Freitag, 27. März 2020

Irland und Corona – ein Kurzbericht

Mein Enkel Marcus war gerade drei Wochen in Irland, als die Corona-Krise ausbrach. Hier sein Bericht:

Ich habe lange überlegt worüber ich in Bezug auf Irland hätte schreiben sollen. Über die braun-grünen Landschaften mit ihren obskuren Felsformationen, die wie ein Keil zwischen die saftigen Weideflächen in meinem Kopf getrieben wurden. Oder dieses Gefühl, auf einem fremden Planeten gestrandet zu sein, Lichtjahre von den ursprünglichen Erwartungen entfernt. Den irischen Bars und Pubs, der Leber dieses Himmelskörpers und der atemberaubenden Atmosphäre, die von ihnen ausgeht. Der unerwartet diversen Vegetation und wie sie so manchem Landstrich einen tropischen Anstrich verpasst oder die keltischen Bauten, bei deren bloßem Anblick Kriegshörner in meinem Kopf ertönten. 

Ich hätte von den Klippen schreiben und sie als dramatische Metapher nutzen können. Kurz vor dem Abgrund stehend, mit Gegenwind konfrontiert. Doch ich wollte nicht von Irlands Felslandschaft auf andere karge Aussichten wechseln. Wollte nicht von Tagen in Dublin berichten, die von einer Pandemie überschattet wurden und wollte angesichts dieses Schattens auch keine lichtspendende Quelle ausmachen, um dem Text verbissen eine positive Botschaft aufzuzwingen. Ich hätte von den irischen Flaggen an jeder zweiten Straßenecke erzählen können und wie dieser Patriotismus einem guten Guinness gleicht, da niemand davon aufstoßen muss, auch wenn jeder eine Fahne hat. Weil er Charme statt Scham erweckt. Doch hätte dies auch unweigerlich eine Bemerkung zur nordirischen Situation erfordert. Und auch der mögliche Übergang vom Natur- zum Steuerparadies sprach mich nicht an. Es gibt und gab für mich schlichtweg nichts Relevantes zu sagen.

Natürlich hätte ich auch einfach einen simplen Reisebericht mit den wichtigsten Stationen und ein paar Fotos zusammenbasteln können. Aber das, das war mir zu banal. Folglich ist das Einzige was ich zu sagen habe: Irland ist schön, es hat mir gefallen, gerne wieder.

Donnerstag, 26. März 2020

Denk- und Verhaltensweisen in Corona-Zeiten (von Peter Hiemann)

Über die Denk- und Verhaltensweisen von Menschen nachzudenken, war schon immer ein interessantes Unterfangen. Man kann Einiges als ‚Spiele der Erwachsenen‘ interpretieren – so wie es der Psychologe Eric Berne tat – man kann auch viele andere Wurzeln identifizieren. Man kann versuchen, die Vielzahl der Ausprägungen zu ordnen und zu klassifizieren. Eine Dreiteilung der Welt scheint nahe zu liegen. Uns Europäer leitet dabei eine Idee von individueller Freiheit und der Entfaltungsmöglichkeit Einzelner. Die Amerikaner huldigen der Gestaltungskraft freier Unternehmer und die Chinesen setzen alles auf Kontrolle und Unterordnung unter den Willen des Staates.

Die aktuelle Wirtschafts- und Gesellschaftskrise, die durch die Ausbreitung des Corona-Virus ausgelöst wird, hinterlässt natürlich ihre Spuren in der Psyche Einzelner und im Gedankengut der Menschheit als Ganzer. Man kann versuchen, diese Änderungen zu erkennen und zu deuten. Man muss dafür nicht warten, bis die Situation sich wieder normalisiert hat.

Mein Freund Peter Hiemann ist da stets mit dabei. Wollen Sie erfahren zu welchen Ergebnissen er kommt, so klicken sie hier. Es lohnt sich wie immer.

