In der Sat3-Sendung
am letzten Donnerstag stellte Gerd Scobel die Frage, was Bioinformatik sei. Er
bemerkte dazu, dass die 2-3 Bücher, die Bioinformatik im Titel tragen, ihm nicht
viel weiter halfen. Übrigens ging es mir, der ein Berufsleben in der Informatik
verbrachte, nicht viel anders. Alle Bücher, die ich vor Jahren in der
Universitätsbücherei Tübingen fand, gab ich nach kurzem Durchblättern zurück. Mein
Freund Peter Hiemann, dem wir die Mehrzahl der Themen aus der Biologie in
diesem Blog verdanken, verwies mich auf die Sendung.
Die Kooperation von Biologie und Informatik ist seit Jahren
in aller Munde. Das Buch des Biophysikers John
Mayfield, das im Januar in diesem Blog besprochen wurde, versucht ebenfalls
eine wissenschaftliche Brücke zwischen Informatik und Biologie zu bauen. Es
steht außer Frage, dass eine Kooperation sinnvoll ist. Die Frage ist nur, wie
weit sie gehen kann und in welcher Form sie am besten stattfindet. Aus
praktischer Sicht muss man fragen, wie sinnvoll und nützlich sind Bindestrich-Fächer
als Studiengänge. Ich will sie nicht in Frage stellen, möchte jedoch auf
Risiken und übertriebene Hoffnungen aufmerksam machen. Im Übrigen hoffe ich,
dass alle diejenigen, die sich für das Fach Bioinformatik entschieden haben,
bessere Informationen hatten, als in einer 90-minütigen Fernsehsendung
angeboten werden können.
Andere Bindestrich-Fächer
Es ist in Deutschland möglich, zwischen etwa 50
Bindestrich-Informatiken oder informatik-nahen Studiengängen
auszuwählen. Von ihnen hat zweifellos die Wirtschaftsinformatik eine Sonderstellung
erreicht. Sie ist die Heimat all derer, die Informatik nicht nur als
Naturwissenschaft (engl. science) ansehen wie die meisten Amerikaner und Engländer
dies tun. Ingenieurwissenschaften (engl. engineering) leiden hier wie dort
unter einem Mangel an Anerkennung. Absolventen der Wirtschaftsinformatik
treffen auf ein noch besseres Stellenangebot als reine Informatiker und
beziehen bessere Anfangsgehälter.
In Wirklichkeit ist dies die Ausnahme. Alle andern
Bindestrich-Fächer stellen nach meinem Dafürhalten Schmalspur-Fächer dar. In
einigen Fällen handelt es sich auch um eine Abstimmung per Prüfungsordnung
gegen eine als übertrieben empfundene Mathematik-Belastung im regulären
Informatikstudium. Ein Medizin-Informatiker wird weder als Arzt voll
akzeptiert, noch als Informatiker. Dasselbe gilt für Geo-, Medien-, Verkehrs-
und Verwaltungs-Informatiker. Niemand würde einem Medien-Informatiker journalistische
Fähigkeiten zutrauen. Früher gab es einmal die Begriffe Hauptfach und
Nebenfach. Sie fielen der Bologna-Reform zum Opfer.
Kernfragen der Informatik und der Biologie
Bioinformatiker würden Methoden und Erkenntnisse, ja die
Denkweise von Informatikern in die Biologie bringen, so hieß es in der Sendung.
Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms sei der Durchbruch gewesen. Die
Analyse und Vorhersage von Proteinfaltungen seien zurzeit vordringliche
Aufgaben für Bioinformatiker. Im Übrigen entstünden überall umfangreichere
Daten, die gewartet und fortgeschrieben werden müssten. Derzeit gäbe es 120
Datenbanken, die für Molekularbiologen wichtig seien. Das Aufbauen, Abfragen,
Warten und Fortschreiben von Datenbanken sei eine Tätigkeit, die Bioinformatiker
erfordere. Im Gegensatz zu den in der Sendung anwesenden Spezialisten halte ich diese Tätigkeiten
für einen normalen Biologen für genau so zumutbar wie das Schreiben von
Veröffentlichungen. Es ist in meinen Augen keine Aufgabe, für die Informatiker
erforderlich sind.
