Nicht
nur mir ist der Fehler unterlaufen, Amazon für einen Buchhändler und nicht für
ein Technologie-Unternehmen zu halten. Erst als Amazon – wie im letzten Blog-Eintrag erwähnt ̶ die Computer-Firma
IBM alt aussehen ließ, fiel bei vielen Leuten der berühmte Groschen. Ach ja,
Jeff Bezos, der Gründer und Vorstandsvorsitzende von Amazon, ist ja auch eigentlich
kein richtiger Büchernarr sondern ein Computer-Freak mit Wall-Street-Erfahrungen.
Nur ist er vielen von uns nicht als solcher aufgefallen. Allmählich schimmert
es durch.
Bezos
zwischen Princeton und Wall Street
Jeffrey Bezos (Jahrgang 1964) hat
den Familiennamen von seinem Stiefvater, einem Exil-Kubaner, der ihn als Kind
adoptierte. Nach der Jugendzeit in Miami studierte er Elektrotechnik und
Informatik an der Princeton
University.
Das Buch Mr. Amazon von Richard L.
Brandt von 2012 erzählt, dass er sich schon als Kind sehr für Technik und
insbesondere Weltraumfahrt interessierte. Er verließ Princeton 1986 mit einem
Bachelor und mit Bestnoten.
Nach
Zwischenstationen bei diversen Anbietern von Telekommunikationsdiensten (Fitel,
Bankers Trust) befand er sich bei einer Beratungsfirma (David Shaw) in New York
City, die ein Handelssystem für Wall Street Banker anbot, als das Internet die
akademische Phase verließ. Beauftragt zu untersuchen, welche geschäftlichen Möglichkeiten
das Internet angesichts seiner exorbitanten Wachstumsraten böte, stieß er auf
den Online-Buchhandel. Als sein Arbeitgeber sich weigerte einzusteigen, machte
er sich 1994 selbständig. Er gründete Amazon.com und wählte mit Bedacht Seattle als
Firmensitz.
Online-Buchhandel
als Einstieg
Bezos
betrachtete den Online-Buchhandel lediglich als Übungsbeispiel, als Einstieg,
um den gesamten Einzelhandel umzukrempeln. Bei Büchern handelt sich um ein vertrautes
Produkt mit einem großen Markt. Mit 20 Mrd. US$ war er damals zehn Mal so groß
wie der Software-Markt. Alle Buchhandlungen bieten aus Platzgründen nur ein sehr
limitiertes Sortiment an. Als Online-Buchhändler braucht man selbst kein
Inventar. Man geht direkt zum Großhändler oder zum Verlag. Bezos lernte die
Grundprinzipien des Buchhandels in einem vom Branchenverband angebotenen
Lehrgang. Als er im Juli 1995 an die Öffentlichkeit ging, besaß er im
Wesentlichen eine Datenbank mit 1,5 Mio. Buchtiteln und Software, um Bestellungen
anzunehmen und abzurechnen. Die Bücher selbst verpackten er und seine
Mitarbeiter von Hand und brachten sie jeden Abend zum Versand.
Von
Anfang an war es Bezos klar, dass dank des Internets eine bessere Beratung der
Kunden möglich ist, als dies der beste konventionelle Buchhändler kann. Es muss
allerdings eine Balance gefunden werden, was den Schutz der Privatsphäre
betrifft. Ähnlich wie Google konnte er die leicht zur Falle werdende
Versuchung umgehen, die Daten inhaltlich zu analysieren. Schon die Aussage, wer
dieses Buch kaufte, hat auch jene 2-3 Bücher gekauft, war völlig ausreichend. Sie
hat auch mir manchmal geholfen. Später im Falle von E-Books ließ er es zu, dass
man im Buch blätterte. Heute ist eine etwa 10% des Textes umfassende Leseprobe üblich.
Erhebliches
Aufsehen erregte im September 1997 die Einführung der 1-Click-Bestellung. Es
nicht so sehr die Idee, die aufregte, als die Tatsache, dass Bezos dafür ein
US-Patent erhielt. Selbst die Gesellschaft für Informatik (GI) fühlte sich
bemüßigt, dagegen anzugehen, da es sich um ein reines Verfahrenspatent handele.