Mittwoch, 25. März 2020

Stresstest für gute Digitalisierung in Corona-Zeiten (Teil 1)

Die durch den Corona-Virus ausgelösten Turbulenzen haben zweifellos negative Folgen für die Wirtschaft und die Gesellschaft. Man kann dies aber auch anders sehen. Nichts wirkt nämlich besser als Stresstest dafür, ob eine Digitalisierungsstrategie erfolgreich war oder nicht, als die Art und Weise wie die durch die Virus-Pandemie verhängten Einschränkungen sich kritisch oder weniger kritisch auswirkten bzw. bemerkbar machten.

Vorteile der Digitalisierung in normalen Zeiten

Über die Vor und Nachteile der Digitalisierung habe ich des Öftern geschrieben. Ein Beitrag vom Januar 2016 befasst sich mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen allgemein. In Januar 2017 beschrieb ich sehr konkret die Auswirkungen für Autoren und Leser. Hier spielen die Vorteile die mit Abstand dominierende Rolle. Es sind 17 Vorteile, die ich im Einzelnen diskutiere. Sie sollen hier nur in Form einer Tabelle gelistet werden. Auf die Nachteile einzugehen, das erspar ich mir. Diese Liste sollte man nicht ignorieren, obwohl sie kürzer ist als die der Vorteile.

 
Tab, 1: Vorteile der Digitalisierung

Wirtschaftliche Einschränkungen während der Corona-Krise

Zurzeit ergreift jedes Land der Erde Maßnahmen, die dazu dienen sollen, die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus − kurz Corona-Virus genannt – und die damit verbundene Atemwegerkrankung Covid-19 zu bremsen. In Deutschland veröffentlicht das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin die entsprechenden Hinweise und Fallzahlen.

Bundesweit wurden folgende Maßnahmen beschlossen (Stand: 22.03.2020 20:28 Uhr). Sie gelten zunächst für zwei Wochen. Nichtbefolgen wird bestraft.
  • Bürgerinnen und Bürger werden angehalten, die sozialen Kontakte so weit wie möglich zu reduzieren
  • Mindestabstand im öffentlichen Raum von 1,50 Metern. Besser zwei Meter
  • Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine oder mit einer weiteren Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet
  • Der Weg zur Arbeit, zur Notbetreuung, Teilnahme an erforderlichen Terminen, individueller Sport und Bewegung an der frischen Luft bleiben weiter möglich
  • Gruppen feiernder Menschen - auch im Privaten - sind inakzeptabel
  • Gastronomiebetriebe werden geschlossen, nur die Mitnahme von Speisen und Getränken ist gestattet
  • Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege werden geschlossen - Ausnahmen gelten nur für medizinisch notwendige Dienste.
Der Effekt dieser Maßnahmen zeigt sich darin, dass die Straßen und Plätze der Städte leer gefegt sind. Busse und Müllautos fahren wie immer.

Kompensation durch Digitalisierung

Wem immer die Notwendigkeit der Digitalisierung am Herzen lag, für den stellen die oben angegebenen Einschränkungen eine einmalige Chance dar, der Digitalisierung neue Schubkraft zu verleihen. Es ist eine Chance, mit der kaum jemand gerechnet hatte. Sie auszunutzen ist das Gebot der Stunde. Im Folgenden seien Beispiele gelistet:

  • Soziale Kontakte lassen sich per Telefon, Videokonferenzen, E-Mails und Chats sehr gut pflegen.
  • Das Home Office, d.h. die Arbeit von der eigenen Wohnung aus, kann eine echte Alternative werden. Die gerätemäßige Ausstattung, die Software und die Abläufe müssen jetzt den Praxistest bestehen.
  • Firmen, die das Internet als Vertriebsweg schon länger erschlossen hatten, stehen plötzlich als stärkste Mitbewerber da. Weder das Einkaufszentrum am Stadtrand noch der Laden um die Ecke können mithalten. Diese müssen ihre Flaggen strecken. Dass Amazon gerade dem letzten Krauter ans Fell geht, ist keine Überraschung.
  • Behörden oder Kanzleien, die mit ihrer Kundschaft elektronisch kommunizieren, können dies weiter tun.
  • Ärzte, Therapeuten und Berater, die bereit sind, telefonisch zu agieren, können dies weiter tun.
  • Schüler und Studenten können praktisch austesten, wie weit sich die seit Jahren versprochenen digitalen Lehrangebote bewähren.

