Mittwoch, 1. Januar 2014

Erfolgsautor, Beau und leidender Patriot

Gregor von Rezzori (1914-1998) war ein Nachfahre einer sizilianischen Familie, die zur Zeit der K.u.k.-Monarchie über Norditalien in österreichische Dienste gelangt war. Er war mir als Autor vorwiegend satirischer Geschichten über das einst österreichische Osteuropa schon seit meiner Jugend bekannt. Mit seinem Namen verband ich das ‚Ein Hermelin in Tschernopol‘ und die ‚Maghrebinischen Geschichten‘. Zwischen den Jahren, also zwischen Weihnachten und Neujahr, las ich seine Autobiografie von 1992. Sie trägt den Titel ‚Mir auf der Spur‘. Zuerst dachte ich, dass dies zwar eine interessante Lektüre war, aber nicht der Mühe wert, darüber zu reflektieren. Da ich mich noch nach Tagen immer wieder mit dem Buch, also mit dem Schicksal des Autors beschäftige, will ich doch einige Gedanken wiedergeben.

Rezzori ist altersmäßig zwischen meinem Vater und mir einzuordnen. Er war zu jung, um den Ersten Weltkrieg zu erleben. Ihn traf aber die Wucht der Nazijahre voll. Ich selbst war dafür etwas zu jung. Seine Besonderheit war, dass er die Nazizeit zwar als Zeitzeuge erlebte, jedoch von ihr im Grunde verschont blieb. Das lag an seiner Herkunft und seinem Lebensweg.

Herkunft und Leben in Österreich und Rumänien

Rezzoris Vater war österreichischer Beamter in Tschernowitz (oder Czernowitz), damals die Verwaltungshauptstadt der Bukowina. Dieser Name für eine Landschaft östlich der Karpaten wäre heute fast vergessen. Durch von Rezzori lebt sie weiter. Sie grenzte im Norden an Galizien (heutiger Bezirk Lemberg) und im Süden an Siebenbürgen. Bukowina heißt Buchenland, nach den großen Buchenwäldern, die seine Ebenen bedeckten. Es war die Heimat eines Gemischs aus Polen, Rumänen, Ukrainern und Juden. Das Gebiet kam 1919 an Rumänien, ab 1940 zur Ukraine.


Da seine Eltern sich früh trennten, wuchs er im Haushalt eines protestantischen Pfarrers in Siebenbürgen (Kronstadt) auf. Er besuchte danach ein Gymnasium in der Steiermark. Da ein Praktikum in einer Manganerzgrube ihm das Gefühl gab, in der Suche nach Bodenschätzen eine nützliche und reizvolle Tätigkeit zu finden, begann er ein Studium der Bergbaukunde (in Leoben). Hier lernte er zwar das Leben in einer schlagenden Studentenverbindung kennen, das Studium jedoch überforderte ihn. Wie bei vielen anderen Ingenieurstudenten, so verleidete die Technische Mechanik auch ihm den Spaß am Studium. Er ging nach Wien und wollte Architektur studieren. Da seine Schwester schwer erkrankte, wechselte er jedoch zur Medizin. Er unterbrach auch dieses Studium, als er die Einberufung zur rumänischen Armee erhielt. Danach ging er für mehrere Jahre nach Bukarest, wo er als Schaufenster-Dekorateur und Maler arbeitete. Um diese Tätigkeit mit einem akademischen Titel zu versehen, begann er 1936 ein Kunststudium in Wien. Hier erlebte er den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und den Einzug Hitlers in Wien.

Wien hatte die Kaiserzeit hinter sich. Jeder Schüler trug jedoch weiter das Gefühl in sich, in einer besonderen Stadt zu leben. Mit Dürers kleinen Hasen im Herzen, sowie Breugels Winterlandschaften, dem bei der Belagerung Wiens erbeuteten Zelt des Sultans und Klimts Damenporträts – so beschreibt Rezzori die Bewusstseinslage seiner Mitbürger. In den zwanziger Jahren hätten zunächst die Roten (so nannte man die Sozialisten) geherrscht. In den dreißiger Jahren dominierten jüdische Akademiker, Politiker und Künstler. Dann kamen die Nazis und machten Wien zur judenfreien Stadt. Den Antisemitismus erlebte er auf zwei Ebenen. Die Oberschicht spottete über die ehrgeizigen Aufsteiger. Bei der Arbeiterklasse überwog der Hass auf die Konkurrenten. Sie fanden es richtig, dass der jüdische Zahnarzt gezwungen wurde, mit der Zahnbürste den Bürgersteig zu schrubben. Rezzoni sah Hitler aus wenigen Metern Entfernung, als die ganze Stadt ihm zujubelte. Die Wiener glaubten daran, dass Hitler ihnen ihre Größe wiedergeben würde, die sie längst verloren hatten. Rezzori nennt dies ‚Epochenverschleppung‘ und sieht dies als gesamteuropäisches Problem an.

