Samstag, 15. Oktober 2011

Eine Droge namens Keynes

Als Laie, was die Volkswirtschaftehre betrifft, kann man sich nur wundern, wie sehr hier reales Geschehen und seine Deutung durch Experten auseinanderklaffen. Seit dem Mauerfall in Berlin waren einige Autoren und Kommentatoren fest davon überzeugt, dass zumindest ein sehr bekanntes volkswirtschaftliches Prinzip im Mülleimer der Geschichte gelandet sei: die sozialistische (oder kommunistische) Form der Planwirtschaft. Nicht nur schien das ‚Ende der Geschichte‘ erreicht, wie Francis Fukuyama (1952-) dies 1992 glaubte, sondern nur noch ein Wirtschafts­prinzip habe sich als alleinseligmachend erwiesen, nämlich der liberale Kapitalismus. Seine theoretische Unterfütterung bekam dieser Gedanke von Ökonomen wie Milton Friedman (1912-2006) von der University of Chicago. Man sprach daher auch vom Neoliberalismus der Chicagoer Prägung. Noch erinnere ich mich lebhaft an ein Interview mit Friedman, wahrscheinlich im Spiegel, in dem er uns Deutsche aufrief, doch endlich die Sklaverei abzuschütteln. Er meinte damit die Dominanz des Staates über die Wirtschaft, die sich unter anderem darin ausdrückte, dass wir mehr als 50% unserer Einkünfte in Form von Steuern an den Staat abführen müssten.

Inzwischen hat der Liberalismus seinerseits einen Großteil seiner Anhänger verloren, was am augenscheinlichsten in den Umfrage- und Wahlergebnissen der FDP zum Ausdruck kommt. An seine Stelle scheint nicht wieder der Sozialismus zu treten, sondern eine neuverpackte Form der stärkeren Lenkung der Wirtschaft durch den Staat. Das dafür benutzte Schlagwort heißt Keynesianismus.

Unter Keynesianismus wird ein Theoriegebäude verstanden, das im Wesentlichen auf John Maynard Keynes (1883-1946) und sein Buch ‚Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes‘ von 1936 zurückgeht. Keynes‘ Werk gilt allgemein als die beste Analyse der großen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre. Sie bezieht ihre Argumente unter anderem aus der vom deutschen Reichskanzler Heinrich Brüning (1885-1970) betriebenen Sparpolitik. Als positives Beispiel gilt die von US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882-1945) eingeleitete verstärkte staatliche Intervention, die als New Deal in die Geschichte einging.

Heute bekennen sich viele Wirtschaftswissenschaftler in einflussreichen Positionen offen als Keynesianer. Beispiele sind Ben Bernanke, der Chef der amerikanischen Zentralbank (Fed), sowie Peter Bofinger, einer der fünf ‚Wirtschaftsweisen‘, welche die deutsche Politik beraten. Da wäre nichts dagegen zu sagen, wenn nicht der Eindruck entstehen würde, dass diese Heilkundigen für alle Krankheiten der Wirtschaft immer nur dasselbe Rezept empfehlen würden. Die Idee, dass man mittels staatlicher Eingriffe einer stagnierenden Wirtschaft zumindest kurzfristig neuen Auftrieb geben kann, ist kaum umstritten. Wenn die natürlich sich ergebende Nachfrage ausbleibt, kann der Staat eine künstliche Nachfrage generieren. Eine Form, die Nachfrage anzuregen, besteht darin, das Schuldenmachen zu erleichtern, indem die Zentralbank (Fed oder EZB) die Zinsen niedrig hält.
 
