Dienstag, 6. Januar 2015

Kristof Klöckner über Cloud Computing heute und seine Sicht der Software-Industrie

Kristof Klöckner (Jahrgang 1956) ist seit 2011 Geschäftsführer (engl. General Manager) der RationalSoftware Division von IBM, mit Sitz in Somers, NY. Er begann seine Berufskarriere im IBM-Labor Böblingen. Sein erstes Arbeitsgebiet war die Systemleistungsanalyse. Später war er Leiter des Programmentwicklungszentrums Sindelfingen sowie des englischen Labors in Hursley. Als Vizepräsident der IBM Corporation war er mehrere Jahre lang verantwortlich für das Cloud Computing der IBM. Klöckner war in Frankfurt in Mathematik promoviert worden und ist Honorar­professor der Universität Stuttgart, wo er regelmäßig eine Blockvorlesung zum Thema ‚Cloud Computing and Service Management’ hält. 

 

    Da sein Interview vor fast vier Jahren nicht nur eines der  ältesten, sondern auch eines der kürzesten in diesem Blog ist, bat ich Kristof Klöckner um ein Update. Nicht nur war er sofort dazu bereit, sondern beantwortete meine Fragen auch innerhalb von nur fünf Tagen. Hier das Neueste aus dem Informatik-Tagesgeschäft.  

BD: Vor vier Jahren war das Thema Cloud erst am Anfang. Jetzt ist es Alltag  ̶  oder etwa nicht? Welche Anwendungsfelder sind heute am wichtigsten? Wie ist die Branche strukturiert? Haben Edward Snowdons Enthüllungen dem Geschäft den Boden entzogen? Wie reagierten Anbieter und Nutzer darauf? 

KK: Cloud ist sicher Alltag geworden in dem Sinne, dass die Mehrheit der Unternehmen und Konsumenten in der einen oder anderen Weise Dienstleistungen aus der Cloud beziehen, d. h. über das Internet, von einem Service-Provider oder über geteilte (engl. shared) Ressourcen, die nach Bedarf „gemietet“ werden. Private Nutzer speichern zum Beispiel Dokumente in der Cloud oder greifen mit dem Browser auf Cloud-Anwendungen zu (Software as a Service). Unternehmen entwickeln neue Anwendungen, insbesondere solche, die direkt den Kunden ansprechen („Systems of Engagement“) gleich für die Cloud. Diese Anwendungen sind verknüpft mit Transaktionssystemen („Systems of Record“) im Rechenzentrum. Wir sehen immer stärker das Aufkommen von hybrider Datenverarbeitung, die Dienste aus verschiedenen Quellen integriert.  

Schätzungen von Unternehmensberatungen sagen, dass in 2016 rund 25% aller Anwendungen in der Cloud laufen werden, und dass heute bereits 85% der neuen Anwendungen für die Cloud entwickelt werden. Hier sehen wir auch neben „Infrastructure as a Service“ und „Software as a Service“ auch Cloud-Plattformen (Anwendungsumgebungen, Platform as a Service) an Bedeutung gewinnen. Plattformen, mit eingebetteten Werkzeugen, sind ein großer Beschleuniger für die Entwicklung, und der Kampf um Entwickler und Entwicklergemeinschaften (communities) wird die nächsten Jahre bestimmen. IBM ist im Juni in diesen Markt eingestiegen mit „Bluemix“, für das mein Team die Entwicklungswerkzeuge bereitstellt. Übrigens setzen wir hierbei auf offene Standards, und integrieren Open Source. 

Wir sehen also Cloud, zusammen mit Big Data/Analytics, Mobilität und Social Software als die großen Kräfte der Veränderungen, besonders, wenn man ihr Zusammentreffen betrachtet. Wir können sagen, dass die „Winds of Change“ zum „Perfect Storm“ geworden sind. 

Wie schon das kommerzielle Internet so wirft auch die Cloud Fragen des Vertrauens, der Sicherheit und der Vertraulichkeit auf, die Anbieter beantworten müssen – für Unternehmen und Endkunden. Snowden’s Enthüllungen haben dieses Problem in besonderer Weise sichtbar gemacht, wie auch die Datendiebstähle bei Hacking-Attacken. Für uns bedeutet das eine größere Nachfrage nach unseren Sicherheitsprodukten, und auch die Notwendigkeit, Cloud-Dienstleistungen lokal erbringen zu können. Aber ich sehe keine Abschwächung des Cloud-Trends. 

BD: Die Firma Rational Software, die Sie als Geschäftsführer leiten, ist eine Tochter der IBM Corporation. Das Unternehmen hatte eine hervorragende Position im Markt für Software-Entwicklungswerkzeuge. Ich erinnere mich an Jazz, Rapsody, Rose und andere Produkte. Soviel ich weiß, ging Rose in dem System Eclipse auf. Ich erwarte keine vollständige Vorstellung des Portefeuilles. Aber können Sie trotzdem sagen, wo der Schwerpunkt Ihrer heutigen professionellen Aktivität liegt? Wie verdient man Geld auf einem Gebiet, wo Open-Source-Produkte dominieren? 

