Nach den Feiertagen begann mein Blog-Koautor Hartmut
Wedekind eine Diskussion über religiös-philosophische Fragen. Ab und zu konnte
ich es mir nicht verkneifen einzuhaken. Hier eine verkürzte Wiedergabe einiger interessanter
Passagen. Hatte ich gehofft, die
wiederholt aufflammende Diskussion über Abstraktionitis (oder die mildere Form
des Abstraktionismus) beerdigt zu haben, so hatte ich mich getäuscht. Wie der
Hydra im griechischen Mythos so wachsen dieser Schlange immer wieder neue Köpfe.
‚Repetitio est mater studiorum‘ sagte schon der Lateiner. Ohne Wiederholung
kein Studium.
Am 5.1.2014 schrieb Hartmut Wedekind:
Die Literatur zum Thema „Leib-Seele“ (engl.
mind-body) füllt Bibliotheken, nicht nur seit Platon (im Westen) mit seiner
Einsicht in eine unsterbliche Seele. Die Kernfrage lautet: Wenn der Körper oder
der Leib durch den Tod vernichtet wird, bleibt dann die Seele, falls es eine
gibt? (Vielleicht sagt man doch besser angelsächsisch und profan „mind“,
denn „mindless“ will niemand gerne sein.) Als mein Vater 1967 starb,
öffnete meine Mutter, die bei ihm weilte, nach altem Brauch das Fenster, damit
seine Seele entfliehen konnte. Naiv und vielleicht unvorstellbar heute.
Das von Aspekten körperlicher oder physischer Realisierungen
Absehen, ist eine klassisch wissenschaftliche Vorgehensweise, insbesondere
modern mit großem Erfolg als Abstraktion in der Informatik praktiziert. Das
„Cloud Computing“, heute in aller Munde, ist ja z.B. nichts anderes als dieses
Absehen von der Physis oder schnöden „Körperlichkeit“ einer vorgegeben Hard-und
Software.
Die Denkweise bei wissenschaftlicher Abstraktion ist
folgende: Man sieht Konkreta, z.B. Leiber, Körper oder Magnetisierungen (auf
Medien) und versucht, bei Veränderungen derselben unverändert zu bleiben. Statt
„unverändert“ sagt man auch „invariant“. Das ist der „Pep“, scholastisch würde
man sagen das „Wesen“ der Abstraktion, dass man nach dem schaut, was nach
Veränderungen bleibt. Das Invariante interessiert denn Menschen kolossal, nicht
nur wenn er von Seele, sondern auch von Nachhaltigkeit (sustainability)
spricht, z.B. beim Baumbestand unserer Wälder und beim Denken in Kategorien der
Bildung. Nachhaltiges Denken ist invariantes Denken, also notgedrungen abstrakt
und somit nicht für jedermann sofort ohne Mühen zugänglich. Das „sofort“
ist ein wichtiger Punkt. Im Politischen muss alles sofort ohne Mühen
verständlich sein, was nicht geht. Es sei denn, wir wären alle Genies, was
offensichtlich nicht der Fall ist.
In den Wissenschaften, zumindest wenn sie konstruktiv
vorgehen, ist es nun so: Wenn das Konkrete zerstört wird, verschwindet auch das
Abstrakte. Von Unabhängigkeit des Abstrakten vom Konkreten kann in
Wissenschaften keine Rede sein. Jeder weiß, was es bedeutet, wenn die
Festplatte seines PC im Eimer ist und man nicht durch eine Kopie gesichert ist.
„Taking a copy“, das gibt es bei Menschen nicht. Also wandert die (abstrakte)
Seele nach der konkreten, körperlichen Zerstörung mit ins Grab.
Was bleibt konstruktiv wissenschaftlich: Nichts! So gesehen
sind konstruktive Wissenschaften nihilistisch angehaucht. Das stimmt, aber
trotzdem helfen sie beim „mind-body“ Problem weiter. Und um ein Weiterkommen,
darum geht es ja nach all den Jahren seit Platon. „Lesson learned?“ fragt man
modern, wenn man zurück schaut. Das methodisch aufgebaute, invariante Denken,
das Vermögen, Unveränderbares herauszuheben, ist eine großartige mentale
Leistung der Abstraktionslehre, die aber „nichts“ darüber aussagt, wenn
Konkreta beim Verändern gänzlich verschwinden (physischer Tod). Was bleibt dann
bei Total-Destruktion vom Körper als Veränderung gedacht? Jetzt muss man sich
besinnen, auch in wissenschaftlicher Absicht. Antwort: Es bleibt nur nachhaltig
die Methode des Denkens an sich.
