Gerhard Barth
ist als Unternehmensberater und Geschäftsführer der DCS-consult GmbH, Waldbronn bei Karlsruhe
tätig, die auch von ihm mit gegründet wurde. Als Berater und Vortragender ist
er u.a. in den USA sehr aktiv unterwegs. Barth studierte Informatik bis zum
Diplom an der Universität Karlsruhe (TH)
̶ heute: Karlsruher Institut für
Technologie ̶ und wechselte dann als wissenschaftlicher
Mitarbeiter an den Fachbereich Informatik der Universität (heute TU)
Kaiserslautern. Nach der Promotion 1977
zum Dr. rer. nat. ging er für einige Jahre an die Pennsylvania State University
in State College, PA. Er kehrte von dort nach Kaiserslautern zurück, wo er sich
habilitierte und 1983 zum Professor für Informatik ernannt wurde. Wenige Jahre
später wurde Gerhard Barth Lehrstuhlinhaber an der Universität Stuttgart im Bereich
Programmiersprachen und Compilerbau.
Danach begann seine weitere Laufbahn
verstärkt in Leitungspositionen. Er wurde nach Kaiserslautern zurück berufen
auf einen Lehrstuhl verbunden mit der Leitung des DFKI (Deutsches Forschungszentrum
für Künstliche Intelligenz). 1992 wechselte er zur Daimler-Benz AG als
Leiter der Konzernforschung Informationstechnologie ̶ also „oberster
Informatikforscher" der Fachtruppen u.a. in Ulm und Berlin. 1996 erfolgte der Wechsel als Vorstandsmitglied zu
Alcatel SEL. Ab 1999 war Gerhard Barth Mitglied des Vorstands und CIO der
Dresdner Bank AG. Er war damit der erste Diplom-Informatiker im Vorstand einer
deutschen Großbank. In den 1990ern war er zudem im Ehrenamt zwei Jahre
Präsident der Gesellschaft für Informatik (GI). Nach 2002 wurde Gerhard Barth
selbst Firmengründer im Bereich Unternehmensberatung und auch Leistungen für
Interim-Management bereitstellend. So wirkte er eine Zeit lang in dieser Rolle
als CIO von Versatel.
Klaus Küspert (KK): Wir hatten unseren ersten Kontakt
1980. Da warst Du schon von einem dreijährigen Aufenthalt an der Pennsylvania
State University („Penn State") nach Deutschland zurückgekehrt. Wie war
das zu jener Zeit in den USA für einen jungen deutschen Frischpromovierten und Nachwuchswissenschaftler?
Wo lagen die Hauptunterschiede aus Deiner Sicht, der Du ja von den
Universitäten Karlsruhe und Kaiserslautern kamst und diese gut kanntest?
Gerhard Barth (GB): Spontan beeindruckt war ich von der
großzügigen Anordnung und Ausstattung des Universitätscampus und dem aktiven
Leben aller Universitätsangehörigen dort ̶ sowohl Studenten als auch Dozenten. Es gab
neben den Gebäuden mit Büros und Hörsälen auch Cafeterias, Eisdielen,
Tennisplätze, Liegewiesen und Einkaufsläden. Zwischen Studenten und Professoren
herrschte ein viel engeres Verhältnis als ich es an deutschen Universitäten
kennen gelernt hatte.
Einen
weiteren großen Unterschied konnte ich auch bald beim Ablauf von Lehrveranstaltungen
ausmachen. Die meisten Studenten an der Penn State waren sehr zielstrebig und
ehrgeizig. In die Vorlesungen waren meistens sogenannte „mid-term und final
exams“ eingebaut, deren Resultate für den Verlauf des Studiums wichtig waren.
Es war auch durchaus üblich, den Studenten zwischen Vorlesungen „reading assignments“
zu geben, also quasi Hausaufgaben zur Vorbereitung auf die nächste
Veranstaltung. Diese wurden von der großen Mehrheit der Studenten ernsthaft erledigt.
Als ich nach meiner Rückkehr an die Uni Kaiserslautern in einer Vorlesung dieses
Prinzip übernehmen wollte, schaute ich in ziemlich fassungslose Gesichter. Das
wäre wohl heute an den meisten deutschen Universitäten nach wie vor nicht
anders.