Der Hinweis, dass eine zukünftige Speichertechnologie auf DNA-Basis
möglich ist, deutet darauf hin, wie sinnvoll die Kooperation in der Forschung derzeit
ist. Auch die Arbeiten der Heidelberger Physiker (am Kirchhoff-Institut) an
Assoziativcomputern auf der Basis neuronaler Netze (so genannter ‚neuromorpher‘
Hardware) lassen aufhorchen. Manchen Informatikern mag dies zu gewagt
erscheinen. Sie hätten Angst, sich zu blamieren. Physiker sind manchmal einfach
mutiger. Es bestünde die Möglichkeit als unethisch kritisierte Experimente mit
Tieren (Mäusen und Affen) zu vermeiden, wenn gute Computermodelle
entsprechender Organismen zur Verfügung stünden. Hier widersprach schon während
der Sendung einer der Teilnehmer (Klaus Mainzer, TU München). Er warnte davor
zu erwarten, dass man neues Wissen ohne Beobachtung der Natur gewinnen könne.
Mir fiel es während der Sendung schwer, Beispiele zu sehen,
wo Kernfragen der Informatik angeschnitten oder berührt werden. Mein Trost: Die
Sendung diente ja primär der Illustration für Laien. Die in diesem Blog im Juni
2011 besprochene Arbeit von Fisher, Harel und Henzinger war wesentlich anspuchsvoller.
Wieweit die erwähnten Beispiele Kernfragen der Biologie darstellen, kann und
will ich nicht beurteilen.
Mögliche Kooperationsformen
Es besteht nicht der geringste Zweifel, dass die Informatik
der Biologie helfen kann. Sie hilft auch der Astronomie, der Chemie, der Physik,
vor allem aber der Medizin und den Ingenieurwissenschaften. Selbst die
Geisteswissenschaften stehen in dieser Hinsicht längst nicht mehr im Abseits. Man
muss aber nicht Biologie studiert haben, um sich über biologische Prozesse zu
informieren und herauszufinden, in welchen Informatik-Bereichen es sich lohnen
könnte, sie als Gedankenmodelle zu verwenden. Es folgt daraus auch nicht, dass
diese Kooperation intensiviert wird, wenn Mediziner und Biologen ihre eigenen
Informatiker ausbilden.
Generell zieht das Fortschreiten der Wissenschaften die
Notwendigkeit der Spezialisierung nach sich. Spezialisierung hat immer den
Hauch der Beschränkung. Vertiefung geht nicht ohne Verlust der Breite. In der
Informatik erfolgten der Wissensfortschritt sowie die Spezialisierung durch Zurückdrängen
der so genannten Theorie. Theorie wird hier nämlich meistens aufgefasst als Mathematisierung
und Formalisierung. Dadurch wird aber nichts erklärt, sondern nur umformuliert.
Diese Art von ‚Theorie‘ ist daher verzichtbar. Für die Praxis ist die Vermittlung
von beruflich nutzbarem Wissen und Können erheblich wichtiger. Trotzdem sollte
man den Mut zum Brückenschlag in andere Wissenschaften haben.
Die sinnvollste Kooperation, die ich mir vorstellen kann,
ist die Zusammenarbeit in Projekten. Das kann über Monate oder über Jahre
andauern. Für eine Aufgabe oder ein Problem sucht man Fachleute aus mehreren
Fachgebieten, von denen man glaubt, dass sie beitragen können. Das in der
besagten Fernsehsendung mehrfach erwähnte Human Brain Project
erfordert die Zusammenarbeit vieler spezialisierter Experten. Natürlich setzt
das bei allen Beteiligten voraus, dass sie etwas auf einander zugehen. Auch
Mediziner oder Biologen fällt kein Stein aus der Krone, wenn sie Grundbegriffe
der Informatik lernen, so dass sie sich mit ausgewachsenen Kollegen dieses
Faches unterhalten können.
Die Informatik lebt von ihren Anwendungen und erhält von
ihnen wichtige Impulse. Sie darf sich nicht verschließen, indem sie für eine
Anwendung X einfach X-Informatiker abspaltet. ‚Hier habt ihr halbwegs
ausgebildete Leute. Jetzt seht zu, wie ihr eure Probleme löst.‘ Eine
Zusammenarbeit nach diesem Motto halte ich nicht für ideal. Auch öffentliche
Geldgeber dürfen nicht glauben, dass sich Informatiker stärker in Richtung
Anwendungen bewegen, wenn sie das Geld für Universitäten und Fachhochschulen
von der praktischen Informatik weg in Richtung Bindestrich-Informatiken
verschieben. Das kann eher zu einer Schwächung als zu einer Stärkung der
eigentlichen Informatik-Kompetenz im Lande führen.
