Kristof Klöckner (Jahrgang 1956) ist seit 2011 Geschäftsführer (engl. General Manager) der RationalSoftware Division von IBM, mit Sitz
in Somers, NY. Er begann seine Berufskarriere im IBM-Labor
Böblingen. Sein erstes Arbeitsgebiet
war die Systemleistungsanalyse. Später war er Leiter des Programmentwicklungszentrums
Sindelfingen sowie des englischen Labors in Hursley. Als Vizepräsident der IBM
Corporation war er mehrere Jahre lang verantwortlich für das Cloud Computing
der IBM. Klöckner war in Frankfurt in Mathematik promoviert worden und ist Honorarprofessor
der Universität Stuttgart, wo er regelmäßig eine Blockvorlesung zum Thema
‚Cloud Computing and Service Management’ hält.
Da sein Interview
vor fast vier Jahren nicht nur eines der ältesten, sondern auch eines der kürzesten
in diesem Blog ist, bat ich Kristof Klöckner um ein Update. Nicht nur war er sofort
dazu bereit, sondern beantwortete meine Fragen auch innerhalb von nur fünf Tagen.
Hier das Neueste aus dem Informatik-Tagesgeschäft.
BD: Vor vier Jahren war das Thema Cloud erst am
Anfang. Jetzt ist es Alltag ̶ oder etwa nicht? Welche Anwendungsfelder sind
heute am wichtigsten? Wie ist die Branche strukturiert? Haben Edward Snowdons
Enthüllungen dem Geschäft den Boden entzogen? Wie reagierten Anbieter und
Nutzer darauf?
KK: Cloud ist sicher Alltag geworden in dem
Sinne, dass die Mehrheit der Unternehmen und Konsumenten in der einen oder
anderen Weise Dienstleistungen aus der Cloud beziehen, d. h. über das Internet,
von einem Service-Provider oder über geteilte (engl. shared) Ressourcen, die nach
Bedarf „gemietet“ werden. Private Nutzer speichern zum Beispiel Dokumente in
der Cloud oder greifen mit dem Browser auf Cloud-Anwendungen zu (Software as a Service). Unternehmen
entwickeln neue Anwendungen, insbesondere solche, die direkt den Kunden ansprechen
(„Systems of Engagement“) gleich für
die Cloud. Diese Anwendungen sind verknüpft mit Transaktionssystemen („Systems of Record“) im Rechenzentrum.
Wir sehen immer stärker das Aufkommen von hybrider Datenverarbeitung, die
Dienste aus verschiedenen Quellen integriert.
Schätzungen von
Unternehmensberatungen sagen, dass in 2016 rund 25% aller Anwendungen in der
Cloud laufen werden, und dass heute bereits 85% der neuen Anwendungen für die
Cloud entwickelt werden. Hier sehen wir auch neben „Infrastructure as a Service“ und „Software as a Service“ auch Cloud-Plattformen (Anwendungsumgebungen,
Platform as a Service) an Bedeutung
gewinnen. Plattformen, mit eingebetteten Werkzeugen, sind ein großer Beschleuniger
für die Entwicklung, und der Kampf um Entwickler und Entwicklergemeinschaften (communities) wird die nächsten Jahre
bestimmen. IBM ist im Juni in diesen Markt eingestiegen mit „Bluemix“, für das mein Team die
Entwicklungswerkzeuge bereitstellt. Übrigens setzen wir hierbei auf offene
Standards, und integrieren Open Source.
Wir sehen also Cloud, zusammen
mit Big Data/Analytics, Mobilität und Social Software als die großen Kräfte der
Veränderungen, besonders, wenn man ihr Zusammentreffen betrachtet. Wir können
sagen, dass die „Winds of Change“ zum
„Perfect Storm“ geworden sind.
Wie schon das kommerzielle
Internet so wirft auch die Cloud Fragen des Vertrauens, der Sicherheit und der
Vertraulichkeit auf, die Anbieter beantworten müssen – für Unternehmen und
Endkunden. Snowden’s Enthüllungen haben dieses Problem in besonderer Weise
sichtbar gemacht, wie auch die Datendiebstähle bei Hacking-Attacken. Für uns
bedeutet das eine größere Nachfrage nach unseren Sicherheitsprodukten, und auch
die Notwendigkeit, Cloud-Dienstleistungen lokal erbringen zu können. Aber ich
sehe keine Abschwächung des Cloud-Trends.
BD: Die Firma Rational Software,
die Sie als Geschäftsführer leiten, ist eine Tochter der IBM Corporation. Das
Unternehmen hatte eine hervorragende Position im Markt für Software-Entwicklungswerkzeuge.
Ich erinnere mich an Jazz, Rapsody, Rose und andere Produkte. Soviel ich weiß,
ging Rose in dem System Eclipse auf. Ich erwarte keine vollständige Vorstellung
des Portefeuilles. Aber können Sie trotzdem sagen, wo der Schwerpunkt Ihrer
heutigen professionellen Aktivität liegt? Wie verdient man Geld auf einem
Gebiet, wo Open-Source-Produkte dominieren?
