Dienstag, 26. Februar 2019

Merkwürdiges über die Schlacht bei Waterloo − einer Sternstunde Europas?

Mehrere Autoren, deren Bücher oder Essays ich dieser Tage las, erinnerten mich an eine der berühmtesten Schlachten der Geschichte, die vom Juni 1815 bei Waterloo. In ihr wurde Napoléons Schicksal endgültig besiegelt. Sein Stern war über Frankreich und Europa etwa 10 Jahre nach der Französischen Revolution aufgegangen. Im kollektiven Gedächtnis Europas bildet Waterloo einen dramatischen Höhepunkt. Für Frankreich und Napoléon war es ein letztes Aufflackern vor dem Untergang. Für seine Gegner war es die Stunde der endgültigen Abrechnung.

Napoléon, der verglimmende Stern

Der unter der Leitung von Clemens von Metternich (1773-1859) tagende Wiener Kongress war gerade dabei, die alte Ordnung Europas wiederherzustellen, als die Nachricht eintraf, dass Napoléon seinen Verbannungsort, die Insel Elba, verlassen habe. Er war in Antibes an Land gegangen und sammelte auf dem Marsch nach Paris immer mehr frühere Anhänger ein. Innerhalb von nur 100 Tagen hatte er auch wieder ein schlagkräftige Armee aufgestellt, mit der er den angreifenden britischen, österreichischen, preußischen und russischen Truppen entgegen zog.

In seinem Buch Sternstunden der Menschheit beschreibt Stefan Zweig (1881-1942) die Schlacht von Waterloo als eine dieser Sternstunden. Ihm hatte es der General Emmanuel de Grouchy (1766-1847) angetan. Der verfolgte im Auftrag Napoléons mit 40.000 Mann die Preußen nach der vorangegangenen Schlacht bei Ligny, fand sie jedoch nicht. Diese hatten nämlich nicht ihren Zug nach Nordosten fortgesetzt, wie erwartet, sondern waren nach Westen abgebogen, um Wellington zu Hilfe zu kommen. Hätte er sich besser über die tatsächlichen Verhältnisse informiert und flexibler reagiert, wäre die Schlacht (und damit die Weltgeschichte) anders verlaufen – meinte Stefan Zweig.

Schlachtfeld am 18.6.1815

Um auch eine andere Sicht kennenzulernen, las ich eines der vielen Bücher über das Ereignis. Meine Wahl fiel auf Marian Füssels Waterloo 1815 (2015, 128 S.). Darin galt Napoléons Kritik vor allem dem General Michel Ney (1769-1815), seinem alten Kampfgefährten. Er wirft ihm vor Frankreich verraten zu haben, weil er Wellington nicht energisch genug angegriffen habe. Das habe Napoléon dazu gezwungen, seine Gardetruppen in die Schlacht zu werfen. Die Schlacht ging in dem Moment verloren, als die Garde nicht durchbrechen konnte und dabei die gesamte französische Front in Unordnung geriet. Wie ein Lauffeuer ging es plötzlich durch die Reihen: Die Garde weicht, rette sich wer kann. Sch…! (frz. La garde recule, sauve qui peut. Merde!).

Wellington, der Meister der Defensive

Arthur Wellesley, der Erste Herzog von Wellington (1769-1852) war Napoléons großer militärischer Gegenspieler in Westeuropa. Nach erfolgreichen Einsätzen in Indien organisierte er den militärischen Widerstand gegen Napoléon in Spanien und Portugal. Nach der Schlacht von Vittoria im Juni 1813 vertrieb er die Franzosen von der iberischen Halbinsel, was Ludwig van Beethoven dazu veranlasste, ein Orchesterwerk auf Wellingtons Sieg zu komponieren. Nach Castlereaghs Abberufung trat Wellington dessen Nachfolge als britischer Bevollmächtigter beim Wiener Kongress an. Nach Napolèons Rückkehr von Elba organisierte er den militärischen Widerstand.

