Ludger
Eversmann (*1953) ist ein aus dem Münsterland stammender Wirtschaftsinformatiker,
der ein volles Berufsleben als SAP-Berater hinter sich hat. Im Alter von 51
Jahren hat er noch 2004 eine Dissertation vorlegt. Diese war aber – wie er selbst
zugibt − zu spät, um ihm noch eine akademische Laufbahn zu eröffnen. Von seinem
Buch Die große Digitalmaschinerie (2018,
298 Seiten) erwartete ich mir eine Auseinandersetzung mit aktueller Technik und
Wirtschaft. Ich war überrascht, wie sehr selbst Erwachsene noch zu ideologischen
Träumereien neigen. Das Buch gibt mir Gelegenheit, eine Reihe von Themen zu
adressieren, die in der fachlichen und politischen Diskussion eine Rolle
spielen
Marxsche
Utopien
Das
Buch erinnert an die Utopien, die einst Karl Marx verkündete. Der forderte
bekanntlich, dass ‚die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und … eben
dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen,
nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu
kritisieren‘. [Da ich selbst weder fische noch jage, habe ich umso mehr Zeit,
um Kritiken zu schreiben – selbst über Marxisten.] Auch Eversmann sieht eine
solche Zukunft als nicht mehr sehr ferne an. Das Smart Home und die universelle
Weltfabrik liefern die Voraussetzungen dazu. Ein MIT-Professor namens Neil
Gershenfeld forscht auf diesem Gebiet (engl. science of digital fabrication). Auch Japans Shinzo Abe hat auf der
auf CeBit 2018 verkündet, dass die digitale Fabrik im Kommen sei, und zwar in
der Form einer universalen Weltfabrik.
Rolle
der Produktion
Aus
Sicht vieler Anhänger von Karl Marx muss die Produktion den Verbrauchern
gehören. Jede erfolgreiche Fabrik, die sich in Privathand befindet, würde nach
marxistischer Lehre ja unweigerlich zum Monopol führen. Das gilt erst recht von
einer digitalen Fabrik, die ja die Tendenz hat zu einer universellen Fabrik zu
werden. Im Idealfall lassen sich in ihr alle Produkte herstellen, die jemand
braucht, und zwar ab der Losgröße 1. Dabei sind nicht die Kosten und die
Perfektion das Entscheidende, sondern die Universalität. Als Beweis dafür, dass
sich die Industrie in diese Richtung bewegt, wird ein Patent erwähnt, das die
Firma Amazon im April 2017 erteilt bekam. Es handelt sich dabei um eine
Maschine zur vollautomatischen Herstellung von Bekleidung.
In der
Marxschen Denkweise spielte die Produktion stets die Hauptrolle. Planung,
Entwurf, Bewertung und Vertrieb kommen nicht vor. In der heutigen Welt jedoch
sind es diese vier Aktivitäten – von Marxisten meist als Design zusammengefasst
− die alles entscheidend sind. Für die Produktion bieten sich diverse Lösungen
an, die es früher nicht gab, nämlich die Herstellung durch Auslagerung (engl. outsourcing) in ein
Billiglohnland oder die Automatisierung. Die zurzeit wertvollste Firma der
Welt, Apple, ist ganz diesem neuen Prinzip verpflichtet. Sie hat die Produktion
zu 100% nach Asien ausgelagert. Noch fährt sie gut damit. Ikea arbeitet
ähnlich.
Natürlich
passt diese Entwicklung, zu der auch viele andere Unternehmen gelangt sind,
nicht in das Denkschema von Marx und seinen Epigonen. Es soll ja nicht sein,
was nicht sein darf. Man überlegt sich daher Alternativen. Auch Eversmann
meint, es sei ja die bessere Lösung, wenn die Fertigung dezentralisiert und vom
Staat oder Kommunen übernommen würde, und zwar möglichst in der Nähe des
Verbrauchs. Am allerbesten wäre es, der Konsument könnte auch die Produktion
übernehmen. Dass es etwas wie einen Weltmarkt gibt, den man als Exporteur
angehen könnte, scheint nicht in das Weltbild zu passen.
Herkunft
und Rolle der Designs
Was
weder Karl Marx noch seine Anhänger interessiert, ist die Frage, wo die Designs
herkommen. Dass es ohne Design meist auch keine Produktion gibt, wird zwar vielfach anerkannt. Man benutzt auch Bilder wie das der Schaffung des digitalen
Zwillings. Nur dass dabei Sozialpartner eine Rolle spielen, passt in kein
Schema. Vor allem wird nicht zur Kenntnis genommen, dass da mehr Menschen
involviert sein können, als nur die Unternehmens- oder Gründerpersönlichkeiten
eines Betriebs. Man könnte demnach den Eindruck gewinnen, dass es bei Firmen wie Apple
nur Unternehmer gäbe.