Bei Mitschülern galt er als ‚Tschusche‘. Damit bezeichnen die Nachkommen tschechischer und ungarischer Einwanderer, die Hawlitschkas und Swobodas, die Spätaussiedler aus den später hinzugekommenen Ländern des ehemaligen Kaiserreiches. Da sein beruflicher Erfolg ausblieb, plagten ihn alsbald Selbstzweifel. Er kam sich vor, wie ein Schlitzohr vom Balkan, das nichts konnte und nichts hatte. Er bezeichnete sich selbst als ‚Spreu im Zeitenwind‘.

Vorkriegs- und Kriegszeit in Berlin

Im Jahre 1938 übersiedelte Rezzori (von einer adeligen Bekannten dazu animiert) nach Berlin, hoffend eine Stelle als Journalist zu finden. Er begann mit dem Schreiben von Unterhaltungsromanen, die als Fortsetzungen in Berliner Illustrierten erschienen. Da er ab 1940 die russische Staatsangehörigkeit besaß, blieb er von einer Einberufung zum deutschen Militärdienst verschont.

Er heiratete im Kriegsjahr 1942 eine damals als Reiterin bekannte Tochter aus märkischem Adel, Priska von Tiedemann. Mit ihr zusammen fand er Zuflucht auf Gütern in Pommern und Schlesien, als Berlin das Ziel alliierter Luftangriffe wurde. Er erlebte das Kriegsende in der Lüneburger Heide. Ein staatenloser Freund, der baltische Baron und Kochrezept-Autor Frank Freytag-Loringhoven, war stets in seiner Nähe. Aus Rezzonis erster Ehe stammen seine drei Söhne.

Nachkriegszeit in Deutschland

Nach einer Umschulung in einem von Winston Churchill eingerichteten Erziehungslager in England (Wilton Park) wurden er und ein Kollege 1948 von der britischen Besatzungsmacht mit dem Aufbau des Unterhaltungsprogramms des NWDR in Hamburg betraut. Der NWDR war der Vorläufer des NDR. Hier hatte er vier Jahre lang ein regelmäßiges Einkommen.

Als naturalisierter Ausländer wurde er als Beobachter zu den Nürnberger Prozessen abgeordnet. Hier bekam er Einblick in Seiten der deutschen Wesensart, die ihm alles andere als sympathisch waren. Alle Angeklagten sahen sich als nicht schuldig an und verwiesen auf den Befehl, unter dem sie standen. Keiner von ihnen bereute seine Taten, außer dem Gauleiter Koch. Dass dieser wie ein Kind heulte, fand er seltsam. Alle wurden ohne Beteiligung deutscher Instanzen verurteilt und größtenteils hingerichtet. Beim Besuch des Konzentrationslagers Ausschwitz beeindruckten ihn die Berge von Schuhen, Taschen und persönlicher Gegenständen, die den Opfern abgenommen worden waren. Sie waren sauber geordnet und nummeriert. Dass Italiener Mussolini selbst lynchten, mag zwar juristisch weniger korrekt sein. Für die Selbstreinigung der Volksseele habe es eine ganz andere Wirkung gehabt als das Nürnberger Verfahren.



In der Einführung der D-Mark im Jahre 1948 sah er einen ähnlichen Epochenwandel wie bei dem Einzug Hitlers in Wien. Während sich 1938 äußerlich wenig änderte, aber sehr viel in der inneren Einstellung, sei es 1948 umgekehrt gewesen. Die Deutschen dachten weiter wie bisher, aber um sie herum änderte sich alles. Plötzlich gab es Waren in Hülle und Fülle, die Wirtschaft florierte und Urlaubsreisen in alle Welt waren möglich. Die Deutschen vergaßen Nazis und Krieg langsam aber sicher.

Um eine zufällige Lücke im Programm des NWDR zu füllen, begann er einige von ihm erfundene Geschichten zu erzählen. Mit diesen so genannten Maghrebinischen Geschichten hörten die Zuhörer (es gab damals nur ein Radioprogramm) zum ersten Mal nach dem Kriege wieder Satiren, in denen Deutsche wieder über sich selbst lachen durften. Da sie ein Erfolg wurden, erschienen sie auf Betreiben von Kurt Wilhelm Marek (besser unter dem Pseudonym C. W. Ceram bekannt) 1953 als Buch.

Rezzori beendete seine Festanstellung beim Sender in Hamburg, als seine Frau mit den Kindern in die Nähe von Rothenburg ob der Tauber zog. Es kam alsbald zur Ehescheidung. Seine Ex-Frau ging mit einem Aussiedler nach Angola. Die Kinder kamen in ein Schulheim in Holland. Sie trennten sich später von ihm, indem sie den Namen ihrer Mutter annahmen.

