Wer diese
Frage stellt, hat meistens schon eine Antwort im Kopf. Dennoch gibt es Situationen,
wo man fragt, ob eine klare Antwort immer möglich oder immer richtig ist. Marketing
ist nämlich nicht nur Klinkenputzen, also das Bemühen um die Aufmerksamkeit des
potentiellen Kunden. Es ist auch die ökonomische und politische Macht, die Überzeugungskraft
und die Beziehungen, die man zur Anwendung bringen kann. Die Technik entscheidet,
ob das Produkt oder der Dienst überhaupt nutzbar sind, ob der Nutzer den
erwarteten Vorteil erhält oder ob die Kosten akzeptabel sind. Anders
ausgedrückt, die Dinge sind vielschichtiger als es gemeinhin erscheint. Bei
drei aktuellen Fällen sehe ich die Frage angesprochen.
Fall 1:
Amazon, Google und die deutschen Verleger
In dem
Blog-Eintrag im April
2014
ging es mir primär um die Belastungen des deutsch-amerikanischen Verhältnisses,
die sie sich aus Googles Marktmacht im Werbebereich ergeben. Die deutschen
Verleger schreien Zeter und Mordio. An ihrer Spitze hat sich der
Axel-Springer-Verlag gestellt. Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Springer AG gesteht ein, dass ihm vor
Google graut. Ich schrieb damals:
Nachdem Google erkannt hatte, dass es für das Werbegeschäft die längst erhoffte technische Lösung besaß, flossen die Geldströme. Damit konnte es eine Industriebranche nach der anderen umkrempeln oder gar zerstören, wie Joseph Schumpeter zu sagen pflegte. Diese Zerstörung begann in der Software-Industrie und setzte sich auf andere Industrien fort.
Seit 30
Jahren weiß jeder, der es wissen will, dass die Zukunft der Publikationsmedien nicht
mehr auf passivem Papier liegt, sondern auf den vielfach und vielseitig
verwendbaren elektronischen Medien. Anstatt Programmierern und Informatikern
Aufträge zu erteilen, möchten Verleger lieber Politiker und Juristen engagieren,
um Firmen wie Google an die Kandare zu legen. Auch Amazon bedroht die Verleger.
Hier geht es nicht um Nebeneinnahmen, sondern das Kerngeschäft. Amazon bietet nämlich
Autoren die Möglichkeit, auch Werke vom Umfang eines Buches ohne Zwischenschaltung
von Verlegern zu veröffentlichen. Die Funktion ehemaliger Zeitschriften haben
Google und andere längst durch Blogs ersetzt.
An die
Antwort, die unsere Medienindustrie eigentlich geben sollte, um auf primär
technische Herausforderungen zu reagieren, erinnert John Kornblum, der frühere
US-Botschafter in Deutschland, in der FAZ vom 8.7.2014: Mehr Mut, Europa! Es helfen keine Anwälte, wohl aber Ehrgeiz,
Selbstbewusstsein und Innovationen. Er ließ einen Punkt aus, hungrige
Unternehmer.
Fall 2:
Amazon, IBM und die US-Regierung
Nicht
nur zwischen den Wirtschaftsräumen gibt es Erschütterungen. In den USA galt die
Firma IBM als ein sehr angesehener Auftragnehmer (engl. contractor) der Regierung.
So sind die Erfolge der USA in der Raumfahrt ohne die Beiträge von IBM nicht
vorstellbar. Umso mehr schlug es wie eine Bombe ein, als kürzlich die Central
Intelligence Agency (CIA) einen Auftrag von 600 Mio. $ für ihr Cloud-System
nicht an IBM sondern an Amazon vergab. Wie bei der Niederlage Brasiliens im
Halbfinale der Fußball-WM war es nicht die Tatsache allein, sondern die Umstände
der Niederlage, die schmerzten. Der Vorschlag von IBM sei wesentlich billiger
gewesen, der von Amazon jedoch technisch besser.
Wie
kann es sein, dass ein Außenseiter der Branche – so sehen ja viele die Firma
Amazon noch ̶ die technisch bessere Lösung anbieten kann?