Beeindruckend
waren auch die jährlichen Abschlussfeiern für diejenigen, welche ihr Studium
beendet hatten. Dabei wurden Abschlusszeugnisse stilvoll überreicht sowie
herausragende Leistungen gewürdigt und belohnt. In Deutschland macht man mittlerweile
ja meist ähnliches, aber oft erst seit wenigen Jahren, das hat also in den USA
eine ganz andere, weit reichende Tradition.
KK: Deine Karriere verlief zunächst „hochschulmäßig"
und zügig in den 1980ern: Habilitation, C3, C4. Dann kam, für Außenstehende,
schon der erste ungewöhnliche Wechsel, nämlich in die Leitungsrolle des DFKI
(verbunden mit Lehrstuhl in Kaiserslautern). Von Haus aus warst Du bis dahin in
Lehre und Forschung vor allem ein „Programmiersprachler" - wie war somit
der Wechsel ins DFKI, also in die Welt der KI?
GB: Die mehrjährigen Abstimmungen und
Vorbereitungen zur Gründung eines KI-Forschungsinstituts hatte ich ja immer
wieder wahrgenommen, als ich noch an der Uni Kaiserslautern tätig war. Zu
keinem Zeitpunkt hatte ich mich allerdings ernsthaft mit dem Gedanken befasst,
eventuell eines Tages in dem Institut mitzuarbeiten. Wie Du in Deiner Frage
richtigerweise formuliert hast, war mein Arbeitsgebiet ja nicht im Kern von KI
angesiedelt. Der einzige Bezug bestand darin, dass wir uns in meiner
Arbeitsgruppe vorrangig mit nicht prozeduralen Programmierparadigmen befasst haben.
Dazu zählten auch funktionale und logikbasierte Konzepte aus Sprachen wie Lisp
und Prolog, die im KI-Umfeld gerne verwendet wurden und werden.
Ich
war deshalb schon ziemlich überrascht, als eines Tages der Vorsitzende des
DFKI-Aufsichtsrats anrief und ein Treffen vorschlug, bei dem er mit mir über
die Leitung des Instituts sprechen wollte. Ich habe bei dieser Unterredung keinen
Hehl daraus gemacht, dass ich definitiv kein ausgewiesener KI-Experte war.
Dennoch hatte ich halbwegs klare Vorstellungen, welche Arbeitsgebiete im DFKI
verfolgt werden sollten und wie die thematische Abstimmung mit den industriellen
Gesellschaftern des Instituts gestaltet werden könnte. Kurz danach bekam ich
die Gelegenheit, dem gesamten DFKI-Aufsichtsrat meine Vorstellungen zu
präsentieren. Das Gremium machte mir danach das Angebot, die Leitung des
Instituts zu übernehmen. Nach kurzer Bedenkzeit habe ich es angenommen und
diese Entscheidung nie bereut.
KK: An die DFKI-Leitung schloss sich
dann der Wechsel zu Daimler-Benz als deren „Chefinformatikforscher" an,
nun also sozusagen raus aus dem universitären Bereich erstmals in die richtige
Industrie. Würdest Du auch hier die Hauptunterschiede zur vorhergehenden Rolle
kurz kommentieren? Wahrscheinlich war das Arbeiten der Organisation nun
deutlich stärker an wirtschaftlichen Zielen und mittelfristigen Machbarkeiten
ausgerichtet?
GB: Daimler-Benz war 1992 ein Unternehmen, welches die vier
Bereiche Mercedes-Benz, AEG, DASA und Debis umfasste. Die Konzernforschung war
als zentrale Einheit angeordnet und bestand aus drei Direktionen, die sich mit
Fahrzeug- und Verkehrstechnik, Mikroelektronik sowie Material- und
Produktionstechnik befassten. Die Informationstechnik spielte naturgemäß eine
wichtige Rolle bei sehr vielen Fragestellungen, war aber nicht in einer Einheit
gebündelt. Der damalige Forschungsvorstand des Unternehmens, Prof. Hartmut Weule,
hatte beschlossen, die Informationstechnik zu einem vierten Standbein seines
Ressorts zu machen. Da Daimler-Benz einer der wichtigsten Gesellschafter des
DFKI war und wir eine enge und gut funktionierende Zusammenarbeit etabliert
hatten, lud mich Hartmut Weule zu einem Gespräch ein und bot mir danach die
Leitung der neuen Forschungseinheit an.