Die Liste lässt sich noch fortsetzen. Jeder Leser wird weitere Ausprägungen erfahren.

Welt nach der Krise

Es gibt kaum einen Kommentator, der nicht verkündet, dass sich die Welt mal gerade wieder verändert. Es darf wirklich gefragt werden, ob es Sinn macht, per Auto zum Einkauf von Lebensmitteln und Haushaltsartikeln zu fahren. Wie viele Fahrten fielen in der Vergangenheit an, um eine einzelne Tomate oder eine Spule Zwirn zu holen? Bessere Lösungen sind überfällig.

Viele Menschen werden auch ihre sozialen Kontakte neu denken. Besuche sind möglich, auch ohne in ein Auto oder einen Zug zu steigen. Außer Verbrennungsmotoren gibt es auch noch andere Technologien, die zur Kommunikation zwischen entfernt lebenden Menschen genutzt werden können. Neben den Ex-Kollegen in Grasse und Ridgefield, CT belebt ein ehemaliger Kollege im niederländischen Noordwijk neuerdings meinen Blog.

Noch scheinen diejenigen Medien einen Vorteil zu haben, die eine Kommunikation 1 zu n unterstützen. Einer redet und viele hören zu. Das Telefon wirkte dem entgegen, jetzt kann dies auch eine Videokamera sein. Sowohl vor wie hinter meinem Haus verfolge ich in letzter Zeit das Geschehen genauestens. Die Katzen und der Fuchs in meinem Garten sind inzwischen zu Vertrauten geworden.

In der Welt nach der Krise dürfen und werden wir wieder sozial interagieren. Diejenigen, die dafür physikalische Kontakte benötigen, können darauf zurückgreifen. Auch sie werden gelernt haben, dass es auf sie allein nicht ankommt. Es gibt Alternativen. Nutzen wir sie doch ruhig etwas intensiver!

PS: Die Erläuterung der in der Krise einsetzbaren Software-Lösungen wird in einem späteren Blog fortgesetzt.

Montag, 16. März 2020

Virologie verdrängt Demokratie – Ein Blick auf die Corona-Krise

‚Das Sichere ist nicht mehr sicher. Was eigentlich Irrsinn ist, gilt als … geboten, als alternativlos, als absolut notwendig, als noch nicht ausreichend. Corona und die Angst davor schaffen selbst das, was der Krieg nicht geschafft hat: Auch die Kirchen werden geschlossen. Hochzeiten fallen aus, Taufen fallen aus. …Gestorben wird weiterhin, aber Beerdigungen dürfen nur noch im kleinsten Kreis stattfinden.‘ So schrieb Heribert Prantl gestern in der Süddeutschen Zeitung in seiner allwöchentlichen Kolumne, Prantls Blick genannt.

In Virengewittern

Es ist wie eine Naturgewalt, was über uns ausgebrochen ist. Der Schriftsteller Ernst Jünger (1896-1998) hatte seinem Erstlingswerk den Titel ‚In Stahlgewittern‘ gegeben. Er beschrieb darin den Ersten Weltkrieg als ein Erlebnis, das das Bewusstsein der Mitwirkenden schärfte und auf die Bedeutung der Tatkraft des Einzelnen im Überlebenskampf hinweist. Diese Betrachtungsweise scheint mir durchaus angebracht – obwohl etwas gewagt. Mit den folgenden Stichworten und Fragen will ich zum Nachdenken anregen. Ratschläge zu erteilen, das maße ich mir jedoch nicht an. Obwohl ich bei ähnlichem Verhalten sehr kritisiert wurde, sündige ich ein weiteres Mal.

Wie bei jedem Grippeausbruch handelt es sich bei COVID-19 − so der medizinische Name − um eine Pandemie, also eine ansteckende Krankheit, die gleichzeitig Menschen in verschiedenen Ländern und Kontinenten befällt. Ihre Dimensionen sind enorm, ihre Wirkungen tiefgreifend.