Leben in Frankreich und Italien

Nach einer Zwischenstation in Bad Tölz, wohin auch seine Mutter zog, ging er zunächst nach Paris. Dort betätigte er sich als Begleiter eines amerikanischen Mode-Mannequins. Er knüpfte dabei Kontakte nicht nur zur Mode-, sondern auch zur Filmwelt. Er genoss den Ruf eines Beau und Lebemanns.


Im Januar 1959 hat es von Rezzori dann erwischt. Der SPIEGEL widmete ihm die Titel-Geschichte. Man bezeichnete ihn als Hochstapler und Netzbeschmutzer des deutschen Adels. Mit so jemandem verkehrt man nicht. Die Abstammung seiner Familie wurde angezweifelt. Nur ein in Laibach geadelter Tabak-Oberinspektor namens Rezori konnte in Adelsarchiven nachgewiesen werden, allerdings schrieb der seinen Namen mit nur einem R. Rezzoris Texte seien alle nur seichtes Gelaber. Mir ist nicht bekannt, dass er sich gegen diese Anschuldigungen je zur Wehr gesetzt hat – was sehr verdächtig ist. Eine zweite Ehe mit der Malerin Hanna Axmann aus München wurde nach kurzer Zeit geschieden.

Danach verließ er Deutschland für immer. Nachdem er einige Jahre allein an der tyrrhenischen Küste zwischen Rom und Neapel (in Cicerone) gelebt hatte, heiratete er 1967 die Mailänder Galeristin Beatrice Monti della Corte. Sie begeisterte Rezzori für Kunst und er begann Gemälde zu sammeln. Er wohnte abwechselnd in Mailand, in der Toskana und auf Rhodos. Als Wohnsitz in der Toskana ließ er eine alte Zollstation zwischen Florenz und Arezzo (in der Nähe von Donnini) umbauen. Dort starb er auch.

Schriftstellerisches und künstlerisches Werk

Rezzori war zweifellos ein sprachlich sehr versierter Autor. Sein Genre waren in erster Linie Unterhaltungsromane. Er sah sich in der Tradition von Joseph Roth und Robert Musil. Der Roman ‚Ein Hermelin in Tschernopol‘ gilt als kleines Meisterwerk, intelligent, amüsant und poetisch zugleich. Nach den ‚Maghrebinischen Geschichten‘ und andern humoristischen Unterhaltungsromanen schrieb Rezzori auch ernste Romane wie zum Beispiel ‚Der Tod meines Bruders Abel‘. Insgesamt verfasste er etwa 30 Bücher. Das letzte Manuskript erschien posthum im Jahre 2001. Er gilt als Chronist einer versunkenen Epoche.

Daneben arbeitete er als Journalist und Hörfunkautor. Er wirkte auch als Drehbuchautor und wirkte in rund einem Dutzend Filmen als Schauspieler mit, zum Beispiel in ‚Viva Maria!‘ und ‚‘Michael Kohlhaas. Der Rebell‘. Eine Kurzfassung des späteren Buches ‚Denkwürdigkeiten eines Antisemiten‘ erschien zuerst in Englisch in der Zeitschrift ‚The New Yorker‘. Dadurch wurde er auch international bekannt.

Lebensphilosophie und sonstige Ansichten

Zum Schluss möchte ich einige Kostproben seines Denkens geben. Seine Einstellung dem Leben gegenüber war locker und leicht. „Mein Leben lebt über mich hinweg. Was ich selbst dafür tue, ist nebensächlich“ schrieb er. Er nannte dies die ‚literarische Auffassung der Wirklichkeit‘, wenn man das Leben als eine Art Schattenspiel sieht, wo nicht wir es sind, die Regie führen.

Seine Art von Literatur rechtfertigte er mit den Worten: ‚Wer schreibt, will sich befreien. Befreit wird, wer tanzen kann. Nur wer sich leicht nimmt, zwingt keinen jüdischen Nachbarn dazu, mit der Zahnbürste den Gehsteig zu schrubben.‘ Er sah bei Österreichern und bei Deutschen unterschiedliche Schwachstellen im Volkscharakter und bezeichnete sich selbst daher als leidenden Patrioten.

Er könnte Hass auf alle Menschen haben, wenn er bedenkt, wie sie nicht nur die Natur ruinieren, sondern auch ihre eigenen Nachkommen. Er hält es für idiotisch, wenn jemand um Kopfschmerzen loszuwerden, ein ungeborenes Kind zum Krüppel macht. Ich nehme an, er dachte dabei an die Contergan-Opfer. Seine Altersgenossen tröstete er mit den Worten: ‚Die Beschwerden des Alters sind da, damit wir die Wonnen des Alters nicht zu sehr genießen.‘ Als Rezzori dies schrieb, war er 78 Jahre alt.

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