Auch
hierbei habe ich ohne lange Bedenkzeit angenommen. Es war mir schon klar, dass
die Forschung in einem Industriekonzern anderen Regeln zu folgen hatte als an
einer Universität. Allerdings wurde aber auch schon die Arbeit am DFKI immer in
enger Abstimmung mit den industriellen Gesellschaftern organisiert und
durchgeführt. Somit war der Schritt zu Daimler-Benz nicht mehr ein Sprung ins
eiskalte Wasser. Zudem stellten die Arbeitsthemen in der neuen Umgebung immer
noch echte Forschungsherausforderungen dar und waren beileibe weit mehr als die
schlichte Umsetzung vorhandener Erkenntnisse. Natürlich waren viel
detailliertere Planungen hinsichtlich Budget, Zeitverlauf und
Projektdurchführung erforderlich als am DFKI.
KK: Um mal auf Deine Rolle im GI-Amt
kurz einzugehen, das war nach meiner Erinnerung im Wesentlichen parallel zu den
Jahren bei Alcatel SEL. Du warst da auch mit Vorträgen zum Thema „Doppelpässe
zwischen Wirtschaft und Wissenschaft" unterwegs, warst auch unserer
Einladung nach Jena etwa gefolgt zu jenem Thema. Kannst Du noch einmal Dein
damaliges Anliegen kurz ausdrücken? Es ging ja um die Beobachtung, dass doch
recht wenig personeller Wechsel zwischen dem Hochschulsektor und der Wirtschaft
anzutreffen ist, jedenfalls in der Informatik: Einmal Hochschullehrer, immer Hochschullehrer.
Kannst Du ein paar Gedanken dazu, die vermutlich auch heute noch Wahrheit
besitzen, zum Ausdruck bringen?
GB: Das Thema „Doppelpass“ ist um Zeitpunkt dieses
Interviews recht aktuell, denn momentan läuft ja gerade die Fußball-WM in
Brasilien. Deshalb wissen sicherlich viele, dass bei einem Doppelpass der Ball
eventuell mehrfach zwischen zwei Spielern hin und her wandert. Bezogen auf das
berufliche Umfeld würde das bedeuten, dass jemand sein Arbeitsverhältnis
zwischen Hochschule und Wirtschaft wechselt.
An
amerikanischen Hochschulen ist das seit langem üblich und wird sogar von beiden
Seiten angeregt. Hier in Deutschland kenne ich eigentlich fast nur die Einbahnstraße
von der Wirtschaft an die Universität, wenn überhaupt ein Wechsel stattfindet.
Ganz selten geht ein Professor den umgekehrten Weg und noch weniger häufig
kehrt er danach wieder an eine Universität zurück. Spontan fällt mir dazu nur
mein früherer Chef Hartmut Weule ein, der von der Universität Karlsruhe zu
Daimler-Benz ging und nach seiner dortigen Vorstandstätigkeit wieder an die
Universität Karlsruhe wechselte und dort überaus erfolgreich seine
Industrieerfahrungen bei der Gründung verschiedener Hochschuleinrichtungen
eingebracht hat. So etwas sollte viel häufiger erfolgen.
KK: Die Zeit bei Alcatel SEL war gefolgt
von den Jahren als Vorstandsmitglied und CIO (Chief Information Officer) der
Dresdner Bank. Man hatte mit Deiner Ernennung das CIO-Amt dort erstmals auf
Vorstandsebene gehoben. Ich erinnere mich, dass es ja Regularien gab und vielleicht
auch noch gibt, dass ein „Nichtbanker" gar nicht so einfach direkt in
einen Bankvorstand berufen werden darf. Wie hat man es damals gelöst und wie
war überhaupt für Dich nun der Wechsel in solch ein Amt mit Leitung von
Tausenden IT- und IT-nahen Mitarbeitern und das auch noch zu Zeiten des Internet-Hype
um das Jahr 2000 herum und danach?
