Montag, 30. Juni 2014

Gerhard Barth über Doppelpässe zwischen Wirtschaft und Wissenschaft

Gerhard Barth ist als Unternehmensberater und Geschäftsführer der DCS-consult GmbH, Waldbronn bei Karlsruhe tätig, die auch von ihm mit gegründet wurde. Als Berater und Vortragender ist er u.a. in den USA sehr aktiv unterwegs. Barth studierte Informatik bis zum Diplom an der Universität Karlsruhe (TH)  ̶  heute: Karlsruher Institut für Technologie  ̶  und wechselte dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Fachbereich Informatik der Universität (heute TU) Kaiserslautern. Nach der Promotion 1977 zum Dr. rer. nat. ging er für einige Jahre an die Pennsylvania State University in State College, PA. Er kehrte von dort nach Kaiserslautern zurück, wo er sich habilitierte und 1983 zum Professor für Informatik ernannt wurde. Wenige Jahre später wurde Gerhard Barth Lehrstuhlinhaber an der Universität Stuttgart im Bereich Programmiersprachen und Compilerbau.

Danach begann seine weitere Laufbahn verstärkt in Leitungspositionen. Er wurde nach Kaiserslautern zurück berufen auf einen Lehrstuhl verbunden mit der Leitung des DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche  Intelligenz). 1992 wechselte er zur Daimler-Benz AG als Leiter der Konzernforschung Informationstechnologie  ̶  also „oberster Informatikforscher" der Fachtruppen u.a. in Ulm und Berlin. 1996 erfolgte der Wechsel als Vorstandsmitglied zu Alcatel SEL. Ab 1999 war Gerhard Barth Mitglied des Vorstands und CIO der Dresdner Bank AG. Er war damit der erste Diplom-Informatiker im Vorstand einer deutschen Großbank. In den 1990ern war er zudem im Ehrenamt zwei Jahre Präsident der Gesellschaft für Informatik (GI). Nach 2002 wurde Gerhard Barth selbst Firmengründer im Bereich Unternehmensberatung und auch Leistungen für Interim-Management bereitstellend. So wirkte er eine Zeit lang in dieser Rolle als CIO von Versatel.
 


Klaus Küspert (KK): Wir hatten unseren ersten Kontakt 1980. Da warst Du schon von einem dreijährigen Aufenthalt an der Pennsylvania State University („Penn State") nach Deutschland zurückgekehrt. Wie war das zu jener Zeit in den USA für einen jungen deutschen Frischpromovierten und Nachwuchswissenschaftler? Wo lagen die Hauptunterschiede aus Deiner Sicht, der Du ja von den Universitäten Karlsruhe und Kaiserslautern kamst und diese gut kanntest?

Gerhard Barth (GB): Spontan beeindruckt war ich von der großzügigen Anordnung und Ausstattung des Universitätscampus und dem aktiven Leben aller Universitätsangehörigen dort  ̶  sowohl Studenten als auch Dozenten. Es gab neben den Gebäuden mit Büros und Hörsälen auch Cafeterias, Eisdielen, Tennisplätze, Liegewiesen und Einkaufsläden. Zwischen Studenten und Professoren herrschte ein viel engeres Verhältnis als ich es an deutschen Universitäten kennen gelernt hatte.

Einen weiteren großen Unterschied konnte ich auch bald beim Ablauf von Lehrveranstaltungen ausmachen. Die meisten Studenten an der Penn State waren sehr zielstrebig und ehrgeizig. In die Vorlesungen waren meistens sogenannte „mid-term und final exams“ eingebaut, deren Resultate für den Verlauf des Studiums wichtig waren. Es war auch durchaus üblich, den Studenten zwischen Vorlesungen „reading assignments“ zu geben, also quasi Hausaufgaben zur Vorbereitung auf die nächste Veranstaltung. Diese wurden von der großen Mehrheit der Studenten ernsthaft erledigt. Als ich nach meiner Rückkehr an die Uni Kaiserslautern in einer Vorlesung dieses Prinzip übernehmen wollte, schaute ich in ziemlich fassungslose Gesichter. Das wäre wohl heute an den meisten deutschen Universitäten nach wie vor nicht anders.

