Mittwoch, 26. Dezember 2012

Hohes Alter zwischen Belastung und Chance

Der biblische Methusalem soll 969 Jahre alt geworden sein. Gerade in diesem Fall darf man die Bibel nicht allzu wörtlich nehmen. Dennoch gilt er als der Prototyp eines sagenhaft alten Menschen. Heute gibt es etwa 40.000 über hundert Jahre alte Erdenbewohner, 6.000 davon in Deutschland. Ihre Zahl soll sich etwa alle zehn Jahre verdoppeln. Wir sind ohne Zweifel eine Gesellschaft, in der die Lebenserwartungen steigen und daher das Phänomen Alter an Bedeutung gewinnt. Auch bei mir liegt das Thema nicht ganz fern. In einer E-Mail an meine Freunde und Bekannten vor Weihnachten schrieb ich:

Wenn in meinen Blog-Beiträgen die von Margarete Mitscherlich angesprochene ‚Radikalität des Alters‘ hin und wieder zum Ausdruck kommt, ist das kein Zeichen, dass ich mit meinem Schicksal hadere. Dazu habe ich nicht den geringsten Anlass. Es ist das Gefühl, dass mir die Zeit davon läuft. Da ich inzwischen 80 Jahre alt bin, brauche ich mich dieses Gefühls nicht mehr zu schämen. Mir fallen immer wieder Dinge ein, von denen ich glaube, dass ich dazu eigentlich etwas sagen sollte.

Einige der Empfänger mögen sich über diese Anwandlung etwas gewundert haben. Ich möchte daher diesen Gedankenkomplex etwas vertiefen. Nach der Frage ‚Ist die Welt noch zu retten?‘ vor einem Jahr passt das Thema ganz gut zum Jahreswechsel.

Populäres und Wissenschaftliches zum Thema Altwerden

Bevor ich meine eigenen Gedanken bringe, will ich im Folgenden auf drei Bücher Bezug nehmen. Am weitesten zurück liegt das im Jahre 2004 erschienene Buch Methusalem-Komplott von Frank Schirrmacher. Im Klappentext schreibt der wegen anderer etwas gewagter Extrapolationen berühmt-berüchtigte FAZ-Mitherausgeber:

Die heutigen Jungen müssen – schon aus Überlebensinstinkt - die Diskriminierung des Alters bekämpfen, andernfalls werden sie in dreißig Jahren in die seelische Sklaverei gehen. Denn negative Altersvorstellungen führen zur selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Der Journalist Schirrmacher hat zweifellos mögliche Konsequenzen des demografischen Wandels ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit gebracht. Er wollte eher die Jugend aufrütteln, als differenziert auf die Situation der Alten eingehen. Bis zum Jahre 2010 hatte er die ‚Gerontokratie‘ vorhergesagt. Alte würden Wahlen entscheiden, nicht zuletzt wegen ihrer hohen Wahlbeteiligung.

Margarete Mitscherlichs oben zitiertes Buch erschien 2010. Die inzwischen verstorbene Psychoanalytikerin war damals 95 Jahren alt. Ihre Perspektive ist sowohl die einer Freud-Anhängerin als auch einer betroffenen Alten. Sie gehörte damals sogar zu den ‚alten Alten‘, wie man Menschen jenseits des 80. Geburtstags nennt. Hier sollen nur einige wenige Passagen in Paraphrase wiedergeben, in denen sie über die Rolle des Alters reflektiert.

Das Altern erlaubt herauszufinden, was wirklich ist. Alte wissen, was falsch gelaufen ist. Sie haben die Differenziertheit der Wahrheit wahrgenommen. Alte haben einerseits Erfahrung, andererseits (wenn sie geistig gesund sind) noch die Plastizität des Gehirns, um zu lernen. Sie müssen den (unausweichlichen) Tod verdrängen, sonst hängen sie herum. Dank Computern werden Männer mit Muskeln überflüssig. Im Alter werden Frauen relativ stärker als Männer.

