Klaus
Küspert ist Professor für Informatik und seit 1995 Inhaber des
Lehrstuhls für Datenbanken und Informationssysteme der Friedrich-Schiller-Universität
Jena.
Zwischen 1985 und 1994 arbeitete er zunächst im Bereich Advanced Information
Management (AIM) am damaligen Wissenschaftlichen Zentrum Heidelberg (WZH) der IBM
Deutschland; später leitete er dort das Institut für
Datenbanken und Software Engineering (IDSE). Ab 1990 hatte er parallel zu
seiner IBM-Tätigkeit Lehraufträge an der Universität Mannheim, der TU Chemnitz
und der Universität Jena. Seit 2004 ist Klaus Küspert ein Fellow der
Gesellschaft für Informatik (GI), damals als erster GI-Fellow in den neuen
Bundesländern. Küspert studierte Informatik mit Nebenfach „Betriebliche
Anwendungen“ an der TH (heute TU) Darmstadt und wurde 1985 im Fachbereich
Informatik der Universität (heute TU) Kaiserslautern bei Theo Härder zum
Dr.-Ing. promoviert. Zu seinen weiteren akademischen Lehrern in Darmstadt
zählten, mit unterschiedlichem Fachumfang, u.a. Hartmut Wedekind, David Parnas,
Robert Piloty, Heiner Müller-Merbach und Bert Rürup.
Manfred
Roux (MR): Klaus, Du bist seit 1995,
im 20. Jahr nun also, in Forschung und Lehre an der
Friedrich-Schiller-Universität Jena tätig. Damit gehörst Du fast von der Wende
an zu den westdeutschen Wissenschaftlern, die an den ostdeutschen Hochschulen früh
aktiv wurden und den Übergang vom ostdeutschen zum gesamtdeutschen
Hochschulsystem begleitet und gestaltet haben. Wie stellte sich die Situation
damals für Dich dar? Was waren die bemerkenswertesten positiven Erkenntnisse? Was
waren die Schwierigkeiten? Gab es prägende Persönlichkeiten vor Ort in jenen
Jahren?
Klaus
Küspert (KK): Ich hatte mich 1993 in Jena und auch in
Ilmenau beworben. Ilmenau war für mich reizvoll, insbesondere, weil mein Vater
dort lange vor dem 2. Weltkrieg studiert hatte, aber Jena war schneller. Ab 1994
war ich dann, neben der Tätigkeit für IBM in Heidelberg, schon Lehrbeauftragter
in Jena und 1995 richtig vor Ort. Die wesentlichen strukturellen Änderungen vom
DDR- auf das gesamtdeutsche Hochschulsystem waren zu dem Zeitpunkt in Jena
schon weit vorangeschritten. Sie waren also ̶ vielleicht
zügiger als an manch anderen Hochschulstandorten ̶ sehr
bald nach der Wende in Angriff genommen und in der ersten Hälfte der 1990er weitgehend
umgesetzt worden.
Eine Informatik-Persönlichkeit, der Jena nach der Wende
wesentlich mit zu verdanken hat, dass es dort nun einen Informatikstudiengang
gab und ihn ja bis heute gibt, war der leider 2013 verstorbene (und auch in diesem Blog gewürdigte) Gerhard
Krüger aus Karlsruhe. Er war als renommierter „Westprofessor"
in bedeutenden Kommissionen Anfang der 1990er in Jena und überregional tätig
und setzte sich für die Informatik in Jena ein (in den 1950ern hatte er selbst
mehrere Jahre in Jena studiert). Krüger engagierte sich in den 1990ern in
Thüringen auch für die Ilmenauer Informatik und Telematik. Beide
Informatikstandorte, Ilmenau und Jena, würdigten ihn in den 2000ern mit der
Ehrenpromotion ̶ Jena war aber, wieder etwas schneller.
Die Jenaer Informatik hatte darüber hinaus natürlich auch
aus sich heraus prägende Persönlichkeiten im Umstellprozess des
Hochschulsystems, der Mathematische Kybernetiker und Informatiker Gerd
Wechsung ist dabei besonders zu nennen. Und ein ehemaliger IBMer
spielte ebenfalls eine sehr bedeutende Rolle: Albrecht Blaser vom
Wissenschaftlichen Zentrum Heidelberg. Er wirkte von 1991-94 in der Jenaer Informatik
als Lehrbeauftragter und Honorarprofessor. Er erkämpfte nebenher mit die
dauerhafte Einrichtung eines Datenbanklehrstuhls in Jena ̶ so
selbstverständlich war das um 1992/93 nicht. Und für die Universität insgesamt
war der damalige, langjährige Universitätskanzler Klaus Kübel ganz essentiell
wichtig im Reformprozess der Universität. Kurz und gut: Andere hatten in den
frühen 1990ern für die und in der Jenaer Informatik schon Pionierarbeit
geleistet, natürlich auch über die Vorgenannten hinaus.