Da Russen und Österreicher ihren Einsatz noch vorbereiteten, standen ihm zunächst nur 68.000 Mann zum Einsatz zur Verfügung. Davon waren rund 24.000 (35%) Briten, 18.000 (26%) Belgier und Niederländer, sowie 26.000 (39%) Deutsche. Diese setzten sich zusammen aus Hannoveranern, Braunschweigern, Nassauern  sowie der Königlichen Deutschen Legion (engl. King‘s German Legion, Abk. KGL). In der KGL kämpften Freiwillige, die vor oder während der Besetzung ihres Landes vor den Franzosen geflohen waren. Im Vergleich dazu hatte Napoleon 72.000 und Blücher 48.000 Mann. Die britischen Offiziere waren alle adlig, das Fußvolk galt als Abschaum der Gesellschaft.

Wellington 1816

Über 200 britische Offiziere waren am 15. Juni, dem Vortag des ersten Zusammenstoßes mit Napoléon auf einem Ball in Brüssel gewesen. Als Wellington von dem Heranrücken Napoleons erfuhr, soll er geschimpft haben. Napoléon habe ihn angeschmiert (engl. he humbugged me). Man zog sich daher von Quatre-Bras, wo der erste Zusammenstoß stattgefunden hatte, geordnet nach Norden zurück. Als die Franzosen nachsetzten, schanzte man sich entlang der Straße ein. Der Druck der Franzosen war jedoch relativ schwach (siehe unten), so dass das Geplänkel sich bis in den späten Abend hinzog.

An dieser Stelle soll Wellington gesagt haben: ,Ich wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen‘. Dies wird aber von Wellington nicht bestätigt, so dass es auch keine englische Version dieses Zitats gibt. Jedenfalls wurde Wellington seit 10 Uhr über eine eigens eingerichtete Kurierkette laufend über die preußischen Bewegungen und Planungen informiert.

Blücher, der Marschall Vorwärts

Gerhard Leberecht von Blücher (1742-1819) hatte an der Völkerschlacht von Leipzig teilgenommen und verfolgte anschließend die sich zurückziehenden Franzosen. In der Neujahrsnacht 1814 setzte seine Vorhut bei Kaub über den Rhein. Er zog im Januar 1814 in Trier ein und zwei Monate später in Paris. Als Napoléon aus dem Exil auf Elba wieder auftauchte, wurden Blücher die preußischen Truppen in Belgien unterstellt. Es kam zu der Schlacht bei Ligny am 16. Juni 1815, in der die Preußen geschlagen wurden. Sie zogen sich daraufhin nach Norden zurück, bogen aber nach zwei Tagen nach Westen ab, um Wellington zu Hilfe zu kommen. Die Artillerie der Preußen wurde aktiv und beschoss französische Positionen. Die beiden Heerführer trafen sich zu Pferde, spät am Abend.

Blücher glaubte, die Kämpfe hätten sich nahe der Ortschaft Belle Alliance abgespielt und schrieb so auch nach Berlin. Wellingtons Telegramm nach London war in Waterloo aufgegeben. Dieser Name setzte sich dann auch für die ganze dreitägige Schlacht durch.

Nachmittag der Hannoveraner

Der irische Historiker Brendan Simm liefert mit dem Buch Der längste Nachmittag (2014, 191 S.) die Erklärung für das oben angedeutete Verhalten der Franzosen. Am dritten Kampftag, dem 18. Juni, konzentrierte sich der Kampf der Infanterie zunächst um den Besitz der beiden Gehöfte Hougoumont und La Haye Sainte, die beide zwischen den Fronten lagen. Im Falle des Hofes von La Haye Sainte (deutsch: Heiliger Hain) dauerte es fast bis 18 Uhr, bis dass der Hof von den Verteidigern geräumt wurde.

Landgut La Haye Sainte

Bei den anfänglich über 400 Verteidigern handelte sich um ein Bataillon der KGL, geführt von Major Georg Baring (1773-1848). Sie wurden mehrfach von der französischen Kavallerie überrannt, hielten aber aus, bis dass ihnen die Munition ausging. Baring überlebte mit etwa 40 Männern. Sie töteten über 1000 Franzosen. Baring fand sogar ein Pferd, nachdem zwei Mal sein Pferd unter ihm weggeschossen worden war. Nach Simms Meinung war dieser Teil der Schlacht für das Ergebnis entscheidend gewesen. Er verzögerte das Zusammentreffen der Hauptkräfte erheblich. Am Ende des Tages war Wellingtons Heer fast bis auf die Hälfte zusammengeschmolzen. Doch im Vertrauen auf die von Blücher zugesagte preußische Hilfe hielt er stand. Auch die Franzosen hatten große Verluste erlitten, warteten aber vergeblich auf die Hilfe von General Grouchy. Die Zahlen lauten: Wellington 15.000 Tote und Verwundete, Blücher 7.000 und Napoléon 25.000.