In einem Lexikon lese ich unter „Methode“ die griechische
Wortbedeutung: medodoz, entstanden aus der Weg (odoz) nach .. hin (meta) zu
etwas. Das A (a) und O (w) des Weges kennen wir nicht, es ist unverfügbar. Aber
den Weg (odoz) von A nach O, den können wir bestimmen. Das ist nicht nur in den
Wissenschaften so. Wissenschaften, das ist nichts Anderes als hochstilisiertes,
gewöhnliches Leben. Und so gesehen ist Abstraktion, das invariante Sehen auf
dem Weg von A nach O von fundamentaler Bedeutung für unser Leben. Und wegen der
Fundamentalität nicht nur vor, sondern auch nach der Zerstörung.
PS. Ich schreibe das so leicht vor mich hin. Hoffentlich ist
das eine verdauliche Kost. Aber: Es ist doch eigentlich so einfach und steht
überall geschrieben, nicht nur in heiligen Büchern.
Am 7.1.2014 fügte er hinzu:
Hätte ich zu sagen, würde das Fach Geometrie mit seinen
Vorgängen zur Idealisierung (Ideenbildung) als eine Art „Vor-Religion“ (Proto-
Religion) eingeführt. Ich weiß natürlich, dass das nicht geht, aber ein
Religionslehrer könnte trotzdem darauf eingehen.
Unsere geometrischen Formen (Kreis, Dreieck, bis hin zu den
Platonischen Körpern) sind Ideationen [Fremdwort-Duden: Terminologische
Bestimmung von Grundtermini], aus einer Idee geboren. Ideen bleiben, auch wenn
die Physis z.B. durch Tod verschwindet. Kreis bleibt Kreis für alle Zeiten in
allen Formen. Wie kann man den Begriff der (unsterblichen) Seele klar
machen, ohne auf Platon auch als Geometer einzugehen, der auch von einer
Unsterblichkeit der Seele sprach?
Aus einer Schrift meines Kollegen Inhetveen entnehme ich den
folgenden Satz: „Glaubt man der Überlieferung, so stand über dem Eingang zu
Platons Akademie der Satz: Kein der Geometrie Unkundiger trete unter mein Dach“.
Stellen Sie sich mal vor, aus „Dach“ würde „Kirche“. Was dann? Zur Ideenlehre,
die auch abstrahiert, wenn das Körperliche verschwindet, gehört der Begriff
„Unendlichkeit“ (theologisch: Ewigkeit). Schon Euklid sagte: Zwei parallele
Geraden schneiden sich im Unendlichen. Die Mathematik kann ohne den
Unendlichkeitsbegriff im Großen wie im Kleinen nicht auskommen.
Am 7.1.2014 schrieb ich:
Ich finde die Diskussionen über Theologie und Geometrie äußerst
interessant. Statt zu sagen, zwei Parallelen schneiden sich im Unendlichen,
würde ich sagen, sie schneiden sich nie. Das gilt, so weit man dies bei klarem
Verstand feststellen kann. Dass Menschen auf einer Kugeloberfläche, wie unsere
Erde sie näherungsweise besitzt, glauben alle Meridiane seien Parallelen, ist
bekannt. Sie schneiden sich jedoch, da sie nicht wirklich parallel sind. Ihr
Abstand ist nicht konstant. Idealisierungen [Fremdwort-Duden: Verklärungen,
Verschönerungen] können das Denken erleichtern. Genauso belebt ein kleiner Schnaps
die Stimmung und fördert die Verdauung. Zu viel davon ist jedoch schädlich.
Noch am 7.1.2014 erwiderte Hartmut Wedekind:
Es ist bloß so: Euklid benutzt den Ausdruck
"unendlich". Siehe Postulat 5, das sogenannte Parallelen-Axiom:
....zwei gerade Linien, die bei Verlängerung ins Unendliche sich
treffen......"Nie" ist in der Logik ein Quantor,
"unendlich" ist ein Prädikat(or). Aber, ob man es so oder so
ausdrückt ist wurscht. Ich hatte gerade einen Computermenschen bei mir. Der
sprach laufend von "Aliases" und meinte Synonyme. Gleichbedeutendes
liegt hier vor, wenn man "wurscht" sagt.
