Mein Enkel studiert ab dem WS 2015/2016 das Fach Wirtschaftsinformatik an der TU
München (TUM). Er gab mir nach der ersten Woche einen recht ausführlichen
Bericht über seine Erfahrungen. Mit seiner Zustimmung kopiere ich ihn für die Leser
dieses Blogs.
Erfahrungsbericht
Nachdem die Schulzeit in Tübingen
abgeschlossen war, blickte ich euphorisch der neuen Ära entgegen, Ich gierte
nach dem Neuen. Freitag Abends kam ich in meiner Wohnung an, kurz Bett beziehen
und Zähne putzen. Mehr war nicht mehr drin, denn am nächsten Morgen galt es
noch Veranstaltungen der SET (Erstsemester-Einführungstage) wahrzunehmen. Ich
hatte aufgrund meiner Führerscheinprüfung schon die ein oder andere
Infoveranstaltung verpasst, weshalb es für mich umso wichtiger war, während der
restlichen SET mit Kommilitonen in Kontakt zu kommen, damit diese mir zu einem
kurzen Crashkurs ins Unileben verhelfen konnten.
Am Samstag gab es ein großes Frühstück
für die 1-Semester der Informatik-Fakultät, anschließend eine Campus-Ralley.
Hier galt es in Teams das Gelände zu erkunden und diverse Aufgaben zu bewältigen.
Das Event diente aber primär dem Kennenlernen der anderen und so habe ich
bereits Bekanntschaft mit Studenten der verschiedensten Fachschaften gemacht.
Wirtschaftsinformatiker entpuppten sich jedoch als seltene Spezies, die kaum
anzutreffen war. Was gleich auffiel waren die wohl doch nicht ganz so
unbegründeten Klischees. So sind die Informatiker vom Typ her alle sehr
"nerdy" (hab' lange überlegt aber für dieses Adjektiv gibt es keine
Äquivalenten auf Deutsch). Die coolsten auf dem Campus sind eindeutig die
Physiker. Insgesamt liegt das Durchschnittsalter meiner Kommilitonen bei 19
Jahren. Ich gehöre also wirklich noch zu den ganz "kleinen", selbst
unter den Erstsemestern.
Der Sonntag hielt für uns neue
Herausforderungen bereit. Die Fachschaft hatte ein Scotland-Yard-Spiel im
großen Stil organisiert. Das Münchner Liniennetz bildete das Spielfeld und auf
diesem musste nun Mr. X gefangen werden. Der Montag startete gleich mit der
Immatrikulationsfeier. Der Präsident zapfte ein Fass der [universitätseigenen] Brauerei
an und schenkte Bier aus. Doch bei 12.000 Erstsemestern (Master & Bachelor)
waren die Vorräte nach wenigen Minuten aufgebraucht. Doch statt zu meutern
verhielten sich die Massen gesittet. Ich war auch in der Lage zum ersten Mal
Wirtschaftsinformatikerinnen kennen zu lernen. Eine davon war sogar eine
ehemalige Klassenkameradin von mir, was natürlich eine große Überraschung war.
Die Folgetage reihte sich Vorlesung an
Vorlesung, was aber noch sehr entspannt war, da Tutorübungen etc. erst ab
dieser Woche beginnen. Sonderlich anspruchsvoll sind die Studieninhalte noch
nicht. In Eidi (Einführung in die Informatik) näherten wir uns Java an, die
beiden Mathe-Vorlesungen überschneiden sich zur Zeit noch thematisch. Beide
behandeln die Mengenlehre, wobei im Falle Himstedt die Vorlesung sehr flach
gehalten wird, sodass auch die TUM-BWLer mitkommen (Auf dem Campus werden sie
neckisch als das ‚schwächste Glied des TUM-Kaders‘ bezeichnet).
Am meisten überzeugte mich jedoch die
Einführung in die Wirtschaftsinformatik, eine Vorlesung, die von Helmut Krcmar gehalten
wird. Er ist ein rhetorisch begabter, charismatischer Professor, der lebhaft
mit starkem Praxisbezug und greifbaren Beispielen die Vorlesung sehr
ansprechend gestaltet. Hier blieb bei mir mit Abstand am meisten hängen und ich
wurde dazu verleitet, mich verstärkt für das Studium zu begeistern. Schließlich handelt
es sich hierbei auch um das namensgebende Fach des Studiengangs und es tröstet
mich darüber hinweg, dass das erste Semester mit Wirtschaftsinhalten geizt, da
meine übrigen Fächer ja wie bereits erwähnt nur Themen der Mathematik und
Informatik behandeln.
Auch wenn Ich noch nicht genug
Vorlesungen hatte, um mir ein Urteil zu bilden, bin ich dennoch zu folgenden
Schlüssen gekommen:
- Rein von der Infrastruktur her war die TUM als Uni die beste Wahl. Die Stadt München bietet aber auch ein gutes Fundament, um ihr ästhetisches Antlitz wirken zu lassen.