Beeindruckend waren auch die jährlichen Abschlussfeiern für diejenigen, welche ihr Studium beendet hatten. Dabei wurden Abschlusszeugnisse stilvoll überreicht sowie herausragende Leistungen gewürdigt und belohnt. In Deutschland macht man mittlerweile ja meist ähnliches, aber oft erst seit wenigen Jahren, das hat also in den USA eine ganz andere, weit reichende Tradition.

KK: Deine Karriere verlief zunächst „hochschulmäßig" und zügig in den 1980ern: Habilitation, C3, C4. Dann kam, für Außenstehende, schon der erste ungewöhnliche Wechsel, nämlich in die Leitungsrolle des DFKI (verbunden mit Lehrstuhl in Kaiserslautern). Von Haus aus warst Du bis dahin in Lehre und Forschung vor allem ein „Programmiersprachler" - wie war somit der Wechsel ins DFKI, also in die Welt der KI?

GB: Die mehrjährigen Abstimmungen und Vorbereitungen zur Gründung eines KI-Forschungsinstituts hatte ich ja immer wieder wahrgenommen, als ich noch an der Uni Kaiserslautern tätig war. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich mich allerdings ernsthaft mit dem Gedanken befasst, eventuell eines Tages in dem Institut mitzuarbeiten. Wie Du in Deiner Frage richtigerweise formuliert hast, war mein Arbeitsgebiet ja nicht im Kern von KI angesiedelt. Der einzige Bezug bestand darin, dass wir uns in meiner Arbeitsgruppe vorrangig mit nicht prozeduralen Programmierparadigmen befasst haben. Dazu zählten auch funktionale und logikbasierte Konzepte aus Sprachen wie Lisp und Prolog, die im KI-Umfeld gerne verwendet wurden und werden.

Ich war deshalb schon ziemlich überrascht, als eines Tages der Vorsitzende des DFKI-Aufsichtsrats anrief und ein Treffen vorschlug, bei dem er mit mir über die Leitung des Instituts sprechen wollte. Ich habe bei dieser Unterredung keinen Hehl daraus gemacht, dass ich definitiv kein ausgewiesener KI-Experte war. Dennoch hatte ich halbwegs klare Vorstellungen, welche Arbeitsgebiete im DFKI verfolgt werden sollten und wie die thematische Abstimmung mit den industriellen Gesellschaftern des Instituts gestaltet werden könnte. Kurz danach bekam ich die Gelegenheit, dem gesamten DFKI-Aufsichtsrat meine Vorstellungen zu präsentieren. Das Gremium machte mir danach das Angebot, die Leitung des Instituts zu übernehmen. Nach kurzer Bedenkzeit habe ich es angenommen und diese Entscheidung nie bereut.

KK: An die DFKI-Leitung schloss sich dann der Wechsel zu Daimler-Benz als deren „Chefinformatikforscher" an, nun also sozusagen raus aus dem universitären Bereich erstmals in die richtige Industrie. Würdest Du auch hier die Hauptunterschiede zur vorhergehenden Rolle kurz kommentieren? Wahrscheinlich war das Arbeiten der Organisation nun deutlich stärker an wirtschaftlichen Zielen und mittelfristigen Machbarkeiten ausgerichtet?

GB: Daimler-Benz war 1992 ein Unternehmen, welches die vier Bereiche Mercedes-Benz, AEG, DASA und Debis umfasste. Die Konzernforschung war als zentrale Einheit angeordnet und bestand aus drei Direktionen, die sich mit Fahrzeug- und Verkehrstechnik, Mikroelektronik sowie Material- und Produktionstechnik befassten. Die Informationstechnik spielte naturgemäß eine wichtige Rolle bei sehr vielen Fragestellungen, war aber nicht in einer Einheit gebündelt. Der damalige Forschungsvorstand des Unternehmens, Prof. Hartmut Weule, hatte beschlossen, die Informationstechnik zu einem vierten Standbein seines Ressorts zu machen. Da Daimler-Benz einer der wichtigsten Gesellschafter des DFKI war und wir eine enge und gut funktionierende Zusammenarbeit etabliert hatten, lud mich Hartmut Weule zu einem Gespräch ein und bot mir danach die Leitung der neuen Forschungseinheit an.