Zwei Sätze des ungarischen Autors Imre Kertész, die Mitscherlich zitiert, passen hierher: Da wir sterben müssen, tun wir gut daran kühn zu denken. Wenn nicht im Alter, wann wollen wir denn die Welt noch verändern? Allerdings sind die Chancen für Erfolg geringer als in der Jugend. Für ihre Art von Altersklugheit spricht der Satz: Es gibt viele Wahrheiten, je nach den Wahrnehmungsfähigkeiten, die man sich eröffnete.

Das dritte Buch hat den Titel Gutes Leben im hohen Alter und ist von A. Kruse, Th. Rensch und H.-P. Zimmermann. Es ist im Oktober 2012 erschienen. Es fasst Vorträge zusammen, die im Jahre 2011 bei einer von der VW-Stiftung geförderten Tagung gehalten wurden. Das Thema wird aus mehreren Sichten behandelt, z.B. Ethik, Biologie, Anthropologie, Gerontologie und Volkskunde.

Von ethischer Relevanz ist die immer noch vorhandene Altersfeindlichkeit in westlichen Gesellschaften. Junge Menschen wollen sich hervorheben, oft auf Kosten der Alten. Der Hang zur Bildung von Stereotypen ist ein Hang zur Abstraktion. Menschen neigen dazu wegen der beschränkten Informationsverarbeitungskapazität ihrer Gehirne. In dem Maße, wie bei Alten die Beurteilung durch seinesgleichen wegfällt, wird ihnen ein Menschenrecht entzogen. Die Biologie gilt nicht als Freundin des Alters. Aus evolutionärer Sicht tragen Menschen im post-reproduktiven Alter zur Reproduktionsfähigkeit der Nachkommen bei, wenn sie bei der Kinderbetreuung mithelfen. Das war in der Sammler- und Bauernphase der Fall, ist es aber heute nicht mehr. Aus medizinischer Sicht ist der Trend zu längerer Lebensdauer beispiellos und unumkehrbar. Über den gewonnenen Jahren hängt die Bedrohung durch Demenz-Erkrankungen. Alzheimer zerstört die Persönlichkeit. Unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche Altersbilder. Sie sind zeitlich und räumlich variabel. Es gibt gutes und schlechtes Altern. Das Phänomen Alter ist ambivalent. Alte Leute stellen Ressourcen und Potenziale dar. Der Preis ist die Verletzlichkeit, und zwar körperlich und/oder geistig.

Obwohl das Lebensende durch den biologischen Tod markiert ist, spricht man auch im übertragenen Sinne vom Tod. Durch eine Demenz tritt eine Art intellektueller Tod ein. In Umkehrung von René Descartes‘ Diktum heißt es ‘Ich denke nicht mehr, also bin ich nicht mehr‘. Es ist ein Absinken auf die tierische Ebene des Lebens. Etwas ganz anderes bezeichnet der Begriff sozialer Tod. Hiermit ist die Loslösung vom sozialen Umfeld gemeint. Sie besteht häufig im Abschieben eines alten, aber geistig noch gesunden Menschen in die Obhut Fremder, wenn Angehörige nicht in der Lage sind oder sich weigern die Pflege ihrer alten Angehörigen zu übernehmen. Dass alte Menschen keinen Kontakt zu jungen Menschen haben, muss aber nicht nur an der jungen Generation liegen.

Die Autoren möchten einen stärkeren gesellschaftlichen Diskurs anregen. Wir sollten darüber nachdenken, wie man über das Thema redet, was man möchte oder was man erreichen kann. Am Anfang stehe das Differenzieren. Alter(n) ist nicht gleich Alter(n). Alte benötigen Kultur und Technik, um für Defizite zu kompensieren. Teilweise sei ein Paradigmenwechsel erforderlich. Es sei falsch von einer Vergreisung der Gesellschaft zu sprechen. Menschen werden nicht nur älter, sondern werden gesünder älter als frühere Generationen. Das Alter gestatte es, sich auf Wesentliches zu konzentrieren, man hätte gelernt, Unnötiges von Nötigem zu unterscheiden. Es sei ein ‚authentisches Werden zu sich selbst‘.