GB: Die Zeit bei der Dresdner Bank war
in vielerlei Hinsicht ein besonderes Erlebnis. Die Position des CIO war in der
Tat zuvor nicht auf Vorstandsebene angesiedelt. Zunächst habe ich mich für etwa
neun Monate nur als „Stellvertretender Vorstand“ bezeichnen dürfen. Das sahen
die Regeln der Bankenaufsichtsbehörde in Berlin so vor. Nach einem recht
entspannten Gespräch dort durfte ich dann offiziell in den Vorstand der Bank
einziehen. Tatsächlich nahm ich aber auch schon davor an allen Sitzungen des Vorstands
teil und durfte die IT-Belange der Bank leiten.
Neben
der Funktion des CIO war ich auch zuständig für das sogenannte Transaction
Banking, dessen wesentliche Bereiche der Zahlungsverkehr und die Wertpapierabwicklung
waren. Im Grunde genommen war das natürlich eine direkte Anwendung von IT auf
Banktransaktionen. Diesem Bereich gehörten etwa 2500 Personen an, die IT-Abteilungen
umfassten zusammen etwa 1100 Personen.
In
der Tat war der Internet-Hype damals in vollem Gange. An eine diesbezügliche
Episode erinnere ich mich noch sehr gut. Die Deutsche Bank hatte mit der für
sie typischen Bescheidenheit verkündet, dass sie jährlich etwa eine Milliarde
DM für internetbasierte Bankgeschäfte aufwenden würde. Ich wurde gebeten, für
eine Vorstandssitzung die diesbezüglichen Investitionen der Dresdner Bank zu
beziffern. Dabei kam eine Schätzung von etwa 300 Millionen DM zustande. Die
Reaktion mancher Vorstandskollegen war, dass wir deutlich mehr aufwenden
sollten, um ja nicht den Anschluss zu verlieren. ‚Think big‘ war damals ̶ wie
auch heute noch ̶ die typische Attitüde im gehobenen Management
von Banken.
KK: Im Bankbereich und auch sonst hat es
sich dann doch auf Dauer nicht so entwickelt, dass der CIO typischerweise
Mitglied des Vorstands ist. Meist sind die CIOs direkt unter dem Vorstand
angesiedelt und berichten bspw. an den Vorstand für Finanzen und anderes. Wie
siehst Du hier die Gründe? Ist das eine gute Entscheidung oder Entwicklung oder
wird hier teils die IT „zu tief aufgehängt" (obwohl ja Banken, Versicherungen
und dgl. heutzutage quasi auch „IT-Unternehmen" sind)?
GB: Es ist meiner Meinung nach eine Riesendummheit, die
Verantwortung für IT personell nicht auf der obersten Führungsebene von
Unternehmen anzusiedeln. Neben den Mitarbeitern ist IT doch fast immer die
wichtigste Geschäftsressource überhaupt. Jeder Leiter einer Organisationseinheit
nimmt sich aber oft das Recht heraus, seine eigene IT-Organisation aufzubauen
und diese mit viel Ressourcen auszustatten. Das geschieht zumeist mit dem Argument,
die IT-relevanten Anforderungen selbst am besten beurteilen zu können. Das
Resultat ist typischerweise ein oft aberwitzig fragmentiertes Portfolio von
Anwendungsprogrammen und ein undurchschaubares Dickicht an Infrastruktur. Nie
und nimmer kann so eine vernünftige Architektur entstehen, welche einerseits
die Unternehmensbelange unterstützt und andererseits effektiv und effizient die
erforderlichen Ressourcen bereitstellt.
KK: Du bist nach 2002 in die Selbstständigkeit
übergewechselt: Unternehmensgründer im Beratungsbereich, Unternehmenspartner,
auch selbst als Berater an der Front. Das war ja sicher ein völlig anderes inhaltliches
Spektrum als in all Deinen vorangegangenen Berufsjahren. Was war reizvoll an
jenem neuen Profil, wo lag der größte Umstellungsbedarf persönlich (nun eher
ohne „Horden" von Zuarbeitern vermutlich), was waren die größten
Erfolgserlebnisse (oder die größten Frustrationen)?