Fehlentwicklungen
des Kapitalismus
Der Wertekanon
des Westens sei vom Kapitalismus bestimmt. Dass es dem Sozialismus nicht
gelang, auf Dauer Fuß zu fassen, wird als Katastrophe angesehen. Der
Kapitalismus führe unweigerlich zu einer Zunahme sozialer Ungleichheit. Die
aktuelle Ursache dafür sei im Finanzkapitalismus zu finden. Die Unternehmen halten
sich mit Investitionen oder Lohnerhöhungen zurück, weil es billige Ostarbeiter
gibt. Der Lohndurchschnitt lag 2015 bei 32,6k Euro. Der Journalist Gunther
Tichy wirft der EZB davor, sie enteigne Sparer durch ihre Niedrigzinspolitik.
Die
Wirtschaft benutzt wenig Fremdkapital, sie basiert vorwiegend auf Eigenfinanzierung.
Staaten tilgen kaum Schulden. Sollte es nötig werden, stimulieren sie die Nachfrage
mit Helikoptergeld. Das von der Finanzwirtschaft in Form von Derivaten
gebundene Geld beträgt das 65-fache der Realwirtschaft. Das Privatvermögen der
Bürger entspricht dem 10-fachen der Staatsschulden. Die Neoliberalen treiben die
Kosten für staatliche Leistungen nach unten.
Verbliebene
Alternativen zum Kapitalismus
Der
Philosoph Jürgen Habermas finde, dass die Priesterklasse der Intellektuellen die
Wurzeln für gesellschaftliche Alternativen vorwiegend bei Karl Marx sieht. Nur
hielten sie den praktizierten Realsozialismus nicht für erstrebenswert.
Maschinen
sollten vergesellschaftet werden, damit Kommunisten ein Einkommen haben. Yochai
Benkler (Harvard) sieht als Zukunft eine Ökologie mit Commons und Open Source.
Die Erstellung von Wikipedia kann als Modell dienen (engl. peer-to-peer production).
Das Ideal, das Eversmann vorschwebt, ist eine Produktion am Ort des Verbrauchs,
und zwar mittels einer perfekten und universellen Maschine. Dass dies eine
digital gesteuerte Maschine ist, versteht sich von selbst.
Es gäbe
eine intrinsische sowie eine materielle Motivation, um gesellschaftliche Arbeit
zu leisten. Die Allmende, zu der jeder freiwillig Arbeitsleistung beiträgt, sei
in Verruf geraten. Sie verursacht Kosten, die von der Gemeinde aufgebracht
werden müssten. Dennoch besteht für sie ein selbstreferenzielles Interesse, vor
allem in der akademischen Welt.
Ideale
Produktion durch Konsumenten selbst
Bei der
Firma Henn GmbH in Pleinfeld (bei Nürnberg) hat Eversmann eine sehr
optimistische Darstellung der Fabrik der Zukunft gesehen. Es war eine digitale Stadtfabrik,
basierend auf einem oder mehreren 3D-Druckern. Wie von Gershenfeld postuliert, muss
die Fabrik der Zukunft vollkommen additiv arbeiten. Sie geht von der Nanoebene
aus und assembliert alle Produkte, und zwar völlig ohne Abtragen.
Für
einen sozialistischen Traum, wie er Eversmann ja vorschwebt, muss diese
Maschine in der öffentlicher Hand sein. Als digitale Universalmaschine fabriziert
sie alles, was man braucht. Hinzu kommt, dass sie sich in jedem Haushalt
befindet. So wie eine Waschmaschine oder Spülmaschine produziert sie für alle
Nutzer im Haushalt. Gegenstände wie Blumentöpfe, Fahrräder, Textilien,
Schuhwerk, Mobilar, Musik-CDs, Computer oder Rasenmäher brauche man nicht mehr
zu kaufen. Damit wäre endlich der Kapitalismus überwunden.
Einige
nicht gelöste Probleme hat die Sache. Die erste Frage – die oben bereits
anklang − heißt, wo kommen die Designs her. Selbst Open Source Designs sind
nicht kostenlos. Wer deckt Lager- und Transportkosten für die Grundmaterialien,
die ja bevorratet werden müssen? Da die Wertschöpfung der individuellen
Produktion (engl. do-it-yourself
production) gering ist, entfällt sie für die übliche Besteuerung. Welche
alternativen Quellen der Besteuerung gibt es?
