RobertJames Shiller (*1946) ist ein US-amerikanischer Ökonom und Professor für
Wirtschaftswissenschaften an der Yale University. Er erhielt 2013 – gemeinsam
mit Lars Peter Hansen und Eugene Fama – den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften,
der von der schwedischen Nationalbank verliehen wird.
In den
1980er Jahren entwickelte Shiller zusammen mit Karl E. Case und Allan Weiss den
Case-Shiller-Index, der die Entwicklung des US-amerikanischen Immobilienmarktes
widerspiegelt. Sein im Jahr 2000 auf dem Höhepunkt der New-Economy-Euphorie
erschienenes Buch „Irrationaler Überschwang“ (engl. irrational exuberance) wurde zum Bestseller. Die darin
aufgestellten Thesen bewahrheiteten sich kurz darauf in der Baisse der Jahre
bis 2003. Auch vor der 2008 geplatzten Immobilienblase in den USA warnte er
frühzeitig. Die nachfolgenden Bemerkungen basieren auf Shillers Buch Narrative Wirtschaft (2020, 480 Seiten).
Wesen
der Narrative
Das Wort
Narrativ ist sehr modern. Es ist eine Aufpolierung oder Auffrischung eines sehr
abgenutzten Begriffs, dem der Erzählung oder der Geschichte (engl. story). Shillers Augenmerk sind ökonomische
Narrative. Er vergleicht sie mit Epidemien. Irgendwann gehen sie viral, so wie
eine von Viren übertragene Krankheit. Dabei gibt es Schleuderer (engl. superspreader). Das sind Infizierte, die
besonders viele andere Menschen anstecken. Das Abflauen erfolgt nicht durch
Heilung, sondern durch Vergessen.
Berühmte
Beispiele
Shillers
Buch verweist auf mehrere Dutzend Beispiele, die in den Wirtschaftswissenschaften
eine Rolle spielen. Im Folgenden will ich drei Beispiele näher beleuchten. Sie
stellen ganz unterschiedliche Ebenen dar, auf denen ein Phänomen signifikant
sein kann.
Beispiel
1: Amerikanischer Traum
Der
Begriff ist seit 1931 im Gebrauch und spricht vor allem den materiellen Wohlstand
an, den Amerikaner erreichen können. Die Grundlage dafür wurde schon 1776 in
der Unabhängigkeitserklärung (engl.: Declaration
of Independence) geschaffen, die besagt, dass alle Menschen gleich sind,
und dass alle amerikanischen Staatsbürger das Recht auf Leben, Freiheit und das
Streben nach Glück haben. Auf den Gedanken des amerikanischen Traums lässt sich
ein Großteil der Zuwanderung nach Amerika zurückführen. Richtig viral wird der
Begriff ab 1950 in verschiedenen fast gleichzeitig erschienenen Büchern. Martin
Luther King gab der Sache 1963 eine spezielle politische Bedeutung. Bekanntlich
wurde er wenig später ermordet. Heute wird der Begriff Amerikanischer Traum
primär von Maklern verwendet, und zwar in der Werbung für Eigenheime. Einige
Leute verbinden mit ihm auch einen Appell zur moralischen Rechtschaffenheit.
Beispiel
2: Bitcoin
Bitcoin
ist die weltweit führende Kryptowährung. Sie basiert auf einem dezentral organisierten
Buchungssystems. Zahlungen werden kryptographisch legitimiert und über ein Netz
gleichwertiger Rechner (eng. peer-to-peer)
abgewickelt. Anders als im klassischen Banksystem üblich, ist kein zentrales
Clearing der Geldbewegungen notwendig. Eigentumsnachweise an Bitcoin werden in
persönlichen digitalen Brieftaschen gespeichert. Der Kurs eines Bitcoin zu den
gesetzlichen Zahlungsmitteln folgt dem Grundsatz der Preisbildung an der Börse.
Die Idee einer Kryptowährung ist vor allem bei Leuten interessant, die den Einfluss
des Staates zurückdrängen wollen.
