Diesen Monat kann man mal wieder Kapitalismus in Aktion studieren. Das IPO
von Facebook steht an. IPO heißt
‚Initial Public Offering‘, zu Deutsch Börsengang. Es wurde schon länger davon
gesprochen. Jetzt scheint es ernst zu werden. Am 18. Mai soll es soweit sein. Auch
dem Spiegel
war es bereits eine Titelgeschichte wert. Besonders interessieren mich in
diesem Fall folgende Fragen:
(1) Was ist das
Geschäftsmodell und wird es tragen?
(2) Was steckt technisch hinter der Firma, und welche Rolle spielt dies?
(2) Was steckt technisch hinter der Firma, und welche Rolle spielt dies?
(3) Welche Leute sind
bestimmend?
(4) Warum geht so etwas in den USA, aber kaum bei uns?
(4) Warum geht so etwas in den USA, aber kaum bei uns?
Um den strengen Regeln des amerikanischen Aktienrechts zu genügen, hat
der von mehreren amerikanischen Banken und der Deutschen Bank herausgegebene Prospekt
fast 200 Seiten, Die im folgenden genannten Zahlen stammen fast ausschließlich
aus diesem Dokument. Angeboten werden 337 Mio. Aktien. Der Preis wird noch festgelegt.
Er soll zwischen 28 und 35 US$ liegen. Der Firmengründer, Mark Zuckerberg, will
57% der Aktien behalten. Da Facebook keinen Mangel an Bargeld hat, wird der Börsengang vermutlich primär von Banken betrieben.
Das Geschäftsmodell
Das Unternehmen ist nur acht Jahre alt, ist aber bereits weltbekannt.
Es hat angeblich über 900 Mio. monatlich aktive Nutzer. Auch meine Enkel und
die Enkel meiner Geschwister gehören dazu. Ganz ähnliche Ideen verfolgten StudiVZ
und SchülerVZ, aber auch MySpace. Sie blieben auf der Strecke. Wenn das
Wachstum bei Facebook anhält, wird noch in diesem Sommer die Grenze von einer Milliarde Nutzern durchbrochen. Etwa 100
Mrd. so genannte Freundschaftsbeziehungen würden gepflegt. Täglich sollen 500 Mio. Nutzer
aktiv sein und 250 Mio. Fotos hochgeladen werden. Fast drei Mrd. Bewertungen
und Kommentare werden täglich abgegeben. Das sind astronomische Zahlen! Das
alles sind aber zunächst nur Kosten, es sei denn man weiß, wie man diese Zahlen
zu Geld macht. Erinnern möchte ich an Youtube oder Skype. Sie berichten seit
Jahren ähnliche Zahlen, haben aber noch kein Geld verdient.
Die bereits von Google
mit großem Erfolg angewandte Geschäftsidee heißt: Wer viele Nutzer an sich binden
kann, der ist für die Werbebranche attraktiv. Für Werbung entscheidend ist die
Aufmerksamkeit, die man von seinen Nutzern bekommt. Ich erinnere mich an einen
Vergleich vor einigen Jahren als Google noch deutlich mehr Nutzer hatte als
Facebook. Damals wurde argumentiert, dass Facebook-Nutzer mehr wert seien (für
die Werbebranche), da sie mehr Zeit im Netz verbrächten als Google-Nutzer. Der
Werbeumsatz von Facebook ist inzwischen signifikant und stetig wachsend. Mit
3,5 Mrd. US$ hat er aber erst 10% von Google erreicht. Man hofft auf mehr.
Dafür wurde das Schlagwort der sozialen Werbung (engl. social ads)
erfunden. Bei Google verrät der Nutzer sein Interesse dadurch, dass er etwas
Bestimmtes sucht. Es können Jagdwaffen, Reiseziele, Bücher, Küchengeräte oder
Computer sein. Daraus wird geschlossen, dass er in nächster Zeit dergleichen
kaufen wird. Google versteigert die Positionen, die auf bestimmte Waren
hindeuten, an seine Werbekunden. Facebook lässt seine Nutzer über alles
Mögliche abstimmen. Durch Betätigung der Schaltfläche ‚Gefällt mir‘ kann man
positive (aber keine negativen) Bewertungen abgeben. Ob dies mit einer
bevorstehenden Kaufentscheidung zu tun hat, ist offen. Man kann jedoch
Rückschlüsse darauf ziehen, zu welcher politischen, kulturellen oder
altersmäßigen Gruppierung jemand gehört oder sich hingezogen fühlt. Entsprechend
kann man Beziehungen herstellen zwischen Individuen und Freundeskreisen
einerseits und politischen und gesellschaftlichen Initiativen andererseits. Interessiert
daran dies zu erfahren sind Zeitungen, Verlage, Parteien und dgl. Aber auch für
Tierfreunde, Sportgeräte- oder Pharmahersteller kann die Information von
Interesse sein. Während Googles Stärke in der zielgerichteten Produktwerbung
liegt, scheint Facebook mehr für Image-Werbung geeignet zu sein. Das ist ein
wesentlich kleinerer Markt.
