Am 8.
Mai diesen Jahres erinnerten sich mehrere Altersgenossen an die Ereignisse,
durch die der Zweite Weltkrieg beendet wurde. Auch ich erhielt einen Anruf
einer etwa gleichaltrigen früheren Nachbarstochter, die sich mit mir
austauschen wollte. Da ich diese Ereignisse, soweit sie mein Heimatdorf
Niederweis betrafen, schriftlich festgehalten hatte, konnte ich den Wunsch
erfüllen. Der 8.5.1945 war der Tag, an dem der im fernen Berlin ausgehandelte
Waffenstillstandsvertrag in Kraft trat. Die Kampfhandlungen waren bereits gut
zwei Monate vorher über meine Heimat im deutsch-luxemburgischen Grenzgebiet
hinweg gegangen. Ich zitiere aus dem entsprechenden Band meiner
Heimatgeschichte [1].
Abgesehen
von einzelnen Angriffen amerikanischer Jagdbomber (so genannter Jabos) wurde
unser Dorf nicht unmittelbar in das Kriegsgeschehen einbezogen bis zum Herbst
1944. Im Juli waren die Alliierten an der französischen Atlantikküste gelandet.
Bis September hatten sie die deutsch-luxemburgische Grenze erreicht. Das war
weniger als 10 km von Niederweis entfernt. Hier legten sie eine Pause ein, um
den Nachschub aufzubauen. Für die nächsten sechs Monate lebten die Einwohner
des Dorfes in der Frontzone eines Stellungskrieges. Auf den Höhen hinter
Echternach, bei Osweiler und Berdorf, hatten die Amerikaner ihre Artillerie
aufgestellt. Sie sandten jeden Tag ihre Grüße in Form einiger Granatsalven. Die
Dauer des Beschusses hatte zur Folge, dass kaum ein Haus verschont blieb.
Nachts schlief man im Kartoffelkeller. Es gab mehrere Tote unter der
Zivilbevölkerung, darunter zwei Schulkinder. Kurz vor Weihnachten 1944 gab es
nochmals Trubel. Die deutsche Heeresleitung hatte beschlossen, einen
Gegenangriff zu wagen. Die Operation erhielt den Namen Ardennen- oder
Rundtstedt-Offensive. Der Schwerpunkt des Angriffs lag nämlich etwas nördlich
im südlichen Teil Belgiens; der Oberkommandierende auf deutscher Seite war
der General Gerd von Rundtstedt. Es wurden nicht nur die zurück gewichenen
Truppenteile neu formiert, sondern auch zusätzliche Reserven mobilisiert. Bei
diesen handelte es sich insbesondere um Hitlerjungen und Volkssturmmänner.
Mitte Januar war der Gegenangriff in sich zusammengebrochen.
Der
zweite Weltkrieg endete für Niederweis am 27. Februar 1945. Das war der Tag, an
dem amerikanische Truppen das Dorf Niederweis in Besitz nahmen. Um die beiden
Bunker in der Nähe von Irrel zu umgehen, erfolgte der Vorstoß von Ferschweiler
über Holsthum nach Alsdorf. Wie sich später herausstellte, wäre diese
Zangenbewegung um die beiden Bunker herum nicht nötig gewesen. Die Besatzung
verfügte nämlich kaum über Munition. Die Amerikaner durchsuchten als erstes
sämtliche Häuser, während alle Bewohner des Dorfes sich für mehrere Stunden in
den Ehrenhof des Schlosses begeben mussten. Danach wurden die bisher auf 50
Häuser verteilten Einwohner in fünf Häuser in der Dorfmitte eingewiesen. So
blieb es für drei Wochen. Während einige der Bauernbetriebe recht große
Gebäudeschäden reparieren mussten, hatte das Niederweiser Schloss die
Kriegswirren relativ unbeschadet überstanden. Amerikanische Soldaten, die nach
der Eroberung des Dorfes im Schloss wohnten, haben jedoch das Inventar größtenteils
zerstört.
Eindruck
der Besatzer
Vergleicht
man dieses Geschehen mit dem, was sich anderswo oder auch später bei solchen
Gelegenheiten abspielte, muss man die Amis von 1945 als echte Gentlemen
bezeichnen. Der Eindruck, den sie auf mich machten, war ausgesprochen positiv. Nicht
nur waren sie der Zivilbevölkerung gegenüber rücksichtsvoll, sie waren echt
großzügig uns Kindern gegenüber. Meine Mutter, die damals vorübergehend
gehbehindert war, bekam einen Stuhl vor unsere Haustür gesetzt, von wo aus sie
die Ereignisse im Schlosshof wenigstens im Verlauf verfolgen konnte. In den
Tagen danach erhielten mehrere Kinder des Dorfes Kaugummis und Schokolade. Erinnern
kann ich mich an einen Afroamerikaner, der sich in angetrunkenem Zustand
daneben benahm. Er belästigte eine junge Frau, die mit zu unserer Hausgemeinschaft
gehörte. Mein Vater wies ihn zu Recht und er zog von dannen.
Mehr
als alles andere beeindruckte mich die Nonchalance, mit der Gerätschaften und
Fahrzeuge von den Soldaten behandelt wurden. Die Waffen hingen locker herum.