Das
Bitcoin-Zahlungssystem wurde von dem unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto auftretenden
Autor nach dessen Aussage im Jahr 2007 erfunden. Es wurde im November 2008 in
einer Veröffentlichung beschrieben und seit Januar 2009 mit einer Open-Source-Referenzsoftware
unterstützt. Das Bitcoin-Netzwerk basiert auf einer von den Teilnehmern
gemeinsam verwalteten dezentralen Datenbank, der Blockchain, in der alle
Transaktionen verzeichnet sind. Mit Hilfe kryptographischer Techniken wird sichergestellt,
dass gültige Transaktionen mit Bitcoins nur vom jeweiligen Eigentümer
vorgenommen und Geldeinheiten nicht mehrfach ausgegeben werden können. Neue
Bitcoin-Einheiten werden durch die Lösung kryptographischer Aufgaben, das sogenannte
Schürfen (engl. mining), geschaffen.
Beispiel
3: Laffer-Kurve
Die
Laffer-Kurve ist ein nach dem US-Ökonomen Arthur B. Laffer benannter finanzwissenschaftlicher
hypothetischer Zusammenhang, dem zufolge die Steuereinnahmen mit steigendem
Steuersatz erst steigen, dann nach Erreichen eines Maximums wieder sinken, also
die Form eines umgekehrten „U“ annehmen. Das bedeutet insbesondere, dass bei
hohen Steuersätzen eine Senkung der Einkommensteuer das
Einkommensteueraufkommen erhöhen kann.
Laffer-Kurve
Die Regierung
von Ronald Reagan berief sich im Rahmen ihrer Wirtschaftspolitik, der
sogenannten Reaganomics, auf die These und senkte die Einkommensteuern. In den
Folgejahren sanken die Einnahmen der öffentlichen Haushalte, und
Haushaltsdefizite stiegen an. Auch die Regierung von Margret Thatcher wurde von
dieser Denkweise beeinflusst.
Mehr zu
Narrativen
Es ist meist
Zufall, welche Stories viral gehen, d.h. epidemisch werden. Es passiert oft mittels
einer Mutation. Empirische Untersuchungen bestätigen, dass Narrative mehr überzeugen
als Statistiken. Aussagen der narrativen Wirtschaft müssen nicht wahr sein. Eine
Verbindung mit großen Namen oder mit patriotischen Gefühlen kann hilfreich
sein.
Die Verbreitung
von Narrativen erfolgt nicht systematisch. Sie ähnelt eher dem Verhalten einer Epidemie.
Die gesamte Wirtschaftsgeschichte wird geprägt von denjenigen Mutationen, die eine
erhöhte Ansteckungsrate und eine geringere Vergessenheitsrate haben. Narrative
müssen ähnlich wie ein Witz mit den richtigen Worten erzählt werden. Es besteht
kein Konsens, was die einflussreichsten Narrative sind.
Die
Angst vor der Automatisierung ist ein verbreitetes Narrativ seit es arbeitssparende
Dreschmaschinen gibt. Das war um 1870. Ein neuer Höhepunkt war zwischen 1974
und 2000, und nochmals stärker nach 2008. Das Narrativ der stets steigenden
Immobilienpreise ist ebenfalls alt. Es ging ab 2008 stark zurück. Narrative
über einen bevorstehenden Aktien-Crash erhielten 1921 und 1987 neue Nahrung.
Peter Hiemann schrieb: Dass Bob Shiller den Preis der Schwedischen Nationalbank erhalten hat, lässt vermuten, dass seine Thesen für Investoren interessant sind.
AntwortenLöschenShiller warnt Investoren in seinem Buch “Irrational Exuberance“ (im Vorwort der 2. Auflage): „People still place too much confidence in the markets and have too strong a belief that paying attention to the gyrations in their investments will someday make them rich, and so they do not make conservative preparations for possible bad outcomes." (Wikipedia englisch)
Wir beide fragen uns ja seit Längerem, ob wirtschaftswissenschaftliche Thesen objektiven, wissenschaftlichen Anforderungen gerecht werden.
PS. BlackRocks Computersystem ist unschlagbar, von schnellen Bewegungen (gyrations) der Aktienmärkte zu profitieren.
Da der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften mit der gleichen Preissumme dotiert ist, wird er oft als Wirtschaftsnobelpreis bezeichnet. Der Preis ist umstritten. Es wird gefragt, ob er im Sinne Alfred Nobels ist und ob es angemessen ist, den Wirtschaftswissenschaften eine solche herausragende Stellung zu geben.
LöschenIch werde den Eindruck nicht los, dass die Wirtschaftswissenschaften die Darstellungsform des Narrativs auch deshalb benutzen, weil es dann leicht möglich ist, dem Zuhörer Märchen aufzubinden.
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