erinnerte an seine eigenen Jugendsünden
vor 40 Jahren. Der ewige Linke vom Dienst und Parteivize Ralf Stegner meinte,
Nachdenken sei doch kein Fehler. Andrea Nahles schien zunächst sprachlos. Dann
sagte sie, das was Kühnert wolle, sei nicht die derzeitige Politik der Partei.
Da der Betriebsratsvorsitzende
von BMW
sich direkt angesprochen fühlte, reagierte er auch am klarsten. Manfred Schoch
meinte sogar: „Für Arbeiter deutscher Unternehmen ist diese SPD nicht mehr
wählbar.“ Bei kaum einem anderen Unternehmen in Deutschland seien die Arbeitsplätze
so sicher und gut bezahlt, die Renten so hoch und die Arbeitsbedingungen und
die Arbeitszeitmodelle so fortschrittlich wie bei BMW.
Als süddeutscher
Beobachter möchte ich noch hinzufügen, dass ein Berliner Student, auch wenn er
29 Jahre alt ist, es generell schwer hat, wenn er bayrischen Werktätigen
Ratschläge erteilt.
Peter
Hiemann aus Grasse schrieb:
Ich
interpretiere den Vorschlag der Kollektivierung und 'hysterische' politischen
Reaktionen als nicht ernst zu nehmender Aktionen, die am Ende nichts bewirken.
Das gut geführte Unternehmen BMW als Ziel wirtschaftlicher Umgestaltungen
vorzuschlagen, ist purer Unsinn. Es ist historisch erwiesen (Russland, China),
dass Kollektivierung von Produktionsmitteln kontraproduktiv ist.
Gesellschaftliche
Bewegungen wie 'Fridays for Future'
(ausgegangen von Schweden), 'Extinction Rebellion' (ausgegangen von London) und
'Gilets jaunes' in Frankreich werden von Politikern und Journalisten eher ernst
genommen. Ob sie am Ende etwas bewirken, ist eher unwahrscheinlich. Gesellschaftliche
Bewegungen, verursacht durch gravierend neue technische Entwicklungen und
gesellschaftliche Möglichkeiten, werden von allen ernst genommen. Einige
existierende Computersysteme bewirken bereits
Änderungen menschlicher Denk- und Verhaltensweisen. Existierende
Umweltprobleme, unerwünschte Kapitalkonzentrationen und eine voraussehbare
wirtschaftliche Finanzkrise könnten
Anlass sein, Kapital 'intelligenter' einzusetzen als derzeit üblich und
gewohnt.
Zur
Erinnerung: Im 20. Jahrhundert verursachte die Weltwirtschaftskrise, dass es
in den Vereinigten Staaten zu einen großen Umbruch in politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Systemen kam. Präsident Franklin D. Roosevelt
(FDR) setzte umfangreiche Wirtschafts- und Sozialreformen durch, die als New Deal
bezeichnet wurden.
Franklin
Delano Roosevelt (1882 – 1945) war von 1933 bis zu seinem Tod 1945 der 32.
Präsident der Vereinigten Staaten. Er gehörte der Demokratischen Partei an.
Seine Politik setzte die Leitlinie zum regulierenden Eingreifen der
amerikanischen Regierung ins wirtschaftliche Geschehen, um bestimmte, im
allgemeinen Interesse bestehende Ziele durchzusetzen. Zudem brachten die
Einführung der Sozialversicherung und eines bundesweiten Mindestlohns
nachhaltige Veränderungen im Sozialwesen des Landes mit sich.
PS: Mit
zwei US-Präsidenten, die ähnliche Situationen zu meistern hatten, wird sich
einer meiner nächsten Beiträge befassen, mit Woodrow Wilson und FDR.
Klaus Küspert aus St. Leon-Rot schrieb:
'Ungerechtigkeit ist nicht nur ein Gefühl' meint der DIW-Präsident Marcel Fratzscher im Handelsblatt. Er ist sicher nicht als verkappter Marxist einzustufen ;-) [Ich meine doch. BD]
Klaus Küspert aus St. Leon-Rot schrieb:
'Ungerechtigkeit ist nicht nur ein Gefühl' meint der DIW-Präsident Marcel Fratzscher im Handelsblatt. Er ist sicher nicht als verkappter Marxist einzustufen ;-) [Ich meine doch. BD]
Laut Umfragen wechselten gerade 2% der Wähler von der SPD zur CDU. Vielleicht kennt AKK noch ein paar Jusos, die gerne reden. Sie sollte ihnen helfen zu Wort zu kommen. Schon Merkel hatte ja auch einen Wahlkämpfer namens Steinbrück.
AntwortenLöschenGestern Abend bei Anne Will belehrte Kevin Kühnert den Betriebsrat Schoch von BMW eines Besseren. Es sei keine Frage, "wer von der Satzung seiner jeweiligen Organisation abweicht − er oder ich". Tatsächlich verlangt die IG Metall in ihrer Satzung vom 1. Januar 2016 die "Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum".
