Vor gut zwei Jahren stieß ich zufällig auf das Buch ‚Sieben Wunder der Informatik‘ von Juraj
Hromkovič. Ich las es mit Vergnügen, fand aber den Titel etwas daneben. Behandelt
wurden sieben mathematische Algorithmen und man suggerierte, dass dies der wesentliche
Kern des Fachgebiets Informatik sei. Das konnte ich natürlich nicht
unwidersprochen stehen lassen. Jetzt begegnete ich Hromkovič wieder, und zwar
als der Gastherausgeber eines Themenhefts Bildung des Informatik Spektrums
(2/2019).
Erfinderinnen und Entwicklerinnen ausbilden
Bilden wir die Erfinderinnen,
Gestalter und Entwicklerinnen digitaler Technologie aus und nicht nur ihre
Konsumenten! So überschreibt Hromkovič seinen Leitartikel. Er bezieht sich
darin auf das so genannte Dagstuhl-Dreieck, das die Ausbildung in Informatik auf
eine Reflexion über Technologien reduziert. Gestaltung und Entwicklung kämen
darin nicht vor, meint er. Da spricht mir jemand aus der Seele, so dachte ich, ziemlich lange hat es gedauert.
Im anschließenden Hauptbeitrag definiert Hromkovič drei Wurzeln der
Informatik, nämlich digitale Informationsdarstellung, Automatisierung per
Algorithmen und Computertechnologie. Die Digitalisierung habe ihren Anfang vor
rund 5.400 Jahren in Mesopotamien gehabt, als Steuerdaten von Millionen
Einwohnern erfasst und außerhalb des menschlichen Gehirns gespeichert wurden.
Algorithmik betrieben die Schüler des Pythagoras, als sie Dreiecke mit den
Seitenlängen 3, 4 und 5 erzeugten, um zu rechten Winkeln zu kommen. Nur die
Computertechnologie ist jüngeren Datums. Dass Hromkovič zwei weitere Wurzeln
der Informatik anerkennt, grenzt fast an ein Wunder. Tontafeln mit Keilschrift
als digitales Medium anzusehen, verwundert etwas.
Die Ausbildung Jugendlicher sollte informatisches Denken
vermitteln, nicht nur das Drücken von Knöpfen. Im Gegensatz zur Mathematik
kenne die Informatik meist verschiedene Lösungswege für ein Problem. Es gehe
darum einen auszuwählen, zu implementieren und die Korrektheit der
Implementierung nachzuweisen. Ein Informatiker muss drei Techniken beherrschen,
das Erschaffen von Schriften aus Zeichen und Symbolen, das Bilden von Sprachen
aus Wörtern und Sätzen und die Durchführung einer Kommunikation mittels einer
Sprache. Ihre Fortschritte erzielte die Menschheit nicht nur durch die
Erzeugung neuen Wissens, sondern auch durch die Entwicklung konstruktiver Vorgehensweisen
im Falle fehlenden oder unvollständigen Wissens. Genau das ist es, was von
jedem Informatiker verlangt wird. Nach Hromkovič, der seine Schulzeit in der ehemaligen Tschechoslowakei verbrachte, sind die Schüler im Ostblock offensichtlich dem Werteverfall
entgangen, der sich im oben erwähnten Dagstuhl-Dreieck manifestierte. Mir kommt
das wie ein weiteres Wunder vor.
Hromkovič hat seine Ideen in einem Lehrbuch Einfach Informatik dokumentiert, anhand dessen ein spiralförmiger
Lehrplan (Spiralcurriculum) für die Informatik in Grundschulen und Gymnasien
abgeleitet werden kann. Er bescheinigt sich selbst, dass diese Lehrmethode das kreative
Potential der Schüler weckt, das Verständnis der Welt fördert und eine wichtige
Kulturtechnik vermittelt. Im Vergleich zu meiner ersten Begegnung mit Hromkovič
ist mein Eindruck dieses Mal ausgesprochen positiv. Ich kann fast jeden seiner
Sätze unterschreiben, von einigen wunderhaften Extremen abgesehen.
Unglückliche Verknüpfung mit dem Mathe-Unterricht
Einige der weiteren Beiträge dieses Themenheftes bestätigen meinen
früheren Verdacht, dass sich die Informatik keinen Gefallen tut, wenn sie eine zu
starke Verwandtschaft zur Mathematik postuliert. Wenigstens vier Beiträge des
Heftes befassen sich mit der Gefahr, die besteht, wenn Schüler mit Konzepten
aus dem Mathematik-Unterricht in den Informatik-Unterricht wechseln. Die Rolle
des Zeichen ‚=‘ mal als Gleichheit und mal als Zuweisung ist nur das trivialste
Beispiel. Der Beitrag Kohn/Komm ist allein diesem Problem gewidmet. Auch die
beiden Beiträge Hauser/Komm/Serafini behandeln eine Gruppe von Anwendungen, bei
denen die mathematische Denk- oder Herangehensweise zu unnötigen Problemen
führt.