MR: Wie hat Deine Familie diesen Wechsel von der bekannten Umgebung in Heidelberg nach
Jena aufgenommen?
KK: In
den Jahren 1995/96 war aus familiären Gründen zunächst an einen Komplettumzug
nicht so recht zu denken. Die Kinder waren gerade gut integriert in Kindergärten
und Schulen. Auch weitere familiäre Umstände erlaubten einen vollständigen
Ortswechsel nicht. Ich entschloss mich in Absprache mit Ehefrau und Familie
also zum Spagat und Wochenendpendeln zwischen Thüringen und der Region Heidelberg.
Später, mit größer werdenden, heute erwachsenen Kindern wäre das Komplettumziehen
eher möglich gewesen, aber wir hatten nun und haben uns mit dem Spagat und
Zweitwohnsitz (natürlich angemeldet!) einigermaßen arrangiert.
Der Ausdruck „Spagatprofessor" mag etwas negativen
Klang haben, ich denke aber, wirklich Nachteile hatte und hat es bei mir ̶ und
vor allem bei unseren Studierenden ̶ de facto nicht. Ich bin bis auf die
normalen Urlaubswochen, oder mal eine anderweitig bedingte Abwesenheitsperiode,
viel in Jena vor Ort: während der Lehrveranstaltungswochen und auch während der
Semesterferien. Ich gehöre zu den Anhängern physischer Präsenz am Arbeitsplatz.
Ich bin kein Home-Office-Mensch. Das mag etwas generations- und industriebedingt
sein aus klassisch erlerntem Büroverständnis. Termine mit den Studierenden etwa
sind bei mir also ziemlich flexibel möglich, das überrascht manchen und wird
auch durchaus als entgegenkommend gewürdigt.
Und mein Spagat hat darüber hinaus noch einen weiteren
studierendenfreundlichen Aspekt, vielleicht kommen wir darauf nachher ohnehin
noch zu sprechen: Ich betreue Jenaer studentische Arbeiten vor allem der
Informatik und Wirtschaftsinformatik (früher Diplom-, heute Bachelor- und
Masterarbeiten, Praktika, u.a.) sozusagen „quer durch die Republik", insbesondere
auch gemeinsam mit Unternehmen und inner- und außeruniversitären Einrichtungen.
Das geschieht einerseits natürlich ganz stark direkt in Jena und Thüringen.
Aber im Laufe der Jahre gab's und gibt's auch zahlreiche gemeinsame Betreuungen
etwa mit IBM, SAP, Daimler und anderen in „Deutsch-Südwest" ̶ bekanntlich
ein deutsches IT-Ballungszentrum hersteller- und anwenderseitig. Das lässt sich
für mich durch die beiden Standbeine (Dienstort = Thüringen und Wohnort = Nordbaden)
sehr gut einrichten. Ich bin da also regelmäßig zu Gesprächen mit den
Studierenden und Firmen am Durchführungsort ihrer Abschlussarbeit, egal ob nah
oder fern zu Jena gelegen. Auch das überrascht gelegentlich: Manche Firmen aus
nah und fern sind es bei gemeinsam betreuten Abschlussarbeiten gar nicht
gewohnt, den Professor regelmäßig (oder überhaupt) am Firmensitz zu sehen in
gemeinsamen Gesprächs- und Betreuungsrunden. Es kommt positiv an. Aktuell z.B.
betreue ich Masterarbeiten Jenaer Studierender in Stuttgart, Coburg, Nürnberg,
natürlich gemeinsam mit dem jeweiligen Firmenbetreuer vor Ort. Plus die vielen
in Jena gemeinsam betreuten Arbeiten, oft „über die Straße".
MR: Ich
habe gehört, dass ziemlich viele Schüler in der DDR, die später ein Studium der
naturwissenschaftlichen Fächer oder der Informatik aufnahmen, bereits in der
Schule eine besondere mathematische Förderung genossen haben. Wie sah das aus
und wie machte sich das im Studium bemerkbar?