AntwortenLöschenIn SPIEGEL 19/2019 wird das Buch 'Das kalte Herz' des Historikers Werner Plumpe besprochen. Er räumt mit der Illusion auf, dass Kapitalismus und Demokratie sich gegenseitig bedingen. Der Kapitalismus entstand, als England und die Niederlande Monarchien waren. Er blühte bei uns schon während der Kaiserzeit. In den USA wuchs er mit der dortigen Demokratie zusammen auf.
AntwortenLöschenWas wirklich zähle seien Privateigentum und niedrige Steuern. Moralische, ethische, soziale und ökologische Überlegungen seien sekundär. In Deutschland und Frankreich erbrachte der Kapitalsmus auch beachtliche Sozialleistungen. Die Regierung Chinas kann sich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Kapitalismus konzentrieren, und die sozialen Leistungen hintanstellen, da sie sich keinen Wahlen stellen muss.
Staatliche Eingriffe hätten in der Regel weniger Effekt als Veränderungen, die durch neue Unternehmen ausgelöst werden. Das Beste, was die Politik tun kann, sei abwarten und auf neue Unternehmen hoffen - meint der Autor.
Peter Hiemann schrieb: Werner Plumpe präsentiert eine sehr vereinfachende Arbeitshypothese über die Rolle der Wirtschaft in einer Gesellschaft. In einem Interview erklärt Plumpe: „Der Kapitalismus ist und war von Anfang an stets eine Ökonomie der armen Menschen und für arme Menschen. Und so lange diese Menschen die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft ausmachen, wird sich daran nur mit Gewalt etwas ändern lassen, und das sicher nicht zum Besseren.“
AntwortenLöschenAn anderer Stelle des Interviews gibt Plumpe zu verstehen, dass Kapitalismus mit einfachen Vorstellungen nicht erfasst werden kann: „Es gibt vielleicht nicht den guten oder akzeptablen Industriekapitalismus und den abzulehnenden Finanzkapitalismus und Dinge, auf die man verzichten kann, sondern das hängt alles sehr, sehr eng miteinander zusammen.“ Plumpe ist vermutlich nicht entgangen, dass der Kapitalismus nicht existiert, sondern lediglich unterschiedliche kapitalorientierte Strukturen und Prozesse in unterschiedlich organisierten Gesellschaften (z.B. USA vs Deutschland, Schweden vs. Deutschland etc.).
Während Plumpes vereinfachende Arbeitshypothese einer utilitaristischen, mechanistischen Sichtweise entspricht, überrascht Plumpe an einer Stelle des Interviews, indem er sich eine organische Perspektive auf die Gesellschaft vorstellt:
„Im Kapitalismus sind Dynamiken freigesetzt oder möglich, die eine ständig neue Umwälzung der Art der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen und ihrer Finanzierung ermöglichen. Das beginnt mit der Industriellen Revolution im 18. Jahrhundert und über die Transportrevolution und die wissenschaftlich-technische Revolution des 19. Jahrhunderts. Das geht in die Konsumrevolution, in die Informationsrevolution des 20. Jahrhunderts, und wer weiß, was jetzt kommt. Das heißt, Kapitalismus macht es wahrscheinlicher, dass, wenn man so will, der materielle Stoffwechsel immer neu organisiert und erfasst wird.“
Betrachtet man eine menschliche Gesellschaft analog zu einem biologischen Organismus als einen gesellschaftlichen Organismus, lässt sich Ökonomie (Art des Wirtschaftens) als Stoffwechselsystem interpretieren. Ein sehr komplexes biologisches Stoffwechselsystem hat die Aufgabe, seine Körperzellen und Organe (Gehirn, Herz,,Leber etc) mit Energie zu versorgen. Biologische Organismen basieren autonomen, kooperativen Subsystemen. Eine Gehirnzelle hält sich nicht für wichtiger als eine Herzzelle. Nur wenn beide 'funktionieren', 'funktioniert' der Organismus. Ein sehr komplexes gesellschaftliches Stoffwechselsystem hat die Aufgaben, alle seine Mitglieder und Institutionen mit Energie zu versorgen (nicht nur mit materiellen Gütern).
Am Ende des Interviews schwant Plumpe, dass seine Arbeitshypothese nicht sehr tragfähig ist: „Wir stehen ja vor einer technologischen Veränderung – Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0, Internet der Dinge –, wo sehr viel passieren kann, und da würde ich mich dann auf den Standpunkt des Historikers zurückziehen und sagen, da bin ich der Auffassung, hat sich zu Recht zum Kapitalismus wohl keine Alternative herausgebildet. Was die Zukunft bringt, da bin ich wahrscheinlich genauso kenntnislos oder unsicher wie alle anderen auch.“
Ein funktionierendes Gesellschaftssystem wird auch zukünftig ein kapitalorientiertes gesellschaftliches Stoffwechselsystem benötigen. Dabei müssen lebenswichtige Bedingungen der natürlichen Umwelt( Nahrung, Wasser, Rohstoffe) und der gesellschaftlichen Umwelt (Menschenrechte, kooperative Institutionen) besser als bisher nachhaltig respektiert werden. Ein funktionierendes Gesellschaftssystem benötigt zusätzlich ein gesellschaftliches Immunsystem, um 'Krankheiten' des gesellschaftlichen Stoffwechselsystems zu 'bekämpfen' bzw. zu kurieren.
.