Darauf entgegnete ich:
Da unterscheiden wir uns. Hätte Euklid gesagt, die Erde sei
eine Scheibe, müssten Sie es glauben. Ich fühle mich in dem Punkte frei.
Am 8.1.2014 schrieb Hartmut Wedekind:
Aber die Alexandriner (Erastosthenes, Euklid etc.) wussten
schon, dass die Erde eine Kugel ist, deren Durchmesser sie mit erstaunlicher
Genauigkeit berechnen konnten. So steht es in dem Buch "Das
Mittelmeer" von David Abulafi, das ich gerade lese.
Am 16.1.2014 griff ich die Diskussion wieder auf:
Die Geometrie, für die ich ja einmal als Geodät gründlich ausgebildet
wurde, liefert schöne Beispiele, um unsere Diskussion fortzuführen. Dass die
Erde keine Kugel ist, wussten die beiden erwähnten Alexandriner natürlich
noch nicht, heute weiß es aber jedes Kind. Dennoch tun viele Leute so, als ob
diese Herren (und ihre Zeitgenossen) uns unverrückbare Weisheiten gelehrt
hätten. Auch bei Ihnen höre ich Ähnliches oft heraus: Das hat schon Platon
gesagt, deshalb ist es so.
Sie sagen, Abstraktionen seien das A und O der Wissenschaft.
Ich sage, sie sind eher Gift und schädlich. Jeder Lehrer, der einen Schüler
glauben macht, es gäbe irgendwo (außer im Kopf des Lehrers) Kreise, Kugeln oder
andere geometrische Figuren, der gehört auf der Stelle gefeuert. Er verbreitet
nämlich Irrlehren, ja Lügen. Es gibt für die idealen Figuren und Körper nur
Annäherungen, auch Approximationen genannt. Den vermuteten pädagogischen Nutzen
bezahlen wir möglicherweise mit einem geistigen Schaden.
Sie sagen, wir Informatiker müssen uns von der Physis lösen
und abstrahieren. Auch das betrachte ich als Irrweg. Wenn es eine
Funktionalität gibt, die nützlich ist, sollten wir (so schnell wie möglich) nach
anderen Realisierungen derselben Funktionalität suchen. Deshalb sollten wir
nach zwei bis drei guten Alternativen suchen, aber nicht nach einer Abstraktion.
Das ist vielleicht philosophisch interessant, aber nicht zielführend für
Ingenieure und Informatiker. Nur die realen Variationen kann man nämlich bewerten, nicht die
Abstraktion. Mit Bewerten meine ich festzustellen, ob sie billiger,
leistungsfähiger oder sicherer gebaut werden können als das Original.
Abstraktionen sind (leider) abstrakt. Sie existieren nicht wirklich,
sondern nur im Kopf von Menschen. Daher kann man nicht allzu viel mit ihnen
anfangen, wenn man von Gedankenspielen einmal absieht. Da sich darauf lediglich
manuelle oder intellektuelle Methoden anwenden lassen, ist es kein Ansatz, den
Informatiker verfolgen sollten. Es gibt genug Richtungen, in denen man empirisch
verifizierbare Aussagen machen kann, mit der Chance ihre Relevanz maschinell zu
validieren.
Moderne
Wissenschaften wie die Biologie zeigen den Weg.
Alles was in der Biologie gilt, ist auch (irgendwann) für die Informatik
nutzbar. Das ist bei Philosophie oder Theologie nicht der Fall. Die
Mathematik liebt bekanntlich die Abstraktion. Daher betrachte ich
(zuviel) Mathematik auch für Informatiker als schädlich - ein Punkt, bei
dem ich heftigsten Widerspruch von Kollegen bekomme.
Ob die Menschheit gut daran tut, sich eine ideale Welt
vorzustellen, oder – obwohl wir es besser wissen – gar nicht anders können, ist
eine interessante Frage. Vielleicht ist das Leben ohne einen Schuss Idealismus
nicht lebenswert. Diese Betrachtung liegt aber auf einer anderen Ebene. Mir
geht es darum, die Gewichte richtig zu setzen, wenn es um die Auswahl des
Lehrstoffs und der Lehrmethoden für Informatiker und Ingenieure geht. Ich sehe
es nicht als meine primäre fachliche Aufgabe an, die Fahne des deutschen
Idealismus hochzuhalten, sei es gegen den angelsächsischen Positivismus oder
gar den französischen Nihilismus. Das können andere viel besser.
