Ein
Blog-Eintrag vom Dezember 2012 hatte den Titel: Mathematik
– Gebieterin oder Gehilfin der Physik? Auch die von vielen Physikern
angezweifelte Irreversibilität der Zeit hat uns schon früher beschäftigt. Dass
sogar prominente Physiker Bauchschmerzen haben, wenn sie über die Situation der
Physik nachdenken, ist bekannt. Das zeigt auch das neue Buch von Lee Smolin (*1955) mit dem Titel ‚Im Universum der
Zeit‘.
Smolin geht mit seinen ketzerischen Gedanken über die moderne Physik schon
lange schwanger. Rein zufällig stieß ich auf ein Interview in der ZEIT von 2005, in dem er
einige der Fragen des neuen Buches bereits anklingen ließ. Man kann daher
sagen, es handelt sich hier nicht nur um Momenteinfälle.
Ausgewählte
Zitate
Anstatt
einer Inhaltsangabe des Buches stelle ich eine Sammlung von Zitaten an den
Anfang. Da ich die E-Book-Version in teils vergrößerter Schrift las, kann ich
keine Seitenzahlen angeben. Die Zitate sind so gewählt, dass sie auch ohne
Zusammenhang verständlich sind. Ich habe hin und wieder eine Ergänzung des
Zitats in Klammern gesetzt. Ich habe versucht, alle Zitate thematisch
zu gliedern, obwohl sie teilweise sehr generell sind.
(A) Über die Zeit
- Nichts was wir kennen und erleben, kommt dem Herzen der Natur näher als die Wirklichkeit der Zeit. Die Physik muss das Erleben des Jetzt erklären. Es ist ein Augenblick im Fluss von Augenblicken.
- Es ist das Wesen des Universums, wie es sich von Augenblick zu Augenblick entfaltet. Wir möchten glauben, dass das Wahre das ist, was die Zeit übersteigt. [Zumindest glaubte Platon dies]
- Die Zukunft kann Phänomene generieren, die neu sind, die kein Wissen über die Vergangenheit vorhersehen kann. [Eine sehr tiefe und zum Nachdenken anregende Einsicht]
- Die Mathematik ist reversibel, die Thermodynamik nicht. Wo Zeit reversibel ist, ist sie irrelevant. Nur die Dinge, die in der Vergangenheit wirklich waren, wirken auf die Zukunft.
- Wir denken in der Zeit, wenn wir Technik betreiben und dabei annehmen, dass es Dinge gibt, die unsere Vorfahren [selbst Platon und Kant] nicht wissen konnten.
- Nur weil Zeit real ist, gibt es den Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wenn Zeit nicht real ist, sind die Naturgesetze zwar ewig, aber unerklärbar. Ohne dass etwas geschieht, gibt es keine Zeit. Zeit ist relational.
- Einige Physiker schlugen vor, Zeit als emergente Eigenschaft anzusehen wie Temperatur. [Sie ist nicht mikroskopisch, sondern nur makroskopisch zu erklären]
- Wir benötigen eine bevorzugte globale Zeit, um die Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft zu definieren. Die Bestimmung der Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse impliziert eine globale Zeit. [Zu fordern, dass Zeit real ist, muss m.E. nicht auch bedingen, dass Zeit global ist]
- Ein irreversibler Zeitpfeil ist überall sichtbar. Das Licht zeigt nur die Vergangenheit. Schwarze Löcher entstanden erst lange nach dem Urknall. Wieso kann ein Universum zeitasymmetrisch sein, wenn die Naturgesetze symmetrisch sind?
- Wenn alles am selben Ort ist, gibt es das Problem der Synchronisation von Uhren nicht. Die Zeit wäre absolut. Der Raum mag eine Illusion sein, aber die Zeit ist wirklich.
(B) Über Determinismus und Naturgesetze
- Der Glaube an eine Weltformel, mit deren Hilfe die Zukunft sich berechnen lässt, ist Mystizismus. [Dennoch suchen viele Physiker nach ihr]
- In Newtons Naturmodell haben Teilchen unveränderliche Eigenschaften. Ist Newtons Paradigma die Grundlage des Weltbilds, dann wird durch vollständige Angabe aller Anfangsbedingungen jedes Geschehen zeitlos.
- Schon Dirac meinte, die Naturgesetze änderten sich über die Zeit. Feynman sah in der Physik die einzige Wissenschaft, die keine Evolution zulässt. [Beide Meinungen haben keine Wirkung hinterlassen]
- Die Naturgesetze warten nicht außerhalb des Universums, sondern entstehen aus dem Innern des Universums heraus.
- Zu bestimmen welche Spermien welche Eier befruchten hat zu viele Freiheitsgrade, um es vorhersagen zu können. Wir müssen zum Urknall zurück, um alle Einflüsse zu finden [Das ist das beste Argument gegen Determinismus, das ich kenne. Es stammt aus der Biologie, nicht aus der Physik]
- Die [meisten] Eigenschaften von Teilchen ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Teilchen, auch deren Masse (Higgs). Es macht keinen Sinn, sie einzelnen Teilchen zuzuschreiben. Fest, flüssig und gasförmig sind emergente Eigenschaften. Sie gelten nur statistisch.
(C) Über Mathematik in der Physik
- Die Beziehung zwischen Wirklichkeit und Mathematik ist weit davon entfernt offensichtlich zu sein.
- Mathematik existiert in einem platonischem Reich ohne Zeit, nicht in der Realität. Sie ist wie Religion. Zeitabhängige Menschen konnten die zeitlose Mathematik entdecken. [Sie haben auch die Religionen entdeckt. Zu sagen, beide seien erfunden, wäre eine sehr abfällige Bewertung]
- Es ist ein Traum, dass das Universum durch zeitlose Mathematik erklärt werden kann. Alle Bewegungen haben Ursprung oder Anfang.
- Mathematische Darstellungen sind immer zeitlos [Wenn damit gemeint ist, was andere Autoren mit "deklarativ" bezeichnen, ist das eine sehr enge Auffassung von Mathematik]. Man darf nicht die Darstellung oder Beschreibung mit der Wirklichkeit verwechseln. [Das ist die schwächere Form der Kritik. Eine stärkere kommt im nächsten Zitat].
