Samstag, 26. Mai 2012

Ist Griechenland ein gescheiterter Staat? (mit Nachträgen)

Letzte Woche benutzte ein deutscher Banker zum ersten Mal das Wort vom ‚failed state‘ in Bezug auf Griechenland. Bisher wurde dieses Attribut vor allem auf Somalia bezogen. Im Gegensatz zu Somalia scheint die griechische Polizei noch einem einzigen Oberherrn zu dienen. Es sind zwei Kriterien, die im Falle Griechenlands zu der Einstufung als gescheiterter Staat Anlass geben:

- Das Land ist außerstande, sich zu regieren. Nach den gerade erst durchgeführten Wahlen erwies sich die politische Klasse als unfähig, eine Regierung zu bilden. Am 17. Juni finden Neuwahlen statt. Es stehen dieselben Parteien und Personen zur Wahl wie vor sechs Wochen. Warum soll das Ergebnis anders sein? Die Alternative, eine Militärregierung zu bilden, ist verbraucht.

- Die Bürger distanzieren sich vom Staat. Reiche Bürger haben ihr Geld in großem Umfang ins Ausland transferiert. Die im Land verbliebenden kleinen Geschäftsleute und Handwerker weigern sich Steuern zu zahlen. Frau Lagarde, die IWF-Chefin, fleht die Griechen an, sie sollten es doch den Kindern zuliebe tun. Krankenhäuser besucht man lieber im Ausland. Die Müllabfuhr und die Stromerzeugung funktionieren noch, aber auf niedrigem Niveau. Schlaglöcher auf den Straßen gab es schon immer.

Der zu erwartende Sieger der bevorstehenden Wahl, Alexis Tsipras, will weder sparen noch Schulden tilgen, erwartet aber, dass die reichen Europäer sein Land weiter aushalten. Obwohl alle ausländischen Politiker den Griechen raten, diesen Mann nicht zu wählen, werden sie es trotzdem tun. 

Was bleibt in der Situation zu tun?

Niemand glaubt, dass Europa das Mutterland der Demokratie in den Abgrund stürzen lässt (Orkus sagen die Griechen dazu). Mit Niemand meine ich sowohl Griechen wie Nicht-Griechen. Dasselbe glaubt auch Herr Tsipras. Die andern Politiker Europas, die Merkels, Schäubles und Junckers tun dies auch. Nur sagen dürfen und wollen sie es nicht. Ob die nächsten 10-20 Jahre so verlaufen, wie Frau Merkel dies erhofft, ist also eine offene Frage. Wie auch immer, es wird für Griechenland kein Zuckerlecken sein. Der Traum vom Euro hat sich immer mehr zum Alptraum entwickelt. Er hat es – anders als geplant – geschafft, große Animositäten zwischen den Völkern Europas zu verursachen. Ich möchte Frau Merkel nicht raten, ihren nächsten Urlaub in Griechenland zu verbringen.

Was passieren wird, ist aber bereits zu erkennen. Da weder BMW (wegen der bayrischen Könige) noch Mercedes in Griechenland Autos montieren lassen wollen, wird sich der `Brain drain‘ fortsetzen. Wie die Stuttgarter Zeitung vor kurzem berichtete, erreichten uns in 2011 etwa 24.000 Einwanderer aus Griechenland, ein Plus von 90% gegenüber dem Vorjahr. Sie vertraten fast ausschließlich die Altersgruppe zwischen 18 und 26 Jahren und zogen vor allem in die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Da gerade im Süden Deutschlands über einen akuten Mangel an Fachkräften geklagt wird, fanden sie (zusammen mit etwa der gleichen Zahl Spanier) eine positive Aufnahme.