Diese Frage beschäftigt seither nicht nur aktive und ehemalige IBM-Mitarbeiter,
sondern viele Gurus und Branchen-Beobachter. Im CIO Magazine bietet Bernard
Golden folgende Erklärung an:
Die
naheliegende Alternative ist Redundanz zu verwenden, um durch Hardware
verursachte Dienstausfälle zu vermeiden. … Folglich arbeitet Amazon mit
preiswerter Hardware und mit einer Schicht von extrem intelligenter Software, welche die komplexe System-Umgebung
koordiniert.
Es ist
für mich keine Frage, dass vor allem Amazon und Google in großem Stile eigene
Erfahrungen in weltweit verteilten Systemen mit Tausenden von Knoten sammeln
konnten. In einem Beitrag über Big Data in diesem Blog hatte
ich unter anderem auf Googles Innovation namens MapReduce verwiesen, die heute
der gesamten Branche zur Verfügung steht. Gegen technische Kompetenz zu
konkurrieren ist nicht leicht. Die Überlegenheit anderer Firmen einzugestehen, ist hart.
Fall 3:
Apple, Samsung und die mobilen Geräte
Es
steht außer Frage, dass Steve Jobs mit Smartphones und Tablett-Rechnern den
ganzen Informatik-Markt verändert hat. Die neuen Geräte haben das klassische
PC-Geschäft in den Hintergrund gedrängt. Die Firma Apple konnte mittels hoher
Preise und Margen ihre Bilanz sanieren. Wie immer in der Wirtschaft, kann nur
durch überlegene Funktionalität ein Preiskampf vermieden werden. Nachahmer
können nur dann in den Markt, wenn sie die vorhandenen Patente umgehen können. Dass
die südkoreanische Firma Samsung Apple auf den Fersen ist, ist kein Geheimnis.
Im
Rennen zwischen Apples iPhone 5 und Samsungs Galaxy S4 hat Samsung seit etwa
Mitte 2013 die Nase vorn, was die Verkaufszahlen anbetrifft. Bei den
Tablett-Rechnern herrscht Unklarheit, weil Samsung bisher mit falschen
Verkaufszahlen arbeitete. Wie ein aktueller Produktvergleich
Apple-Samsung
zeigt, liegt Apples iPad, was den Design betrifft noch vorne. Funktionalität
und Gewicht sprechen für Samsung. Der Preis ist für beide gleich. Er wird auch
von Samsung künstlich hoch gehalten. Jeder der weiß, was iTunes leistet, wird
Apple jedoch den Vorzug geben.
Apple
hat den Begriff App Store geprägt. Die mobilen i-Geräte sind in ein
Software-Ökosystem eingebettet, an dem die Konkurrenten gerne die
Geschlossenheit und Kontrolle kritisieren ̶ das
sie aber insgeheim beneiden.
Das ist
alles sehr gut zu verstehen. Etwas überrascht war ich, als mir meine Enkel
erklärten, dass Apple inzwischen ‚uncool‘ sei. Die Firma verteidige zu sehr ihr
Territorium. Die Marke sei nicht mehr sexy. Alle Kommilitonen seien längst auf
Geräte der Konkurrenz abgefahren.
Nachbetrachtung
Wie so
oft, gibt es nicht nur schwarz und weiß. Nur ein technisch innovatives Produkt
kann neue Märkte schaffen. Dasselbe gilt für Dienstleistungen. Eine technische
Lösung ist jedoch selten ein Selbstläufer. Sie benötigt ein Ökosystem. Ferner
muss ein unternehmerischer Wille vorhanden sein, der einer Produkt-Idee zum
Erfolg verhilft. Auf Juristen und Politiker zu bauen, ist mehr als fragwürdig.
Sie können helfen gefühlte Benachteiligungen abzustellen. Dann ist es aber
eigentlich schon zu spät.