GB: Der wesentliche Reiz an der Selbstständigkeit
war in erster Linie die damit verbundene Flexibilität hinsichtlich der Auswahl
von Arbeitsthemen und Zeitgestaltung. Dazu muss man sagen, dass meine Partner
und ich von Anfang an keine hochfliegenden Pläne und Expansionsgelüste hatten.
Wir wollten einfach eine organisatorische Plattform haben, auf der wir unsere
Berufserfahrungen bei sich bietenden Gelegenheiten an Unternehmen weiter geben
konnten. Unsere Akquisitionsbemühungen waren stets eher zurückhaltend. Da wir
aber gut vernetzt waren, wurden für unseren Bedarf häufig genug Anfragen an uns
gerichtet. Jeder dieser Anfragen stellte ein Erfolgserlebnis dar, Frustrationen
kamen nie auf.
KK: Eine Aufgabe in der
Unternehmensberatung, wie oben im Lebenslauf kurz genannt, war (und ist?) das
Thema Interim-Management. Das ist sicher für viele von uns, vor allem ohne sehr
ausgeprägten betriebswirtschaftlichen und betrieblichen Leitungshintergrund,
ein Thema mit Erklärungsbedarf und -interesse: Wann wird typischerweise ein Interim-Manager in ein
Unternehmen geholt? Um
welche Zeiträume handelt es sich in der Regel? Wo liegen die Schwierigkeiten, wenn man ja etwa daran
denkt, dass der Interim-Manager die Entscheidungen, die er trifft, später u.U.
gar nicht selbst „leben und ausbaden" kann und wird?
GB: Vereinfacht ausgedrückt kommen Interim-Manager immer dann
ins Spiel, wenn es in einem Unternehmen brennt und dann dringend und schnell
Kompetenz zur Lösung anstehender Probleme erforderlich ist. Es ist deshalb aus
Sicht eines Interim-Managers immer eine wichtige Entscheidung, zu prüfen, ob
man von der Aufgabenstellung auch wirklich etwas versteht und ohne lange
Umschweife tätig werden kann. Das unterscheidet Interim-Manager von vielen
Unternehmensberatern, die allzu oft Allwissenheit vortäuschen. Im Gegensatz zu
Beratern erhalten Interim-Manager auch durchaus Entscheidungsbefugnisse und
können so gestaltend tätig werden.
Die
Tätigkeitszeiträume schwanken stark. Nie und nimmer sollten sie meiner Meinung
nach unterhalb von sechs Monaten liegen, zwölf Monate sind viel vernünftiger.
Ein wesentlicher Vorteil von Interim-Managern ist, dass sie in ihrem temporären
Arbeitsumfeld keine Karriere anstreben müssen und deshalb sachbezogen und frei
von persönlichen Rivalitäten ihre Entscheidungen treffen können. Und in einem
Zeitraum von zwölf Monaten sollten die Auswirkungen von Entscheidungen durchaus
erkennbar werden.
KK: Um auf Deinen gegenwärtigen Tätigkeitsschwerpunkt
einzugehen: Nach unserem wieder aufgefrischten Kontakt vor kurzem sagtest Du
mir, dass Du in Sachen Industrieseminare derzeit stark unterwegs seist. Du erwähntest
„sicher letztes Jahr zehnmal in USA für solche Seminare". Das mag den
Leser interessieren: Worum geht es inhaltlich? Wie sind die Teilnehmerkreise?
Wo sind die ̶ sicher beträchtlichen ̶ Unterschiede zu universitären Veranstaltungen,
wie Du Sie ja früher auch über Jahre durchgeführt hast? Der Bildungssektor hat
zudem bekanntlich seit Jahren auch das Problem des Sparens auf Abnehmerseite,
viele Bildungseinrichtungen für Industrieseminare litten und leiden darunter. Merkst
Du in Deinem Sektor solche „Kundenzurückhaltung" auch?