- Ich weiß zwar noch nicht 100%ig, ob meine Wahl des Studienfachs die richtige war, aber ich bin fest überzeugt, dass die reine Informatik das garantiert nicht gewesen wäre.
Allein zu leben gefällt mir enorm, eine
neue Form der Selbständigkeit, nach der ich mich immer gesehnt habe. Auch wenn
meine aktuellen Wohnverhältnisse nicht wirklich zufriedenstellend sind, wird
das durch die Tatsache, dass ich nun einen Single-Haushalt führe, mehr als wett
gemacht und mit ein bisschen Glück finde ich zeitnah eine besser Wohnung für
den sozialen Aufstieg. Man merkt, dass ein neues Kapitel, eine neue Ära
angebrochen ist. Das Studium hebt sich deutlich von der Schule ab. Rückblickend
kommt es mir vor, als wäre Ich Tübingen schon vor Jahren entflohen.
Das Klima an der Uni sagt mir deutlich
mehr zu als das tendenziell eher aggressive Klima der Schule, wo es teilweise
noch bis zur 10ten Klasse galt sich zu profilieren, wo 7t-Klässler Mitschüler
aus der Klasse mobbten und in der 9ten der Wert einer Person noch durch
Klamotten bestimmt wurde. All das ist an der Uni undenkbar. Derart primitives
Gedankengut geistert weder durch Garching noch durch die Arcisstraße. Die
Menschen sind kontaktfreudig und aufgeschlossen, und es ist auch mal erfrischend
von Leuten umgeben zu sein, die einen Hund von einer Katze unterscheiden
können. Es hat sich etwas etabliert, das selten auf dem Schulhof und noch
seltener bei der BILD anzutreffen ist ... Niveau. Zusammenfassend kann man
meine aktuelle Verfassung als glücklich bezeichnen, und ich bin zuversichtlich,
dass das so bleibt.
Vorlesungsübersicht
Vorher hatte mein Enkel mir schon die Liste seiner Vorlesungen
geschickt. Hier die Fächer mit den (aktuellen) Professoren:
- Diskrete Strukturen - Bungartz, Hans-Joachim
- Mathematische Behandlung der Natur- und Wirtschaftswissenschaften - Himstedt, Frank
- Einführung in die Informatik - Brüggeman-Klein, Anne
- Einführung in die Wirtschaftsinformatik - Krcmar, Helmut
Bei allen Vorlesungen handelt es sich um Pflichtmodule. Da diese allein schon 31 Credits bilden, habe ich davon abgesehen, noch zusätzlich Wahlmodule zu belegen. Wie du sehen kannst, liegt dieses Semester ein starker Schwerpunkt auf Mathematik. Exakt 50% der Mathe-Einheiten, die ich während des GESAMTEN Studiums habe, fallen auf's erste Semester. Die BWL-Schwerpunkte werden erst ab dem 3ten Semester gesetzt. Begründet wurde dies damit, dass vorerst ein Grundfundament gebildet werden soll, welches bei allen Informatik-Studiengängen ähnlich ist. So teile ich mir bei diskreten Strukturen und der Einführung in die Informatik den Hörsaal mit sämtlichen Informatikstudenten, die die TUM zu bieten hat. So ein gleiches Fundament zeugt natürlich auch davon, dass ich die gleiche Ausbildung genießen werde wie reguläre Informatiker und somit auch als vollwertiger Informatiker wahrgenommen werden sollte. ;)
Ergänzungsfragen
Hier noch einige Ergänzungsfragen für den einschlägig interessierten
Leser. Die Antworten illustrieren das Umfeld. Alle Vorlesungen des ersten
Semesters sind in Garching. In späteren Semestern kommen Veranstaltungen im
Bereich Arcisstraße/Gabelsberger Straße hinzu.
Bertal Dresen (BD): Welche wichtigen Veranstaltungen der
Semester-Vorwoche entgingen Dir? Kannst Du sie nachholen?
Erstsemester-Student (ES): Mir entgingen die Vorkurse:
Informationen zur Benutzung der TUM-Online-Plattform, dem Erstellen des
Studienplanes etc. Dank meiner Kommilitonen und Internet-Tutorials der TUM (auf
Homepage & Youtube) konnte ich aber aufholen und ins Studium
"stolpern".
BD: Wie werden Eure Vorlesungen präsentiert (Tafelaufschrieb,
Tageslichtprojektionen)? Benutzen die Professoren Mikrophone als Lautverstärker?
ES: Bei den Vorlesungen setzen die Professoren hauptsächlich auf Powerpoint-Präsentationen, welche sie über Beamer anzeigen. Anschließend werden die Folien auf Moodle hochgeladen. Dort können die Studenten mit ihrer TUM-Kennung zugreifen und sich die Unterlagen nachträglich ansehen. Bungartz greift als Einziger im Eifer des Gefechts auch mal auf die Tafel zurück. Diese kommt aber sonst nie zum Einsatz. Ein Mikrofon ist unerlässlich für die Professoren, egal ob es sich nun um einen 200- oder 700-Personen-Hörsaal handelt.