Im Grunde ist dies das Beste, was passieren kann. Nur im Ausland werden junge Griechen vom 8-17 Uhr arbeiten und freudig Steuern zahlen. Andernfalls würden sie den Job bald los sein, oder des Landes verwiesen werden. Diese Art von Erwachsenenbildung funktioniert nur in Nord- und Mitteleuropa, nicht in Griechenland. Diejenigen Griechen, die in ihrem Lande bleiben möchten, sollten wir dafür bezahlen, dass sie ihre Badestrände sauber halten. Dies ist übrigens eine Idee aus Thilo Sarrazins neuestem Buch. Es ist eine sehr praktikable Idee.

Nur als kleiner Nachschlag einige historische Hinweise und Erläuterungen. Die berühmte attische Demokratie herrschte nur im Stadtstadt Athen, nicht in Sparta, Theben oder Delphi. Sie betraf nur freie Männer, keine Frauen und Sklaven. Während und nach den Peloponnesischen Kriegen regierten Tyrannen. Alexander, der Mazedonier, brachte griechisches Denken nach Ägypten und an den Indus. Demokratien hinterließ er keine. Auch das am längsten bestehende griechische Weltreich, das von Byzanz, ist nicht als Demokratie bekannt. Erst Thomas Jefferson gab der alten Idee neues Leben.

Nachtrag am 28.5.2012, 13 Uhr:
 
Es ist beruhigend, dass Leute, bei denen man Sachverstand vermutet, Vorschläge machen, wie es mit Griechenland weitergehen soll. Der Vorschlag von Thomas Mayer von der Deutschen Bank gefällt mir besonders gut. Einen griffigen Namen hat das Ganze bereits: Geuro.

Der griechische Staat bezahlt seine Beamten, Pensionäre und Zulieferer mit Schuldverschreibungen. Sie sind in Euro ausgedrückt. Wenn der Staat damit geschickt umgeht, muss ihr Wert nicht allzu sehr vom echten Euro abweichen. Alle Euro-Konten bleiben bestehen, sowie der Euro als Zweitwährung. Steuern und Zölle werden in Geuro bezahlt. Dieses Geld bleibt im Lande und kann daher die Wirtschaft beflügeln. Die andern Euro-Länder haben keine Verantwortung mehr für Griechenlands Binnenkonjunktur und den Wohlstand seiner Bürger.

Bei diesem Vorschlag scheint die Frage lediglich zu sein, wie intelligent und fleißig sind die Griechen. Vermutlich müssen die externen Gläubiger einen noch höheren Anteil der jetzigen Schulden abschreiben. Sie müssten aber keine neuen Darlehen an griechische Bürger und Firmen geben. Ich frage mich, wo liegt der Haken?


Nachtrag am 29.5.2012:

Mit dichterischer Verve beschrieb Nobelpreisträger Günter Grass vor vier Tagen das Schicksal des griechischen Volkes. Es sei Europas Schande - nicht das, was Griechenland tut oder nicht tut, sondern das, was wir ihm antun. 

Nachtrag am 5.6.2012:

Unter der Überschrift ‚Darf man sich den Gexit vorstellen?´ führt die FAZ einen Blog zu dem Thema Euro und Griechenland. Prominenter Blog-Schreiber ist Thomas Straubhaar.

Nachtrag am 18.7.2012: 

Griechenland hat gewählt. Die Anti-Europäer wurden nur zweiter Sieger. Mal sehen, was der Sieger zustande bringt. Klar, dass Deutschland weiter zahlen darf.

2 Kommentare:

  1. Looking backwards from today, I find it hard to conclude other than that the creation of the Euro to cover so many countries was a mistake. I thought the expansion of Nato way into the East was a bad decision, but did not expect the expansion orgy hangover to hit the Euro first.

    Calvin Arnason

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  2. There was a long major article in the New York Times this weekend on Greece, stating that Germany already had experience with an attempt to fix structural and cultural disadvantages with MONEY in their attempts to integrate East Germany into the nation - the conclusion was that it didn't work, the yearly per capita GNP in West Germany is about $40K and in the old East Germany about $29K. Industry didn't move there. Jobs didn't magically appear. It is a process of many many years. And the problems with Greece are more serious.

    Calvin Arnason

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