Die Jeeps standen für jede noch so kurze Strecke zur Verfügung, egal ob für
einen, zwei oder mehr Mann. Außerdem zogen die GIs Kabel von jedem Ort aus, wo
sich jemand aufhielt, und man quasselte ununterbrochen ins Telefon. Als die
Amis später von Franzosen und danach von Luxemburgern abgelöst wurden, hatten
wir es nicht nur mit einem anderen Menschenschlag zu tun, sondern auch mit
primitiverer maschineller Ausstattung und Technik.
Als mir
während meines Studiums die Möglichkeit angeboten wurde, in den USA zu
studieren, griff ich sofort zu. Als ich nach einem Jahr zurückkam, wunderten
sich einige Leute, dass ich überhaupt zurückkehrte. Bei Auswanderern war dies
nämlich kein gutes Zeichen. Man war nicht erfolgreich gewesen. Ich erklärte,
dass es mir derzeit primär um einen Studienabschluss ginge. Aufgrund meiner
Vorgeschichte war dieser in Deutschland für mich viel schneller zu erreichen
als in den USA.
Berufliche
Re-Orientierung
Das
Jahr als Austauschstudent verbrachte ich an der Ohio State University in Columbus,
Ohio. Ich war von August 1955 bis Oktober 1956 dort. Für meine berufliche Laufbahn
entscheidend wurde ein Programmierkurs für das IBM Rechnersystem 650, den ich
in Columbus absolvierte. Er bewirkte, dass mir der Inhaber eines
Geodäsie-Lehrstuhls an der Universität Bonn ein Dissertationsthema anbot. Das
zunächst recht vage gefasste Thema lautete: ‚Geodätische Ausgleichsrechnungen
mittels elektronischer Rechenanlagen‘. Um meine bis dahin rein theoretischen
Kenntnisse der Programmierung um praktische Erfahrungen zu ergänzen, bewarb ich
mich um eine 6-monatige Praktikantenstelle im IBM 650 Rechenzentrum in Sindelfingen.
Nach drei Monaten bot man mir eine Festanstellung an. Aus den sechs Monaten IBM
wurden 35 Jahre. Aus dem Geodät wurde ein Informatiker.
Westorientierung
oder USA-Verbundenheit
Als Erstes
lernte ich, dass das I in IBM nicht als ‚Ei‘ gesprochen werden dürfe. Wir seien
hier nicht bei der IBM Schweiz. Die IBM Deutschland sei schließlich die Nachfolgerin
der Deutschen Hollerith GmbH. Wie in [2] ausgeführt, war ich zwischen November 1957
und Ende 1960 Mitarbeiter des Bereichs Rechenzentren. Die Einsatzorte waren Sindelfingen
und Düsseldorf. Die Jahre von 1961 bis 1992, also 33 Jahre lang, gehörte ich
zum Entwicklungsbereich, dessen Hauptsitz auch heute noch das Labor in Böblingen
ist.
IBM hat
eine Entwicklung vorweg genommen, wie sie heute für Firmen die Amazon, Apple, Google
und SAP typisch ist. Nicht ein einzelnes Labor oder eine einzelne Lokation
bestimmt den Weg der Firma. Dutzende Labors liefern im Verbund die Kompetenz,
die das Unternehmen benötigt. Bis 1989 handelte es sich dabei primär um Lokationen
in den USA, Westeuropa, Indien und Japan. Nach 1989 sind Lokationen in Osteuropa,
dem Nahen Osten, Südafrika, China und Vietnam dazugekommen. Die Orientierung
auf den Westen führte in der Vergangenheit zu einer mehr oder weniger starken USA-Verbundenheit.
Diese tritt immer mehr in den Hintergrund. Damit verschwindet auch die Weltordnung,
die sich vor 75 Jahren herausbildete.
Neue Vernetzungen
Lange Jahre
hieß der Ratschlag, den Firmengründer bekamen, um erfolgreich zu sein, es führe
kein Weg an den USA vorbei. Nur dort sei der Markt groß genug, um Neustarter zu
tolerieren und zu testen. ‚If you make it
there, you‘ll make it everywhere‘. Dieser Satz galt nicht nur für die Unterhaltungsbranche
und für New York City. In den letzten Jahren bieten sich immer mehr Alternativen
zu einer strikten Orientierung in Richtung USA an. Viele der aus Deutschland
stammenden Technologie-Führer haben Partner in Israel oder China. Im Grunde
findet ein Reifeprozess statt. Viele Leute fragen, ob dieser Prozess durch Ereignisse
wie die Corona-Pandemie beschleunigt oder gehemmt wird.
Referenzen
1.
Endres, A.: Geschichten aus der Eifelheimat, Band 1, 2008 (S. 87ff)
2. Endres, A.: Die IBM Laboratorien Böblingen: System-Software-Entwicklung, 2001
2. Endres, A.: Die IBM Laboratorien Böblingen: System-Software-Entwicklung, 2001
Der 8. Mai 1945 ist das juristische Datum, das von allen Vertragsparteien als Ende der Kampfhandlungen definiert wurde. Der Vertrag mit den Westalliierten wurde am 7. Mai in Reims unterzeichnet, der mit den Sowjets am 9. Mai, um 0:20 Uhr, in Berlin-Karlshorst.
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