KK: Es gibt hier die Schulform der so genannten „Spezis". Deren
Abiturienten zählen oft zu unseren herausragenden Informatikstudierenden. Ich
erkläre es am Beispiel Jena, aber in Thüringen gibt's ähnliches in Erfurt und
in Ilmenau. Das Jenaer Carl-Zeiss-Gymnasium wurde 1963 als „Spezialschule Carl
Zeiss" gegründet und war jahrzehntelang eine Stätte sehr guter,
wissenschaftlich geprägter Fachvorbereitung ̶ insbesondere
in Mathematik, später auch schon in Informatik ̶ für
künftige Universitätsstudierende und letztendlich Mitarbeiter des gleichnamigen
Kombinats. Seit den 1990ern ist das Carl-Zeiss-Gymnasium in
Jena nun ein „normales" Gymnasium, aber weiter auch mit
mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Spezialklassen. Von dort kommen
teils klasse Abiturienten zu uns an die Universität, aber natürlich auch an
andere Universitäten in Thüringen.
Wir haben sehr gute Kontakte zu den Informatiklehrern an
der Spezi. So wird z.B. jetzt im Juni
gemeinsam von Spezi und Universität die zentraleuropäische Informatik-Olympiade
in Jena ausgerichtet. Und wir bilden am Institut für Informatik bei uns auch im
Studiengang „Informatiklehramt an Gymnasien" aus. Unser Professor und
Kollege für Didaktik der Informatik, Michael Fothe, war zuvor selbst lehrend
und leitend an der Spezi in Erfurt tätig. Das trägt alles zu jenem guten
Zusammenspiel bei. Die Schüler der Spezi Jena haben teils schon während der
Schulzeit mit der Universitätsinformatik zu tun, etwa im schulischen Projekt.
Es werden universitätsseitig Fachvorträge an der Spezi Jena bzw. den
thüringischen Spezis gehalten. Zu Vorwendezeiten haben auch
Mathematikprofessoren unserer Fakultät zusätzlich direkt an der Spezi gelehrt.
Der Übergang dann vom sehr guten Schüler zum sehr guten Studenten wurde dadurch
natürlich enorm gefördert und, wie gesagt, die Zusammenarbeit Spezi-Universität
klappt auch heute weiter exzellent.
MR: Die
Bologna-Reform wird ja von vielen Professoren durchaus negativ gesehen.
Inzwischen sind die Studiengänge vom Abschluss mit Diplom auf Bachelor/Master
umgestellt worden. Wie bewertest Du diesen Umstieg?
KK: Ich sehe, im
Unterschied vielleicht zu manchen Kollegen, durchaus positive Seiten in der
jetzigen BaMa-Welt gegenüber der früheren Diplomwelt:
Durch meine ohnehin vorhandenen Firmenkontakte und die meines Lehrstuhls konnte ich ab 2011 die Universität unterstützen bei der Akquise von Förderern/Firmen. Insbesondere betraf und betrifft dies regionale Unternehmen, aber auch überregionale, große Unternehmen sind unter den Förderern. Ab 2012 entschied ich mich darüber hinaus, auch privat ein Deutschlandstipendium als Förderer zu übernehmen. Insgesamt finde ich das Konzept der Deutschlandstipendien als einen sinnvollen Ansatz, deshalb ja auch mein Engagement dort in den genannten Weisen.
MR: Klaus, ich danke Dir für dieses umfassende Interview, das viele Facetten Deines akademischen Berufslebens berührt hat. Ich danke Dir auch für die klare Positionierung zum Thema Praxisbezug der Lehre an Hochschulen. Wie Du weißt, decken sich einige Deiner Positionen mit meinen. Aber ich bin ja nun mal ein ehemaliger Praktiker, der des Öfteren die Ergebnisse der Lehre – die Absolventen – in Interviews, Assessment Centers und in der nachfolgenden betrieblichen Praxis erleben durfte.
NB: Nach dem Interview vor vier Wochen mit Namik Hrle, dem neu ernannten IBM Fellow, ist dies das zweite Interview, das mein Freund und Ex-Kollege Manfred Roux völlig eigenverantwortlich besorgt hat. Nachahmungen werden empfohlen.
- Natürlich zunächst mal die kürzere Studiendauer bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss: 3-4 Jahre jetzt, gegenüber 5-6 Jahren früher. Ich begrüße dies.
- Höherer und zeitnäherer Praxisbezug im Studium als früher: Es sind z.B. bei uns bestimmte Lehrveranstaltungen im Pflichtprogramm der ersten vier Semester, die's früher allenfalls im Wahlprogramm der höheren Semester gab. Heute inhaltlich teils knapper, ja, aber vorhanden.
- Gute Erfahrungen mit der Akzeptanz der Bacheloren in der Praxis: Es gab vor fünf und mehr Jahren bekanntlich warnende Stimmen, auch von prominenter Seite, einen Informatik-Bachelor würde niemand einstellen wollen, es sei ohnehin der Master also notwendig und werde die Regel sein.