Gedanken eines über 80-jährigen Informatikers

Ich stelle mich absichtlich so vor, weil damit bereits eine Aussage erfolgt. In einem früheren Beitrag hatte ich primär über die gesundheitliche Seite reflektiert. Jetzt möchte ich ein paar fachliche Gedanken hinterherschicken.

Im Vergleich zu einem Philosophen oder Mathematiker stellt sich beim Informatiker  (oder Ingenieur) die Problematik des Alterns in besonderem Maße. Seine Leistungsfähigkeit hängt entscheidend davon ab, wie sehr er mit Wissen und Techniken vertraut ist, die während seiner Berufszeit entstanden sind. Da hilft nur lebenslanges Lernen. Es gilt nicht die Entschuldigung, die besagt, dass dies im Alter generell nicht möglich ist. Gerade in der Informatik ist das Gerede von der Halbwertzeit des Wissens sehr verbreitet. Es wird damit suggeriert, dass man alles, was man vor x Jahren (x < 10) gelernt hätte, vergessen müsste. Es ist nicht nur aus diesem Grunde unangebracht, laufend das Studium zu verlängern.

Tatsächlich  benutzen wir unsere Produkte kaum länger als fünf Jahre. Die meisten stammen von Firmen, die es vor 10 Jahren nicht gab. Wer aufmerksam sein Fachgebiet verfolgte, weiß, dass manche Ideen schon vor 30 oder 40 Jahren diskutiert wurden, sie aber jetzt erst voll realisiert wurden. Beispiele sind Navigationsgeräte, Suchmaschinen und eBooks, vor allem aber die Integration von Telefon, Ton- und Filmwiedergabe, Kameras, Fernsehen und Computer. Man durfte auch vor 30 Jahren nicht nur nach hinten schauen. Es ist enorm wichtig, dass realistische Utopien gepredigt werden. Wer kann das besser als ein durch Erfahrung geläuterter Experte. Als Bill Gates von Computern auf jedem Schreibtisch sprach, war dies mutig. Heute ist es ein alter Hut. Angepasste Aussagen könnten heute lauten: Zehn Computer an jedem menschlichen Körper, fünfzig in jedem Auto und hundert in jedem Haus, ein paar Tausend auf dem Mond. Je weiter in die Ferne man blickt, umso klarer fallen auch Dinge in der Nachbarschaft ins Auge. So ist das große Potenzial, das die Informatik hat, um sich für Senioren nützlich zu machen (siehe den Blog-Eintrag vom Februar 2011) immer noch nicht ganz ausgeschöpft.

Die lange Sicht, die das hohe Alter bietet, lässt auch die Dauerbrenner erkennen, an denen so mancher Kollege sich die Zähne ausbiss bzw. das Geld der Steuerzahler verbrannte. Auf ihren Durchbruch warten wir heute noch. Ich gebe auch dafür einige Beispiele: fehlerfreie Programme, semantisches Textverstehen, Gesichtserkennung, autonome Agenten, individuelle Benutzerschnittstellen und vollkommene Sicherheit. Es ist wie mit der absoluten Gerechtigkeit, nach der Politiker ewig streben. Die Einsicht, die aus den vielen Fehlschlägen kommt, lautet: Quantitatives Wachstum ist um Klassen leichter als qualitatives. Quantitative Fortschritte lösen wie von selbst qualitative Fortschritte aus.

