Ludwig Hieber (Jahrgang 1936) studierte
Nachrichtentechnik an der ehemaligen Technischen Hochschule (TH) Stuttgart. Er
erhielt 1965 den Master of Computer
Science von der University
of Newcastle upon Tyne, England, war dann Wissenschaftlicher Mitarbeiter im
Rechenzentrum der TH Stuttgart und promovierte zum Dr.-Ing. Er war Gründungsmitglied
der Gesellschaft für Informatik (GI) im Jahre 1968. Von 1972 bis 1996 war
Ludwig Hieber Direktor der Datenzentrale
Baden-Württemberg und Lehrbeauftragter in der Fakultät Informatik der
Universität Stuttgart. Im Jahre 1978 wurde er zum Honorarprofessor ernannt.
Seit 1999 ist er Mitglied im Kuratorium der Integrata Stiftung und seit 2000
Vorsitzender des Informatik
Forum Stuttgart e.V. (abgekürzt: infos).
Bertal Dresen (BD): Ihre Berufslaufbahn als Ingenieur ist
geprägt von Ihrer Verantwortung für die zentrale Datenverarbeitung (DV) des
Landes Baden-Württemberg. Welche Aufgaben, Erfolge und Probleme bestimmten Ihre
Amtszeit? Wodurch unterschied sich die DV des Landes von der eines
kommerziellen Anwenders, etwa eines Kaufhauses oder eines Industriebetriebs?
Welche technischen und organisatorischen Defizite machten sich in Ihrem Betrieb
besonders bemerkbar?
Ludwig Hieber (LH): Bereits Anfang der 70er Jahre war die
Informationstechnik so weit entwickelt, dass aus meiner damaligen Sicht die
absehbaren Anwendungen im öffentlichen Bereich Baden-Württemberg in einem
einzigen Rechenzentrum hätten abgewickelt werden können. Dazu waren aber weder
die Kommunen noch der Landesbereich bereit. Zu stark war die Furcht der
Verwaltungen bei Automatisierungsvorhaben, in die Abhängigkeit anderer
Einrichtungen oder gar von IT-Herstellern zu geraten. Ich erinnere mich an die
langjährigen Diskussionen über die maschinelle Erstellung von Mahnbescheiden.
Da waren viele Hürden zu überwinden. Um die DV im Lande voranzubringen, war die
Gründung mehrerer Rechenzentren im kommunalen und im Landesbereich sowie eines
Softwarehauses (Datenzentrale) unumgänglich. Dafür qualifiziertes Personal zu
den Tarifen im öffentlichen Bereich zu gewinnen, war ein großer Hemmschuh.
Nach Überwindung der „Softwarekrise“ und verschiedener „Software-Staus“
ist es dann über die Jahre gelungen, die DV in Baden-Württemberg zu
professionalisieren. Ein wichtiger Treiber waren die finanziellen Engpässe in
den Verwaltungen, die ständig Druck nach mehr Rationalisierung durch Einsatz
von Informationstechnik nach sich zogen. In meiner Zeit hat der Einsatz von
Informationstechnik zum Wegfall oder zur Verlagerung von mehreren 10.000 Arbeitsplätzen
in Baden-Württemberg geführt.
Im Vergleich zur Wirtschaft habe ich die Entscheidungswege durch die
vielen Gremien und Zuständigkeiten als außerordentlich lähmend empfunden. Das
läuft in einem Kaufhaus oder in einem Industriebetrieb anders und unvergleichlich
schneller. Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist heute Baden-Württemberg in
Sachen Informationstechnik gut aufgestellt. Die eingesetzten Techniken und
Architekturen haben einen hohen Standard. Defizite gibt es aber immer noch.
Einen CIO im Landesbereich zu installieren und mit den notwendigen Kompetenzen
auszustatten, fällt offenbar auch der neuen Landesregierung schwer. Und im
kommunalen Bereich ist die Abwicklung der Informationstechnik für die Gemeinden
und Städte immer noch auf mehrere Einrichtungen verteilt. Da macht gerade die
von den Kommunen getragene Sparkassenorganisation den richtigen Schritt. Die
Sparkassen in Baden-Württemberg und die Landesbank wollen ihre
Informationstechnik zusammenführen und an einem Standort in Frankfurt konsolidieren.
BD: Im Oktober 1996
gründeten Sie zusammen mit zahlreichen Fachkollegen der Stuttgarter Informatik
das Informatik-Forum-Stuttgart e.V., (abgekürzt: infos).
Was war die Motivation für diese Gründung? Was bewog Sie, sich hier besonders
zu engagieren?