Zwei Randbemerkungen: Der letzte Trompeter der KGL, ein Heinrich Engelbert Steinweg, wanderte später in die USA aus und gründete dort die Klavierbauerfirma Steinway. Die französischen Kürassiere trugen Brustpanzer. Bei Wellingtons Leuten waren sie als Bratpfannen begehrt − so hieß es − sofern sie nicht von Kugeln durchlöchert waren. Preußische Gardekürassiere trugen um 1900 ebenfalls erbeutete französische Brustpanzer – allerdings aus dem Krieg von 1871.

Fortgang der Geschichte

Nach der Schlacht von Waterloo begab sich Napoléon in englische Gefangenschaft. Diese brachten Napi – wie sie ihn nannten − auf die Insel St. Helena im Südatlantik, wo er 1821 starb. In Österreich regierte Metternich bis 1848, in Frankreich die Bourbonen, die in zwei Revolutionen 1830 und 1848 vertrieben wurden. Danach kam Napoléons Enkel an die Macht. In Preußen trat ab 1848 Bismarck hervor, der Deutschland 1871 in einen Krieg gegen Frankreich führte. Die Briten verloren damals ihr Interesse am kontinentalen Europa und bauten ihre Weltmacht aus. Das täten sie auch heute wieder gerne.

Sonntag, 10. Februar 2019

Entstehung und Verbreitung der Menschenrechte (Essay von Peter Hiemann)

Wenn Peter Hiemann einen Essay, den er vor einem Vierteljahr veröffentlichte, total überarbeitet, dann ist das ein Zeichen dafür, dass ihm das Thema keine Ruhe ließ. 

Es geht in dem Essay um die Frage, warum und wie entwickelte sich das Rechtsempfinden der heutigen Gesellschaft derart, dass es oft in Widerspruch zum codierten Recht gerät. Anstatt nach abstrakten philosophischen Kriterien sucht Hiemann nach den Prinzipien des Denkens, wie sie sich in den unterschiedlichen menschlichen Gemeinschaften herausgebildet haben. In den verschiedenen historischen Epochen, die der Homo sapiens durchlebte, haben sich diese Prinzipien verändert. Von den Prinzipien gelangt er zu den Menschenrechten und ihrer Festlegung in Gesetzen und zu den Gefühlen, die Menschen den bestehenden Menschenrechten entgegenbringen. Neben der Verwendung der Prinzipien der französischen Revolution Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, fordert er, dass zusätzlich die Prinzipien Autonomie, Respekt und Kooperation bei der Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen und der demokratischen Orientierung von Gesellschaften angewandt werden. 

Freiheit wurde zu oft missbraucht, Gleichheit und Brüderlichkeit zwischen Menschen waren nur eine Illusion. Autonomie bedeutet, dass Menschen, Unternehmen und Staaten mehr oder weniger selbstorganisiert und verantwortlich handeln. Bei seinen Studien fand Hiemann heraus, dass Winston Churchill ein politischer Führer war, der wirklich wusste, wie man mit Beziehungen umgeht und wie man vernünftig innerhalb und außerhalb seines Landes handelt. Würde Churchill heute leben, würde er sich wohltuend von einigen heutigen Entscheidungsträgern absetzen.

Sie gelangen zu dem 32-seitigen Essay, indem sie hier klicken..

Donnerstag, 7. Februar 2019

Welt von gestern – Stefan Zweigs schmerzvoller Lebensrückblick

Stefan Zweig (1881-1942) war einer der bekanntesten deutschsprachigen Autoren. Seine Autobiografie mit dem Titel Die Welt von gestern erschien posthum 1942 in London und Stockholm. Sie hat den Untertitel: Erinnerungen eines Europäers. Im selben Jahr erschien auch seine, den meisten deutschen Gymnasiasten vertraute Schachnovelle. Zweig und seine zweite Frau nahmen sich gleichzeitig das Leben, und zwar im Februar 1942 in Petropolis, der Residenzstadt des einstigen Kaisers von Brasilien, unweit von Rio de Janeiro. Ich las das Buch gerade jetzt, weil Yuval Noah Harari mich daran erinnerte, dass die Idee des Liberalismus vor dem ersten Weltkrieg eine Hochblüte erreichte, an die man bisher nicht wieder herangelangt sei. Das Buch ist für jeden historisch Interessierten sehr zu empfehlen.