Unvorhersehbarkeit des Ereignisses

Offensichtlich haben wir Menschen es mit einem Ereignis zu tun, welches es so noch nicht gab, weder in der jüngeren Geschichte, noch in grauer Vorzeit. Da es kaum Menschen gibt, die es erwartet oder vorhergesagt haben, bleibt uns die Suche nach Schuldigen erspart. Es gibt keine Regierung, die abdanken sollte, oder eine Gruppe, die bestraft werden sollte, es sei denn, man nimmt ernst, was Bill Gates bereits vor vier Jahren gesagt haben soll. Nicht Atombomben seien die größte Gefahr für die Menschheit, sondern Viren.

Angriff auf ganze Menschheit

Der Angriff richtet sich gegen die Menschheit als Ganzes. Es geht nicht um eine Gruppe gegen eine andere. Es kann sein, dass gewisse Gruppen stärker betroffen sein werden als andere. So mag die Stadtbevölkerung mehr anfällig sein als die Landbevölkerung. Nicht Politiker oder Militärs sind gefordert, den Widerstand oder die Gegenreaktion zu organisieren.

Dieses Mal sind es die Virologen. Es ist dies ein Zweig der Medizin, mit dem ein einzelner Patient kaum in Kontakt gerät. Normalerweise ist ihr Arbeitsplatz auf dem Kreisgesundheitsamt. Bei ihnen lässt man sich impfen, will man in exotische Länder reisen.

Unbekannte Ursachen und Abwehrmaßnamen

Was den aktuellen Virenangriff auslöste, ist weitgehend unbekannt. Vermutet wird, dass in China, und zwar in oder nahe der Stadt Wuhan, eine Übertragung aus dem Tierreich stattfand. Manche Leute halten es für möglich, dass auch ein Labor in dieser Gegend eine Rolle spielte. Hier werden an sich nur die Stämme früherer Erkrankungen erforscht. Eine genetische Neuschöpfung, wie sie offensichtlich jetzt vorliegt, deutet eher auf die  Mutation in der Natur hin.

Es ist fraglich, welche konkreten Abwehrmaßnahmen sinnvoll sind, um eine Immunisierung der Bevölkerung zu gewährleisten. Da es sich um ein bisher ungekanntes Virus handelt, gibt es noch keine Impfstoffe. Es wird vielerorts an ihnen gearbeitet, und zwar mit Volldampf. Ergebnisse sind in diesem Jahr jedoch kaum zu erwarten. Das Verhalten von Präsident Donald Trump, der der Tübinger Gruppe CureVac den Transfer in die USA angeboten haben soll, ist ein skurriles Beispiel dafür, zu welchen Maßnahmen die Unsicherheit führen kann. Dass sich der SAP-Mitgründer Dietmar Hopp in Tübingen seit Jahren als primärer Finanzier engagiert hatte, gibt dem Fall eine besondere Note.

Um die Kapazität des medizinischen Systems nicht zu sehr zu strapazieren, wird dazu geraten, das Ansteigen der Ansteckungszahlen nicht zu steil werden zu lassen. Wo viele Menschen zusammenkommen, ist die Gefahr der schnellen Ausbreitung groß. Deshalb kam es zu Absagen von Sportveranstaltungen und kirchlichen Zusammenkünften. Viele Regionen oder Staatsgebilde versuchen sich abzuschotten oder einzuigeln. Sie hoffen dadurch das Vordringen der Viren zu behindern.

Deutschlands bekanntester Virologe, Christian Drosten von der Berliner Charité, hält es für wahrscheinlich, dass das Corona-Virus bis zu Zweidrittel der Bevölkerung infiziert und das in einem Zeitraum von 2-3 Jahren. 

Direkte Folgen und nicht abschätzbare Auswirkungen

Von den weltweit gemeldeten 175.000 Erkrankungen waren bis zum 15.3.2020 77.000 wieder genesen. Es gab bisher mindestens 6.700 Todesfälle. In Deutschland gab es bisher 4.800 Erkrankungen und 12 Todesfälle. Die Zahlen sind bei uns noch sehr dynamisch. So gab es an einem Tag ein Anwachsen der Erkrankungen um über 1000. Im Vergleich zu anderen Grippeerkrankungen besitzt COVID-19 weltweit eine etwa mindest doppelt so hohe Sterblichkeitsrate (etwa 1,0 anstatt 0,5%). 