Ich selbst benutze diese Funktion seit ihrer Einführung, d.h. seit etwa 15
Jahren, mit Vergnügen.
Wesentlich
interessanter war seine Idee, sein System für Fremdfirmen, ja Mitbewerber zu
öffnen. Diese Partnerfirmen bieten Produkte an, als kämen sie von Amazon,
liefern direkt zum Kunden, kassieren aber über Amazon. Im Jahre 2010 soll 35%
des Umsatzes auf diesem Wege entstanden sein. Für bevorzugte Kunden (engl. prime customers) bietet
er gegen einen jährlichen Beitrag (zurzeit 49 Euro) die Lieferung am nächsten
Tag, sowie das kostenlose Ausleihen von Tausenden von E-Book-Titeln und das Streaming
von mehr als 13.000 Filmen und Serienepisoden. Amazon besitzt nicht nur eine
enorm große Datenmenge, was Produktdaten betrifft, sondern auch eine umfassende
Datenbank mit Kundendaten. Trotzdem ist bis heute nicht Amazon sondern Google
als Datenkrake in Verruf geraten.
Lange
Jahre forcierte Amazon primär das Wachstum der Firma, ohne Rücksicht auf
Gewinne. Erst nach dem Platzen der Dotcom-Blase wies Amazon einen geringen
Gewinn (1 Cent pro Aktie) aus. Immer noch versucht man die Konkurrenz mittels
dauernder Innovationen abzuhängen. Seinen Kunden zu geben, was sie wollen, sei
wichtiger als die Aktienkurse zu pflegen
̶ so wird Bezos zitiert. Vergleicht
man die Zahlen aus dem Geschäftsbericht 2013 mit denen von
Technologie-Firmen wie Apple, Google oder Microsoft werden eklatante
Unterschiede sichtbar.
Nicht
nur ist die Gewinn-Marge mit 1-2% extrem niedrig, verglichen mit 30 bis 40% bei
den Mitbewerbern. Auch ist der Personalanstieg wesentlich steiler. Es ist keine
Frage, dass dies eine Motivation für den Einsatz besserer Technik und immer weitergreifender
Automation von Abläufen ist. Durch Amazon wurde die öffentliche Diskussion um
die optimale technische Ausrüstung von Verkaufsläden der Zukunft (engl. future
store) beendet. Amazon benötigt keine Läden, nur Liefer- oder Logistikzentren
(engl. fulfillment centers).
Technologie-Beweger
und Netzspezialist
Neben
seinem breit gefächerten Versandhandel ist Amazon auch als Technologie-Treiber
tätig. Nachdem Jahrzehnte lang der Forschungsbereich ‚Elektronische Tinte‘ nach
einem Anwender suchte, hat Bezos sich dieser Technologie angenommen. Im November
2007 kündigte er als erster – und bisher einziger – Anwender ein Lesegerät für
elektronische Bücher in dieser Technologie an. Heute wird neben dem Amazon Kindle als auch der Kindle
Fire, ein Tablet-Computer, vertrieben. Lange fehlte es an Texten, bis dass
durch das Projekt Gutenberg über 35.000 Werke, die lizenzfrei waren, angeboten
wurden. In den letzten beiden Jahren ist dieser Markt enorm gewachsen.
Obwohl Anfang
2011 Kindle noch einen Marktanteil von 47% hatte, rückten die vielseitig
verwendbaren Tablett-Rechner von Apple (iPad) und Samsung (Galaxy) immer weiter
vor. Inzwischen bietet Amazon auch seine Inhalte für Tablett-Rechner anderer
Hersteller an. Die Frage steht im Raum, was aus den vielen kleinen Buchhandlungen
wird, wenn E-Books sich immer mehr durchsetzen. Für den Fall, dass es sonst
niemand wagt, biete ich eine einfache Antwort an. Buchhändler müssen sich die
Schwächen des Online-Handels ansehen und inhaltliche und verfahrensmäßige Gegenangebote
schaffen. Diese sollten mehr umfassen als nur Kaffee und Kekse.