Noch immer stellt man sich Informatiker meistens als Heranwachsende vor, die besonders häufig auch noch einem Jugendwahn anhängen. Oft sind es Leute mit Vollbart oder Irokesenschnitt, die sich als Sprecher unserer Branche ausgeben. Auch die Piratenpartei hat einen sehr hohen Zulauf von Informatikerinnen und Informatikern. Diese Partei nimmt sich angeblich der Probleme an, die Informatiker besonders interessieren, nämlich Freiheit des Hackens, Abschaffung des Urheberrechts und Freigabe von Porno und Haschisch. Die Jugendhaftigkeit eines Fachgebietes macht sich in zweierlei Hinsicht bemerkbar: Fachlich gibt es keine Vergangenheit, die es wert ist, beachtet zu werden. Seine Berufsvertreter sind vorwiegend junge Menschen. Als solche wollen sie ihre eigenen Wege gehen, ohne sich andere Fachgebiete als Vorbild zu nehmen, ohne von ihnen lernen zu wollen. Die Informatik müsste diesem Alter eigentlich längst entwachsen sein.

Auch andere Lebensbereiche profitieren mitunter vom Rat alter Mitbürger. Wenn immer der 93-jährige Helmut Schmidt etwas zur Europa-Politik der SPD sagt, hat dies Gewicht. Auch dem 90-jährigen Henry Kissinger zuzuhören, lohnt sich.

Versuch einer Bilanz

In dem heutigen Titel steckt – unabhängig von ethischen Aspekten – die Frage nach einer Kosten-Nutzen-Analyse der durch die achtzig bis hundertjährigen Mitbürger verursachten Belastungen. Man kann dies auf Basis eines Individuums tun, einer Familie oder der Gesellschaft. Nicht alle Alten verbrauchen nur noch Kalorien und Sauerstoff, wie das lästernde Zungen behaupten. Wenn immer Alte noch rüstig sind, und sich beschäftigen können, sollte man sie gewähren lassen. Wenn sie dabei Informationsverarbeitung betreiben, dann geht es in Richtung von Wissensverarbeitung. Wer dies ein Leben lang gemacht hat, kann im Alter nicht anders. Dabei entstehen viele Deutungen und neue Theorien. Man kann es vergleichen mit dem Projekt SETI@home. Viele suchen, vielleicht findet sogar einer etwas. Da es Alten oft größere Mühe macht zu reden als Jungen, haben sie meistens etwas zu sagen, wenn sie sich melden.

Zum Glück müssen ältere Informatiker sich nicht vorwerfen lassen, jungen Menschen Jobs zu stehlen. Was die öffentliche Meinung anbetrifft, befinden sie sich jedoch in einem Dilemma. Wer nach der Pensionierung in seinem Beruf weitermacht, kommt in den Ruf nicht loslassen zu können. Damit müssen sie leben. Wer nämlich loslässt, dem kann passieren, dass er als senil verschrien wird. Das ist schlimmer. Der dritte Weg, im hohen Alter etwas ganz Neues anzufangen, fällt sehr schwer.

Ganz am Schluss den Rat einer Mystikerin und Heiligen: Alte dürfen nie rechthaberisch werden. Sie müssen die Weisheit behalten einzugestehen, dass man sich immer irren kann. Dieser Rat stammt von Teresa von Avila (1515-1582). Er hätte auch von der 97-jährigen Margarete Mitscherlich stammen können.

Danken möchte ich meinem Freund Arnoud de Kemp, der mir das in seinem Verlag erschienene Buch von Kruse, Rensch und Zimmermann schenkte. Allen Lesern dieses Blogs - jungen wie alten - wünsche ich ein gutes Neues Jahr 2013.


Am 27.12.2012 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:



Nachbemerkung (Bertal Dresen): Ungewollt liefert dieser ‚Korrekturvorschlag‘ einen Beleg für meine wiederholt geäußerte Kritik an den semantik-blinden Strukturwissenschaften, sei es Mathematik oder Logik. Ich befürchte, dass die Logik hier den Formelgläubigen auf den Leim führte. Sozialtot ist nur ein Wortspiel. Natürlich denken abgeschobene Alte noch, sofern sie geistig gesund sind. Ja, sie ärgern sich fürchterlich, insbesondere über die Jungen. Wird jedoch ‒ wie in meinem Text ‒ differenziert zwischen ‚sozial tot‘ und ‚geistig tot‘, dann passt auch der Formalismus wenigstens wieder teilweise. Die Welt der Mathematiker wäre wirklich einfach und schön, würden Physiker und Ingenieure nicht mathematische Formeln anwenden auf Dinge, die eine Semantik, d.h. Bedeutung, haben! Oder umgekehrt: Warum warnen Physiker, Ingenieure und Informatiker eigentlich nicht vor diesem gefährlichen Spielzeug?