Wien der Kaiserzeit

Über Wien als die Hauptstadt der Moderne hatte ich schon einmal im Dezember 2012 berichtet. Mein Augenmerk lag damals auf Kunst und Wissenschaft. Zweig erlebte und liebte das Wien der endenden Kaiserzeit. ‚Leben und leben lassen‘ sei ein humaneres Motiv als der kategorische Imperativ Preußens – meint Zweig. Nicht die deutsche Tüchtigkeit habe gezählt, noch habe Hast den Alltag bestimmt. Zweigs jüdische Familie war durch Industrielle und Kaufleute geprägt. Als nachgeborenes Kind durfte er sich geistigen und intellektuellen Tätigkeiten zuwenden. Einen eventuellen Doktortitel würde die Familie sehr begrüßen, quasi als Ausdruck für den erfolgreichen gesellschaftlichen Aufstieg.

Schon seine Schulzeit empfand Zweig als Zeitvergeudung. Ihm widerstrebte – wie er sagt − das öde Lernen von scholastischer Materie. Die Schule der Kaiserzeit hätte offensichtlich die Aufgabe klarzumachen, dass die derzeitige Ordnung ewig ist und man sich ihr fügen sollte. Gesellschaftliche Themen seien tabu gewesen. Sich mit Sexualität zu befassen lag unterhalb der Würde der Wissenschaft (d.h. bevor Sigmund Freud auftrat). Mit 40 Jahren sei man noch nicht erwachsen gewesen. Die Rolle der Frau sei sehr eingeengt gewesen, wobei die Prostitution für Männer ein Art Ventil darstellte.

Morgendämmerung einer neuen Zeit

Sozialisten galten als die roten Rotten aus der Vorstadt, die sich am 1. Mai trauten im Prater aufzumarschieren. Auch erste Nazis operierten in den Randgebieten des Landes und forderten eine Trennung der Kirche von Rom. Für wahre Sensationen sorgte nur die Welt der Kunst. So wurde Gustav Mahler (1860-1911) mit 39 Jahren Chef der Wiener Hofoper. Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke zeigten, dass auch die Jugend Erfolg als Dichter haben kann, so wie einst der junge Buonaparte in Frankreich das Militär aufrüttelte.

Als Zweig mit 19 Jahren an die Uni Wien kam, bestimmten dort noch die das Deutschtum anhimmelnden Studenten mit ihren Burschenschaften das Bild. Zweig und seine Gesinnungsfreunde hatten nur Verachtung für sie übrig. Er selbst studierte Philosophie, was er mit einer Promotion abzuschließen plante. Lieber als in Vorlesungen zu gehen, las er viel und schrieb selbst erste Kurzgeschichten und Gedichte. Wie ein Kind freute er sich über die Druckerschwärze, nach der seine Gedichte rochen, über einen lobenden Brief Rilkes, sowie über die Vertonung einzelner seiner Gedichte durch Max Reger. Eine Art von wirtschaftlichem Durchbruch erzielte er, als Theodor Herzl (1860-1904), der Leiter des Feuilletons der ‚Neuen Freien Presse’ ihn einlud, regelmäßige Beiträge zu liefern. Herzl hatte als Journalist in Paris die Dreyfus-Affäre erlebt und forderte seitdem einen eigenen Judenstaat [Bekanntlich fand die von Herzl gegründete Zionistische Bewegung weltweites Interesse und führte schließlich zur Gründung des Staates Israel].

Aufenthalte in europäischen Metropolen

Nach Erreichen seines 20. Lebensjahres überraschte Zweig seine Familie und seine Wiener Freunde nicht wenig, als er ihnen eröffnete, dass er für ein Semester nach Berlin gehen würde. Berlin hatte sich gerade den Ruf erworben, jungen Künstlern offener zu begegnen als Wien. Er schloss sich dort einer Gruppe um den naturalistischen Dichter Peter Hille (1854-1904) an. Außerdem traf er auf Rudolf Steiner (1861-1925), dessen anthroposophische Philosophie gerade erste Blüten trieb. Besonders hoch schätzte er seine Kontakte zu Walther Rathenau (1867-1922) ein. Der bekannte jüdische Industrielle und Politiker hatte Aphorismen veröffentlicht unter einem Pseudonym. Er dachte international, vergöttere jedoch das Preußentum – so Zweigs Urteil. [Rathenau war Außenminister während der Weimarer Republik, verhandelte den Vertrag von Rapallo und wurde von Rechtsradikalen ermordet].