LH: Neben dem grundlagenorientierten
Studiengang Informatik wurde 1996 in Stuttgart der Studiengang Softwaretechnik
eingeführt, der das ingenieurmäßige Vorgehen bei der Software-Entwicklung als
ein wichtiges Ziel hat. In der Vorbereitung dazu wurde klar, dass gute Kontakte
zur umliegenden Software-Industrie gerade für diese Studienrichtung besonders
förderlich wären. In diesem Umfeld entwickelte der damalige Dekan, Prof. Volker
Claus, die Idee ein Forum zu gründen mit den Zielen:
- Stärkung der Wissenschaft Informatik und des wissenschaftlichen Nachwuchses,
- Förderung der allgemeinen Ausbildung und des Studiums im Bereich der Informatik,
- Stärkung der Beziehungen zwischen Wissenschaft und Praxis.
Fast zeitgleich mit dem Beginn des Studiengangs Softwaretechnik kam es zur Gründung von infos. Die angeführten Ziele wurden in die Satzung aufgenommen. Die Zeit vor der „Internet-Blase“ war für die Aufbaujahre von infos geradezu ideal. Überall war die Informatik im Aufwind.
Persönlich hat es mir viel Freude bereitet, IT Firmen der Region
Stuttgart mit der Stuttgarter Informatik zusammenzubringen. Über die Informatikthemen
hinaus entstanden viele persönliche Kontakte, die mir wichtig geworden sind. Wichtig ist mir auch, über diese Kontakte mitzuhelfen, Ergebnisse aus
der Forschung der Informatik schneller in die praktische Anwendung zu bringen.
BD: infos ist als
Förderverein der Stuttgarter Informatik nicht mehr wegzudenken. Was bestimmte
die zahlenmäßige Entwicklung zu nunmehr über 500 Mitgliedern? Wie war die
Resonanz bei den Informatik-Anwendern der Region? Was taten Sie, um die
Informatik-Anwender der Region für die Mitarbeit bei infos
zu gewinnen? Welche Unterstützung erhielten Sie von den Professoren, den
Studierenden und früheren Absolventen (Alumni)? Was lief nicht wie erhofft?
LH: Zum Gründungszeitpunkt
von infos war die Stuttgarter
Informatik außerhalb vom Uni-Campus inmitten eines Industriegebietes angesiedelt,
umgeben von zahlreichen IT- Firmen. Es
lag nahe, zunächst die unmittelbaren Nachbarn für infos
zu gewinnen. Das ist gut gelungen. Die Einrichtung von zwei Kontaktmessen
jährlich hat zu vielen Kontakten und dann auch zu Beitritten zu infos geführt. Über die Kontaktmessen
kommen wir auch heute immer noch zu neuen Firmenmitgliedern. Bei den nun bald
100 Firmenmitgliedern sind fast alle IT-Firmen und große IT Anwender der Region
Stuttgart bei infos. Das freut mich sehr.
Die Professoren der Stuttgarter Informatik sind sämtlich Mitglieder bei
infos. Bisher ist es mir immer
gelungen, die neu berufenen Kollegen spontan für infos
zu gewinnen. Nicht so erfolgreich verläuft die Einwerbung von persönlichen
Mitgliedern aus dem übrigen Personalkörper der Stuttgarter Informatik. Da haben
wir Nachholbedarf. Nachholbedarf haben wir auch bei den Studierenden. Sehr
erfreut sind wir über die lebhafte Unterstützung der Studierenden und der
Fachschaft bei der Durchführung von Kontaktmessen. Eine Kontaktmesse mit über
40 Firmenständen müssten wir ohne die Hilfe der Studierenden völlig anders
organisieren. Bei den Absolventenfeiern, die von infos
getragen werden, versuchen wir Absolventen und Ehemalige für eine
Mitgliedschaft zu gewinnen. Bisher leider nur mit mäßigem Erfolg. Hinderlich
sind dabei auch die restriktiven Datenschutzregularien der Universität.
BD: Gerne lese ich die Infos-Zeitung,
die als Mitteilungsblatt inzwischen im 16. Jahrgang erscheint. Welche
Aufgabe haben z. B. die infos-Broschüren
oder die Kontakt-Messen, die halbjährlich in Zusammenarbeit mit der Industrie
durchgeführt werden? Was hat infos in die Lage
versetzt, den Erweiterungsbau des Informatikinstituts mit einer Geldspende von
250,000 Euro zu unterstützen?