- Wer nach dem Informatikbachelor gleich in die Praxis möchte und passable Studienleistungen und -ergebnisse vorweisen kann und vielleicht sogar schon etwas studienparallele Praxis, wird gerne genommen. Er/sie kommt an.
- Wer ein Masterstudium direkt an den Bachelor anschließen möchte, der kann dies full-time tun oder Firmentätigkeit mit Masterstudium zeitlich unter einen Hut bringen. Viele unserer Masterstudenten, auch wenn sie gerade erst den Bachelor erworben haben, arbeiten parallel schon vor Ort oder darüber hinaus in einem Unternehmen (wo sie teils auch schon ihre Bachelorarbeit angefertigt haben). Das scheint meist gut zu gehen in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht.
- Wer nach Schule und Bachelor erst mal genug von „der reinen Lehre“ hat und voll in die Praxis möchte und dann später vielleicht doch zurück an die Uni für den Master, der kann dies auch tun.
Diese
Flexibilität insgesamt begrüße ich und ebenso die Flexibilität des Wechsels
zwischen Uni, FH, BA (wir haben BAs in Thüringen in Eisenach und Gera, mit sehr
guten Kontakten dorthin übrigens).
MR: Im
Jahr 2008 wurdest Du von der Zeitschrift „UNICUM
Beruf“ als ein „Professor des Jahres“ ausgezeichnet, als
herausragender „Wegbereiter für Karrieren“. Diese Wegbereitung stellt sich zum
Beispiel auch durch den Praxisbezug der Lehre dar. Wie muss man sich das vorstellen?
Und 2009 gab’s für Dich ja noch den Lehrpreis Eurer Universität mit ähnlicher
Begründung (intensive Betreuung der Studierenden).
KK: Ich
denke, wir tun da am Lehrstuhl in der Tat einiges. Ich nehme mal als Beispiel
das Mentoren-Programm, das an unserem Institut eingeführt wurde mit BaMa-Beginn
2008/09. Jeder Studierende bekommt von Beginn an einen Mentor (Professor, Dozenten)
zugeteilt.Ich mache es so, dass ich meine zugeteilten (Bachelor-) Mentees
zweimal pro Semester abends ins Restaurant einlade zum lockeren Gespräch. Dabei
geht's natürlich auch um Studienhinweise und um den Appell, „Leute, macht neben
dem Studium schon etwas in der Praxis!". Da sind die Studierenden in
früher Phase oft zurückhaltend und zweifeln, ob das nach 1-2 Studienjahren
schon sinnvoll und möglich ist ̶ meine Antwort
„Ja, natürlich". Ich meine damit bspw. Praktika in den Semesterferien (wie
ich sie selbst im eigenen Studium jeweils nach dem 2., 4., 6. und 8. Semester
gemacht hatte). Wir haben gerade aktuell schöne Fälle: etwa von einem hervorragend
verlaufenen Industriepraktikum nach dem 4. Semester, ein hoffnungsvolles nach
dem 2. Semester beginnt in diesem August usw. Und ich betreue ̶ und
vermittele teils ̶ die Pflichtpraktika unserer Bachelorstudenten
im Studiengang Angewandte Informatik. Ich kümmere mich relativ stark darum, bin
auch viel vor Ort.
Darüber hinaus haben wir für die Studierenden 15 Jahre
lang Exkursionen in die Praxis durchgeführt. Wir akquirieren Lehraufträge und
-beauftragte aus der Praxis (einer, seit 2008, heißt Manfred Roux), ermöglich(t)en
Produktzertifizierungen für Studierende (insbesondere zu IBM DB2), laden stets
Praxisvorträge mit in die Lehrveranstaltungen ein etc. IBM ist auch seit vielen
Jahren durch einen Honorarprofessor, Martin Welsch aus
Böblingen, in der Lehre und Forschungszusammenarbeit am Institut engagiert.
MR: Wie
kommt dieser Praxisbezug bei den Studenten an? Wie sehen da die Rückmeldungen
aus?
KK: Insgesamt wird das
durchaus gewürdigt und „kommt an". Es sind natürlich Dinge darunter, die
sich auch erst herumsprechen müssen. So wechselte dieser Tage ein Student
seinen Mentor, bzw. bat um Wechsel zu mir, weil er wohl gehört hatte, dass ich
ein guter Praxisratgeber sei. Vielleicht ist's aber auch mehr wegen der Restaurant-Einladungen.