Dass Facebook mehr über seine Nutzer weiß als Google, ist kein
Geheimnis. Die Nutzer teilen sich gegenseitig mit, was sie gerade tun, welche Hobbies
und Präferenzen sie haben, und vieles andere mehr. Die Frage ist, welche
Informationen darf Facebook auswerten und seinen Werbekunden zur Verfügung
stellen. Die Grenze zur Verletzung der Privatsphäre liegt hier sehr nahe. Die
Frage ist, wieweit es Facebook gelingt, diese Grenze zu verschieben, ohne auf
Gegenwind zu stoßen. Hier liegt die Problematik von Facebook. Im Prospekt wird
dies ignoriert bzw. heruntergespielt.
Das technische Vermögen
In diesem Punkte schweigt sich der Prospekt aus. Auch andere Quellen sind
da nicht sehr ergiebig. Vermögen ist hier im doppelten Sinne zu verstehen,
nämlich was die Firma besitzt und was sie kann. Facebook hat offensichtlich ein
Zahlungssystem entwickelt sowie Visualisierungs-Software für Beziehungsnetze. Das
Zahlungssystem deutet darauf hin, dass man auch den Versandhandel im Auge hat,
ein Markt, der von Amazon beherrscht wird. Auch
können Nutzer eigene Anwendungen (Apps) entwickeln. Hier scheint die Firma Apple
Pate zu stehen, die mit den Apps für iPhone und iPad auf eine Goldader gestoßen
ist. Ganz offensichtlich hofft man darauf, dass die große Anzahl der Nutzer die
Attraktivität des Facebook-Netzes nicht nur durch ihre zeitliche Aufmerksamkeit
sondern auch durch kreative Beiträge steigern wird.
Eine gewisse Bedeutung hat die Spielefirma Zynga.
Ihre Spiele generieren Umsatz für Facebook. Durch den sehr teuren Aufkauf der
Firma Instagram zeigte Facebook, dass man sehr
an Fotobearbeitung und Foto-Sharing interessiert ist, eine Anwendung, die von
Yahoo mit Flickr bedient wird.
Der Prospekt zeigt auch, dass sehr viel Geld für den Erwerb von Patenten
ausgegeben wurde. Da nicht angegeben wird, um welche Patente es sich handelt,
können auch keine Rückschlüsse gezogen werden, welche Aktivitäten oder zukünftigen
Produkte geschützt werden müssen. Im Zweifelsfalle ist es eine Maßnahme, die
nur dazu dient, sich Freiraum zu verschaffen oder sich Verhandlungsmasse zuzulegen.
Interessant ist, wo die Hauptrisiken für die Firma gesehen werden. Genannt
werden: Bindung alter und neuer Nutzer, Verlust der Werbekunden, Blockade des
Zugriffs auf Benutzerdaten (durch mangelnde Bereitwilligkeit der Nutzer oder
gesetzliche Barrieren), Eindringen von Schad-Software, sowie Verlust von Herrn
Zuckerberg, Frau Sandberg und anderer. Die Entwicklung von technisch attraktiven
Produkten spielt offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle.
Mitarbeiter und Geldgeber
Die Firma Facebook wurde 2004 von Mark Zuckerberg und seinen Kommilitonen Eduardo Saverin, Dustin Moskovitz und Chris Hughes gegründet. Zuckerberg
war damals Student in Harvard und 20 Jahre alt. Nach der Installation in Harvard wurde ihr erstes System zunächst
auf Universitäten und Colleges um Boston übertragen. Ein früherer Rechtstreit
um die kommerzielle Nutzung des Produktes scheint beendet zu sein.
Zuckerberg
2005 (Quelle Wikipedia)
Zuckerberg hat heute eine klar dominierende
Stellung. Das drückt sich sowohl in seinem Einkommen aus als auch in seinem
Einfluss. Beleuchtend ist die Tatsache, dass in 2011 sein Gehalt von 704.000
US$ allein durch Flugkosten von rund 700.000 US$ ergänzt wurde. Der Aufsichtsrat der
Firma, das Direktorium, besteht ausschließlich aus Leuten, die ihm nahestehen
und die er berufen hat. Unter diesen fallen einige besonders auf, so Marc
Andreesen (ehemals Netscape), Sean Parker (ehemals Napster), Peter Thiel (ein deutsch-stämmiger Wagniskapitalgeber) sowie Dustin
Moskovitz (ein Kommilitone aus der Harvard-Zeit).