- Nur Mystiker glauben, dass Mathematik [gemeint ist die mathematische Beschreibung] realer ist als die Wirklichkeit. Pragmatiker halten die Mathematik für ein manchmal gutes, manchmal weniger gutes Werkzeug zur Beschreibung der Wirklichkeit. [So habe ich es auch stets gesehen]
- Was haucht den mathematischen Formeln der Physik Leben ein? Nichts, sie bleiben tot. Wheeler klatschte in die Hände, nachdem er seine Formeln an die Tafel geschrieben hatte [Hätte er bei Computer-Programmen nicht nötig gehabt. Auch ein Komponist stellt die Zeit explizit dar. Für die Ausführung gibt es nur wenige Freiheitsgrade]
(D) Über die Relativitätstheorie
- Das Blockuniversum der Speziellen Relativitätstheorie kennt keinen Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die gesamte Geschichte der Welt wird als eine Einheit gesehen. [Die Zeit kann daher wie Raum behandelt werden, in dem man sich vorwärts und rückwärts bewegen kann]
- In der Allgemeinen Relativitätstheorie ist Zeit ‚vielfingerisch‘. Uhren können an verschiedenen Orten unterschiedlich schnell laufen
- Nach Einstein ist Fallen der Normalzustand. Stühle drücken uns nach oben. Eine Uhr im freien Fall tickt am häufigsten.
- Wir können nur relative Zeitpunkte messen, keine absoluten. [Das gilt auch für die Zeitdauer, so wie für Strecken oder Längen]
(E) Über die Kosmologie
- Wir können kein System aus dem Universum entfernen, um es zu untersuchen. Das Universum gibt es nur einmal. [Es sei denn, man hängt den vielen Multiversen-Theorien an]. Wir können nicht heraustreten, um es zu messen.
- Ein Gesetz, das im Universum gilt, hat unendlich viele Anfangsbedingungen und Lösungen. An sich brauchen wir keine Gesetze, sondern nur eine Erklärung, was im Universum passierte. [Die hier gemeinten Naturgesetze erklären nur, was wiederholt geschieht. Das Warum erklären sie ohnehin nicht]
- Die Nicht-Gaußheit der Hintergrund-Strahlung wurde zeitweise vermutet. Sie ist aber nicht sicher belegt.
- Alle Theorien verkürzen die Natur. Sie lassen Freiheitsgrade weg. [Andere Autoren sprechen hier von Abstraktion]
- Unser Weltall ist voller Mehrkörperprobleme. Man kann sie durch Simulation angehen. Diese sind aber sehr instabil. [Geschlossene Lösungen gibt es meistens nicht, zumindest haben wir sie nicht gefunden]
- Experimente sind zurzeit ab der Länge 10 hoch -17 cm möglich. Darunter erfordern sie höhere Energie als zurzeit verfügbar. Wegen der Gleichheit von Energie und Masse verstecken sich Teilchen höherer Masse hinter dieser Grenze.
- Unser Universum hat 10 hoch 20 Schwarze Löcher. In Schwarzen Löchern entstehen laufend neue Universen. Diese werden selektiert. Es überlebt, wer die meisten Schwarzen Löcher hat. [Das ist die evolutionäre Form der Kosmologie]
- Das Leibniz-Prinzip: Es gibt keine unerwiderten Einwirkungen. Das Vorhandensein von Materie beeinflusst daher Uhren.
- Es muss Ereignisse im Urknall gegeben haben, die unsere Naturgesetze auswählten.
- Die [kosmologische] Theorie muss erklären, warum es diese Naturgesetze und warum es diese Anfangsbedingungen gibt. Es dürfen aber keine Erklärungen von außerhalb des Universums erforderlich werden.
(F) Über die Quantentheorie und andere
Theorien
- Die Quantentheorie ist problematisch, da sie nicht erklärt, was geschieht, wenn ein Elektron von einem Energiezustand zum anderem wechselt, und was beim Messen geschieht. Verschränkung und Nicht-Lokalität treten nur für bestimmte Eigenschaften auf.
- Es geschieht etwas, wenn ein Atom von Energie-Niveau zu Energie-Niveau springt (meinte Einstein). Wir können die Position von Teilchen nicht angeben, weil wir die Anfangsposition nicht kennen (sagte de Broglie). Das Teilchen muss die Welle beeinflussen und umgekehrt (Reziprozität).
- Lässt sich die Quantentheorie auf das Universum als Ganzes anwenden? [Auf diese Frage kommt man, wenn man glaubt, dass in der Physik etwas nur dann gilt, wenn es überall gilt. Ob dieses Prinzip wirklich sinnvoll ist, wage ich zu bezweifeln]
- Pierce: Die Natur verhält sich Präzedenzfällen entsprechend. Das Verhalten von neuen Systemen kann nicht vorhergesagt werden.
- Eine Theorie namens Formdynamik: Formen ändern sich in der Relativitätstheorie nicht, nur Längen und Zeiten. Man nimmt anstatt eines Raumes ein Netz an, das alles verbindet, analog zum Internet. Wir erleben ein Gefühl von Raum, weil die Mehrzahl der Verbindungen ausgeschaltet ist. Man spricht auch von ‚kausaler dynamischer Triangulation‘. Die Teilchen bewegen sich entlang Knoten eines Gitters, vom Hintergrund unabhängig. Statt eines Urknalls gibt es den Urfrost (Geometrigenese). Alle Verbindungen, die nur anfangs aktiv waren, fallen dann aus. [Dass das Internet nicht nur in den Kosmos hinausragen würde, sondern sogar die Kosmologie, also unser Denken über den Kosmos, beeinflussen würde, das hatten Vinton Cerf, Bob Kahn und Lenard Kleinrock wirklich nicht erwartet]
- Um Komplexität zu entwickeln, wird Zeit benötigt (Dawking). Der Zufall bringt keine Strukturen hervor, die Milliarden Jahre überdauern.