Noch am 16.1.2014 schrieb Hartmut Wedekind:
Man kann geometrische Ideale wie Ebene und Kugel auch handwerklich erzeugen, ohne eine vorauszusetzende Theorie. Wer uns das vorgeführt hat, ist der Mathematiker und Wissenschaftstheoretiker Hugo Dingler (1881-1954), der die Geometrie operativ begründet hat. Herausgestellt wurde von Dingler das Dreiplattenverfahren zur Realisierung von Ebenen. Das Verfahren wird durch die Vorschrift bestimmt, drei (grob vorgegebene Platten) jeweils paarweise bis zur Passung aneinander abzuschleifen. Dieser Weg zur Herstellung angenähert ebener Oberflächenstücke ist dadurch ausgezeichnet, dass nicht auf Vorformen zurückgegriffen werden muss, wie das etwa beim Gießen der Fall ist. Dingler war ein typischer Konstruktivist, für den methodisch nichts verfügbar ist, was nicht vorher operativ explizit eingeführt wurde. Dingler war auch um eine Letztbegründung bemüht, die von vielen Philosophen, z.B. auch aus der Popper-Gegend, bestritten wird. Das Dreiplattenverfahren wird hier eigenartigerweise nicht anerkannt. Man präferiert das Münchhausen-Trilemma des Popper-Schüler Hans Albert (Mannheim).
In der Mathematik hat es ja auch einen Riesenkrach gegeben zwischen dem Holländer L.E. Brouwer (1881 – 1966) und David Hilbert (1862 – 1943), („ Wir lassen uns durch diesen Herrn nicht aus dem Cantorschen Paradies vertreiben“). Intensionalität ist in der Mathematik kein besonderes Thema, in der Informatik schon; Extensionalität wird in der bekannten Mengenlehre (set theory) behandelt, ein Paradestück der Mathematik.
Wie der Ausdruck „Welt“ oder das Wort „Gegenstände“ ist „Internet der Dinge“ ein Wort „sui generis“, dessen Gebrauch wir synsemantisch einüben. Das steht so in der „Logischen Propädeutik“ von
Kamlah/Lorenzen (S.49) und soll nicht weiter ausgeführt werden. Aber
Journalisten sollten das Wort synsemantisch und ordentlich einüben.
Für Kant noch war „das Ding an sich“ das Unwort des Jahres
17??. Der kluge Mann hat sich furchtbar darüber als eine bloße
Schimäre aufgeregt.
Abschlussgedicht am 19.1.2014:
Noch am 16.1.2014 schrieb Hartmut Wedekind:
Man kann geometrische Ideale wie Ebene und Kugel auch handwerklich erzeugen, ohne eine vorauszusetzende Theorie. Wer uns das vorgeführt hat, ist der Mathematiker und Wissenschaftstheoretiker Hugo Dingler (1881-1954), der die Geometrie operativ begründet hat. Herausgestellt wurde von Dingler das Dreiplattenverfahren zur Realisierung von Ebenen. Das Verfahren wird durch die Vorschrift bestimmt, drei (grob vorgegebene Platten) jeweils paarweise bis zur Passung aneinander abzuschleifen. Dieser Weg zur Herstellung angenähert ebener Oberflächenstücke ist dadurch ausgezeichnet, dass nicht auf Vorformen zurückgegriffen werden muss, wie das etwa beim Gießen der Fall ist. Dingler war ein typischer Konstruktivist, für den methodisch nichts verfügbar ist, was nicht vorher operativ explizit eingeführt wurde. Dingler war auch um eine Letztbegründung bemüht, die von vielen Philosophen, z.B. auch aus der Popper-Gegend, bestritten wird. Das Dreiplattenverfahren wird hier eigenartigerweise nicht anerkannt. Man präferiert das Münchhausen-Trilemma des Popper-Schüler Hans Albert (Mannheim).