Manche Dinge ̶ das soll auch nicht verschwiegen werden ̶ laufen aber auch etwas zäh oder brauchen
Hilfe zur Selbsthilfe. Ich nenne mal drei, sehr unterschiedliche Beispiele:
- Wenn wir IBMer mit Mainframe-Hintergrund zu Gastvorträgen einladen, was wir regelmäßig tun, muss gelegentlich der Dolmetscher ran, das bin ich. Es gab schon mehr als einen Fall, wo die Terminologie eben etwas weg von jener der Vorlesung und der Wissenschaftsszene allgemein war, dass Dolmetschen erforderlich wurde („in der Vorlesung bei uns entspricht dies ..."). Es geht aber schon, es ist also mehr zum Schmunzeln als dass es ein Ärgernis ist. Und es gibt den Studierenden auch schon einen ersten Eindruck, dass eben die Praxis oft anders „spricht“ als die Hochschule.
- Oder die Exkursionen zu bekannten Wirtschaftsunternehmen: Da so etwas an unserer Fakultät weitgehend unüblich war und ist (eben bis auf unseren Lehrstuhl), existiert(e) auch keine ausgeprägte „Exkursionskultur". Da kam von einigen Studierenden schon das Denken à la „was bringt mir das?", „kann ich mir nicht anrechnen lassen im Studium?", „machen die Firmen da nur Werbung oder was??". Wir hatten teils sogar Probleme, die Teilnehmerliste zu füllen. Wegen des zudem hohen organisatorischen Aufwands im Exkursionszusammenhang haben wir diese nun in den letzten zwei Jahren nicht mehr durchgeführt. Schade eigentlich, denn unsere Exkursionsteilnehmer zwischen Zürich und Krakau waren 'danach' stets begeistert, auch die vorherigen Zweifler.
- Oder die Teilnahmezertifikate, auch „Schöne Scheine" genannt. Wir führten sie am Lehrstuhl vor gut 10 Jahren ein. Damals bekamen generell alle Studenten „Scheine" ausgehändigt über bestandene Lehrveranstaltungen (Übungsscheine, Seminarscheine, u.a.). Diese mussten sie sammeln und später beim Prüfungsamt vorlegen. So ein Schein hatte nur den Titel der Lehrveranstaltung drauf stehen plus ggf. die Note. Fürs Prüfungsamt reichte dies ja auch. So war’s fast überall an deutschen Hochschulen. Unsere Lehrstuhlidee 2003 war nun, „Schöne Scheine" oder Zertifikate auszustellen bei erfolgreicher Teilnahme, aus denen auch hervorging, WAS in der Lehrveranstaltung inhaltlich gemacht wurde, welche Kenntnisse vermittelt wurden. Damit der Studierende das auch extern „vorzeigen" kann bei Bewerbung, Praktikumsinteresse etc. Ich weiß, dass so etwas von Firmen gerne gesehen und auch gewürdigt wurde und wird („der Bewerber hat ja fünf Zertifikate von Ihnen, Herr Küspert, schön“). Die Scheine sind universitätsintern bei uns seit BaMa-Zeiten abgeschafft. Wir geben aber weiterhin die „Schönen Scheine" aus für jene externe Verwendung. Viele Studenten holen sie aber nicht (mehr) ab, weil ihnen der Nutzen nicht bewusst ist ̶ trotz Erklärung. Auf Nachhaken meinerseits wurde ich schon mal von einem Studierenden freundlich belehrt, mir sei wohl entgangen, dass es Scheine nur damals zu Diplomzeiten gegeben habe. Man sieht, es ist oft schwer, Studierende zum Jagen zu tragen. Vor allem, wenn sie nicht zuhören.
MR: Von
1999 bis 2011 hat Dein Lehrstuhl die „Jenaer
Datenbanktage“ veranstaltet. Wie würdest Du diese Veranstaltung
mit Absolventen, einem kleinen Kreis von Teilnehmern aus Wissenschaft und
Industrie, und Doktoranden in Deine Bemühungen um Praxisbezug einordnen?
KK: Die
Veranstaltungsreihe war entstanden erst mal weitgehend mit lehrstuhlinternem
Fokus, unter Beteiligung weniger Externer. So zogen wir uns mit insgesamt etwa
20 Personen ̶ Lehrstuhl, Diplomanden, HiWi's, wenige Gäste ̶ im
September 1999 für zwei Tage in ein einsam gelegenes Hotel im Thüringer Wald
zurück, quasi in Klausur. Dort wurden Fachvorträge gehalten von Lehrstuhlseite
sowie Zwischen- und Abschlussvorträge etwa zu Diplomarbeiten am Lehrstuhl. Dies
alles natürlich auch mit vielen Möglichkeiten zu Gesprächen und zur Diskussion,
gemeinsamer Wanderung, usw.