Bei einem Besuch in Brüssel traf er Emile Verhaeren (1855-1916), dessen Gedichte er anschließend ins Deutsche übertrug. Nach seiner in Wien abgeschlossenen  Promotion über den französischen Dichter Hippolyte Taine (1828-1893) gönnte er sich das ganze Jahr 1904 für einen Aufenthalt in Paris. Auch hier gewann er neue Freunde, so Leon Bazalgette (1873-1928), der die Werke von Walt Whitman ins Französische übersetzt hatte. Sehr intensiv waren die Kontakt mit Paul Valery und Romain Rolland (1866-1944), mit dem er später einen jahrelangen Briefwechsel führte. Er sah Rilke wieder und wurde von dem Bildhauer Auguste Rodin (1840-1917) zum Essen eingeladen. Rückblickend aus dem Jahre 1942 stellte dieses Paris für Zweig das alte Europa dar. Es waren die klassenlosen Kontakte, das Essen und Trinken und die von Pferden gezogenen Omnibusse. London, wo er sich nur zwei Monate aufhielt, hatte ihm dagegen relativ wenig zu bieten, da er – wie Zweig meinte – weder an Sport noch an Politik interessiert war.

Künstlerische Reifezeit

In einer Wohnung in Wien, die er als sein Standbein (frz.: pied-à-terre) bezeichnete, begann er damit Urschriften von Gedichten und Musikstücken zu sammeln. Es begann seine lebenslange Zusammenarbeit mit dem Insel-Verlag in Leipzig. Berühmte Schauspieler der Zeit, so Josef Kainz vom Burgtheater, baten ihn kleine Stücke für sie zu schreiben. Seine Werke erreichten ansehnliche Verkaufszahlen auf dem deutschen und internationalen Buchmarkt. Er unternahm Reisen ins englische und ins holländische Indien. Als er die USA besuchte, fand er seine eigenen Bücher in einem Laden in Philadelphia [Das Gefühl muss dem ähnlich gewesen sein, das ich empfand, als ich mehrere meiner Bücher in der amerikanischen Kongressbibliothek (engl.:Library of Congress) fand].

Zeit von Optimismus und Weltvertrauen

In der Zeit um 1910 war die Welt schöner und freier geworden. Flugzeuge und Zeppeline eroberten die Lüfte. Überall entstanden Sportpaläste und Schwimmbäder. Das Eisenbahnnetz wurde immer dichter. Auslandsreisen wurden einfacher und billiger. Aus Berlin, der Hauptstaat des preußischen Staates, entstand nach und nach eine Weltstadt. Ein internationales Publikum füllte die Straßen und Theater. Junge Männer rasierten sich die Bärte ab, Frauen wollten keine Korsetts mehr tragen.

Neue Firmen entstanden und neue Industrien. Alle wollten wachsen, so auch die Krupps und die Schneider-Creusot [beides bekannte Rüstungsfirmen]. Die Literaten glaubten an die Sozialistische Internationale. Sie würde einen Krieg verhindern. Zweig und seine Künstlerfreunde hofften auf eine alsbaldige Einigung Europas.

Erste Weltkatastrophe

Zuerst hoffte man, dass nach dem Attentat vom Sarajevo die Welt schnell wieder zur Tagesordnung zurückkehren würde. Erst in den Wochen danach schaukelte sich die Stimmung hoch. In Deutschland wie in Frankreich, in Russland wie in Österreich wurde in den Massen ein latentes Hochgefühl geweckt, das sie alle zu Patrioten werden ließ. Ein Berliner Jude namens Ernst Lissauer, der wegen seiner geringen Körpergröße vom Militärdienst zurückgewiesen wurde, verfasste ein Hassgedicht auf England. Es verbreitete sich innerhalb von Tagen in ganz Deutschland und Österreich.