Das
Abschleifen funktioniert auch beim Herstellen von Kugeln als
Realisation eines Ideals. Die Linsenschleifkunst lehrt uns, wie
kugelförmige Linsen dadurch hergestellt werden, dass zwei
Glasblöcke gegeneinander gerieben werden, bis man zu ausreichend
genauen Kugeln gelangt ist. Spinoza (1632 - 1677) war ein großartiger
Linsenschleifer, der seinen Lebensunterhalt mit Linsenschleifen
verdienen musste. Seine beachtliche Metaphysik, die ihn
berühmt machte, brachte ihm offensichtlich nur wenig ein.
Wir
erinnern uns an Anaxagoras (500 - 428, ante), ein Vorsokratiker, besser
in unserem Zusammenhang, ein Vorplatoniker. Er sagte: „Der Mensch ist
das klügste Wesen, weil er Hände hat“. Über seine Hände kommt der Mensch offensichtlich auch in Annäherung zu
Idealen (Realisate). Ob Spinoza, der Linsenschleifer, Metaphysiker und
frommer Jude, auch darüber nachgedacht hat, wie die Seele des Menschen
durch Abschleifen zustande kommen könnte?
An mir, jedenfalls, ist in meinem bald 80-jährigen Leben viel
herumgeschliffen worden. Das sollte ein Spaß sein.
Und
dann kam der Nachsokratiker und Platon-Schüler Aristoteles (384 - 322,
ante) und drehte denn Satz des Anaxagoras um: “Es ist die Klugheit des
Menschen, der er seine Hände verdankt“. Sein
Lehrer Platon ist deutlich heraus zu spüren. Erst kommen des Menschen
Einsichtskräfte, sein „mind“ (Seele) und erst dann seine Hände. Zu
schleifen gibt’s platonisch nichts. Dafür gibt es aber auch keine
irdische Letztbegründung im Dinglersche Sinne.
NB (Bertal Dresen): Bekanntlich hat das Wort 'begreifen' (engl. to grasp) seine doppelte Bedeutung erhalten, weil uns die Hände beim Denken helfen.
Am 17.1.2014 schrieb ich:
Das Problem ist natürlich die Tabelle Europa. Mathematiker lösen das
Problem, indem sie die FROM-Klausel ganz weglassen. Ihnen macht es nichts aus, wenn
diese Menge gegen unendlich wächst. Ein Informatiker sollte aber auf der Hut
sein; selbst dann, wenn er für die NSA arbeitet oder ein Big-Data-Fan ist.
Am 18.1.2014 schrieb Hartmut Wedekind:
„a
ist Element von A“ ist extensional. Jetzt habe ich die verdammt Pflicht
und Schuldigkeit zu sagen, ob die Extension (Umfang, Mächtigkeit)
endlich oder undendlich ist. In der Informatik
ist alles endlich, weil wir hier auf Erden sind und konstruktiv denken.
Die Mathematik ist daran nicht gebunden und sehr unbekümmert. In der
Mathematik können unendliche Mengen durch unendliche Systeme dargestellt
werden. In der Informatik konstruieren wir
erst methodisch Aussageformen A(x), um darin unendliche Mengen
behandeln zu können, z.B. A(x) = die Menge aller Punkte x zwischen a
und b.
NB (Bertal Dresen): Bekanntlich hat das Wort 'begreifen' (engl. to grasp) seine doppelte Bedeutung erhalten, weil uns die Hände beim Denken helfen.
Am 17.1.2014 schrieb ich:
Um Sie weiter zum Nachdenken zu verleiten, möchte ich einwenden, dass das
Abschleifen des Herrn Dingel eine idealisierte Aufhängung und sehr idealisierte
Schleifbewegungen voraussetzt, sonst wird keine Oberfläche wie die andere. Das
macht aber auch nicht allzu viel aus. Entscheidend ist, die Definition (und
Realisierung) muss gut genug sein für den Zweck. Für die Brillen und
Okulare des Herrn Spinoza reichte das Verfahren sicherlich. Die heutigen
Anforderungen sind vermutlich höher. Dafür gibt es ja auch bessere Geräte.
In früheren Beiträgen hatte ich auf die Vielzahl der Bedeutungen des
Begriffs Abstraktion hingewiesen (Gruppierung in Logik oder Mengenlehre, Entkörperung,
bewusste Weglassung von Details). Vielleicht können Sie mir den wahren Grund
nennen, warum Informatiker wie Sie auf ein so vages Konzept soviel Zeit
verschwenden. Das versetzt mich immer wieder in Staunen.