Hartmut Wedekinds Antwort am 28.12.2012: So ist der Text wunderbar. Es steht Ihnen zu, ihn zu bringen oder nicht. Bloß Ihr Einwand ist nicht logischer Natur, sondern betrifft die Begriffsbildung, die der schließenden Logik vorangeht. Was ist sozialtot oder was ist der soziale Tod? Man kann jetzt streiten, Mediziner und Theologen tun das sicherlich. Wenn einer hoffnungslos jahrelang im Koma auf einer Intensivstation an Apparaten hängt, dann ist diese bedauernswerte Person sozialtot. Er hört nichts mehr, er sieht nichts mehr, und denken tut er deshalb auch nicht mehr. Er wird nur noch biologisch am Leben gehalten. Diesen Zustand gibt es. Ich glaube, den können Ärzte bestätigen. Einen guten Studienfreund von mir hat man rund 10 Jahre so am Leben gehalten, bis er dann schließlich biologisch starb. Das ist jetzt schon wieder 10 Jahre her. Er war zu Berufszeiten Vorstandsmitglied einer großen deutschen Aktiengesellschaft. Die Erben wollten, dass er biologisch am Leben blieb, hat man mir berichtet. Ein andere Einwand wäre : "Der Descartes-Spruch ist falsch". Aus Falschem kann man logisch nichts schließen (ex falso quodlibet). Aber das behaupten Sie ja nicht. Denn Sie benutzen das " cogito ergo sum " ja selber.

PS: Diese Korrepondenz wurde hier eingefügt, weil der Kommentar-Modus nicht nur in der Länge sondern auch im Zeichensatz noch stärker beschränkt ist. Schön, wie Hartmut Wedekind mich abblitzen lässt: Ein Einwand 'nicht logischer Natur' ist eigentlich keiner! Oder verallgemeinert auf eine Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen: Was man mit meiner Lieblingsmethode nicht bearbeiten kann, ist kein ernst zu nehmendes Problem!
 

5 Kommentare:

  1. Am 23.12.2012 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt (nach Erhalt einer Vorabversion):

    Die schöne ausgearbeitete Unterscheidung in der Diplomarbeit aus Wien (siehe http://othes.univie.ac.at/8551/1/2010-02-16_7025341.pdf) von Frau Kubyk zwischen dem biologischen (B) und sozialem (S) Tod sollten Sie schon mit einbringen. [was geschehen ist! Bertal Dresen]

    Schöne Frage: Was kommt eher: (I). (B) vor (S), das ist klassisch, oder (II) (S) vor (B), das sind dann, modern gesprochen, die vielen abgeschobenen Geschöpfe, die dann alzheimerisch oder hochdement nicht mehr ansprechbar und sprachunfähig dahindämmern. S-Tote sind reine Sauerstoffverbraucher. Schlimm und grausam dieser Ausdruck, aber er trifft. Ohne Sprache geht alles über den Jordan, insbesondere der Geist. Wo die Seele dann ist? Das ist die Frage, die noch niemand beantwortet hat, weder Anthropologen noch Theologen noch Philosophen. Aus meiner unmaßgeblichen Sicht ist die Seele dann auch schon weg, über alle Berge.

    Was ist vorzuziehen (I) oder (II)?

    Ich plädiere für (I). Was kann man tun, damit (I) und nicht das moderne (II) eintritt? Philosophen haben häufig den Freitod gewählt, um u.a. auch (I) zu erreichen; bitte nicht das Wort " Selbstmord", das ist ein Ausdruck, den die Kirche erfunden hat.

    Gibt es da etwas, um (I) zu erreichen? Z.B. viel geistige Aktivität? Ich glaube schon. Vieleicht kann man das auch statistisch nachweisen.