Diese Veranstaltungsreihe wurde dann sehr geschätzt und
zur „Institution": jährlich bis 2011 fast immer im September, immer für
zwei Tage und fast immer in idyllisch gelegenen Thüringer Hotels (einmal waren
wir auch 100 Meter auf sachsen-anhaltinischem Terrain, das hat uns auch nicht
geschadet). Der Teilnehmerkreis wuchs stetig an, es wurden Lehrstuhl-Alumni mit
eingeladen, Lehrbeauftragte, weitere Freunde des Lehrstuhls, Firmen. Es
entwickelte sich in die Gegend von 50 Teilnehmern, darunter auch mehrfach ein
paar bedeutende Persönlichkeiten der IT- und Hochschulszene: Klaus
Tschira nahm z.B. auf unsere Einladung hin mehrfach teil, Hartmut
Wedekind häufig, Albrecht Blaser immer, plus ein paar aktive oder
ehemalige CIO's aus großen deutschen Unternehmen. Wir hätten locker auch 100
Teilnehmer jeweils „zusammen bekommen", aber es musste ja neudeutsch
'manageable' bleiben.
Es war eine tolle Sache und hat den Kontakt
Lehrstuhl/Studenten/Wirtschaft weiter gestärkt. Für einen 23-jährigen Studenten
war und ist es schon ein Erlebnis, nach seinem Diplomarbeitsabschlussvortrag
begeisterte Kommentare eines CIO zu erhalten oder gleich die Anregung, sich in
Sachen Stelle bitte unbedingt mal mit diesem oder jenem Mitarbeiter seines
Unternehmens in Verbindung zu setzen. Wir haben dann nach der 13. Durchführung
2011 mit der Reihe Schluss gemacht. Man soll bekanntlich aufhören, wenn's am
schönsten ist. Und ich bin generell gegen „Dauerbrenner": Wäre ich das IOC
und für die Olympischen Spiele verantwortlich, hätte ich die Reihe sicher auch
bald nach der 10. Durchführung für beendet erklärt. Und wenn's dann viele
schade finden, so auch bei unserer Reihe, dann ist dies auf Veranstalterseite
gern gesehenes Lob für die Idee und erfolgreichen Durchführungen.
MR: Heute sind viele Lehrstuhlinhaber und deren Studenten in Forschungsvorhaben in
Zusammenarbeit mit der Industrie tätig. Wie empfindest Du diese Interaktion?
Siehst Du die anwendungsorientierte oder praxisorientierte Forschung als
positiven Einfluss auf die Lehre, wie denkst Du darüber?
KK: Ich
stehe dem natürlich absolut positiv gegenüber, sicher nicht überraschend nach
den vorangegangenen Antworten hier im Interview. Wir hatten am Lehrstuhl von
Beginn 1995 an zahlreiche wissenschaftlich-praktisch befruchtende Industriekooperationen.
Ich weiß noch sehr gut, wie einige der ersten
Dissertationsthemen am Lehrstuhl in der zweiten Hälfte der 1990er in
engem Kontakt mit IBM bearbeitet wurden (Datenbank-Backup und -Recovery) bzw.
mit SAP (Datenbank-Archivierung). Und um die 2000er herum hatten wir mehrere
SAP-finanzierte Doktorandenstellen am Lehrstuhl. Später ab 2005/06 über mehrere
Jahre ein sog. CAS-Projekt mit IBM Böblingen zu Autonomem Datenbank-Tuning . Zwei
Dissertationen gingen daraus hervor. Seit 2009 enger Fachkontakt mit der DATEV
und Zusammenarbeit. Plus natürlich regional in Thüringen und Jena viel enger
Fachkontakt. Das alles war und ist ungemein wichtig zur Erzeugung
praxisrelevanter Forschungsinhalte und Forschungsergebnisse.
Und seit 2002 haben wir stets einen Mitarbeiter am
Lehrstuhl, der in einem Halbe-Halbe-Arbeitsverhältnis ist: also 1/2 auf
Landesstelle (steuergeldfinanziert), 1/2 direkt bei Firma angestellt. So war es
bis 2006 mit IBM, danach bis 2011 mit ORISA (einem mit uns sehr verbundenen
Jenaer KMU), seit 2012 mit der DATEV. Das sorgt sehr für die Bodenhaftung in
Lehre und Forschung. Wohlgemerkt, es geht hier, bei jenen Halb-Halb-Stellen ̶ etwas zum Leidwesen des Universitätsrektors
oder -kanzlers ̶ nicht um
Drittmittelprojekte. Eher Public-Private-Partnership: die öffentliche Hand
zahlt ihre Mitarbeiterhälfte, das Unternehmen seine. Das sorgt vielleicht für
noch mehr Praxisnähe als an die Universität transferierte Drittmittel.