Zur Illustration der ersten der drei erwähnten Bedeutungen möchte ich eine
Notation wählen, die Ihnen als Datenbänkler nicht ganz fremd sein sollte. In
SQL sähe ein Beispiel wie folgt aus.
SELECT Person FROM Europa WHERE Geschlecht = 'männlich';
Am 18.1.2014 schrieb Hartmut Wedekind:
Wie unterscheiden sich die Aussagen: „a ist Typ vom A“ und „a ist Element von A“? Ganz
einfach. „a ist Typ von A“ ist intensional. Ich könnte auch sagen: „a
hat die Eigenschaft von A“. Was extensional (umfänglich) alles hinter A
steckt , brauche ich nicht zu wissen.
In der Mathematik hat es ja auch einen Riesenkrach gegeben zwischen dem Holländer L.E. Brouwer (1881 – 1966) und David Hilbert (1862 – 1943), („ Wir lassen uns durch diesen Herrn nicht aus dem Cantorschen Paradies vertreiben“). Intensionalität ist in der Mathematik kein besonderes Thema, in der Informatik schon; Extensionalität wird in der bekannten Mengenlehre (set theory) behandelt, ein Paradestück der Mathematik.
Noch am 18.1.2014 antwortete ich:
Den Unterschied zwischen Typ und Menge in der Mathematik
haben Sie schön erklärt. Das Problem ist, dass Typen in der Programmierung
immer Mengen sind. Ihre Unterscheidung hilft nur Mathematikern, aber nicht auch
Informatikern. Sie mögen einwenden, dass dies dieselben Informatiker sind, die
mit ‚reellen‘ Zahlen rechnen. Verdopplung von Dummheit ergibt leider noch keine
Klugheit.
Genauso beschäftigt mich ‚die Frage nach der Existenzweise
der Abstrakta: Wo sind die eigentlich?` so fragten Sie im Teil III Ihres
leider zu wenig diskutierten Spektrum-Beitrags von 2004. Ihre Antworten waren
zwar klar, aber wenig hilfreich.
In unseren Köpfen, in einem
Computer oder gar im Platonschen Ideenhimmel? In welchem Sinn existieren sie?
Die Antwort lautet: wir brauchen über ihre Existenz nichts zu behaupten, es
gibt sie nur im Sinn einer sehr praktischen und nützlichen „façon de parler“. ... Mathematiker nennen alle
Abstrakta Äquivalenzklassen und vertrauen hinsichtlich ihrer Existenz in
aller Regel auf Platon.
Es ist mein Verdacht, dass Informatiker, wenn sie über
Abstraktion und Äquivalenzklassen reden, lediglich Mathematik-Kenntnisse
vortäuschen wollen, aber gleichzeitig beweisen, dass sie nicht nachgedacht
haben.
Aus der Diskussion zwischen uns beiden (nicht nur der
laufenden) können Leser folgende (gefährliche) Aussagen ableiten:
- Informatiker sollten endlich Rechner bauen, die mit (abstrakten) Zahlen und nicht mehr mit (konkreten) Ziffern rechnen.
- Informatiker täten gut daran, sich mit dem Begriff des Unendlichen zu beschäftigen, etwa bezogen auf Mengen, Ausdehnung, Genauigkeit, Laufzeit, Speicher und Haltbarkeit.
- Die Seele sei eine Abstraktion des Körpers, so wie Obst eine Abstraktion für Äpfel ist (Meines Erachtens ist es im ersten Fall wohl eine Vergeistigung, im andern Fall so etwas wie ein Überbegriff. Die lateinischen Fachbegriffe habe ich gerade nicht parat).
- Seele (engl. soul) und Verstand (engl. mind) seien dasselbe.
Das kann doch nicht unser Ernst sein? Sollten wir unsere ‚façon
de parler‘ nicht etwas sorgfältiger wählen? Nur darum geht es mir.
Gleich darauf erwiderte Hartmut Wedekind:
Die
Informatik ist ein hoch philosophisches Fach, was im Allgemeinen
unbekannt ist. In Konstanz auf einer Philosophentagung wurde im Oktober
2013 diese Frage im Zusammenhang mit dem aufkommenden „Internet der
Dinge“ (Internet of Things, IoT) diskutiert. Das kommende „Internet der
Dinge“, so eine Antwort auf die Frage, ist das „Ding an sich“, welches
schon (unberührt) da ist, wenn wir kommen
und dann alle Gegenstände mit einem Eigennamen, einer RFID (radio
frequency identification) versehen. Selbst hat das IoT als „Ding an
sich“ keinen Namen, den man dann in ein Lexikon eintragen könnte. Es
ist ja „an sich“ oder besser „für sich alleine“ schon
ein Ding.