- Im Leibniz-Universum sind keine Zeitpunkte gleich. Im Boltzmann-Universum sind alle Zeitpunkte gleich.
- Die Sterne bestehen aufgrund einer Feineinstellung der vier Naturkräfte.
- Gibt es ein Gesetz, das die Entwicklung von Naturgesetzen bestimmt? [Vermutlich nicht]
Allgemeiner
Kommentar
Ich
fand das Buch sehr anregend, aber etwas schwer zu verdauen. Es sei nicht für
Fachleute, sondern für interessierte Laien geschrieben. Es vermeidet jede Art
von Formeln. Mir hätten ein paar Beispiele geholfen zu verstehen, was Smolin
noch zur Mathematik rechnet und was nicht. Offensichtlich meint er nur
geschlossene Formeln, aber keine iterativen Algorithmen. Es werden eine ganze
Menge an Fragen gestellt, oft ohne sie zu beantworten. Manchmal gibt es eine
Vielzahl von Antworten, je nachdem welcher, teils spekulativen Theorie der
Autor anhängt. Wie einleitend bemerkt, reflektiert dies den derzeitigen ̶
durchaus bedauernswerten ̶ Zustand der Physik. Ob wir heute einer
Besserung näher sind als vor zehn Jahren, kann ich nicht beurteilen.
Hans
Diel, der das Buch am 24.7.2014 zu Ende gelesen hatte, schrieb folgenden
Kommentar:
Mein
Urteil über das Buch von Smolin hat sich beim Lesen mehrmals gewandelt. Der
Prolog und die Einführung haben mir sehr gut gefallen.
Von
Teil 1 ("Die Austreibung der Zeit") war ich enttäuscht. Dort sollte
beschrieben werden, wie der Zeitbegriff und die Rolle der Zeit in der Physik
nach und nach so sehr relativiert wurde, dass zum Schluss auch
"zeitlose" Theorien und Interpretationen propagiert wurden. Beim
Beschreiben dieser Theorien wurde von Smolin leider nicht auf deren Schwachstellen
hingewiesen, so dass man manchmal den Eindruck haben konnte Smolin würde diese
Theorien komplett unterstützen.
Dies
wurde im Teil 2 ("Die Wiedergeburt der Zeit") gerade gerückt. Dazu
wurden jedoch nicht die Schwächen der alten Theorien konkret und explizit
analysiert, sondern es wurden Gegenentwürfe und Theorien präsentiert die oft
sehr spekulativ und umstritten sind. Gegen
Ende des Buches (Kapitel 19 "Die Zukunft der Zeit" ) wurde mein
Urteil wieder positiver weil dort eine Art Zusammenfassung gegeben wird, mit
dem Eingeständnis "Jeder dieser
Ansätze ist spekulativ, aber mehrere machen auch wirklich überprüfbare
Vorhersagen für praktikable Experimente."
Meine
Beurteilung ist natürlich sehr subjektiv. Gefallen hat mir alles, was auch mit
meinen eigenen Ansichten, Vermutungen und Kritikpunkten zusammenpasst (unzureichende
Rolle der Zeit in der Physik, Überbetonung der Mathematik in der Physik).
Missfallen hat mir alles, was zu spekulativ war (auch wenn es für mich
interessant und lehrreich war, mehr über einige dieser neuen spekulativen
Theorien zu erfahren). Zum sachlichen Inhalt des Buches möchte ich nur die drei
Themen kommentieren mit denen ich mich auch selbst beschäftigt habe.
Zur Rolle der Zeit in der Physik
Smolin
beklagt am Anfang des Buches, dass die Zeit nach und nach aus der Physik
eliminiert wurde. Dazu verweist er (1) auf einige isolierte Theorien (z.B.
Barbour) und (2) auf Äußerungen von Philosophen und philosophische Äußerungen
von Physikern zum Problem Zeit.
Er verweist
noch auf weitere Themen (Relativität der Gleichzeitigkeit in der
Relativitätstheorie, das (Nicht-)Vorhandensein eines Zeitpfeils), die meiner
Meinung nach die Rolle der Zeit zwar abschwächen, aber nicht eliminieren. Es
zeigt sich, dass Smolins Beweggründe für seine Kritik und seine Vorschläge für
Gegenentwürfe sehr stark von seinen Arbeiten zur Kosmologie getrieben sind. Mir
sind die neueren Theorien zur Kosmologie (einschließlich) Smolins Theorien noch
zu spekulativ. Dass Smolin das anders sieht, ist verständlich. Ich bin sicher,
dass Smolin das besser einordnen kann als ich. Trotzdem, meine ich, dass man
viele von Smolins Kritikpunkten und Ideen auch ohne Bezug zur Kosmologie
bringen könnte und sollte.
Zur Rolle der Mathematik in der Physik
Smolin
kritisiert nicht die Mathematik (wie könnte er auch) sondern die Bedeutung, die
der Mathematik von den Physikern beigemessen wird: In Kapitel 19 "Zukunft
der Zeit" schreibt er: "Logik und Mathematik erfassen zwar Aspekte
der Natur, aber nie die ganze Natur. Es gibt Aspekte des wirklichen Universums,
die in der Mathematik nie repräsentiert werden können". Wenn man "nie
repräsentiert werden können" ersetzt durch "derzeit nicht
repräsentiert sind" fallen mir dazu drei Beispiele ein, die alle auch etwas
mit der Zeit zu tun haben:
(1) Die
Zeitsymmetrie der Gesetze der Physik: Die Physiker sind sich anscheinend einig,
dass die Gesetze der Physik zeitsymmetrisch sind (bis auf wenige Ausnahmen).
Ich behaupte, dass diese Zeitsymmetrie nur im mathematischen Sinne gegeben
ist (bei entsprechender mathematischen Definition). Die Zeitsymmetrie
verschwindet, wenn man die Anwendung der Gesetze der Physik (z.B. zur
Beschreibung der Entwicklung des Universums) betrachtet.