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  2. Am 26.12.2012 schrieb Peter Hiemann aus Grasse:

    das Thema Altwerden hat sehr viele Facetten. Wir beide sind sicher Personen, die ein Alter erreicht haben, das uns „qualifiziert“, ein paar persönliche Sichtweisen zu den aktuellen Diskussionen über Alter und Vorbereitung auf den Tod zu äußern.
    ….
    Vor geraumer Zeit war mir ein Interview mit dem Schriftsteller Arno Geiger über das Thema "Das Ende des Lebens ist auch Leben" aufgefallen. Geiger schildert Erlebnisse und Gedanken mit seinem alternden Vater. (Siehe http://www.spiegel.de/kultur/literatur/bestseller-autor-arno-geiger-das-ende-des-lebens-ist-auch-leben-a-745909.html)

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  3. Am 26.12.2012 schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:

    "Jetzt wo ich alles weiß, fragt mich keiner mehr"
    www.seniorenfreundlich.de

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  4. Am 28.12.2012 schrieb Peter Hiemann aus Grasse:

    nachdem ich Ihren Diskurs mit Herrn Wedekind über René Descartes berühmte Aussage „Cogito ergo sum“ gelesen hatte, kann ich nicht umhin, eine Bemerkung hinzuzufügen.

    Antonio Damasio hat in seinem Buch „Decartes Irrtum – Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn“ sehr detailliert beschrieben, worum es Descartes ging. Descartes hat seine Aussage „Cogito ergo sum“ in den Prinzipien der Philosophie (1644) dargelegt und war überzeugt, „dass Denken und das Bewusstsein vom Denken die eigentlichen Substrate des Seins sind. Und da Descartes das Denken bekanntlich für eine Tätigkeit hielt, die sich völlig losgelöst vom Körper vollzieht, behauptet er in seiner Äußerung die radikale Trennung von Geist, der „denkenden Substanz“ (res cognitans), und dem nichtdenkenden Körper, der Ausdehnung besitzt und über mechanische Teile verfügt (res extensa).

    Damasio hat dem die heutige integrale Sicht von Körper und Geist entgegengestellt. Descartes hat sich seiner Zeit entsprechend tatsächlich geirrt. Damasio erklärt, welch grundlegende Rolle den Emotionen beim „vernünftigen“ Verhalten des Menschen zukommt. Er behandelte Menschen, die sogenannte "rationale" Entscheidungen nicht mehr treffen konnten, weil deren emotionales und soziales Verhalten durch Hirnverletzungen gestört war. Damasio ist übrigens überzeugt, dass „an irgendeinem Punkt der Evolution, ein elementares Bewusstsein seinen Anfang genommen hat. …. Für uns gab es also zuerst das Sein und erst später das Denken.“

    An der Bedeutung Ihrer Diskussion mit Herrn Wedekind ändert meine Bemerkung natürlich nichts. Ich teile Ihre Ansicht, dass „ semantik-blinde Strukturwissenschaften, sei es Mathematik oder Logik“, nur bedingt verwendet werden können, wenn es um Wissensbereiche geht, die empirisch erschlossen werden müssen. Sonst könnte es wirklich passieren, dass man wie Descartes argumentiert, „dass Denken und das Bewusstsein vom Denken die eigentlichen Substrate des Seins sind“.

    Nachbemerkung (Bertal Dresen): Mit Antonio Damasio befasste sich ein früherer Blog-Eintrag (siehe Blog-Archiv nach Themen)

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  5. Am 30.12.2012, 12:30 Uhr schrieb Hartmut Wedekind:

    Was da in Sachen Formalisierung des guten Cartesius vor sich geht, das hatten wir doch schon mal. Immer wieder das alte Lied.

    Ich erinnere an: http://de.wikipedia.org/wiki/Zwei_Kulturen

    Der ungelöste Streit ist 70 Jahre alt. Also lösen wir den Konflikt auch nicht, vor allen Dingen, weil das Selbstbehauptungsproblem der „Nichtformalen“ ständig zunimmt. Also lassen wir das.