Gleich darauf erwiderte Hartmut Wedekind:
Sie schreiben: “Abstraktionen
sind (leider) abstrakt. Sie existieren nicht wirklich, sondern nur im
Kopf von Menschen. Daher kann man nicht allzu viel mit ihnen anfangen,
wenn man von Gedankenspielen einmal absieht“.
Das
stimmt nicht mit der Standardterminologie überein. Man unterscheidet
hier zwischen wirklich und fiktiv. Fiktiv ist z.B. das, was auf der
Bühne geschieht. Der scheinbar oder fiktiv tote Hamlet steht wieder auf
und lässt sich beklatschen.
Abstraktionen sind wirklich, sprachlogisch
und nicht psychologisch durchgeführt. Man sagt auch “Abstraktionen
sind eine „façon de parler“. Wenn das „Parler“
verschwindet (sie wischen die konkrete Ziffer an der Tafel aus),
verschwindet auch die Abstraktion, die Zahl. Der Ausdruck „wirklich“
kommt in der Standardterminologie auch vor. Zwei intensional
(inhaltlich) gleiche Aussagen (Synonyma) stellen denselben
Sachverhalt dar. Wahre Aussagen (konkret) führen zu wirklichen
Sachverhalten (abstrakt), auch gleichbedeutend „Tatsachen“ genannt
(matter of fact). Sie stehen den fiktiven Sachverhalten (Hamlet stirbt)
gegenüber.
Man
erschließt sich die Wirklichkeit über Sprache, d.h. über Aussagen. Die
Wirklichkeit selber, wie z.B. der PC vor mir, schweigt, die redet
(bekanntlich) nicht. Sie, die Wirklichkeit, kann auch nicht darüber
entscheiden, ob meine Aussage wahr oder falsch ist. Die Wirklichkeit,
man sagt auch die Welt, wird über Sprache erschlossen.
„Sprache und
Welt“ ist ein riesiges Thema. Statt Sprache (lat.
lingua. mit der Nebenbedeutung „Zunge“) oder Sprachvermögen sagt das
Christentum auch „spiritus sanctus“ und
hypostasiert ihn
und macht daraus zu Pfingsten ein großes Fest. Was kommt eher? Die
Wirklichkeit und dann die Sprache oder umgekehrt? Besteht die Welt mit
ihren Gegenständen schon als „Dinge an sich“, bevor der Mensch sie benennt, oder „entsteht“ die Welt erst mit der Sprache
und ihren Benennungsmöglichkeiten? Ist das ein Henne-und-Ei Problem?
Abschlussgedicht am 19.1.2014:
Primordiale Reduktionen
Zuerst walkte es kantisch aus dem Nichts.
eh Kamlahs Geist über den Gewässern schwebte;
es hatte der Worte viele, aber noch keine Dinge.
Nur der Untergrund ganz mächtig bebte.
Dann kam das IoT, ein Ding an sich,
Und besiedelte den Globus total;
Es verschob die Platten am Tisch
Und wärmte die Ursuppe zum Mahl.
Die Evolution wurde zur Computation,
Sog Informationen mit großer Gier.
Von der Komplexität immer mehr angetrieben,
nichts ist von allem geblieben.
Obama hat Merkel durch die NSA geadelt.
Dagegen sind Titel der Queen ein Relikt.
Sir Elton John nach Buckingham geradelt.
Trug das Hosenband ganz geschickt.
Sascha Lobo schreibt wieder Briefe,
Die bringt die Post per Fahrrad ins Haus.
Evgenij Morozov*) tröstet ihn aus der Tiefe.
Das IoT mache den Dingen den Garaus.
Michael Schumachers Zustand ist stabil,
Weltmeister sind wir lieber im Export;
Der Zuwanderer brauchen wir heute viel;
Schi-Biathlon ist ein toller Sport.
Putin trifft sich mit Schwulen und Lesben,
Und feiert in Sotschi ein Fest.
Da strömen sie auch von Westen,
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