Auch hierbei habe ich ohne lange Bedenkzeit angenommen. Es war mir schon klar, dass die Forschung in einem Industriekonzern anderen Regeln zu folgen hatte als an einer Universität. Allerdings wurde aber auch schon die Arbeit am DFKI immer in enger Abstimmung mit den industriellen Gesellschaftern organisiert und durchgeführt. Somit war der Schritt zu Daimler-Benz nicht mehr ein Sprung ins eiskalte Wasser. Zudem stellten die Arbeitsthemen in der neuen Umgebung immer noch echte Forschungsherausforderungen dar und waren beileibe weit mehr als die schlichte Umsetzung vorhandener Erkenntnisse. Natürlich waren viel detailliertere Planungen hinsichtlich Budget, Zeitverlauf und Projektdurchführung erforderlich als am DFKI.

KK: Um mal auf Deine Rolle im GI-Amt kurz einzugehen, das war nach meiner Erinnerung im Wesentlichen parallel zu den Jahren bei Alcatel SEL. Du warst da auch mit Vorträgen zum Thema „Doppelpässe zwischen Wirtschaft und Wissenschaft" unterwegs, warst auch unserer Einladung nach Jena etwa gefolgt zu jenem Thema. Kannst Du noch einmal Dein damaliges Anliegen kurz ausdrücken? Es ging ja um die Beobachtung, dass doch recht wenig personeller Wechsel zwischen dem Hochschulsektor und der Wirtschaft anzutreffen ist, jedenfalls in der Informatik: Einmal Hochschullehrer, immer Hochschullehrer. Kannst Du ein paar Gedanken dazu, die vermutlich auch heute noch Wahrheit besitzen, zum Ausdruck bringen?

GB: Das Thema „Doppelpass“ ist  um Zeitpunkt dieses Interviews recht aktuell, denn momentan läuft ja gerade die Fußball-WM in Brasilien. Deshalb wissen sicherlich viele, dass bei einem Doppelpass der Ball eventuell mehrfach zwischen zwei Spielern hin und her wandert. Bezogen auf das berufliche Umfeld würde das bedeuten, dass jemand sein Arbeitsverhältnis zwischen Hochschule und Wirtschaft wechselt.

An amerikanischen Hochschulen ist das seit langem üblich und wird sogar von beiden Seiten angeregt. Hier in Deutschland kenne ich eigentlich fast nur die Einbahnstraße von der Wirtschaft an die Universität, wenn überhaupt ein Wechsel stattfindet. Ganz selten geht ein Professor den umgekehrten Weg und noch weniger häufig kehrt er danach wieder an eine Universität zurück. Spontan fällt mir dazu nur mein früherer Chef Hartmut Weule ein, der von der Universität Karlsruhe zu Daimler-Benz ging und nach seiner dortigen Vorstandstätigkeit wieder an die Universität Karlsruhe wechselte und dort überaus erfolgreich seine Industrieerfahrungen bei der Gründung verschiedener Hochschuleinrichtungen eingebracht hat. So etwas sollte viel häufiger erfolgen.

KK: Die Zeit bei Alcatel SEL war gefolgt von den Jahren als Vorstandsmitglied und CIO (Chief Information Officer) der Dresdner Bank. Man hatte mit Deiner Ernennung das CIO-Amt dort erstmals auf Vorstandsebene gehoben. Ich erinnere mich, dass es ja Regularien gab und vielleicht auch noch gibt, dass ein „Nichtbanker" gar nicht so einfach direkt in einen Bankvorstand berufen werden darf. Wie hat man es damals gelöst und wie war überhaupt für Dich nun der Wechsel in solch ein Amt mit Leitung von Tausenden IT- und IT-nahen Mitarbeitern und das auch noch zu Zeiten des Internet-Hype um das Jahr 2000 herum und danach?