Kurze Diskussion
Dass viele
privatisierte Betriebe scheiterten, ist bekannt. Sie betrafen Leistungen zur Infrastruktur,
Sozialdienste, Gesundheit, Verkehr und Wohnungen. Man kann diese Dienste der Daseinsfürsorge
nicht mit Gebrauchsgütern gleichsetzen. Das geht selbst in Kuba nicht, wo das
kommunistische Experiment ja andauert. Ob das neue China die richtigen
Antworten hat, bleibt abzuwarten.
Nach Karl
Marx haben auch John M. Keynes und Joseph Schumpeter Krisen des Kapitalismus
vorhergesehen. Er hat sie bisher alle überlebt – ja geradezu locker
weggesteckt. Der Marxismus dagegen hat einen Schiffbruch der Extra-Klasse
hingelegt. DDR und GULAG sind nur zwei markante Beispiele gewesen.
Erinnert wird an den Spruch 'Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz. Wer es mit 40 noch ist, hat keinen Verstand'. Dieser Spruch wird u.a. Georges Clemenceau und Winston Churchill unterschoben.
AntwortenLöschenPeter Hiemann schrieb: Die Coronaviruskrise verdeutlicht, dass die von Regierungen angeordnete 'soziale Distanz' und Isolation während der Krise von der Bevölkerung nur kurzfristig zu ertragen ist. Langfristige soziale Distanz ist unmenschlich und bewirkt gesundheitliche Schäden, besonders bei Kindern. Bevölkerungen verlangen offene, realistische Einschätzungen aktueller gesellschaftlicher Situationen, um zumindest Missverständnisse zu vermeiden bzw. zu klären.
AntwortenLöschenDerzeitig häufige Ursache für Missverständnisse ist die Benutzung bedeutungsloser Begriffe und falscher Annahmen. Wer mit einer offenen Einstellung die derzeitigen gesellschaftlichen Situationen in Deutschland, Frankreich, Polen, USA und China im Detail studiert wird feststellen, dass die allgemeinen Begriffe 'Marxismus, 'Kapitalismus', (auch 'soziale Marktwirtschaft'), 'Sozialismus', 'Demokratie' (auch 'Sozialdemokratie') oder 'Diktatur' (auch 'Proletariat') ungeeignet sind, gesellschaftliche Situationen zu erklären. Die Begriffe haben ihre ursprüngliche Bedeutung mehr oder weniger verloren. Tatsächlich wird im 21. Jahrhundert vermittels konkreter, unterschiedlicher Vorstellungen aufgrund unterschiedlicher Regierungssysteme entschieden:
- Wie gesellschaftliche Institutionen strukturiert und mit welchen Rechten sie ausgestattet werden.
- Wie Kapital kreiert und wofür es eingesetzt wird.
- Welche technischen Mittel verfügbar sind und wofür sie genutzt werden.
- Wie ökonomischen Prozesse organisiert und praktiziert werden.
- Welche Freiheitsgrade gewährt werden und wie Recht gesprochen wird.
In einer offenen Gesellschaft ist es unmöglich Vorstellungen zu vermeiden, die Bevölkerungen polarisieren. Man kann zwar versuchen, Polarisierungen 'auszubalancieren' (Kompromisse auszuhandeln). Inwieweit jedoch unterschiedliche Orientierungen und ethische, moralische und rechtliche Grundeinstellungen tatsächlich gesellschaftliche Verhältnisse ändern werden, ist eine 'unendliche', offene Geschichte.
Ich halte es für besser zu sagen, nicht die Begriffe wie Marxismus, Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie usw. haben sich verändert, sondern die Verhältnisse. Nicht da, wo einmal Sozialismus (in welcher Form auch immer) herrschte, ist dies heute auch noch der Fall. Auch im Mutterland der Demokratie kann man Dinge erkennen, die nicht unter den Begriff Demokratie fallen. Es ist nicht zu leugnen, dass die Verhältnisse sich ändern. Um überhaupt noch kommunizieren zu können, sollten wir aber nicht auch die Begriffe laufend ändern.
AntwortenLöschenFür eine lebende Sprache ist es nichts Ungewöhnliches, wenn sie wächst, d.h. neue Wörter und Begriffe bildet. Die Umdeutung vorhandener Wörter ist eher die Ausnahme. Da gibt es zu leicht Probleme.
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