(2) Das
"Blockuniversum" der Relativitätstheorie. Smolin versteht unter dem
Blockuniversum das vier-dimensionale Raumzeitkontinuum, welches durch die
Relativitätstheorie begründet wurde. Smolin sieht das Blockuniversum als einen
weiteren Schritt in Richtung Eliminierung der Zeit. Auch hier meine ich, dass
dieser vier-dimensionale Raum mathematisch Sinn macht für gewisse Berechnungen,
dass jedoch in unserem real existierenden Universum immer nur das jeweilige
Jetzt existiert. (Deswegen sind auch Zeitreisen nicht möglich).
(3) Die
korrekte Beschreibung von physikalischen Prozessen. Ein bekannter Physiker hat
mich belehrt, dass in der Physik Prozesse immer durch Differentialgleichungen
beschreibbar sein müssen. Ich halte dies für eine Einengung (auf bewährte
Mathematik) die außerhalb der Physik kaum verständlich ist.
Zur Entropie
Im
Kapitel 16 beschreibt Smolin kurz aber trotzdem sehr gut das Wesen der Entropie
(mit Mikrozuständen und Makrozuständen). Er beschreibt aber auch, dass durch
die Gravitation verursachte Entwicklungen (z.B. Sternenbildung) höhere Komplexität
(z.B. Leben) entstehen kann. Ob man dies als Abweichung vom Entropiegesetz (d.h.
zweiter Hauptsatz) betrachten muss, lässt Smolin offen. Mir ist dies
sympathischer als die Verrenkungen mancher Physiker die auch
Gravitationseffekte mit zunehmender Entropie zu erklären versuchen.
Lee Smolin: Auf dem Weg zu einem neuen Verständnis des Kosmos [Untertitel des Buches]
Am 27.8.2014 schrieb
Peter Hiemann aus Grasse:
Lee Smolin: Auf dem Weg zu einem neuen Verständnis des Kosmos [Untertitel des Buches]
Lee Smolin gilt als einer
der renommiertesten Physiker der Gegenwart. Smolin hat in einem Buch dargelegt,
dass seines Erachtens die Zeit gekommen ist, dass sich die Physiker um einen
neuen Ansatz der theoretischen Physik bemühen. Das Buch beginnt mit
einem vielversprechenden Prolog, in dem Smolin folgende Zielsetzungen seiner
Bemühungen darlegt:
- Physikalische Gesetze
müssen durch historische evolutionäre Veränderungen des Kosmos erklärt werden.
- Physikalische Gesetze
spielen für die Physik eine ähnliche Rolle wie Gene in der Biologie.
- Erkenntnisse der
Physik, der Biologie und der Informatik erfordern die Behandlung von Entitäten
in netzwerkartigen Verknüpfungen.
- Eine Neuorientierung
der theoretischen Physik ist vergleichbar mit der Darwins Neuorientierung der
Biologie
- Eine Neuorientierung
der Physik erfordert zusätzlich zu statistischen Methoden einen prozessorientierten
Ansatz
- Eine Neuorientierung
der Physik berücksichtigt (erlaubt) emergente Phänomene.
Smolins Vorgehensweise lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Zusätzlich zum Newtonschen Paradigma einer „beobachtenden Physik“ mit dominanten mathematischen Erklärungen physikalischer Phänomene versucht er, Ansätze hin zu einer „seienden Physik“ mit empirischen Erklärungen der Quantenphysik und Relativitätstheorie zu beschreiben. Smolin betont bei allen Überlegungen hinsichtlich eines neuen Ansatzes der theoretischen Physik, dass die existierenden physikalischen Gesetze nur für sogenannte „isolierte Systeme“ gelten. Smolin postuliert jedoch, dass in der Natur kein System existiert, das „vom Einfluss des übrigen Universums isoliert ist“. Smolin diskutiert mögliche Ansätze einer neuen „universalen“ Theorie, in deren Rahmen heute von Physikern benutzte Gesetze für „isolierte“ Systeme (Subsysteme) ihre Gültigkeit mehr oder weniger behalten. Heute benutzte physikalische Theorien interpretiert Smolin als Näherungen einer neuen physikalischen Theorie, in der die Zeit (verschiedenste Zeitpfeile) im Gegensatz zu den existierenden Theorien eine entscheidende Rolle spielt.
Smolins Vorgehensweise lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Zusätzlich zum Newtonschen Paradigma einer „beobachtenden Physik“ mit dominanten mathematischen Erklärungen physikalischer Phänomene versucht er, Ansätze hin zu einer „seienden Physik“ mit empirischen Erklärungen der Quantenphysik und Relativitätstheorie zu beschreiben. Smolin betont bei allen Überlegungen hinsichtlich eines neuen Ansatzes der theoretischen Physik, dass die existierenden physikalischen Gesetze nur für sogenannte „isolierte Systeme“ gelten. Smolin postuliert jedoch, dass in der Natur kein System existiert, das „vom Einfluss des übrigen Universums isoliert ist“. Smolin diskutiert mögliche Ansätze einer neuen „universalen“ Theorie, in deren Rahmen heute von Physikern benutzte Gesetze für „isolierte“ Systeme (Subsysteme) ihre Gültigkeit mehr oder weniger behalten. Heute benutzte physikalische Theorien interpretiert Smolin als Näherungen einer neuen physikalischen Theorie, in der die Zeit (verschiedenste Zeitpfeile) im Gegensatz zu den existierenden Theorien eine entscheidende Rolle spielt.
Smolin benutzt eine
historische Sicht physikalischer Erkenntnisgewinne. Für seine neuen Sichtweisen
beruft er sich unter anderen auch auf Louis de Broglie und David Bohm. Smolin bemüht sich ins
besondere auch, physikalisch unbefriedigende Aussagen der Quantentheorie durch
neue Ansätze aus der Welt zu schaffen, wobei er gleichzeitig berücksichtigt, dass
seine Ansätze mit Aussagen der Relativitätstheorie „verträglich“ sind.