GB: Die Zeit bei der Dresdner Bank war in vielerlei Hinsicht ein besonderes Erlebnis. Die Position des CIO war in der Tat zuvor nicht auf Vorstandsebene angesiedelt. Zunächst habe ich mich für etwa neun Monate nur als „Stellvertretender Vorstand“ bezeichnen dürfen. Das sahen die Regeln der Bankenaufsichtsbehörde in Berlin so vor. Nach einem recht entspannten Gespräch dort durfte ich dann offiziell in den Vorstand der Bank einziehen. Tatsächlich nahm ich aber auch schon davor an allen Sitzungen des Vorstands teil und durfte die IT-Belange der Bank leiten.

Neben der Funktion des CIO war ich auch zuständig für das sogenannte Transaction Banking, dessen wesentliche Bereiche der Zahlungsverkehr und die Wertpapierabwicklung waren. Im Grunde genommen war das natürlich eine direkte Anwendung von IT auf Banktransaktionen. Diesem Bereich gehörten etwa 2500 Personen an, die IT-Abteilungen umfassten zusammen etwa 1100 Personen.

In der Tat war der Internet-Hype damals in vollem Gange. An eine diesbezügliche Episode erinnere ich mich noch sehr gut. Die Deutsche Bank hatte mit der für sie typischen Bescheidenheit verkündet, dass sie jährlich etwa eine Milliarde DM für internetbasierte Bankgeschäfte aufwenden würde. Ich wurde gebeten, für eine Vorstandssitzung die diesbezüglichen Investitionen der Dresdner Bank zu beziffern. Dabei kam eine Schätzung von etwa 300 Millionen DM zustande. Die Reaktion mancher Vorstandskollegen war, dass wir deutlich mehr aufwenden sollten, um ja nicht den Anschluss zu verlieren. ‚Think big‘ war damals  ̶  wie auch heute noch  ̶  die typische Attitüde im gehobenen Management von Banken.

KK: Im Bankbereich und auch sonst hat es sich dann doch auf Dauer nicht so entwickelt, dass der CIO typischerweise Mitglied des Vorstands ist. Meist sind die CIOs direkt unter dem Vorstand angesiedelt und berichten bspw. an den Vorstand für Finanzen und anderes. Wie siehst Du hier die Gründe? Ist das eine gute Entscheidung oder Entwicklung oder wird hier teils die IT „zu tief aufgehängt" (obwohl ja Banken, Versicherungen und dgl. heutzutage quasi auch „IT-Unternehmen" sind)?

GB: Es ist meiner Meinung nach eine Riesendummheit, die Verantwortung für IT personell nicht auf der obersten Führungsebene von Unternehmen anzusiedeln. Neben den Mitarbeitern ist IT doch fast immer die wichtigste Geschäftsressource überhaupt. Jeder Leiter einer Organisationseinheit nimmt sich aber oft das Recht heraus, seine eigene IT-Organisation aufzubauen und diese mit viel Ressourcen auszustatten. Das geschieht zumeist mit dem Argument, die IT-relevanten Anforderungen selbst am besten beurteilen zu können. Das Resultat ist typischerweise ein oft aberwitzig fragmentiertes Portfolio von Anwendungsprogrammen und ein undurchschaubares Dickicht an Infrastruktur. Nie und nimmer kann so eine vernünftige Architektur entstehen, welche einerseits die Unternehmensbelange unterstützt und andererseits effektiv und effizient die erforderlichen Ressourcen bereitstellt.

KK: Du bist nach 2002 in die Selbstständigkeit übergewechselt: Unternehmensgründer im Beratungsbereich, Unternehmenspartner, auch selbst als Berater an der Front. Das war ja sicher ein völlig anderes inhaltliches Spektrum als in all Deinen vorangegangenen Berufsjahren. Was war reizvoll an jenem neuen Profil, wo lag der größte Umstellungsbedarf persönlich (nun eher ohne „Horden" von Zuarbeitern vermutlich), was waren die größten Erfolgserlebnisse (oder die größten Frustrationen)?