LH: Wir nutzen die infos Zeitung für
aktuelle Informationen aus der
Stuttgarter Informatik mit den Zielgruppen Studierende und Mitglieder. Mit den infos-Broschüren greifen wir
Themen auf, die über den Tag hinausreichen und von denen wir überzeugt sind,
dass deren Aufarbeitung der Informatikgemeinde nützen. Beide Medien sind
Stützen unserer Öffentlichkeitsarbeit, zu der auch unser aktueller
Internet-Auftritt gehört.
Wie schon erwähnt ist uns der Kontakt zur IT Industrie ganz besonders
wichtig. Mit den Kontaktmessen haben wir eine Plattform aufgebaut, die zu einem
dem Austausch von Informatikthemen ermöglicht. Solche Kontakte bieten Potential
zu Projekten mit gemeinsamen Interessen. Im Augenblick werden die Kontaktmesse
von Firmen allerdings vorwiegend zur Personalgewinnung genutzt.
Aus den Mitgliedsbeiträgen und aus den Einnahmen der Kontaktmessen
haben wir eine solide finanzielle Grundlage, um dort zu unterstützen, wo die
Universität Engpässe hat. So ist es mit der angesprochenen Spende möglich
geworden, im Neubau für das Forschungszentrum Informatik das Erdgeschoss zu
einem multifunktionalen Veranstaltungsbereich auszubauen, das wir als Forum für
die Kontakte zur Industrie nutzen. Der Rektor der Universität Stuttgart hat es
begrüßt, dass wir diesem Bereich den Namen „Informatik-Forum Stuttgart“ gegeben
haben.
BD: Wurden bei
Kontaktveranstaltungen Forderungen der Firmenmitglieder bezüglich der neuen
Studiengänge in Informatik an Sie herangetragen? Wie sehen die Anwender die
Stuttgarter Besonderheiten (Softwaretechnik, Simulationstechnik, Computer-Linguistik)?
Können die Firmen bei der Auswahl der Absolventen als künftige Mitarbeiter
(noch) wählerisch sein? Wird die Notwendigkeit eines Feedbacks zwischen den
Ausbildenden in der Informatik und ihren Kunden überhaupt gesehen? (Ich muss
hier hinzufügen, dass ich an andere Stelle gesagt habe, dass ich als Kunde der Hochschulen
die Wirtschaft sehe, analog zu einem Bäcker, dessen Kunden die Hausfrauen sind
und nicht die Brötchen.)
LH: Mich wundert schon, dass Firmen
bei der Umstellung und Gestaltung der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge so
gut wie kein Interesse an einer Mitwirkung gezeigt haben. Ich kann mich auch
nicht erinnern, dass bei den zahlreichen Kontaktmessen Firmenvertreter die
Besonderheiten der Studiengänge der Stuttgarter Informatik nachgefragt haben.
Vielleicht ändert sich das mit unserer neuen Broschüre „Die Studiengänge der
Stuttgarter Informatik“, die wir kürzlich an die Mitgliedsfirmen verteilt haben?
Im Augenblick werden uns die Absolventen der Stuttgarter Informatik aus der Hand genommen. Bei den Kontaktmessen ist die Zahl der Firmenaussteller in den letzten zwei Jahren prozentual stärker gewachsen als die Zahl der Absolventen. Es wird nicht nach Studiengängen ausgewählt, sondern es wird eher „genommen was da ist“ (wie beim Bäcker). Ich nehme an, das wird auch von der Erwartungshaltung getragen, dass die Stuttgarter Absolventen sich übergeordnete Fähigkeiten während des Studiums angeeignet haben, auf deren Basis die firmenspezifischen Anforderungen aufgesetzt werden können.
Ein Feedback aus dem Kreis der Firmen zur Optimierung
der Studieninhalte habe ich noch nicht wahrgenommen. Als bemerkenswerte
Besonderheit berichten kleinere und mittlere infos-Mitgliedsfirmen,
dass sie ihren Personalbedarf der letzten Jahre fast ausschließlich über die infos-Kontaktmessen gewinnen
konnten.
BD: Welche (zusätzlichen) Aufgaben und Möglichkeiten sehen Sie
mittel- und langfristig für eine Initiative wie infos?
Was raten Sie Kollegen in andern Universitätsstädten, die eine ähnliche
Initiative gründen wollen?
LH: Unser Vorstandsmitglied Prof.
Claus hat in einer Ausarbeitung mögliche Zukunftsperspektiven für infos beschrieben. Daraus möchte
ich zwei wichtige Punkte ansprechen.