GB: Die derzeit von mir abgehaltenen
Industrieseminare laufen typischerweise unter dem Titel „Solution
Architecture“. Es geht schlicht um die Konzeption und Implementierung eines
vernünftigen Zusammenspiels von IT- und Geschäftsprozessen. In Abstimmung mit
Cisco ist dabei ein Curriculum entstanden, welches breites Interesse sowohl bei
Cisco selber als auch seinen weltweiten Vertriebspartnern gefunden hat. Der
Teilnehmerkreis besteht in der Regel aus 15-20 Personen, auf deren Visitenkarten
Bezeichnungen wie „Business Architect, Sales Engineer, Customer Solutions
Architect, Solution Designer“ oder ähnliches stehen.
Der
wesentliche Unterschied zu Vorlesungen an einer Universität besteht darin, dass
die Themen der Seminare immer anhand konkreter Situationen aus dem Berufsleben
der Teilnehmer illustriert und vertieft werden können. Diesen Erfahrungsschatz
können Studenten ja naturgemäß noch nicht vorweisen und einbringen.
Trotz
Einsparüberlegungen in Unternehmen kann ich mich derzeit wirklich nicht über
einen Mangel an Beschäftigung beklagen. Auch in den ersten sechs Monaten dieses
Jahres habe ich bereits ein Dutzend oder mehr solcher Seminare durchführen dürfen.
Immer häufiger setzt sich in den Führungsetagen die Einsicht durch, dass die
Erstellung eines Bebauungsplans ̶ also einer Architektur ̶ ein
vernünftiges Fundament für weit reichende und umfassende
Investitionsentscheidungen bilden kann und deshalb vorab erstellt werden sollte.
KK: Vielleicht kann ich zum Schluss noch einmal das Thema GI
(Gesellschaft für Informatik) aufgreifen. Direkt gefragt: Bist Du weiterhin
Mitglied der GI? Wie auch immer die Antwort aussehen mag, gleich inhaltlich
angeschlossen: Du bist vermutlich in den 1970ern der GI beigetreten mit
entsprechend kleiner Mitgliedsnummer. Was hat Dir die GI gebracht über
Jahrzehnte, vielleicht ruhig dabei getrennt beantwortet zwischen den
Hochschuljahren und den Wirtschaftsjahren? Was möchtest Du der GI aktuell und
mit den vielen Jahren des Kennens und Mitgestaltens ins Stammbuch schreiben?
GB: Ich bin direkt nach meinem Studium
in die GI eingetreten und habe mit 1004 nur knapp eine dreistellige
Mitgliedsnummer verpasst. Nach wie vor bin ich Mitglied der GI und werde das
auch bleiben. Während der Zeit an der Hochschule bot die GI ein prima Forum für
das Zusammentreffen mit Kollegen bei Kongressen, Seminaren, Workshops und
ähnlichen Veranstaltungen. Auch die GI-Publikationen haben mir immer wieder
Denkanstöße für neue Fragestellungen gegeben. Ich muss zugeben, dass während
der Jahre in der Wirtschaft weniger Gelegenheit zur Teilnahme an GI-Veranstaltungen
bestand. Die Übersichtaufsätze im Informatik-Spektrum habe ich aber regelmäßig
durchgeblättert und ab und zu einen Hinweis auf interessante fachliche Aspekte
gefunden.
Ich
kann der GI nur empfehlen, den derzeit eingeschlagenen Weg weiter zu gehen und
anzustreben, nicht nur wissenschaftlich geprägten Personen zu dienen, sondern
verstärkt auch die anwendungsorientierten Interessen von Industrieangehörigen
zu berücksichtigen.
KK: Lieber Gerhard, herzlichen Dank für
das Interview. Ich bin sicher, es wird viele Leser interessieren, nicht nur
die, die Dich seit Jahrzehnten kennen (und auch davon gibt's bekanntlich
viele).
NB: (Bertal Dresen): Ich danke Klaus Küspert
sehr für dieses Interview. Gerhard Barth ist in der Tat ein Informatiker mit
einer außergewöhnlichen und interessanten Karriere. Nach Stefan
Jähnichen ist er der zweite ehemalige GI-Präsident, der uns ein Interview
gab.
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