Natürlich schwankt die Sterblichkeitsrate auch mit dem Verhältnis der gemeldeten (also frühbehandelten) Fälle zu den nicht gemeldeten Erkrankungen. Das kann die folgenden Unterschiede zwischen den Ländern der EU erklären: Italien 6,2%; Frankreich 1,8%; Niederlande 1,0% und Deutschland 0,2%. Ähnlich gut wie Deutschland schneidet derzeit nur noch Südkorea ab. Hier kam es bei 7.500 offiziell Infizierten zu 54 Todesfällen – also deutlich weniger als ein Prozent.

Die genaue Auswirkung dieser Pandemie lässt sich weder erahnen noch abschätzen. Was zuerst sichtbar werden wird, ist der Effekt der ergriffenen Vorsichtsmaßnahmen. Welche Umsätze einbrechen, welche Lagerbestände zuerst zur Neige gehen, lässt sich noch nicht absehen.

Mögliche positive Effekte

Wie jede Krise so wird auch diese ihre positiven Seiten haben. Es ist sicher anzunehmen, dass sobald ein Impfstoff vorliegt, mehr Menschen sich impfen lassen werden, als dies bei regulären Grippeimpfungen der Fall ist. Ob es zu der allgemeinen Entschleunigung des Lebens führt, die ja manche herbeisehnen, ist für mich fraglich.

Mögliches Ende der Pandemie

Das Ende der Pandemie wird erreicht, wenn die Anzahl der Heilungen die der Neuansteckungen übersteigt. Für China insgesamt scheint dieser Punkt erreicht zu sein. Allerdings genießen Zahlen aus China kein großes Vertrauen. Bei uns kann noch leicht ein Jahr vergehen, bevor wir von einem Abklingen der Corona-Pandemie reden können.

Mögliche Nach- und Nebenwirkungen, Lerneffekt

Es ist für mich keine Frage, dass bereits die allerorts getroffenen Vorsichtsmaßnamen nicht ohne Neben- oder Langzeitwirkung verbleiben werden. Wenn die Idee des offenen Schengenraums monatelang ausgesetzt sein wird, werden die früheren Verhältnisse sich nicht von einem Tag auf den anderen wieder einstellen. Es werden Narben und Schrammen, Misstrauen und Desillusionen erkennbar sein.

Natürlich haben die Menschheit, Europa oder einzelne Länder auch die Möglichkeit, mit mehr Überzeugung auf den früheren Zustand zurückkehren. Es kommt dann darauf an, das Erlernte festzuhalten, zu analysieren und zu überliefern.

PS: Einige Bemerkungen in diesem Beitrag wurden angeregt von meinem in Vietnam geborenen ehemaligen Kollegen Tuan Ngo-Anh. Die Krise veranlasste ihn, der in Noordwijk aan Zee lebt, wieder mit mir in Kontakt zu treten.

Donnerstag, 12. März 2020

Ist Deutschland ein Land, in dem Startups besonders gut gedeihen?

‚Sie sollten die Startups in Deutschland nicht so gering schätzen. Ich bin stolz darauf, was meine Doktoranden schaffen!‘ Dies schrieb der Kollege Walter Tichy aus Karlsruhe als Kommentar zu meinem letzten Blog-Beitrag. Tichy verursachte mir ein schlechtes Gewissen. Sein Lehrstuhl nimmt möglicherweise eine Sonderstellung in Deutschland ein, was die Zahl und Qualität von Firmengründungen betrifft, die aus ihm hervorgingen. Der Lehrstuhl von Peter Mertens in Erlangen hat eine vergleichbare Zahl von Ausgründungen aufzuweisen, wobei deren Schwerpunkt anders liegt, nämlich in der Wirtschaftsinformatik. Durch Tichys Reaktion fühlte ich mich dabei ertappt, mal wieder einseitig kritisch geurteilt zu haben. Dabei ist es ein besseres pädagogisches Prinzip, auch bescheiden aussehende Erfolge stets positiv darzustellen.