GB: Der wesentliche Reiz an der Selbstständigkeit war in erster Linie die damit verbundene Flexibilität hinsichtlich der Auswahl von Arbeitsthemen und Zeitgestaltung. Dazu muss man sagen, dass meine Partner und ich von Anfang an keine hochfliegenden Pläne und Expansionsgelüste hatten. Wir wollten einfach eine organisatorische Plattform haben, auf der wir unsere Berufserfahrungen bei sich bietenden Gelegenheiten an Unternehmen weiter geben konnten. Unsere Akquisitionsbemühungen waren stets eher zurückhaltend. Da wir aber gut vernetzt waren, wurden für unseren Bedarf häufig genug Anfragen an uns gerichtet. Jeder dieser Anfragen stellte ein Erfolgserlebnis dar, Frustrationen kamen nie auf.

KK: Eine Aufgabe in der Unternehmensberatung, wie oben im Lebenslauf kurz genannt, war (und ist?) das Thema Interim-Management. Das ist sicher für viele von uns, vor allem ohne sehr ausgeprägten betriebswirtschaftlichen und betrieblichen Leitungshintergrund, ein Thema mit Erklärungsbedarf und -interesse: Wann wird typischerweise ein Interim-Manager in ein Unternehmen geholt? Um welche Zeiträume handelt es sich in der Regel? Wo liegen die Schwierigkeiten, wenn man ja etwa daran denkt, dass der Interim-Manager die Entscheidungen, die er trifft, später u.U. gar nicht selbst „leben und ausbaden" kann und wird?

GB: Vereinfacht ausgedrückt kommen Interim-Manager immer dann ins Spiel, wenn es in einem Unternehmen brennt und dann dringend und schnell Kompetenz zur Lösung anstehender Probleme erforderlich ist. Es ist deshalb aus Sicht eines Interim-Managers immer eine wichtige Entscheidung, zu prüfen, ob man von der Aufgabenstellung auch wirklich etwas versteht und ohne lange Umschweife tätig werden kann. Das unterscheidet Interim-Manager von vielen Unternehmensberatern, die allzu oft Allwissenheit vortäuschen. Im Gegensatz zu Beratern erhalten Interim-Manager auch durchaus Entscheidungsbefugnisse und können so gestaltend tätig werden.

Die Tätigkeitszeiträume schwanken stark. Nie und nimmer sollten sie meiner Meinung nach unterhalb von sechs Monaten liegen, zwölf Monate sind viel vernünftiger. Ein wesentlicher Vorteil von Interim-Managern ist, dass sie in ihrem temporären Arbeitsumfeld keine Karriere anstreben müssen und deshalb sachbezogen und frei von persönlichen Rivalitäten ihre Entscheidungen treffen können. Und in einem Zeitraum von zwölf Monaten sollten die Auswirkungen von Entscheidungen durchaus erkennbar werden.

KK: Um auf Deinen gegenwärtigen Tätigkeitsschwerpunkt einzugehen: Nach unserem wieder aufgefrischten Kontakt vor kurzem sagtest Du mir, dass Du in Sachen Industrieseminare derzeit stark unterwegs seist. Du erwähntest „sicher letztes Jahr zehnmal in USA für solche Seminare". Das mag den Leser interessieren: Worum geht es inhaltlich? Wie sind die Teilnehmerkreise? Wo sind die  ̶  sicher beträchtlichen  ̶  Unterschiede zu universitären Veranstaltungen, wie Du Sie ja früher auch über Jahre durchgeführt hast? Der Bildungssektor hat zudem bekanntlich seit Jahren auch das Problem des Sparens auf Abnehmerseite, viele Bildungseinrichtungen für Industrieseminare litten und leiden darunter. Merkst Du in Deinem Sektor solche „Kundenzurückhaltung" auch?