MR: Mir
fällt auf, dass Deine „Ehemaligen“ ein Netzwerk bilden. Du stellst sozusagen
das Zentrum dar, aber die Absolventen sind auch untereinander im Kontakt. Du verfolgst und begleitest deren Laufbahn aktiv. Ist das im deutschen
Hochschulwesen eine gängige Praxis oder eher die Ausnahme? Empfinden Deine
Ehemaligen nach wie vor eine große Affinität zum Lehrstuhl?
KK: Wir pflegen am Lehrstuhl von Beginn
an (1995) eine Alumniliste, in der alle unsere Lehrstuhlabsolventen verzeichnet
sind, also die bei uns oder mit uns am Lehrstuhl ihre Abschlussarbeit gemacht
haben (Diplom, Bachelor, Master, Staatsexamen, Promotion). Darunter sind nicht
nur Informatiker, sondern auch viele Wirtschaftsinformatiker und ̶ in
geringeren Zahlen ̶ auch Wirtschaftsmathematiker, Bioinformatiker,
Lehrämtler, u.a. Das heißt natürlich nicht, dass zu allen 200 permanent
wirklich enger Kontakt besteht, das kann nicht funktionieren. Einige,
relativ wenige Absolventen aus den letzten 20 Jahren haben wir auch aus den
Augen verloren und die Liste mag an ein paar Positionen auch veraltet sein – „ohne
Gewähr" also. Aber zu allen am Lehrstuhl Promovierten seit 1999 besteht
solch enger Kontakt und zu Dutzenden weiteren Absolventen der Liste und darüber
hinaus, so kann man das schon sagen.
Sehr viele
Lehrstuhl-Alumni sind natürlich auch in Jena vor Ort, etwa im lokalen,
prosperierenden E-Business-Sektor und in anderen Firmen und Einrichtungen. Da
sieht man sich ohnehin oft, etwa zu auch extern angekündigten Vorträgen u.dgl.
Hier spielt auch die „Kompaktheit" und Überschaubarkeit Jenas eine
hilfreiche Rolle: Viele Firmen, gerade im IT-Bereich, sitzen nur rund 100 Meter
vom Universitätscampus entfernt. Aber wie gesagt, auch zu den „entfernten"
Alumni bestehen oft gute Kontakte. Dies alles auch wieder zum Wohl und Nutzen
der aktuell Studierenden, etwa wenn's um Sondierung für Praktikumsplätze geht,
gemeinsame Betreuung von Abschlussarbeiten etc. Das funktioniert dann sehr gut
und auf dem kleinen Dienstweg.
MR: Noch eine letzte Frage, mit der
Bitte um kurze Antwort: Du bist an Eurer Universität auch in Sachen Deutschlandstipendien aktiv. Kannst Du uns in ein paar
Sätzen erklären, worum es bei den Deutschlandstipendien geht und wie Deine
Rolle an der Friedrich-Schiller-Universität diesbezüglich ist?
KK: Gerne.
Das Deutschland-Stipendienprogramm wurde 2010/11 geschaffen deutschlandweit, um
auch in Deutschland ̶ wie etwa im angelsächsischen Raum und anderswo
̶ eine stärkere und breitere „Kultur" von
Förder- und Stipendiatentum im Hochschulbereich zu etablieren. Bekanntlich gibt
es in Deutschland durchaus seit langem renommierte Stipendienprogramme, etwa
seitens der Studienstiftung des Deutschen Volkes, der Parteien und anderer
Stipendiengeber. Aber es ist bisher oder war bisher nur ein ganz kleiner
Prozentsatz von Studierenden, der über solche Stipendien gefördert wird bzw.
wurde. Genau da sollte und soll das Deutschlandstipendium programmtechnisch
ansetzen. Das Konzept
sieht so aus, dass durch Studienleistungen und auch darüber hinaus ausgewiesene
Studierende sich um ein Deutschland-Stipendium im Umfang von 3600€ jährlich
bewerben können. Finanziert wird das dann jeweils hälftig durch einen privaten
Stipendiengeber und durch den Bund. Also „Berlin" zahlt 50%, 50% müssen
von außerhalb kommen („privat").