Was die
bessere Technik ist, ist nicht immer eindeutig. Entscheidend ist die Sicht der
Nutzer, nicht die der Entwickler. Chinesische Nutzer arbeiten auch mit
chinesischen Produkten und Diensten, da ihnen ausländische Produkte
vorenthalten werden. Bei Autos ist die Regierung großzügiger als bei
Suchmaschinen und sozialen Netzdiensten – gut für Deutschland. Ob man im
europäischen Markt mit den Nutzern so umgehen kann wie in China, ist fraglich. Selbst
bei der technischen Bewertung eines Produkts müssen außer Funktionalität und
Preis auch andere Kriterien in Betracht gezogen werden. Beispiele sind Wartungskosten,
Garantiebedingungen, Verbreitung und Güte des Services, sowie der Wertverfall bei Gebrauchtgeräten.
Ein
Begriff, der vielen Ingenieuren etwas schwer fällt, heißt: Gut genug für den Zweck.
Das ist nicht die 100% perfekte Lösung. Diese kann für den gegebenen Zweck
überqualifiziert sein, und ist daher meist auch zu teuer. Einfache Lösungen
sind suboptimal. Sie arbeiten mit guten Voreinstellungen (engl. defaults), die
aber nicht unveränderlich sind. Nach Pareto (1848–1923) können
80 % der Ergebnisse in 20 % der Zeit eines Projekts erreicht werden. Die
verbleibenden 20 % der Ergebnisse benötigen 80 % der Zeit. Das klingt
übertrieben, ein Stückchen Wahrheit ist in der Aussage schon enthalten.
Keiner
der drei oben erwähnten Fälle betrifft eine periphere Frage der Informatik. Keiner
der Fälle betrifft europäische Firmen. Diese sind im Informatik-Markt nicht mehr
beteiligt ̶ außer natürlich SAP und Software AG. Nokia
heißt seit April 2014 Microsoft Mobile. Autobauer wie BMW, Mercedes und VW
haben sich noch nicht entschieden, wem sie sich anschließen werden, ob Amazon,
Apple oder Google.
Manchmal
habe ich Angst, dass die Ausbildung unseres Nachwuchses um echte Informatik-Fragestellungen
einen Bogen macht. Man stürzt sich auf Pseudo-Probleme und erklärt diese zum
Kern der Wissenschaft. Falls jemand nicht versteht, was ich meine, den verweise
ich auf einen sonst sehr von mir geschätzten Kollegen, der im Jahre 2010 noch
der Präzisierung des Unterschieds von ‚Call-by value‘ versus ‚Call-by-name‘ in
Algol 60 seine ganze Kraft widmete. Mehr verrate ich nicht.
Ein Leser, dessen Namen ich absichtlich nicht nennen will, schrieb mir, dass er den Vorwurf, dass Apple ‚uncool‘ sei auf die im Zitat erwähnte Geschlossenheit und Kontrolle seiner Software-Systeme zurückführe. Ich bemerkte, dass man den armen irregeleiteten Studenten doch klarmachen könnte, welche Vorteile diese Strategie hat. Es ist zur Zeit die einzige wirksame Methode, um sich gegen Schund- und Schad-Software jeder Art zu schützen. Seine Antwort: ‚Open Source ist tief in ihnen drin. Ich hab's aufgegeben dagegen zu kämpfen. Closed Source = Proprietär = Ablehnung ist oft die Mentalität von Studis.‘ Wenn dies stimmt, ist für mich auch klar, warum wirtschaftliches und unternehmerisches Denken es an Hochschulen so schwer haben. Unternehmen. die mit Hochschulen kooperieren, dürfen in dieser Hinsicht keine Wunder erhoffen.
AntwortenLöschenEs ist nicht so, dass unsere Verleger nicht wissen, was los ist. Sie reagieren nur nicht. Sie jammern lediglich. Die Stimmung bei den Mitarbeitern ist entsprechend. Ein mir persönlich nicht bekannter Insider kommt sich wie ein Lamm vor, auf das die Schlachtbank wartet. Kein sehr angenehmes Gefühl.
AntwortenLöschenhttp://meier-meint.de/2012/07/24/das-schlachten-beginnt-das-angstliche-bloken-der-verlage-ist-die-antwort-frustrationrant/