Erfolgreiche Beispiele

Die TeamViewer AG mit Sitz im Göppingen ist das Standardbeispiel eines deutschen Einhorns. Als Einhorn (engl. unicorn) bezeichnet man in den USA Firmen, die bereits vor ihrem Börsengang die Milliardengrenze des Umsatzes überschritten hatten. Weitere Firmen dieser Kategorie sind in Deutschland Zalando und Rocket Internet. Sie sind beide in Berlin. Beide stammen nicht aus der Informatik-Branche. Rocket Internet gilt als Inkubator für andere Startups.

Die TeamViewer GmbH wurde 2005 gegründet und stellte ein Jahr später die gleichnamige Fernwartungssoftware TeamViewer vor. Insgesamt sei das Programm bereits auf über 1,5 Milliarden Geräten installiert worden. Die Software TeamViewer war ursprünglich nur ein Nebenprodukt des ehemals kleinen Softwarehauses, das das Programm zur Unterstützung des eigenen Vertriebs entwickelte, der damit Produktpräsentationen aus der Ferne durchführen konnte.

Das Unternehmen wurde 2009 durch die GFI Software S.A. aufgekauft, die es 2014 für einen Betrag in Höhe von 870 Millionen Euro an die britische Beteiligungsgesellschaft Permira weiterveräußerte. Im September 2019 erfolgte der Gang zur Frankfurter Börse. Zum Ausgabepreis wurde Teamviewer mit 5,25 Mrd. Euro bewertet. Seit Dezember 2019 wurde Teamviewer sowohl in den MDAX als auch in den TecDAX aufgenommen. Vorstandsvorsitzender ist Oliver Steil. Der Gewinn für 2019 lag über 300 Mio. Euro, eine deutliche Steigerung gegenüber den 230 Mio. im Vorjahr. Das Unternehmen hat mehr als 800 Mitarbeiter in Niederlassungen in Deutschland, den USA, Australien, Armenien, Indien, Japan, China und Singapur.

Im Februar 2019 wurde bekanntgegeben, dass Teile des Unternehmens in einen Neubau ziehen sollen, der ursprünglich als Erweiterungsbau des Göppinger Rathauses geplant war. Obgleich die Stadt den Bau der Büros bereits fünf Jahre zuvor auf den Weg gebracht habe, war man bereit, das Gebäude an TeamViewer zu vermieten.

Ein Startup, das nach Tichys Angaben aus seinem Lehrstuhl entsprang, ist aicas. Die aicas GmbH ist ein Softwareunternehmen mit Hauptsitz in Karlsruhe und Tochtergesellschaften in Frankreich und den USA.  aicas bietet Java-Technologie und Analysetools für Echtzeit- und eingebettete Systeme. Das Flaggschiff heißt JamaicaVM, eine Java Virtual Machine mit Echtzeit-Speicherbereinigung für zeit- und sicherheitskritische Anwendungen wie Avionik, Automobilindustrie und industrielle Prozesssteuerung. Ein weiteres Produkt ist Veriflux, ein Analyse-Programm. Die Firma aicas wurde 2001 von James J. Hunt, Fridtjof B. Siebert und Andy Walter gegründet.

An der TU München hat ein Team von Robotik-Experten die NavVis GmbH gegründet. Ein zum Patent angemeldete Trolley kartiert die Umgebung mittels Laserscannern. Gleichzeitig fertigen Kameras ein dichtes Netz hochauflösender 360-Grad-Fotografien des gesamten Innenraums. Ein Browser-basierter IndoorViewer ermöglicht das Umschauen im Gebäude, Wegfindung, die Interaktion mit beliebig hinterlegten Points of Interest (z. B. Video- oder Audiodateien) sowie präzise Punkt-zu-Punkt-Messungen. Die nächste Generation von NavVis wird darüber hinaus die Innenraum-Navigation via Smartphone ermöglichen (Turn-by-Turn). Ähnlich der menschlichen Orientierung benötigt diese visuelle Positionsbestimmung keinerlei zusätzliche Infrastruktur im Gebäude, wie z. B. WLAN-Hotspots, RFID oder Bluetooth. Das NavVis-Gründerteam besteht aus Robert Huitl, Sebastian Hilsenbeck, Georg Schroth und Felix Reinshagen. Im Jahre 2018 konnten 31 Mio. Euro als Finanzierungskapital eingeworben werden.