Berufliche Perspektiven
Selbst wenn es ausgezeichnete Möglichkeiten der Kooperation
und gegenseitigen Befruchtung zweier Fachgebiete gibt, folgt daraus nicht
notwendigerweise dass eine Verknüpfung oder gar Vermischung automatisch zu
attraktiven Berufsbildern führt. Ich denke an Künstler und Techniker, Juristen
und Ärzte, und einige andere. Der Forderung nach gemischten Studiengängen liegt
die Vorstellung von Einzelpersonen-Projekten zugrunde. Bei Mehrpersonen-Projekten
stellt sich die Frage, was besser ist, zwei Bioinformatiker oder je ein
Informatiker und Biologe. Bei drei Personen könnte einem Informatiker und einem
Biologen ein Bioinformatiker als Dolmetscher zugeordnet werden. Zu dieser Frage
schreibt die Universität
Tübingen in ihrer Vorstellung des Studiengangs Bioinformatik
Es ist langfristig davon
auszugehen, dass auch außerhalb der Hochschule zu fast jeder Arbeitsgruppe in
den Bereichen Biotechnologie, Pharmaindustrie und anderen Anwendungsbereichen
in den Lebenswissenschaften mindestens ein Bioinformatiker gehören wird.
Es gäbe Stellen für Bioinformatiker in Krankenhäusern, in
der Pharmaindustrie und in der Kosmetik-Industrie, hieß es in der Sendung. Das
hat mich nicht vom Stuhl gerissen. Wo in der Hierarchie eines Krankenhauses
diese Stellen zu finden sind, kann ich mir sogar vorstellen. Die Entfernung vom
Chefarzt wird erheblich sein. Der Abstand in der Vergütung wird entsprechend
sein. Auch wegen dieser Problematik kann eine Promotion hilfreich sein. Da eine
Vielzahl der möglichen Stellen (noch) an Hochschulen ist, ist eine Promotion jedenfalls
sehr anzuraten. Selbst dann, wenn man daran denkt eine Tätigkeit als
Selbständiger ausüben, kann sie hilfreich sein. Nochmals die Uni Tübingen:
Derzeit ist es so, dass viele
Absolventen der Bioinformatik Studiengänge nach dem Studium eingebettet in
einem Biologie Arbeitsbereich in der hochschulnahen Forschung promovieren.
Leider ist der Text u.a. wegen des Fehlens von einigen Bindestrichen
etwas unklar. Ich verstehe ihn so, dass man am besten
in Biologie promoviert und nicht in Informatik. Das bestätigt mein Bauchgefühl, dass hier eher die Biologie an Terrain dazu gewonnen hat als die Informatik.
Mehr als nur Bauchgefühl
Bei vielen Bindestrichfächern werde ich den Verdacht nicht
los, dass es den Vertretern einiger älterer Fachdisziplinen (dazu rechne ich
vor allem die Medizin) primär darum geht, sich die Mühe zu ersparen, die
Sprache eines neuen Faches soweit zu erlernen, dass sie mit deren Vertretern
auf einer kollegialen Basis zusammen arbeiten können. Lieber zieht man sich
Hilfskräfte heran, die zu einem heraufblicken und dankbar jedes Brösel
aufschnappen, das man ihnen zuwirft. Hilfswissenschaftler werden nicht dadurch
geadelt, dass man sie mit einem Bindestrich an ein anderes Fachgebiet ankoppelt.
Jede Berufswahl erfordert Mut, besonders wenn es sich um fachliches
Neuland handelt. Auch die ersten Informatiker hatten es nicht leicht. Ich
erinnere mich an einen Kollegen, der für seine Software-Firma noch vor wenigen
Jahren lieber Mathematiker und Physiker einstellte, weil er dann wüsste, was er
hätte. Erst sehr spät hat er seine Meinung geändert. Bei neuen Berufen neige ich
eher dazu abzuraten. Man solle andere kämpfen lassen. Das ist auch einer der Gründe,
warum ich meinen Enkelkindern davon abrate, ein Bindestrichfach zu studieren.
Ob Ingenieur, Informatiker oder Mathematiker hinter dem Bindestrich steht, ist ziemlich
gleich. Nur den Wirtschaftsinformatiker nehme ich aus.
Am 18.2.2014 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:
AntwortenLöschenDie Welt ist nicht "clean cut", hier A, dort B, und dazwischen Niemandsland. Wir haben viele Wanderer oder Vermittler zwischen den Welten, wie etwa [der in diesem Blog von mir mehrmals zitierte] Volker Stiehl in Sachen "Business Process Development". Da liegt ja gerade der Witz oder die Fundgrube aller Interdisziplinarität, d.h. gemeinsame Schnittmengen. Man muss die "Intersections" natürlich herausstellen.
Die meisten Bindestrichfächer tun das nicht, jeder knallt einfach sein Fach in den Studiengang. Die Integration soll dann in den Köpfen der Studenten erfolgen. Das tut sie natürlich nicht, oder besser, nur in ganz seltenen Fällen.