Wer Smolins
Hauptgedankengang nachvollziehen möchte, findet im letzten Kapitel „Die Zukunft
der Zeit“ die wichtigsten Gedankengänge, denen er in seinem Buch nachgegangen
ist. Zitat: „In der Wissenschaft gibt es keine Gewissheiten. Angesichts der
Ungewissheit können wir jedoch versuchen, wohlüberlegte Argumente für
unterschiedliche Hypothesen zu konstruieren. Genau das habe ich hier getan“. Einige seiner
„wohlüberlegten Argumente“ für einen neuen Ansatz der theoretischen Physik sind
hier zusammengefasst und kommentiert.
Smolin ist überzeugt,
dass das von ihm so genannte „Newtonsche Paradigma“ überwunden werden muss.
Damit will er sagen, dass es nicht ausreicht, mathematische Berechnungen
anzustellen, um experimentelle Ergebnisse grundlegend zu erklären. Mathematik
ist lediglich eine leistungsfähige und wichtige Methode der Wissenschaft, eine
Sprache der Wissenschaft. Zitat: „Die letztendlich beherrschende Sprache der Wissenschaft
ist die natürliche Sprache.“
Weniger überzeugend
argumentiert Smolin, wenn er vermutet, dass ein „Metagesetz“ existieren könnte,
das „die Entwicklung von Gesetzen regiert“. Er erwartet von weitergehenden Arbeiten zur Quantentheorie der Gravitation,
wie zum Beispiel Arbeiten zur Loop-Quantengravitation oder der Stringtheorie,
ein „tieferes Verständnis“ seiner Vermutung. Parallel setzt Smolin auf
astrophysikalische Arbeiten, die sich der Hypothese einer möglichen
„kosmologischen natürlichen Selektion“ widmen.
Smolin widmet sich im
Kapitel „Quantenmechanik und die Befreiung des Atoms“ einem Prinzip, das er
„Prinzip der Präzedenz“ nennt. In diesem Kapitel wird deutlich, welch starke
Bedeutung Smolin philosophischen Argumenten zubilligt. Zitat: „Dieses Prinzip
würde bei echten neuen Fällen entscheidend werden. Denn wenn sich die Natur
wirklich nach einem Präzedenzprinzip und nicht nach zeitlosen Gesetzen verhält,
gäbe es in einer Situation, in der es keine Präzendenzfälle gibt, auch keine
Vorhersage darüber, wie sich ein System verhalten könnte.“ Smolin sieht in dem
angelsächsischen Gewohnheitsrecht ein Analogon zu seinem Präzedenzprinzip und
postuliert: „Alle Dinge neigen dazu, Gewohnheiten anzunehmen“. Das gilt für
Smolin auch für „Atome und ihre Teile, Moleküle und Molekülgruppen“. Smolin
glaubt, dass Physiker mittels des Präzendenzprinzips dem „Würgegriff des
Determinismus“ entkommen können.
Kommentar: Biologen
würden bei einen vergleichbaren Sachverhalt (echter neuer Fall) von einer
Mutation eines existierenden biologischen Moleküls (DNA), bzw. von einer
genetischen Veränderung sprechen. Das Ereignis einer natürlichen biologischen
Mutationen ist nicht vorhersagbar. Die biologischen Konsequenzen einer
genetischen Veränderung können mit molekularbiologischen Methoden analysiert
werden. Biologen, Neurobiologen und Mediziner versuchen, echte neue Fälle
mittels moderner evolutionstheoretischer Methoden zu erklären.
Im selben Kapitel findet der Leser Smolins Überlegungen hinsichtlich der Phänomene Nichtlokalität und Verschränktheit quantenphysikalischer Ereignisse und dem leidigen Messproblem der Quantentheorie. Smolin stellt sich dabei auch der Frage, „wie viel Freiheit ein Quantensystem aufweisen kann“. Im Kapitel „Prinzipien für eine neue Kosmologie“ beruft sich Smolins ebenfalls auf philosophische Prinzipien, um die für ihn wichtigsten Fragen der Kosmologie zu diskutieren, die eine neue Theorie der Physik beantworten soll:
Im selben Kapitel findet der Leser Smolins Überlegungen hinsichtlich der Phänomene Nichtlokalität und Verschränktheit quantenphysikalischer Ereignisse und dem leidigen Messproblem der Quantentheorie. Smolin stellt sich dabei auch der Frage, „wie viel Freiheit ein Quantensystem aufweisen kann“. Im Kapitel „Prinzipien für eine neue Kosmologie“ beruft sich Smolins ebenfalls auf philosophische Prinzipien, um die für ihn wichtigsten Fragen der Kosmologie zu diskutieren, die eine neue Theorie der Physik beantworten soll:
- Warum wurden die
existierenden Gesetze ausgewählt, mit den unwahrscheinlichen fundamentalen
Konstanten, die im Standardmodell definiert sind?
- Warum erforderte unser
Universum Anfangsbedingungen, die unserem Universum ganz ungewöhnliche
Eigenschaften vermitteln, im Vergleich zu allen möglichen Universen, in denen
gleiche Gesetze gelten?
- Wird die Zeit im
Unterschied zu allen Theorien seit Newton eine wesentliche Rolle spielen?
Smolin beruft sich in
seinen Überlegungen dazu auf den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz
und den Mathematiker, Philosoph und Logiker Charles Sanders Peirce. Von Leibniz übernimmt er
das „Prinzip des zureichenden Grundes“ und das „Prinzip keiner unerwiderten
Einwirkungen“. Leibniz postuliert, dass „es auf jede vernünftige Frage eine
Antwort geben sollte“ und dass „es nichts geben sollte, das auf andere Dinge
wirkt, ohne das es selbst Gegenstand von Einwirkungen ist“. Von Peirce
übernimmt Smolin die Arbeitshypothese „ Ein Gesetz ist schlechthin das, was
einen Grund benötigt. Die einzige Möglichkeit, die Naturgesetze und Gleichförmigkeiten im Allgemeinen zu
erklären, besteht darin, sie als Ergebnis der Evolution zu erklären“.