KK: Man verdient Geld, indem man Open Source nicht als Feind betrachtet, sondern in die eigenen Lösungen mit einbezieht und darauf aufbauend den ganzen Entwicklungszyklus abdeckt. Auch wenn vor einigen Jahren das Software-Konfigurations-Management (SCM) den Kern unseres Geschäfts bildete, so unterstützen wir heute neben unseren eigenen Systemen wie Clearcase/Clearquest und RTC zum Beispiel auch Git. Aber der Wert, den wir für Teams und Entwicklungsorganisationen bieten geht weit darüber hinaus. Jazz und mittlerweile zum Standard gewordenen Schnittstellen wie OSLC (Open Services for Lifecycle Collaboration) adressieren alle Schritte der Entwicklung und Auslieferung vom Anforderungsmanagement zur Modellierung und zum Programmieren, bis hin zum Testen und zum Release Management und Deployment. Wir integrieren auch mit Werkzeugen für den Betrieb. Im Grunde bauen wir den Lebenszyklus zu einer automatisierten Feedback-Loop aus, und das ist auch nötig, denn die Geschäfts-und Auslieferungszyklen beschleunigen sich, und Entwicklung (Development) und Betrieb (Operations) müssen zusammenkommen, als „DevOps“.  

Da Software immer mehr zum Treiber von Innovation wird, technisch und geschäftlich, ist die Beschleunigung und Beherrschung des Softwarezyklus fuer Unternehmen lebensnotwendig geworden. Das treibt den Umsatz unsere „DevOps“-Produkte, auch in der Cloud. Besonders spannend wird es, wenn wir an ähnliche Phänomene in der „embedded software“ denken, die immer wichtiger im Systembereich wird – ich habe bereits vor vier Jahren das Beispiel von Autos erwähnt, die mittlerweile mobile vernetzte Systeme geworden sind. Im Engineering sehen wir zunehmend das Aufgreifen von agiler Entwicklung und die Verbindung mit „lean“. Wir nennen das Continuous Engineering, und haben da einen starken Stand. Kaum ein Auto oder Flugzeug wird entwickelt, ohne das nicht irgendwo Rational Software im Spiel ist. 

BD: Es ist mein Eindruck, dass Google heute den Software-Markt in einer Weise kontrolliert, dass jedes andere Unternehmen es schwer hat, dagegen anzukommen. Google hat die Möglichkeit, alles zu versuchen, was interessant erscheint. Sehe ich das richtig? Was können andere tun, um zu überleben? 

KK: Ich denke nicht, dass eine einzige Firma den Softmarkt beherrscht oder beherrschen kann. Dazu ist er zu dynamisch, auch durch die Netzwerkeffekte, die Cloud ermöglicht. Erfolg stellt sich ein durch Lösung von realen Geschäftsproblemen, und dadurch, dass man Entwicklergemeinschaften aufbauen und an sich binden kann. Dabei spielen Standards und Open Source eine große Rolle, aber auch Plattformen und die Ökosysteme, die sich darum bilden.  

Vergessen wir außerdem nicht die Rolle von Daten (von Personen, aber auch Geräten) und deren Analyse. IBM hat da mit der Watson-Plattform eine Palette von Lösungen, die in vielen Feldern, wie Medizin, aber auch im Bildungswesen, entscheidende Durchbrüche ermöglichen wird. Wir reden hier von einer neuen Ära, der Ära des „Cognitive Computing“, in der Daten der entscheidende Rohstoff sind – ähnlich wie Kohle oder Öl in früheren industriellen Revolutionen. Wenn man dann noch an das Internet der Dinge (Internet of Things) und dessen Überschneidung mit dem Internet von Personen und Dienstleistungen denkt, bieten sich neue interessante Möglichkeiten an, auch für Länder wie Deutschland, mit einer starken industriellen Basis. Ich bin froh, dass Industrie und Politik mit Industrie 4.0 diese Chancen angehen. 

BD: Sie sind fast länger im Ausland tätig als in Deutschland. Ich war als Student in den USA und noch einmal am Anfang meiner beruflichen Karriere. Wie sehen Sie Ihre viel längeren Auslandsaufenthalte, beruflich und privat? Aus der Ferne gesehen, scheinen die USA etwas von ihrer Attraktivität zu verlieren. Täuscht dies? 

KK: Tatsächlich bin ich nach der Universität je dreizehn Jahre in Deutschland und Amerika, und vier Jahre in England tätig gewesen. Meine Kinder fühlen sich in der englischsprachigen Welt zu Hause. Zum Glück habe ich oft die Gelegenheit, nach Deutschland zurückzukommen, und sehe, zum Beispiel an meinen Kunden, aber auch an den Studenten meiner jährlichen Blockvorlesung in Stuttgart, wie spannend sich das Land weiterentwickelt. Ich denke, Amerika hat immer noch Vorteile in seiner Vielfalt und seiner Startup-Mentalität (in den Metropolen), aber Orte wie Frankfurt, München, Berlin oder Stuttgart sind doch sehr globalisiert geworden. Und Amerika zeigt immer wieder eine erstaunliche Fähigkeit, sich neu zu erfinden. Von daher bin ich für meine beiden Länder optimistisch.  

BD: Herr Klöckner, nochmals vielen Dank und weiterhin viel Erfolg in Amerika und anderswo. 

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