Zweig schaffte es, eine Anstellung beim Kriegsarchiv in Wien zu finden, um so dem Fronteinsatz zu entgehen. Auch der bereits 40 Jahre alte Rilke folgte ihm dorthin. Er selbst bemühte sich den Kontakt zu ausländischen Literaten und Künstlern aufrecht zu halten. So entstand ein intensiver Briefwechsel mit Romain Rolland, der in Genf beim Roten Kreuz tätig war. Zweig verfasste 1917 eine Tragödie mit dem Titel Jeremias, die allerdings nur in Zürich aufgeführt werden durfte. Das ermöglichte auch ein Treffen mit Rolland in Genf. Nach dem verlorenen Krieg wurde die k.u.k. Monarchie zerschlagen, Der Kaiser dankte ab. Noch während des Kriegs hatte Zweig eine herrschaftliche Villa in Salzburg erworben und verlegte 1920 seinen Wohnsitz dorthin. Während die Bevölkerung von einer Inflation schwer getroffen wurde, blieben Zweig seine im Ausland erzielten Einkünfte erhalten.

Weitere Stufen des Erfolgs

In der Zeit von 1924 bis 1933 erholten sich Europa und die Welt langsam von dem großen Gemetzel. Zweigs Bücher wurden wieder überall gelesen. Nach einer Schätzung des Völkerbunds galt er als der am meisten übersetzte Autor überhaupt. Eine russische Gesamtausgabe erschien, sein USA-Verlag war gut im Geschäft. Aus Anlass von Tolstois 100. Geburtsjahr erhielt er 1928 eine Einladung nach Russland. Er wurde bei der Reise von Maxim Gorki (1886-1936) betreut, fühlte allerdings, dass er überwacht wurde.

Auch zu italienischen Literaten knüpfte er Kontakte, insbesondere zu Benedetto Croce (1866-1952). Viele Künstler besuchten ihn in Salzburg, so Romain Rolland, Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal und Franz Werfel. Die von ihm gesammelten Originale berühmter Werke der Musik und Literatur schenkte er der österreichischen Nationalbibliothek. Im November 1931 feierte der Inselverlag Zweigs 50. Geburtstag. Er selbst konnte inzwischen ganz gut von seinen Büchern leben. Er hatte viele Freunde in der ganzen Welt, ahnte jedoch nicht, dass sich sein Himmel plötzlich verdunkelte.

Nazi-Aufmärsche und Übersiedlung nach London

Wir Deutschen haben es fast vergessen, dass die Republik Österreich von Italiens Faschistenführer Benito Mussolini eine Garantie für ihre Unabhängigkeit erhalten hatte. Als Gegenleistung verlangte dieser die Beseitigung der Sozialisten und Kommunisten. Eine von Engelbert Dollfuß (1892-1934) gegründete Vaterländische Front versuchte eine entsprechende Politik umzusetzen. Man nannte dies auch den austrofaschistischen Ständestaat. Nach der Ermordung von Dollfuß im Juni 1934 wurde dessen Politik von Kurt Schuschnigg (1897-1977) weitergeführt. Kurz vorher, im Februar 1934, hatten die Sozialisten zu einem Volksaufstand aufgerufen. Als in diesen Tagen Zweigs Haus in Salzburg nach Waffen durchsucht wurde, veranlasste dies ihn, Österreich zu verlassen und nach England überzusiedeln. Zweig galt zwar als Pazifist, war aber denunziert worden.

Die in Deutschland sich abspielenden Entwicklungen waren Zweig bestens vertraut. Besonders genau beobachtete er die Stadt München, wo Erich Ludendorff und der auf Juden hetzende Agitator Adolf Hitler zusammenauftraten. Was ihm auch schon in Italien und Spanien zu denken gab, war die Feststellung, dass die Nationalisten nicht nur sehr militärisch organisiert auftraten, sondern auch überall über eine große Zahl neuer Autos und Motorräder verfügten. Es mussten also der Wirtschaft nahe stehende Kräfte im Hintergrund stehen. Im Jahr von Hitlers Machtergreifung (1933) verfasste Zweig das Libretto für die Oper Die schweigsame Frau von Richard Strauss (1864-1949). Obwohl Zweig bereits als verbotener Autor galt – seine Bücher landeten auf dem ominösen Scheiterhaufen − setzte sich Hitler dafür ein, dass diese Oper in Dresden uraufgeführt wurde. Weitere Aufführungen gab es jedoch nicht.