Amazon
verfügt über eines der ganz großen Computernetze, die mit Tausenden von Knoten
die gesamte Welt umfassen. Seit 2002 wird die für Spitzenbelastungen wie das
Weihnachtsgeschäft ausgebaute Kapazität als Cloud-Service angeboten. Das
entsprechende Produkt-Portfolio ist unter der Bezeichnung Amazon Web Services (AWS) zusammengefasst. Im Jahre 2010
wurden 500 Mio. $ Umsatz erreicht. Das Cloud-Angebot ist vor allem für Startups
interessant. Über den Dienst Dropbox benutze ich die Amazon-Cloud mehrmals pro
Tag. Amazon gibt an, bereits mehr als 100.000 Cloud-Kunden zu haben, sowohl Firmen
wie Private.
Bei
manchen Aktivitäten, die Amazon betreibt, hat man den Eindruck, dass hier Jeff
Bezos Zukunftsträume, die er schon in seiner Jugend hatte, realisieren möchte.
Am weitesten ist er bei der Verwendung von Drohnen zur
Warenauslieferung im Versandgeschäft. Ob das einmal ein Renner wird, ist fraglich.
In Deutschland begegnet man derartigen Vorschlägen mit großer Skepsis. In
Amerika dagegen verfolgt man die Strategie, erst einmal alles auszuprobieren,
was interessant erscheint. Man behält davon dann nur das, was funktioniert.
Im Jahr
2000 gründete Bezos das private Raumfahrtunternehmen Blue Origin. Er baut
Raumfahrzeuge, die langsam von der Erde abheben und ebenso landen. Seit August
2013 ist Jeff Bezos Eigentümer der Tageszeitung The
Washington Post,
die er für 250 Millionen US-Dollar erwarb. Sein Leitspruch, der über allem
steht, lautet: ‚Es ist immer Tag 1‘.
Amazon in Deutschland
Deutschland
ist zweifellos der wichtigste Auslandsmarkt für Amazon. Es trug im Jahre 2012
rund 14 Prozent des Gesamtumsatzes bei. Amazon soll fast ein Viertel des
gesamten deutschen Online-Versandhandelsumsatzes
erwirtschaften. Die deutsche Verwaltung
ist in München. Software-Entwicklungszentren sind in Berlin und Dresden.
Verteilungszentren sind in Bad Hersfeld, Brieselang (Brandenburg), Graben (bei
Augsburg), Koblenz, Leipzig, Pforzheim, Rheinberg (NRW) und Werne. Sie werden
unterstützt von den Service-Zentren in Regensburg und Berlin.
Es wird
Amazon vorgeworfen, dass es durch Ansiedlung seiner europäischen
Holding-Gesellschaft in Luxemburg von den dort geltenden niedrigen Steuersätzen
profitiert. Auch werden die Bedingungen, die Amazon mit seinen Lieferanten
aushandelt, als sehr hart empfunden. Verlage räumen Amazon extrem hohe Rabatte
(bis zu 50%) ein und alle Lieferanten verpflichten sich, ihre Produkte andern
Einzelhändlern nicht billiger anzubieten als Amazon. Es ist dies alles ein Beweis,
welche Position Amazon bereits hat.
In der
öffentlichen Wahrnehmung steht Amazon Deutschland in dem Ruf, seine Mitarbeiter
schlecht zu behandeln. Es gab anfänglich weder Betriebsrat, noch durften Gewerkschaftler
in den Betrieben werben. Hierin drückt sich die Haltung typischer
amerikanischer Unternehmen aus, denen unsere betriebliche Verfassung widerstrebt.
Der Unternehmer, der Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen hat, fühlt sich frei,
diese nach Polen oder Ungarn zu verlegen, wenn dort die Bedingungen günstiger
sind. Es ist anzunehmen, dass Amazon auch fähig ist, zu lernen. Es wird lernen,
dass seine Technik und sein Geschäftsmodell sogar Gewerkschaften und
Betriebsräte verkraften können.
Am 13.7.2014 schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:
AntwortenLöschenIch will noch zwei Beobachtungen aus meinen eigenen Statistiken dazu anfügen.
1. Der Anteil von dritten Anbietern (Market Place) ist gewaltig. Darunter ist auch viel gebrauchte Ware von Resellern.
2. Wer über meinen Link einkauft, schickt kaum was wieder zurück.