GB: Die derzeit von mir abgehaltenen Industrieseminare laufen typischerweise unter dem Titel „Solution Architecture“. Es geht schlicht um die Konzeption und Implementierung eines vernünftigen Zusammenspiels von IT- und Geschäftsprozessen. In Abstimmung mit Cisco ist dabei ein Curriculum entstanden, welches breites Interesse sowohl bei Cisco selber als auch seinen weltweiten Vertriebspartnern gefunden hat. Der Teilnehmerkreis besteht in der Regel aus 15-20 Personen, auf deren Visitenkarten Bezeichnungen wie „Business Architect, Sales Engineer, Customer Solutions Architect, Solution Designer“ oder ähnliches stehen.

Der wesentliche Unterschied zu Vorlesungen an einer Universität besteht darin, dass die Themen der Seminare immer anhand konkreter Situationen aus dem Berufsleben der Teilnehmer illustriert und vertieft werden können. Diesen Erfahrungsschatz können Studenten ja naturgemäß noch nicht vorweisen und einbringen.

Trotz Einsparüberlegungen in Unternehmen kann ich mich derzeit wirklich nicht über einen Mangel an Beschäftigung beklagen. Auch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres habe ich bereits ein Dutzend oder mehr solcher Seminare durchführen dürfen. Immer häufiger setzt sich in den Führungsetagen die Einsicht durch, dass die Erstellung eines Bebauungsplans  ̶  also einer Architektur  ̶  ein vernünftiges Fundament für weit reichende und umfassende Investitionsentscheidungen bilden kann und deshalb vorab erstellt werden sollte.

KK: Vielleicht kann ich zum Schluss noch einmal das Thema GI (Gesellschaft für Informatik) aufgreifen. Direkt gefragt: Bist Du weiterhin Mitglied der GI? Wie auch immer die Antwort aussehen mag, gleich inhaltlich angeschlossen: Du bist vermutlich in den 1970ern der GI beigetreten mit entsprechend kleiner Mitgliedsnummer. Was hat Dir die GI gebracht über Jahrzehnte, vielleicht ruhig dabei getrennt beantwortet zwischen den Hochschuljahren und den Wirtschaftsjahren? Was möchtest Du der GI aktuell und mit den vielen Jahren des Kennens und Mitgestaltens ins Stammbuch schreiben?

GB: Ich bin direkt nach meinem Studium in die GI eingetreten und habe mit 1004 nur knapp eine dreistellige Mitgliedsnummer verpasst. Nach wie vor bin ich Mitglied der GI und werde das auch bleiben. Während der Zeit an der Hochschule bot die GI ein prima Forum für das Zusammentreffen mit Kollegen bei Kongressen, Seminaren, Workshops und ähnlichen Veranstaltungen. Auch die GI-Publikationen haben mir immer wieder Denkanstöße für neue Fragestellungen gegeben. Ich muss zugeben, dass während der Jahre in der Wirtschaft weniger Gelegenheit zur Teilnahme an GI-Veranstaltungen bestand. Die Übersichtaufsätze im Informatik-Spektrum habe ich aber regelmäßig durchgeblättert und ab und zu einen Hinweis auf interessante fachliche Aspekte gefunden.

Ich kann der GI nur empfehlen, den derzeit eingeschlagenen Weg weiter zu gehen und anzustreben, nicht nur wissenschaftlich geprägten Personen zu dienen, sondern verstärkt auch die anwendungsorientierten Interessen von Industrieangehörigen zu berücksichtigen.

KK: Lieber Gerhard, herzlichen Dank für das Interview. Ich bin sicher, es wird viele Leser interessieren, nicht nur die, die Dich seit Jahrzehnten kennen (und auch davon gibt's bekanntlich viele).

NB: (Bertal Dresen): Ich danke Klaus Küspert sehr für dieses Interview. Gerhard Barth ist in der Tat ein Informatiker mit einer außergewöhnlichen und interessanten Karriere. Nach Stefan Jähnichen ist er der zweite ehemalige GI-Präsident, der uns ein Interview gab.

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