Ein Negativbeispiel

Ein eher negatives Beispiel ist die Firma Streetscooter. Es ist dies ein Elektroauto, das ein Lehrstuhl der TH Aachen konzipierte, damit die Deutsche Post die durch sie verursachte CO2-Belastung in unseren Städten reduzieren konnte. Mit den E-Lieferwagen Streetscooter wollten der Aachener Professor Günther Schuh und die Deutsche Post den großen Autobauern zeigen, wie Elektromobilität geht. Doch statt der großen Expansion kommt nun das Aus. Nach 100 Millionen Euro Verlust stampft die Deutsche Post die Produktion von Streetscootern ein.

Für Schuh liegt das einzig und allein an der Unfähigkeit der Post. Man habe "Amateure eingesetzt, jegliche Verbesserung verboten und auf eine Gelegenheit gewartet, das Geschäft unter einem Vorwand einzustellen", schreibt der Aachener Professor im Handelsblatt. "Streetscooter wurde weder eine ausreichende Finanzierung noch ein realistischer Zugang zum Kapitalmarkt gewährt", kritisiert Schuh. Das Ende des E-Autos sei ein Armutszeugnis für die Post und für Deutschland. Im Jahre 2010 hatte Schuh den Elektrotransporter mit seinen Studenten der RWTH Aachen erfunden und gemeinsam mit Achim Kampker Streetscooter gegründet. Im Jahre 2014 wurde das Startup von der Deutschen Post-Tochter DHL übernommen. Für die Zukunft des Streetscooters hatte die Post damals eine kräftige Expansion, einen Börsengang oder einen starken Partner aus der Branche ins Spiel gebracht − doch all dies konnte sie nicht umsetzen.

Mit Streetscooter geht ein sehr hoffnungsvolles deutsches Startup den Bach hinunter. Es ist nicht immer einfach, wenn ein großer Konzern zu früh das Sagen hat, noch konnte das Land NRW unter Achim Lachet die richtigen Schritte einleiten. Im Übrigen darf die Umwelt mal wieder warten. Auf ihre Lobbyisten ist wenig Verlass. Der Gründer war schon ein Rattenfänger − meinte ein Kommentator. Nach seinem Ausstieg ist nicht mehr viel passiert. DHL/Post hat sich auf ein Spiel eingelassen, dass sie nicht gewinnen konnten. Die Konzepte Technik/Produktion der Hochschule (Aachen) waren nicht skalierbar für die Massenproduktion. DHL hat dann eine Kooperation mit Ford gesucht, weil die Technik der TU nicht brauchbar war. Nach dem Ausstieg von Ford stand die Post alleine da!