Für die Stipendienanteile aus dem privaten Sektor muss also die Universität Förderer
(Stipendiengeber) finden. Es gibt da verschiedene Modelle als Pate oder
Förderer oder Unterstützer, diese Details lasse ich hier mal raus. Es ist für
die Universität nun natürlich nicht so einfach, solche Geldgeber in hinreichend
großer Zahl zu identifizieren, zum Fördern „zu überreden", bzw. gibt es da
auch fachlich Unterschiede. Firmen fördern natürlich besonders gerne solche
Studierende, die sie vielleicht später mal durch den aufgebauten Kontakt als
Mitarbeiter oder auch vorher schon mal als Praktikant, Werkstudent gewinnen
könnten. Das heißt, es ist für das Fachgebiet Informatik durchaus einfacher,
Förderer/Firmen zu gewinnen, als etwa für ein Fachgebiet Kaukasiologie oder
Gesellschaftstheorie. Aber auch in der
Informatik geht's nicht von allein, dass etwa Firmen ̶ oder gar Privatpersonen ̶ das
Portemonnaie öffnen.
Durch meine ohnehin vorhandenen Firmenkontakte und die meines Lehrstuhls konnte ich ab 2011 die Universität unterstützen bei der Akquise von Förderern/Firmen. Insbesondere betraf und betrifft dies regionale Unternehmen, aber auch überregionale, große Unternehmen sind unter den Förderern. Ab 2012 entschied ich mich darüber hinaus, auch privat ein Deutschlandstipendium als Förderer zu übernehmen. Insgesamt finde ich das Konzept der Deutschlandstipendien als einen sinnvollen Ansatz, deshalb ja auch mein Engagement dort in den genannten Weisen.
MR: Klaus, ich danke Dir für dieses umfassende Interview, das viele Facetten Deines akademischen Berufslebens berührt hat. Ich danke Dir auch für die klare Positionierung zum Thema Praxisbezug der Lehre an Hochschulen. Wie Du weißt, decken sich einige Deiner Positionen mit meinen. Aber ich bin ja nun mal ein ehemaliger Praktiker, der des Öfteren die Ergebnisse der Lehre – die Absolventen – in Interviews, Assessment Centers und in der nachfolgenden betrieblichen Praxis erleben durfte.
NB: Nach dem Interview vor vier Wochen mit Namik Hrle, dem neu ernannten IBM Fellow, ist dies das zweite Interview, das mein Freund und Ex-Kollege Manfred Roux völlig eigenverantwortlich besorgt hat. Nachahmungen werden empfohlen.
Am 5.6.2014 schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:
AntwortenLöschenEin informatives Interview! Danke fürs Posten!
Informatik studieren in Jena / an Prof Kuespert's Lehrstuhl: das war klasse. :-)
AntwortenLöschen...all die Firmenvortraege, Ausfluege zu diversen Firmen und die super Betreuung bei meinen unzaehligen Praktika & schließlich der Diplomarbeit.
Herr Kuespert reist ja nicht "nur" quer durch Deutschland um seine Studis zu treffen, so hatten wir uns z.B. vor einigen Jahren mal in Toronto/Canada getroffen also er gerade privat in der Naehe war um ein wenig ueber meine Diplomarbeit zu reden.
Vielen Dank Herr Kuespert :-)
Der Übergang von der Schule zum Studium ist schon enorm. In den ersten Semestern fällt es oft schwer den Professor als Förderer und nicht als Forderer zu verstehen. An der Fakultät für Informatik der FSU Jena wird man von vielen Professoren in der eigenen Arbeit in maximalem Maß unterstützt. KK betreute im letzten Semester meine Masterarbeit. Anhand der Frequenz, in der er sich bei mir meldete und mir regelmäßig Feedback gab, hatte ich das Gefühl, ich wäre der einzige Student, den er betreut. Dass noch 1-2 andere Dinge in seinem täglichen Dienstleben dazukommen, konnte man diesem Artikel gut entnehmen. ;-)
AntwortenLöschenDaher großen Respekt für das bisherige "Lebenswerk" als inoffizeller Lieblingsprofessor der Uni Jena und Meister des Fädenziehens! Letzteres meint das Zusammenbringen von Absolventen und Unternehmen. Eine Empfehlung vom Prof ist ein ganz anderer Zugang zum Unternehmen als eine Initiativbewerbung und ist somit das Sprungbrett, das man als Absolvent für einen erstklassigen Berufseinstieg benötigt.
Ich kann meinen Vorrednern nur zustimmen, Prof. Küspert ist eindeutig der Star unter den Uni-zu-Firmen-Beziehungen. Außerdem ist es einfach nur schön zu lesen, wie er die Vorteile der Bologna-Reform erkennt und für die Studenten nutzt - da ist bei Universitätsprofessoren häufig das Gegenteil der Fall. Danke, Prof. Küspert, dass Sie als Wegweiser für den Erfolg Ihrer Studenten so gute Arbeit leisten! :-)
AntwortenLöschen