ES: Bei den Vorlesungen setzen die Professoren hauptsächlich auf Powerpoint-Präsentationen, welche sie über Beamer anzeigen. Anschließend werden die Folien auf Moodle hochgeladen. Dort können die Studenten mit ihrer TUM-Kennung zugreifen und sich die Unterlagen nachträglich ansehen. Bungartz greift als Einziger im Eifer des Gefechts auch mal auf die Tafel zurück. Diese kommt aber sonst nie zum Einsatz. Ein Mikrofon ist unerlässlich für die Professoren, egal ob es sich nun um einen 200- oder 700-Personen-Hörsaal handelt.
BD: Wie viele Zuhörer seid Ihr typischerweise pro Vorlesung?
Werden Fragen gestellt und auch beantwortet?
ES: In den Vorlesungen sind die Professoren mit gigantischen
Studentenmengen konfrontiert. In Vorlesungen wie die der Diskreten Strukturen oder Eidi
reicht ein Hörsaal nicht aus, weshalb man sich im Interimshörsaal mit der
Videoaufzeichnung aus dem "Haupt"-Hörsaal begnügen muss. Den beiden
oben genannten Vorlesungen wohnen aber auch jedes Mal rund 1000 Studenten bei
(Informatiker, Wirtschaftsinformatiker und Games Engineering-Studenten). Wenn
man nun aber nicht gerade im Interimshörsaal sitzt (dort wird im Regelfall die
Videoübertragung ausgestrahlt), ist es immer möglich Fragen zu stellen. Auf
diese wird auch immer gründlich eingegangen. Meistens handelt es sich jedoch
nur um Studenten, die den Prof verbessern und auf Fehler auf seinen Folien
aufmerksam machen.
BD: Schreiben die Zuhörer in den Vorlesungen fleißig mit? Gibt
es Skripten zu kaufen? Was kosten sie? Hast Du sie alle erworben?
ES: Mit dem Mitschrieb
verhält es sich durchwachsen. Es variiert mit dem Kommilitonen, mit denen man
sich einen Hörsaal teilt. Kaum sind (reine) Informatiker anwesend, wird man
regelrecht von den Massen an Laptopdisplays geblendet. Meistens verleitet der
aufgeklappte Computer aber zum Daddeln, worunter der Mitschrieb natürlich leidet.
In Vorlesungen für Wirtschaftsinformatiker & TUM-BWLer greifen die meisten
auf den Schreibblock zurück. Notebooks sind hier selten.
BD: Ich verstehe, dass Übungen erst noch kommen. Wir können
evtl. später auf sie eingehen. Welche Lehrbücher werden empfohlen? Kannst Du
sie in der Bibliothek ausleihen? Wieviel kosten sie im Schnitt? Was wirst Du
machen?
ES: Ich habe gleich zu Semesterbeginn der Bibliothek einen
Besuch abgestattet und mir sämtliche Fachliteratur unter den Nagel gerissen.
Während die dicken Wälzer bei mir wohl
zunehmend verstauben werden, lassen sich Bücher wie das von Krcmar sehr
angenehm lesen. In jedem Fach haben wir grob 4-5 Werke als unerlässliche
Fachliteratur empfohlen bekommen.
BD: Wie weit ist die Mensa entfernt? Was kostet Dich das
Mittagessen? Schmeckt es Dir? Gibt es zwischendurch Pausen-Snacks?
ES: Die Mensa ist eine klare Verbesserung zur Schulzeit. Das
Essen ist abwechslungsreich und die Auswahl auch mehr als zufriedenstellend.
Die Preise sind aufgrund von Subventionen auch sehr günstig. Neben der Mensa
gibt es auch noch eine Cafeteria, das Stucafé, sowie mehrere Imbissbuden auf vier
Rädern. Auswahl ist auf dem Campus in Garching in jedem Fall gegeben.
BD: Wie lange bist Du morgens und abends unterwegs? Wie ich
weiß, kannst Du nicht die ganze Strecke per U-Bahn fahren. Wie kommst Du zur
Uni?
ES: Mit dem Semesterticket kann ich problemlos zwischen Innenstadt
und Forschungszentrum Garching pendeln. Im Durchschnitt fahre ich 30 Minuten ̶ egal ob es sich nun um die Hinfahrt
oder die Fahrt in Richtung Innenstadt handelt. Die U6 fährt zu jeder Zeit und
in sehr kurzen Intervallen. Wartezeiten werden höchstens durch meinen Anschlussbus
verursacht, der dafür aber praktisch direkt vor meiner Haustür hält.
BD: Vielen Dank für den interessanten Bericht! Ich wünsche Dir
für Dein Studium viel Erfolg.
Soeben schrieb Robert Ottohall aus Tübingen:
AntwortenLöschenEin erfreulich positiver Bericht. Was mich überrascht hat, waren seine schlechten Erfahrungen in der Schule (Tübingen). .
Probleme des Informatik-Unterrichts an Schulen wurden im Beitrag vom 9.6.2013 angesprochen. Dass im Vergleich dazu die Uni einen positiven Eindruck macht, ist erfreulich..
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