Besonderheit der deutschen Situation

Es ist vielleicht etwas voreilig, schon aus den vier angeführten Beispielen zu Schlussfolgerungen überzugehen. Ein Blog erhebt nicht den Anspruch, wissenschaftlichen Maßstäben gerecht werdende Methodik und Gründlichkeit zu pflegen. Dafür können die Leser bereits am Tag des Erscheinens auf der ganzen Welt ihre Reaktion und ihre Kommentare zur Verfügung stellen. Im Folgenden wird der Eindruck wiedergegeben, der sich mit aufdrängt, falls ich einen Vergleich anstelle, besonders bezüglich des Unterschieds zu Startups, wie wir sie vom Silicon Valley her kennen:
(1) Das Ziel, das wirtschaftlich erreicht werden soll, ist als recht bescheiden anzusehen. Es steht fast immer ein von Experten abhängiger Spezialmarkt als Zielscheibe zur Diskussion, nie ein allgemeiner Konsumentenmarkt. 
(2) Es ist nicht zu sehen, dass die zu erwartenden Folgen eines Erfolgs hinreichend in Betracht gezogen werden. Vor allem muss an die Möglichkeit gedacht werden, schnell zu wachsen, um neue Nutzer nicht unzumutbare Wartezeiten zuzumuten. Es ist kein Wille zu erkennen, schnell und massiv zu investieren, um zu expandieren. 
(3) Es scheint nicht vorgesehen zu sein, auf massive Änderungen zu reagieren, die die Nutzer erwarten, sollten sie sich ernsthaft engagieren. Das Produkt mag an sich anregend sein, vielleicht benötigt es aber aus Sicht des Verbrauchers eine Ergänzung, ohne die es kaum Anwendung findet. 
(4) Werbung und Vor-Ort-Betreuung scheint nicht vorgesehen zu sein, obwohl viele Märkte dies erwarten. Dass ein Produkt sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda von selbst verkauft ist ein Traum vieler Erfinder. In diesem Falle wächst der Markt nur beschränkt und sehr langsam. 
(5) Ab einer gewissen Altersgrenze ist man nicht bereit, für das Startup vorübergehend oder dauernd die Hochschulkarriere aufzugeben, um dem Startup längerfristig zu helfen.

Bewertung der Chancen im Weltmarkt

Selbst dann, wenn man es schafft, einige der oben gelisteten Stolpersteine aus dem Weg zu räumen, ist der Start aus Deutschland heraus mit Vor- und Nachteilen verbunden. Diese sollen hier kurz angedeutet werden.

Deutschland hat eine lange industrielle Tradition, aufgrund der gewisse Kompetenzen sehr stark entwickelt sind. Außerdem genießt der Label ‚Made in Germany‘ bei vielen mechanischen, optischen und chemischen Produkten einen Ruf, auf dem auch heute noch aufgebaut werden kann. Die deutsche Automobil-Industrie profitiert vermutlich von dem positiven Gesamtbild, über das Nachbarländer wie Frankreich und Italien nicht verfügen.

Weniger herausragend ist der Ruf, den Deutschland in der Informations- und Automatisierungstechnik erworben hat. Hier eilen uns vor allem US-amerikanische Firmen voraus. Zu Apple, Google, Amazon und Facebook gibt es kein in Deutschland beheimatetes Gegenstück. Wenn deutsche Software-Produkte wie die von SAP trotzdem Weltstatus haben, dann ist der mühsam erkämpft worden. Im Falle von SAP basiert er darauf, dass die Produkte eine hohe betriebswirtschaftliche Kompetenz vermitteln und dass ein Paket mit umfassender Funktionalität zusammengestellt werden konnte.

Mit andern Worten, es gab in Deutschland eine Tradition, von der auch Neueinsteiger profitieren konnten. Sie betraf aber primär viele Produkte des 20. Jahrhunderts. Für neuere Produkte, insbesondere aus der Informatik-Branche gibt es diesen Sog-Effekt nicht, den frühere Eintritte in den Markt hatten. Es ist dies jedoch kein Grund, sich mit der Situation zufrieden zu geben und es nicht trotzdem zu versuchen. Einen Gegner vom Berg aus anzugreifen ist immer leichter als vom Tal aus. Total aussichtslos ist der Versuch nie. Wer aber nicht zu kämpfen versucht, hat eh schon verloren.

Resumee

Die Antwort zur Titelfrage ist ein eher unscharfes Ja. Es überwiegen sicherlich die Fälle, die erfolgreich waren. Es gibt aber auch Fehlschläge, wobei diese fast immer den größeren Lärm verursachten. Über sie wird fast immer viel geredet und geschrieben. Die Erfolgreichen sind oft schweigsam. Sie arbeiten oder sie genießen.

Es ist keine Frage, dass allerorts Politiker gerne auf der Welle reiten, Förderer von Startups zu sein. So konkret wie in der Stadt Göppingen sind jedoch die wenigsten. Oft betätigen sie sich nur als Agenten ode Türöffner. Die Geschäftsideen müssen eh Andere bringen. Auch die aktuelle Arbeit am Ort müssen die Gründer machen. Es geht auch kaum anders, will man nicht in eine Planwirtschaft abrutschen.