    Darauf bemerkte Bertal Dresen:

    Ich weiß allerdings noch immer nicht, wo man Sie verorten kann.

    Am 30.12.2012, 16:42 Uhr schrieb Hartmut Wedekind:

    Ganz einfach: Ich bin mit Leib und Seele Wissenschaftstheoretiker (engl. noch immer altväterlich „philosophy of science“). Was ist das?

    Wissenschaftstheoretiker, wie z.B. Paul Lorenzen, Mittelstraß, Kuno Lorenz etc. (es gibt einen Haufen schon seit der Wiener Schule um Rudolf Carnap) wollen immer neben eine Fachwissenschaft ein Kontrollorgan setzen, das aufschreit, wenn die Fachwissenschaft vor allen Dingen methodisch unsauber ist (oder nicht konstruktiv ist, d.h. nicht schrittweise, nicht zirkelfrei und nicht explizit arbeitet). Fach-Wissenschaftler machen häufig vor allen Dingen methodisch und terminologisch „krumme“ Dinge. Das sind bei Gott keine Heilige, was die Öffentlichkeit zum Teil glaubt.

    Große Wissenschaften haben neben sich schon seit langem eine Wissenschaftstheorie gestellt. Z. B.

    1) Mathematik. Es gibt eine Wissenschaftstheorie der Mathematik ( z.B. Brouwer, Hilbert, Weyl, Frege, Lorenzen, etc.)
    2) Physik : Es gibt eine Wissenschaftstheorie der Physik (z.B. Mach, auch Einstein zu weilen, Helmholz, Kuhn, Popper)
    3) Logik (Carnap, Wittgenstein, Lorenzen, Lorenz …)
    4) Biologie und Chemie ……………

    So ziemlich unterbelichtet und nur langsam hochkommend sind die sogn. Geisteswissenschaften, die andere „Kultur“ nach C.P. Snow.

    Vorneweg die Jurisprudenz. Fordert man eine Wissenschaftstheorie der Jurisprudenz, wird man nur ausgelacht. Themen für die wären: Abstraktion (haarsträubend, was da in Jus passiert), Logik der Normen und des Sollens (deontische oder auch juristische Logik). Man lacht nur, wenn man das fordert. Stattdessen psychologisiert und soziologisiert man laut und leise vor sich hin. Man beansprucht aber immer, streng logisch zu sein. Das Wort „logisch“ ist für Juristen äußerst wichtig. Man weiß logisch alles selber. Man holt Gutachten bei Gericht über alles Mögliche ein. Niemals über Logik. Das „logische Wissen“ beansprucht man selber, obwohl man das nie gelernt hat. Das sind Hosentaschenlogiker.

    Und eine Wissenschaftstheorie der Jurisprudenz, die juristische Logik lehren sollte, wird verlacht. Juristen sind verbohrte Kanarienvögel.

    Und diese Farce ist eine rechtsstaatliche Gefahr. Vom Wissenschaftlichen her ist die Jurisprudenz schon lange nicht mehr ernst zu nehmen, eben weil es keine Wissenschaftstheorie der Jurisprudenz institutionalisiert gibt. Man köchelt in den „Law Schools“ im eigenen Saft und feiert sich selber, auch in Amerika.

    Die Jurisprudenz ist ein Paradebeispiel für wissenschaftlichen Verkommenheit in einem Rechtfertigungs-Blabla. Eben, weil es keine institutionalisierte Wissenschaftstheorie der Jurisprudenz gibt und eben wegen des enormen staatlichen Einflusses auch gar nicht geben kann, ist das so. Die „Law Schools“ in Wiesbaden und Hamburg mit ihrem Neuanfang (auch für Manager, so begreifen die sich) sind doch Kümmerlinge mit viel Tamtam und Buhei(synonym zu Buhei ist laut Duden: Klamauk).

    Darauf bemerkte Bertal Dresen:

    Bei solchen "Ahnen" möchte man doch am liebsten auf die Knie fallen.

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