Der Beitrag von Gallenbacher erinnert an die von Charles Sanders
Peirce (1839-1914) eingeführte Abduktion. Als Gegenstück zur allseits bekannten
Deduktion gestattet sie es, aus Fakten Theorien zu bilden. Wie alle Künstler
und Ingenieure würden Informatiker als weiteren Begriff den der Konstruktion
verwenden. Damit würden neue Fakten geschaffen. Der Informatik-Unterricht sei daher
die Gelegenheit, um diesen philosophischen Begriff einzuführen.
Meine Ideen zu Informatik im Schulunterricht
Die Themen Informatik in der
Schule oder Informatik als Allgemeinbildung
waren mehrmals Gegenstand eines Beitrags in diesem Blog. Der Beitrag vom Juni
2013 befasste sich speziell mit den Ansichten von englischen,
französischen und schweizerischen Kollegen. Nach der Kommodifizierung der
Informatik in den 1980er Jahren wird vielfach von einer Zweiteilung gesprochen.
Man käme nur weiter, wenn man trennen würde zwischen der Qualifizierung der
Massen (engl. computer literacy) und
der Fachausbildung der Spezialisten (engl. professional
training). Quer dazu liegt die Frage, welche Informatik-Inhalte verdienen
es als Teil der modernen Allgemeinbildung angesehen zu werden. Mir scheint es,
als ob Hromkovič dazu neigt, hier den Beitrag der Informatik sehr hoch
anzusetzen. Ich selbst neige eher dazu, hier etwas zurückhaltend zu sein.
Rechner in ihrer derzeitigen Ausprägung als Smartphones haben
wirklich das Potential sich zu universell einsetzbaren Hilfsmitteln des
täglichen Lebens zu entwickeln. Obwohl Autos oder Fahrräder ebenso wenig
wegzudenken sind, was die räumliche Fortbewegung betrifft, ist bisher niemand
auf die Idee gekommen zu verlangen, dass möglichst viele Menschen es lernen
sollten, Autos oder Fahrräder zu bauen. Sie benutzen zu können, und auch einige
Notsituationen selbst beheben zu können, ist jedoch wünschenswert. Die Arbeitsteilung
ist ein Prinzip, das in der gesamten Wirtschaft zu gesteigerten Leistungen
führte. Sie ermöglicht es, Fähigkeiten zu entwickeln und aktuell zu halten, die
über das hinausgehen, was ein einzelner Mensch oder ein einzelner Betrieb
benötigt und rechtfertigen kann.
Jeder Informatiker, der seine Tätigkeit professiohell ausübt, sollte sich einer Art von kategorischem Imperativ unterwerfen. Wenn man einen Vorgang automatisiert - sei es in der Wirtschaft oder im Privaten - dann sollte man dies so tun, dass niemand mehr dasselbe nochmals machen muss. Studentische Übungen sind ausgenommen. Mit dieser Haltung haben Hasso Plattner und seine Kollegen die Anwendungen eines britischen Chemiekonzerns (ICI) angegangen, bevor sie SAP gründeten. Im übrigen gibt es keinen besseren Ansatz, um das immerwährende Fachkräfte-Problem in den Griff zu bekommen.
Jeder Informatiker, der seine Tätigkeit professiohell ausübt, sollte sich einer Art von kategorischem Imperativ unterwerfen. Wenn man einen Vorgang automatisiert - sei es in der Wirtschaft oder im Privaten - dann sollte man dies so tun, dass niemand mehr dasselbe nochmals machen muss. Studentische Übungen sind ausgenommen. Mit dieser Haltung haben Hasso Plattner und seine Kollegen die Anwendungen eines britischen Chemiekonzerns (ICI) angegangen, bevor sie SAP gründeten. Im übrigen gibt es keinen besseren Ansatz, um das immerwährende Fachkräfte-Problem in den Griff zu bekommen.
Wie erfrischend ist im selben Heft der Beitrag von Schöning/Jablonski/Ermer, der offensichtlich nicht Teil des Themenheftes Bildung ist. Er zeigt, dass dank BPMN auch komplexe Geschäftsanwendungen einigermaßen verständlich dargestellt werden können.
AntwortenLöschenJuraj Hromkovic schrieb: Die Problematik ist ernst und erfordert behandelt zu werden.
AntwortenLöschenHartmut Wedekind schrieb: Ich hab von diesem Thema die Nase gestrichen voll.
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