Zweig nahm sich zunächst eine kleine Mietwohnung in London. Er kam sich wieder wie ein Student vor. Politisch wollte er sich nicht mehr betätigen, da er ja schon in Österreich nichts bewirkt hatte. Irgendwann traf er auch G.B. Shaw und H. G. Wells, die bei einem Lunch ein Streitgespräch führten. Zweimal reiste er zwischen 1934 und 1939 in die USA zu Vortragsreisen, einmal auch nach Argentinien. Hier war für ihn das alte Europa noch am Leben, einschließlich seiner Zivilisation. Obwohl in Deutschland verboten, durften seine Bücher zunächst in Österreich weiter erscheinen, und zwar bis zum so genannten Anschluss im Jahre 1938. Danach wurden seine Werke nur noch in Schweden gedruckt, wodurch er seine internationale Leserschaft weitgehend behielt.

Faschisten und Nazis überrollen Europa

Nach dem Anschluss Österreichs und des Sudetenlandes sah sich ein einst gedemütigter Hitler als Triumphator. Die Juden wurden ihrer Bürgerrechte beraubt und mussten die Straße fegen. Ihr Besitz wurde ihnen weggenommen. Die ganze Welt sah zu und schwieg. Als Neville Chamberlin aus München von einem Treffen mit Hitler und Mussolini zurückkehrte, feierte ihn das englische Unterhaus wie einen Helden. Frieden für unsere Zeit (engl.: peace for our time) so lautete sein Versprechen. Seine als Befriedung (engl.: appeasement) gefeierte Politik hatte zur Folge, dass niemand mehr an Rüstung dachte. Die bereits geplanten Luftschutzkeller wurden als überflüssig angesehen. Es bildete sich eine Wand zwischen der Bevölkerung und den Flüchtlingen, die aus Angst ihre Heimat verlassen hatten. 

Zweig verlor seinen österreichischen Pass. Er war plötzlich staatenlos. Konnte er vor 1914 die ganze Welt ohne Pass bereisen, musste er sich jetzt in Konsulaten drängeln, wurde laufend vernommen und musste sich rechtfertigen. Galt er einst als Kosmopolit, war er jetzt ein Exote. An die Stelle von Liberalität und Internationalität traten jetzt Fremdenhass und Fremdenangst. Er verbrachte jetzt viel Zeit mit Sigmund Freud (1856-1939) zusammen, der auch in England im Exil lebte. In seiner Tiefenpsychologie hatte Freud ja gelehrt, dass jenseits von Vernunft noch sehr viel mehr im Menschen steckt. Als Freud im September 1939 starb, hielt Zweig eine Abschiedsrede auf ihn.

Ausbruch des zweiten Weltkrieges

Es tauchten immer mehr geflüchtete Juden auf. Nur noch Haiti und Santo Domingo erteilten Visa. Sofern es sich – wie fast immer in früheren Jahrhunderten − um gläubige Juden handelte, so konnte die Religion Trost bieten. Das war aber heute bei vielen nicht der Fall.

Zweig siedelte im August 1939 von London nach Bath über. Er hoffte, dass hier weniger Leute danach fragen würden, was auf dem Kontinent passiert und warum Hitler sich nicht an seine Zusagen hält. Er fühlte, dass er, falls ein Krieg ausbricht, England verlassen muss. Er wäre ja dann ein feindlicher Ausländer (engl.: enemy alien). Als im September 1939 Deutschland Polen angriff, erklärte England Deutschland den Krieg. Da Hitler die Österreicher zu Deutschen erklärt hatte, würden auch die Engländer wohl kaum einen Unterschied machen – befürchtete Zweig. Sein Europa, wie er es kannte und liebte, sei für ihn zerstört worden.

NB: Im Jahre 1940 begab sich Zweig zusammen mit seiner zweiten Frau nach Brasilien. Auch dort traf er auf Antisemitismus bei der aktuellen Regierung. Zweig tötete sich mit einer Überdosis eines Schlafmittels. In einem Abschiedsbrief schrieb er: Die Zerstörung seiner geistigen Heimat Europa habe ihn entwurzelt, seine Kräfte seien durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. Neuerdings wird berichtet, dass Zweig zum Exhibitionismus neigte.