Smolin kommt auf Grund
dieser Prinzipien zu zwei überraschenden Schlussfolgerungen. Danach kann es
„keine fundamentalen Symmetrien in der Natur geben“. Er erwartet, dass eine neue Theorie
Vorhersagen ermöglichen wird, dass Naturgesetze sich vor dem Urknall unseres
Universums entwickeln konnten. Im Folgekapitel „Die Evolution von Gesetzen“
diskutiert Smolin zum Teil Vorstellungen, die sich aus einer neuen kosmologischen
Theorie ergeben könnten:
- keine Notwendigkeit des
anthropischen Prinzips
- Erzeugung neuer
Universen innerhalb von schwarzen Löchern (schwarzes Loch als
Reproduktionsmechanismus)
- Analogie zwischen
Veränderungen physikalischer Parameter und biologischer Variation und Selektion
- Analogie zwischen
Konstanten des Standardmodells und Genen der Biologie
- Fitness eines
Universums wird ein Maß dafür sein, wie viele schwarze Löcher es hervorbringt
- die kosmologische
Evolution wird „fruchtbare“ Regionen innerhalb eines Universums hervorbringen
- die kosmologische
natürliche Selektion wird eine neue Vorstellung der Inflationstheorie bewirken
- die Vorstellung von
„Populationen von Universen“ bewirkt eine neue Vorstellung von physikalischer
Gleichzeitigkeit
Kommentar: Smolins
Vorstellungen kosmologischer Evolution sind äußerst fragwürdig. Die
vorgestellten Analogien möglicher physikalischer Phänomenen mit biologischen
Phänomenen entsprechen nicht komplexen Vorstellungen moderner
Evolutionstheorie.
In dem Kapitel „Die
Wiedergeburt der Zeit aus Wärme und Licht“ äußert sich Smolin auch zu dem
Phänomen „Selbstorganisation“, das zum Thema evolutionäre Entwicklung gehört. Smolin betrachtet Selbstorganisation
als Tendenz, dass sich extern angetriebene Systeme selbstständig spontan
verändern können. Biologen betrachten Selbstorganisation als permanenten
autopoietischen [sich selbst (bezogen auf ein System) herstellend, erzeugend,
erhaltend] Prozess. Das Phänomen selbst ist heute noch nicht verstanden, wird
aber an äußerst komplexen biologischen und neurobiologischen Systemen mit
äußerst komplexen netzwerkartigen Verknüpfungen beobachtet und erforscht.
Das Thema physikalische
Netzwerke in einer neuen kosmologischen Theorie diskutiert Smolin im Kapitel „Die Entstehung des
Raumes“. Smolin schlägt eine neue Vorstellung von physikalischen Raum vor. Raum
„isolierter“ Systeme betrachtet er als „illusionäre“ Vorstellung wie
Temperatur und Druck eines in einem Behälter eingeschlossenen Gases. So wie in der Thermodynamik
Temperatur und Druck sich letztlich „auflösen“ in Bewegungen von Atomen oder Molekülen, könnte eine neue kosmologische Theorie eine
fundamentale Quantenstruktur postulieren, die keinen Raum zu ihrer Definition
benötigt.
Das Kapitel bietet eine
Menge Gelegenheiten, sich mit physikalischen Begriffen und Hypothesen
auseinanderzusetzen, die für physikalische Laien wohl immer unverständlich
bleiben dürften:
- Quantum Gravity
- Loop-Quantengravitation
- Quantenzustand der Geometrie des Raumes
- Atome des Raumes auf der Planckskala
- Geometrogenese (Emergenz des Raumes,
Alternative zur Inflationshypothese)
Immerhin stellt Smolin in
dem Kapitel die für einen physikalischen Laien sehr berechtigte Frage: „Warum
sieht die wirkliche Welt wie ein dreidimensionaler Raum aus und nicht wie ein
miteinander hoch verbundenes Netzwerk?“ Smolin schlägt vor, sich
die Raumvorstellungen einer neuen kosmologischen Theorie wie ein Netzwerk von
Mobiltelefonnutzern vorzustellen.
Kommentar: Bei einem
Netzwerk von Mobiltelefon-Nutzern
kommt es darauf an sich vorzustellen, welche Benutzer Zugang zum Netz
haben (statische Sicht auf die Struktur des Netzes) und welche Benutzer zu
einem gegebenen Zeitpunkt miteinander kommunizieren (dynamische Sicht auf sich
laufend ändernde aktive Verbindungen in einem Netz). Molekularbiologen und
Neurobiologen berücksichtigen beide Sichtweisen, indem sie zwischen Anatomie
von und interaktiven Prozessen zwischen biologischen Elementen unterscheiden.
Bei Smolins Arbeitshypothesen werden die beteiligten kommunizierenden Elemente
nicht ersichtlich. Nach Smolins Vorstellungen einer neuen kosmologischen
Theorie „gibt es keine „elementaren“ Teilchen mehr; alles was sich wie ein
Teilchen verhält, ist bis zu einem gewissen Grad eine „emergente Konsequenz“
[sic!] eines Netzwerks von Wechselwirkungen“. Alles klar?
Smolin bezeichnet eine
Eigenschaft von etwas, das aus Teilen besteht, als emergent, wenn es keinen Sinn machen würde, die
Eigenschaft einem der Teile zuzuordnen. In der Systemtheorie bedeutet Emergenz
(vom lateinischen emergere für „das Auftauchen“), die spontane Herausbildung
von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des
Zusammenspiels seiner Elemente. Emergente Phänomene sind Teil der biologischen
Evolution, nicht vorhersehbar und nicht berechenbar.