KK: Man verdient Geld, indem man Open Source
nicht als Feind betrachtet, sondern in die eigenen Lösungen mit einbezieht und
darauf aufbauend den ganzen Entwicklungszyklus abdeckt. Auch wenn vor einigen
Jahren das Software-Konfigurations-Management (SCM)
den Kern unseres Geschäfts bildete, so unterstützen wir heute neben unseren
eigenen Systemen wie Clearcase/Clearquest
und RTC zum Beispiel auch Git.
Aber der Wert, den wir für Teams und Entwicklungsorganisationen bieten geht
weit darüber hinaus. Jazz und mittlerweile zum Standard gewordenen Schnittstellen
wie OSLC
(Open Services for Lifecycle
Collaboration) adressieren alle Schritte der Entwicklung und Auslieferung
vom Anforderungsmanagement zur Modellierung und zum Programmieren, bis hin zum
Testen und zum Release Management und Deployment. Wir integrieren auch mit Werkzeugen
für den Betrieb. Im Grunde bauen wir den Lebenszyklus zu einer automatisierten
Feedback-Loop aus, und das ist auch nötig, denn die Geschäfts-und
Auslieferungszyklen beschleunigen sich, und Entwicklung (Development) und Betrieb (Operations)
müssen zusammenkommen, als „DevOps“.
Da Software immer mehr zum
Treiber von Innovation wird, technisch und geschäftlich, ist die Beschleunigung
und Beherrschung des Softwarezyklus fuer Unternehmen lebensnotwendig geworden. Das
treibt den Umsatz unsere „DevOps“-Produkte, auch in der Cloud. Besonders
spannend wird es, wenn wir an ähnliche Phänomene in der „embedded software“
denken, die immer wichtiger im Systembereich wird – ich habe bereits vor vier
Jahren das Beispiel von Autos erwähnt, die mittlerweile mobile vernetzte
Systeme geworden sind. Im Engineering sehen wir zunehmend das Aufgreifen von
agiler Entwicklung und die Verbindung mit „lean“. Wir nennen das Continuous
Engineering, und haben da einen starken Stand. Kaum ein Auto oder Flugzeug wird
entwickelt, ohne das nicht irgendwo Rational Software im Spiel ist.
BD: Es ist mein Eindruck, dass Google heute den
Software-Markt in einer Weise kontrolliert, dass jedes andere Unternehmen es
schwer hat, dagegen anzukommen. Google hat die Möglichkeit, alles zu versuchen,
was interessant erscheint. Sehe ich das richtig? Was können andere tun, um zu
überleben?
KK: Ich denke nicht, dass eine einzige Firma den
Softmarkt beherrscht oder beherrschen kann. Dazu ist er zu dynamisch, auch
durch die Netzwerkeffekte, die Cloud ermöglicht. Erfolg stellt sich ein durch Lösung
von realen Geschäftsproblemen, und dadurch, dass man Entwicklergemeinschaften
aufbauen und an sich binden kann. Dabei spielen Standards und Open Source eine
große Rolle, aber auch Plattformen und die Ökosysteme, die sich darum bilden.
Vergessen wir außerdem nicht
die Rolle von Daten (von Personen, aber auch Geräten) und deren Analyse. IBM
hat da mit der Watson-Plattform eine Palette von Lösungen, die in vielen
Feldern, wie Medizin, aber auch im Bildungswesen, entscheidende Durchbrüche ermöglichen
wird. Wir reden hier von einer neuen Ära, der Ära des „Cognitive Computing“, in der Daten der entscheidende Rohstoff sind
– ähnlich wie Kohle oder Öl in früheren industriellen Revolutionen. Wenn man
dann noch an das Internet der Dinge (Internet
of Things) und dessen Überschneidung mit dem Internet von Personen und
Dienstleistungen denkt, bieten sich neue interessante Möglichkeiten an, auch für
Länder wie Deutschland, mit einer starken industriellen Basis. Ich bin froh,
dass Industrie und Politik mit Industrie 4.0 diese Chancen angehen.
BD: Sie sind fast länger im Ausland tätig als in
Deutschland. Ich war als Student in den USA und noch einmal am Anfang meiner
beruflichen Karriere. Wie sehen Sie Ihre viel längeren Auslandsaufenthalte,
beruflich und privat? Aus der Ferne gesehen, scheinen die USA etwas von ihrer
Attraktivität zu verlieren. Täuscht dies?
KK: Tatsächlich bin ich nach der Universität je
dreizehn Jahre in Deutschland und Amerika, und vier Jahre in England tätig
gewesen. Meine Kinder fühlen sich in der englischsprachigen Welt zu Hause. Zum
Glück habe ich oft die Gelegenheit, nach Deutschland zurückzukommen, und sehe,
zum Beispiel an meinen Kunden, aber auch an den Studenten meiner jährlichen
Blockvorlesung in Stuttgart, wie spannend sich das Land weiterentwickelt. Ich
denke, Amerika hat immer noch Vorteile in seiner Vielfalt und seiner
Startup-Mentalität (in den Metropolen), aber Orte wie Frankfurt, München,
Berlin oder Stuttgart sind doch sehr globalisiert geworden. Und Amerika zeigt
immer wieder eine erstaunliche Fähigkeit, sich neu zu erfinden. Von daher bin
ich für meine beiden Länder optimistisch.
BD: Herr Klöckner, nochmals vielen Dank und weiterhin viel
Erfolg in Amerika und anderswo.
Heute schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:
AntwortenLöschenDanke für diesen Update