Neben Zuckerberg spielt heute vor allem Sheryl Sandberg eine hervorgehobene
Rolle. Sie wurde von Google abgeworben, wo sie für den weltweiten
Online-Verkauf verantwortlich war. Vorher leitete sie den Stab des
amerikanischen Finanzministers Larry Summers. Der Entwicklungsleiter heißt Mike Schroepfer. Er war
bei Sun tätig, bevor er 2005 zur Mozilla Corporation stieß, wo er die
Entwicklung des Firefox-Browsers leitete. Die jetzige Aufgabe hat er seit Juli 2008.
Facebook hat 3.200 Mitarbeiter. Im Vergleich zu Apple (46.600) und
Google (24.400) ist das wenig. Daher ist das Verhältnis von Umsatz zu Gewinn
noch sehr gut. Andererseits lassen sich kaum Produkte erwarten, die an die von
Apple und Google heranreichen.
Warum gibt es solche
Erfolgsgeschichten so selten bei uns?
Diese Frage stellen sich viele, vor allem die Politiker. Die Antwort
ist leider nicht eindeutig. Studienabbrecher, die Firmen gründen, gibt es bei
uns auch. Gute Ideen offensichtlich auch. Sie müssen allerdings einen Finanzierer
finden, der dafür sorgt, dass daraus Produkte oder Dienstleistungen für den
Weltmarkt entstehen. Der deutsche Markt ist zu klein. Auch an Geld mangelt es
nicht. Wie mir ein Branchenkenner
gestand, investieren Deutsche ihr Geld lieber in amerikanische Startups als in
deutsche Neugründungen. Das ist traurig, aber wahr.
In unserer Branche haben SAP und Software AG vor Jahrzehnten gezeigt, wie die Internationalisierung klappt –
sogar ohne Fremdkapital. Natürlich hat sich seither Einiges geändert. Die Notwendigkeit,
gleich an den Weltmarkt zu denken, ist heute zwingender denn je. Wir haben
viele Unternehmen, große und kleine, in den verschiedensten Branchen, die
gezeigt haben, wie dies heute geht. Wer nicht den Mut oder die Kraft hat, dies
selbst zu tun, kann sich anderer Firmen als Träger oder Türöffner bedienen. Besonders
die Automobilindustrie müsste ein Gespür für das Potential mobiler Informatik-Anwendungen
haben. Weder in dieser noch in andern Branchen mangelt es an Kreativität. Natürlich wäre es schön, wir könnten von der Informatik-Branche dasselbe sagen.
Facebook zeigt auch, – sollte es weiterhin Erfolg haben – dass Produkte
nicht alles sind. Man hat in erster Linie einen Anziehungspunkt geschaffen für
vorwiegend junge Menschen. Spötter sagen, dass das Durchschnittsalter der
Nutzer bald unter 14 Jahren liegen wird, mit einer Tendenz noch weiter zu
fallen. Zumindest für diesen Teil der Erfolgsstory ist es schwer, ihn sich
außerhalb der USA vorzustellen.
Nachtrag am 19.5.2012:
Gestern um 11:30 Uhr New Yorker Zeit (15:30 Uhr MEZ) wurde
der Handel mit Facebook (Kürzel: FB) eröffnet. Der Kurs ging zunächst auf 43
US$. Im Verlaufe des Tages sank er wieder auf den Ausgabekurs von 38 US$.
Im
vorbörslichen Handel sei das Interesse sehr groß gewesen. Es wurden statt der
geplanten 337 Mio. insgesamt etwa 480 Mio. Aktien angeboten. Der Investor Peter
Thiel soll einen Teil seiner Aktien abgegeben haben.
Nachtrag am 30.5.2012
Heute fiel der Kurs auf 25 US$. Ein Experte hat auch den Grund entdeckt. Facebook habe – im Gegensatz zu Google – kein tragfähiges Geschäftsmodell. Das ist aber keine neue Erkenntnis (siehe oben!). Wieso redet man erst jetzt darüber?
Nachtrag am 30.5.2012
Heute fiel der Kurs auf 25 US$. Ein Experte hat auch den Grund entdeckt. Facebook habe – im Gegensatz zu Google – kein tragfähiges Geschäftsmodell. Das ist aber keine neue Erkenntnis (siehe oben!). Wieso redet man erst jetzt darüber?
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