Das Kapitel „Leben und Tod des Universums“ scheint das wichtigste zum Verständnis von Smolins Bemühungen zu sein. Er diskutiert mögliche Antworten auf die Frage: Warum ist das Universum lebensfreundlich? Er stellt anfangs des Kapitels fest, dass die gegenwärtigen physikalischen Theorien, in denen Zeit unwesentlich ist, Smolin bezeichnet deshalb die Zeit als „emergent“(?), die „gerichtete“ Herausbildung komplexer Strukturen höchst unwahrscheinlich macht. Nach Smolin beobachten wir aber nicht nur komplexe Strukturen auf vielen Größenskalen (Galaxiencluster bis hin zu biologischen Molekülen), wir wissen auch, dass sie relativ stabil sind und wachsen können. Smolin postuliert: „Die Komplexität, die wir um uns herum sehen, würde mit der Zeit höchstwahrscheinlich abnehmen, anstatt zunehmen, wenn sie ein Werk des Zufalls wäre.“ Danach entwickelt Smolin seine Vorstellungen für eine neue „evolutionäre“ Theorie kosmologischer Entwicklungen:
Das Kapitel „Leben und Tod des Universums“ scheint das wichtigste zum Verständnis von Smolins Bemühungen zu sein. Er diskutiert mögliche Antworten auf die Frage: Warum ist das Universum lebensfreundlich? Er stellt anfangs des Kapitels fest, dass die gegenwärtigen physikalischen Theorien, in denen Zeit unwesentlich ist, Smolin bezeichnet deshalb die Zeit als „emergent“(?), die „gerichtete“ Herausbildung komplexer Strukturen höchst unwahrscheinlich macht. Nach Smolin beobachten wir aber nicht nur komplexe Strukturen auf vielen Größenskalen (Galaxiencluster bis hin zu biologischen Molekülen), wir wissen auch, dass sie relativ stabil sind und wachsen können. Smolin postuliert: „Die Komplexität, die wir um uns herum sehen, würde mit der Zeit höchstwahrscheinlich abnehmen, anstatt zunehmen, wenn sie ein Werk des Zufalls wäre.“ Danach entwickelt Smolin seine Vorstellungen für eine neue „evolutionäre“ Theorie kosmologischer Entwicklungen:
- Aristoteles und dessen
Nachfolger, die annehmen, das Universum befinde sich in einem
Gleichgewichtszustand, liegen falsch.
- Die moderne
Thermodynamik unterscheidet zwischen Mikro- und Makrozuständen eines Systems
- Entropie ist das Maß
für die Anzahl der Möglichkeiten, ein funktionierendes System aus seinen
Einzelteilen zusammenzusetzen
- Entropie ist eine
emergente Eigenschaft der Makroebene eines Systems
- Eine Katze ist eine
äusserst unwahrscheinliche Möglichkeit der Anordnung von Atomen. Eine Katze
besitzt geringe Entropie, aber einen hohen Informationsgehalt
- Es gibt Fluktuationen
innerhalb Systeme, bei denen die Entropie eines Systems sich reduziert. Sie
sind nicht wahrscheinlich (man muss lange warten).
- Es gibt viele
Zeitpfeile: kosmologischer, thermodynamischer, biologischer, elektromagnetischer
(des Lichts), der Gravitationswellen
- Sterne halten durch
Ausströmen heißer Photonen in den kalten Raum das Universum fern vom
Gleichgewichtszustand
- Das beobachtbare
Universum erfordert zeitasymmetrische Anfangsbedingungen
- Eine zeitasymmetrische
kosmologische Theorie ist weitaus natürlicher, wenn die Zeit fundamental (nicht
relativ) ist.
- Thermodynamik ist nicht
auf das Universum als Ganzes anwendbar
- Die Vorstellung
Boltzmanns, dass die Entropie des existierenden Sonnensystems (entstanden
aufgrund einer großen Fluktuation) ständig zunimmt, ist falsch.
- Es ist viel
wahrscheinlicher, dass wir mit mit einem heißen Fleck am Himmel leben, anstatt
mit Sonne, Planeten, Kometen und allem Drum und Dran.
Kommentar: Smolin scheint
zu übersehen, dass zufällige Ereignisse (z.B. Mutationen, Rekombinationen)
nicht gerichteter evolutionärer Entwicklungen eine wesentliche Rolle bei der
Bildung komplexer Strukturen spielen, die für eine gewisse Zeitperiode relativ
stabil sein können oder nur relativ kurzfristig existieren.
Smolin ist übrigens
überzeugt, dass wir nicht in einem „Boltzmann Universum“ sondern in einem
„Leibniz Universum“ leben. Nach Smolin reicht das einfache Leibniz'sche Prinzip
„Identität des Ununterscheidbaren“ aus, das Universum als Ganzes zu formen;
weil sich aus dem Prinzip die simple
Forderung ergibt, dass das Universum keine zwei identische Gegenstände
enthalten kann. Smolins Vorstellungen von
einem Leibniz Universum finden sich im Kapitel „Die Wiedergeburt der Zeit aus
Wärme und Licht“. Ein paar seiner Gedanken seien hervorgehoben:
- Systeme befinden sich nicht im
Gleichgewichtszustand, sondern in einem dynamischen Fließgleichgewicht
- Das Prinzip der
angetriebenen Selbstorganisation gewährleistet ein facettenreiches komplexes
Universum
- Leben ist das Ergebnis
des konstanten Energieflusses durch ein System
- Natürliche Selektion
ist ein Mechanismus der Selbstorganisation
- Selbstorganisierte
Systeme werden durch Rückkopplungsmechanismen stabilisiert
- konkurrierende Rückkopplungsmechanismen
bewirken räumliche und zeitliche Muster
- Die Prozesse der
Selbstorganisation in einer Galaxie werden vom Sternenlicht angetrieben
- Wachsende Komplexität
und Zunahme von Entropie im Universum sind kompatibel, solange wachsende Komplexität
an verschiedenen Orten vorkommt.
- Ein einziges
Energiequantum könnte die Bildung eines komplexen Moleküls katalysieren.
Kommentar: Dieses Kapitel
ist ein Hinweis, dass Smolin versucht, lebende Systeme in seinen Überlegungen
zu berücksichtigen. Es wäre interessant zu erfahren, in welchem Experiment ein
einziges Energiequant ein Molekül katalysiert hat. In biologischen Systemen
agieren Enzyme als Katalysatoren. Enzyme sind Proteine, deren Struktur in DNA
kodiert sind. Smolins Aussagen über Mechanismen der Selbstorganisation
können indirekt als systemtheoretische
Vorstellungen von Autopoiese interpretiert werden.