Die Notwendigkeit,
wachsende Komplexität überschaubar zu halten und Orientierung zu geben, zwingt
dazu, einzelne Bereiche der Universitäten individueller und nachdrücklicher
auszubauen. Wegen der finanziellen Engpässe wird eine kräftige Unterstützung
von außen notwendig sein, um den Universitäten zusätzlichen Schwung zu
verleihen. Je schneller hier tragfähige Konzepte realisiert werden, umso
nachhaltiger wird sich im Wettbewerb ein Vorsprung für die jeweilige Hochschule
abzeichnen. Fördervereine können hier eine wichtige Rolle spielen. Kurz gesagt:
Die Universitäten können wichtige Zukunftsaufgaben nur unvollkommen leisten. Externe Partner und Fördervereine müssen solche Aufgaben anstoßen und ggf. stabil fortführen.
Die Universitäten können wichtige Zukunftsaufgaben nur unvollkommen leisten. Externe Partner und Fördervereine müssen solche Aufgaben anstoßen und ggf. stabil fortführen.
Dies wird jedoch an einer Spitzenuniversität nicht ausreichen; denn zugleich müssen Wissenschaftler vom Massengeschäft und von Verwaltungsaufgaben entlastet werden, um sich auf Forschung und die zugehörige Lehre zu konzentrieren. Erst dann werden sie im weltweiten Wettbewerb mithalten können. Der Bürokratieabbau und die Stärkung von Begegnung, Improvisation und wechselseitigem Austausch sowie stärkere Autonomie der Fachbereiche sind daher zu stärken. Hierbei können Fördervereine mithelfen.
Seit dreißig Jahren drängt die Wirtschaft auf eine
engere Verzahnung von Ausbildung und späterem Beruf. Auch hier können
Fördervereine als Anlaufstelle, Wegbereiter und Katalysatoren auftreten.
Die Fördervereine sollten sich also auf weitere Aufgaben vorbereiten, um die Universitäten bei Spitzenleistungen zu unterstützen. Insbesondere werden Fördervereine verstärkt den Brückenschlag zwischen Beruf und Ausbildung und zwischen Forschung und Produktentwicklung unterstützen müssen.
Die Fördervereine sollten sich also auf weitere Aufgaben vorbereiten, um die Universitäten bei Spitzenleistungen zu unterstützen. Insbesondere werden Fördervereine verstärkt den Brückenschlag zwischen Beruf und Ausbildung und zwischen Forschung und Produktentwicklung unterstützen müssen.
In Stuttgart hat sich infos
als Glücksfall entwickelt und ist zum Selbstläufer geworden. Allerdings zeigt
die Erfahrung auch, dass einige Jahre notwendig sind, um eine solche „win-win
Situation“ aufzubauen und stabil zu halten. Bis heute wird die Arbeit von infos durch ein massives
ehrenamtliches Engagement getragen. Dieses soll in Zukunft durch eine
professionelle Geschäftsstelle ergänzt werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Modell infos
auf andere Einrichtungen übertragbar ist. Zu einem Erfahrungsaustausch mit
Kollegen an anderen Universitäten bin ich gerne bereit.
BD: Als Schwabe halte ich Sie für naturverbunden und
pragmatisch. Was sind Ihre persönlichen Pläne für die Zukunft? Welche Ihrer
Hobbies bekommen mehr Zeit?
LH: Da ist zunächst und zuerst mehr Zeit für die Familie auf
dem Plan. Meine Frau, unsere beiden Kinder und mittlerweile vier Enkelkinder
haben erste Priorität. Dazu kommt Jimmy, unser Hund, dessen Alterungsprozess
uns persönlich nahe geht. Dem Ziel, keinen wichtigen Stuttgarter Ball auszulassen sind wir schon
recht nahe gekommen. Ein „Muss“ ist das jährliche Tanzsportabzeichen in „Gold“.
Darauf besteht meine Frau.
Um der kalten Jahreszeit zu entgehen haben wir das Überwintern auf der Wanderinsel Teneriffa zwar geübt, aber Wiederholungen fallen uns schwer, so dass Aktivitäten im geliebten Allgäu wieder in den Mittelpunkt geraten. Dort mit den Enkeln und mit Jimmy noch richtig hohe Berge zu ersteigen haben wir auf dem Radar.
Um der kalten Jahreszeit zu entgehen haben wir das Überwintern auf der Wanderinsel Teneriffa zwar geübt, aber Wiederholungen fallen uns schwer, so dass Aktivitäten im geliebten Allgäu wieder in den Mittelpunkt geraten. Dort mit den Enkeln und mit Jimmy noch richtig hohe Berge zu ersteigen haben wir auf dem Radar.
BD: Herr Hieber, vielen herzlichen Dank
für das Interview. Ich wünsche Ihnen und infos weiterhin viel Erfolg.
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