Das Problem bei diesen Eingriffen besteht darin, zu erkennen, wann man aufhören muss. Die Niedrigzinspolitik zum Beispiel wird inzwischen seit dem Terroristen­anschlag in New York und Washington im Jahre 2001 betrieben, und gilt heute allgemein als Verursacher der Finanzkrise von 2008. Inzwischen – so scheint es – kommen weder kleine noch große Staaten von der Droge Keynes wieder los. Wenn die Wirtschaft nicht so läuft, wie sie soll, – also wenn nicht so viel Steuern fließen wie man hofft, – werden Schulden gemacht, und das auf Teufel komm raus. Das Beispiel im Kleinen heißt Griechenland, das größte Beispiel heißt USA. In beiden Fällen weiß niemand, ob und wann man die Schulden tilgen kann. Das Geld verleihen immer noch die Banken, weil sie glauben (müssen), dass ein Staat ewig liquide bleibt, da ja zur Not die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden. Eine zweite Möglichkeit heißt Gelddrucken. Dann werden nicht die Steuern erhöht, sondern das Gesparte der Bürger wird geplündert und die Lebenshaltungskosten erhöht. Was leichter geht, hängt etwas von der geschichtlichen Erfahrung eines Landes ab. So ist bei uns in Deutschland eine hohe Staatsverschuldung (noch) akzeptabler als eine hohe Inflationsrate.

Das System gerät ins Wanken, wenn Zweifel an der finanziellen Solidität eines Staates entstehen. Dann geraten zunächst diejenigen Banken in Schwierigkeiten, die sehr viel Geld (also 10 Mrd. € aufwärts) in Staatsanleihen besitzen. Damit sie nicht zusammenbrechen, werden sie vom Staat gestützt, oder gleich verstaatlicht. So geschehen letzte Woche im Falle der belgisch-französischen Bank Dexia. Damit Staaten diesen Kraftakt vollbringen können, müssen sie ihre Schuldenlast vergrößern. Dieses Spiel geht im Moment noch gut, da Staat A für Staat B (und seine Banken) bürgt. Wie es in der Endphase aussieht, d.h. wenn es nur noch wackelnde Staaten gibt, kann ich mir als Laie noch nicht ausdenken. Ich bezweifele sogar, dass die Wissenschaftler unter den Ökonomen dies wissen.

Inzwischen wird die Diskussion um Banken und Staatsschulden auch auf die Straße getragen. In New York heißt es ‚Besetzt die Wall Street!‘. Entsprechende Slogans werden wir heute in Frankfurt und in andern deutschen Städten hören. Zu den Auslösern dieser Bewegung gehört der ehemalige französische Diplomat Stéphane Hessel. Als 94-Jähriger hat er Ende 2010 eine kleine Streitschrift (14 Seiten) veröffentlicht mit dem Titel ‚Empört Euch!‘. Sie ist inzwischen in vielen Sprachen millionenfach im Umlauf. Welch ein Erfolg! Neben andern Problemen unserer Gesellschaften geißelt Hessel darin auch den Finanzkapitalismus, der sich den Staat zum Diener gemacht hätte. Indem er Risiken eingeht, die er nicht selbst beherrschen kann, muss der Staat immer wieder den Nothelfer spielen. Wie schön wäre es, man könnte die Dinge doch vereinfachen!

In dem modernen Paradies, von dem wir alle träumen, liegen zahme Staaten neben zahmen Banken in einem blühenden Park nebeneinander. Ich habe absichtlich nicht von dem Staat, noch von schwachen Staaten und schwachen Banken gesprochen. Die Entglobalisierung und Entflechtung der Wirtschaft steht zwar auch bei Hessel und anderen auf der Agenda, ist jedoch eher eine Utopie. Die Banker als Berufsstand sind heute sehr zu bemitleiden. Einerseits schreiben ihnen Politiker vor, was sie tun sollen, etwa in (bisher so) risikoarme Staatsanleihen statt in risikoreiche Industriebeteiligungen zu investieren. Tun sie genau dies, werden sie von Ratingagenturen und Politikern kritisiert. Zu allem Überfluss gibt es dann noch mathematische Modelle, die einem vorschreiben, wie man auf den Markt zu reagieren hat.

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