In dem Kapitel „Die
Schlacht zwischen Relativitätstheorie und Quantentheorie“ diskutiert Smolin, ob
die Quantenbeschreibungen eines kleinen Subsystems sich in eine kosmologische
Theorie einbetten lassen. Smolin glaubt, dass das möglich ist, und liefert
folgende Überlegungen:
- Smolin betrachtet die
existierende Quantenmechanik lediglich als Algorithmus zur Vorhersage von
Wahrscheinlichkeiten
- Unbestimmtheiten der
Quantentheorie können als Eigenschaften von Teilchen interpretiert werden, weil
sie durch verborgene Beziehungen zum Universum als Ganzes verflochten sind. Er
postuliert die Möglichkeit „relationaler
verborgene Variablen“.
- Smolin beruft sich auf
eine erste Theorie verborgener Variabler von Louis de Broglie. De Broglie war
in der Lage, die Eigenschaften Welle und Teilchen quantenmechanischer Prozesse
mit der Wechselwirkung zwischen Welle und Elementarteilchen zu erklären.
- David Bohm hat später
unabhängig ebenfalls eine Theorie verborgener Variablen vorgestellt, sodass man
heute von der De-Broglie-Bohm Theorie spricht.
- Der Ort eines
Elementarteilchens ist unbestimmt, weil die Anfangsposition des Teilchens
unbekannt (verborgen) ist.
- Die De-Broglie-Bohm
Theorie erfüllt leider nicht die Forderung von Smolins Vorstellungen einer neue
kosmologischen Theorie, dass alle Wirkungen reziprok sind.
- John Bell nannte de
Broglies Theorie eine Theorie von „seienden Größen“ (beables), die
Quantentheorie eine Theorie von beobachtbaren Größen (observables)
- die sonderbaren
Eigenschaften von Quantensystemen beschränken sich auf atomare Systeme, weil
diese in einer Vielzahl von Kopien vorkommen.
- Verschränktheit von
Elektronen lässt sich als „Spiel springender Elektronen“ auffassen. Da solche
„Sprünge“ augenblicklich über beliebig große Entfernungen stattfinden,
verliert die spezielle
Relativitätstheorie ihre Gültigkeit.
- Smolin vertritt (wie
auch Einstein vor ihm) die Ansicht, dass sich Quantenbeschreibungen nicht auf
Einzelsysteme sondern auf Systemgesamtheiten beziehen müssen („Ensemble-Interpretation“), damit unnatürliche theoretische Interpretationen unnötig
werden.
In dem anschließenden
Kapitel „Die Wiedergeburt der Zeit aus der Relativitätstheorie„ stellt Smolin eine
Theorie vor, die als Formdynamik (shape of dynamics) bezeichnet wird. Diese sehr junge Theorie
basiert auf dem Prinzip, dass alle wirklichen physikalischen Veränderungen mit
Formen von Objekten (Strukturen) verknüpft sind. Was den Zeitbegriff angeht,
interpretiere ich Smolins Vorstellungen so, dass er einen grundlegenden
Unterschied zwischen (isolierten) Inertialsystemen und einem kosmischen
Universalsystem macht:
- Für Inertialsysteme
gilt die Relativitätstheorie, in der für die Beobachtung eines physikalischen
Ereignisses die Größe eines Objekts keine Rolle spielt und die Zeit relativ zum
Beobachter ermittelt werden muss.
- Für Universalsysteme
gilt die Formdynamik, in der für die Beobachtung eines physikalischen
Ereignisses die Form eines Objektes die entscheidende Rolle spielt und die Zeit
absolut gemessen wird.
Abschließender Kommentar:
Smolins Vorstellungen,
die theoretische Physik zu "revolutionieren", indem er mögliche
Konfigurationen des Universums und die Einführung eines fundamentalen
gerichteten Zeitbegriffs in physikalische Gesetze in verschiedenen Kapiteln zum
Teil redundant (wiederholt) diskutiert, lassen keinen systematischen Ansatz zu
einer neuen physikalischen Theorie erkennen. Insbesondere lässt sich nicht
erkennen, wie physikalische Gesetze als Resultat kosmischer Evolution
interpretiert werden können. Smolins Vorstellungen evolutionärer Entwicklungen
entsprechen nicht den Vorstellungen moderner Evolutionstheorie. Vielleicht braucht es mehr führende Physiker,
die sich auch mit Phänomenen der Molekularbiologie und der biologischen
Evolutionstheorie auseinandersetzen. Erwin Schrödinger war so ein führender
Physiker. In öffentlichen Vorträgen hat der versucht, „den Grundgedanken, der
zwischen der Biologie und der Physik hin- und herspringt, gleicherweise dem
Physiker wie dem Biologen deutlich zu machen. …..Die große, wichtige und heiß
umstrittene Frage lautet: Wie lassen sich die Vorgänge in Raum und Zeit, welche
innerhalb der räumlichen Begrenzung eines lebenden Organismus vor sich gehen,
durch die Physik und die Chemie erklären? …..Die Anordnung der Atome und deren
wechselseitige Beziehung in den lebenswichtigen Teilen eines Organismus
unterscheiden sich sehr wesentlich von allen Atomanordnungen, welche Physiker
und Chemiker bisher zum Gegenstand ihrer experimentellen und theoretischen
Forschung gemacht haben.“ (Erwin Schrödinger: Was ist Leben – Die lebende Zelle
mit den Augen des Physikers betrachtet).
Schrödingers „große,
wichtige und heiß umstrittene Frage“ steht nach wie vor unbeantwortet im Raum.
Lee Smolin ist mit seinen Überlegungen einer Antwort kaum näher gekommen. Den Erwartungen, die der
Prolog seines Buches geweckt hat, ist er meines Erachtens nicht gerecht
geworden.
In einer Biografie von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) fand ich folgendes hier passende Zitat::
AntwortenLöschen'Es gibt nur eine Wirklichkeit, die Gegenwart. Wir Menschen sind unablässig bestrebt, unser Ich in Richtung Vergangenheit und Zukunft auszudehnen. Ohne Unterbrechung steigt der Pfad [des Fortschritts] von der Erschaffung der Welt bis zur jeweiligen Gegenwart hinan. Wir müssen prüfen, ob wir uns nicht auf dem Abstiegsteil der Weltkurve befinden.'