Von Künstlicher
Intelligenz
(KI) (engl. artificial intelligence,
Abk. AI) ist die Rede, seit John McCarthy (1927-2011) im Jahre 1955 diesen Begriff in die Welt setzte. Nach einem fast 30-jährigen KI-Winter
scheint das Fachgebiet sich neuer und gesteigerter Aufmerksamkeit zu erfreuen. Holger Volland (*194x) ist Informationswissenschaftler
und derzeit Vizepräsident der Frankfurter Buchmesse. Seine Lehr- und
Wanderjahre – so sagt er selbst – verbrachte er bei Multimedia-Agenturen in New
York und Berlin. Mit
seinem Buch Die kreative Macht der Maschinen (253 S., 2018)
drückt er seine Erregtheit und Betroffenheit aus und versucht seine Fachkollegen
aufzurütteln. Gemeint sind Archivare, Bibliothekare, Dokumentatoren und
Kuratoren. Er führt sogar eine neue Abkürzung ein: KKI steht für Kreative KI.
Bedrückende
Macht der Computer
Der Auslöser
für das Buch war ein künstlich erzeugtes Bild, das dem Malstil von Rembrandt nachempfunden war. Das soll den Autor zum Nachdenken über die Macht der
Computer angeregt haben. Ihm wurde auf einmal Angst um die Rolle des Menschen
in seiner ureigenen Domäne von Kultur und Kunst. Das Programm ‚Next Rembrandt‘ hatte die Universität Delft zusammen
mit dem Rembrandt-Museum in Amsterdam erstellt und 2016 auf der Buchmesse in Frankfurt
am Main vorgeführt.
Seit es
Siri, Alexa und Cortana gibt, habe sich die Welt verändert. Diese Art von
HiIfeprogrammen löse Hemmungen. Deren Nutzer trauen sich Dinge zu, von denen
wir alle bisher nur träumten. Die Firmen Apple, Google, Amazon und Tencent
bieten immer mehr sprachbasierte Dienste an. Sie tun dies, damit wir als Kunden
bei ihnen bleiben. Das Schreiben von Katalogtexten und Sportberichten übernähmen
demnächst Computer. Auch Gedichte und Novellen würden bereits von einem
Programm namens WordSmith produziert. Wenn heute von KI geredet wird, sei fast immer
‚Deep Learning‘ gemeint. Folglich werden
alle lernenden Programme vom Autor als Künstliche Intelligenzen (man beachte
den Plural!) bezeichnet. Was für Texte gilt, gelte auch für große Bildmengen.
Sie würden erfasst und analysiert, weil dies ein gutes Geschäft sei. Es
betrifft dies vor allem den medizinischen Bereich. Es sei nur eine Frage der
Zeit, bis dass Röntgenbilder grundsätzlich nur von Computern analysiert werden.
IBMs Watson ließe sich bereits trainieren, um Hautkrebs zu erkennen. Die
Gesichtserkennung anhand von Fotos hätte bereits eine Trefferrate von 80%.
Google
hätte Programme, die von sich aus gelernt hätten, Katzen auf Bildern zu
erkennen, d.h. ohne Vorgabe von Mustern. Der Autor verrät den Lesern nicht, wie
diese Software das Wort KATZE (engl. cat,
frz. chat) lernt. Er scheint so naiv zu
sein zu glauben, dass dies die Software ohne jede Hilfe bewerkstelligt. Sollte
er dies nicht glauben, ist es unverantwortlich diesen Eindruck zu erwecken. An
dieser Stelle ist selbst die ausgefuchste Mustererkennung überfordert. Ohne Mithilfe
eines Menschen, also natürlicher
Intelligenz, geschieht hier nichts.
Neue
Formen der Kreativität
Das
Erlernen von Sprache sei wichtig für KI-Systeme, um den Menschen besser
nachahmen zu können, und um über ihn zu lernen. Es stellt sich die Frage, was Kreativität
wirklich ist. Schließlich ist das die Eigenschaft, über die alle Menschen
verfügen wollen. Im Grunde ist es der Wunsch und die Fähigkeit, Originelles zu schaffen.
Kreative KI (KKI) arbeite mit Wahrscheinlichkeiten. Gemeint ist hier
vermutlich ein Zufallszahlengenerator. Es entstehen Programme und Effekte, die nicht
geplant waren. Ein gängige Analogie seien Bakterien im Käse.
Wie oft
bei diesen Dingen ist Japan uns voraus. Dort ist ein Millionengeschäft entstanden
mit einer künstlich geschaffenen Sängerin (Hatsune Miku). Sie hat 2,5 Millionen
Followers im Internet. Auch der französische Politiker Mélenchon sei auf der
Insel Réunion in Form eines Hologramms (Avatar) aufgetreten. Einen virtuellen
Erdogan gäbe es auch schon. Es sei keine Frage, dass der Begriff Kunst
neudefiniert werden müsste, wenn von Maschinen geschaffene Werke alle
Bedingungen erfüllen, die wir an von Menschen geschaffene Werke stellen.
Neue
oder nur bessere Menschen
Die
Transhumanisten hängen der Vorstellung an, dass der Mensch auf Software reduziert und daher unsterblich werden kann. Viel
plausibler sei es, einen verbesserten Menschen zu schaffen. Jedes einzelne Organ, jeder einzelne
Sinn lasse sich verbessern. Das gelte für Augen, Ohren, Nase, Haut, Zunge usw.
Es gäbe bereits über 300.000 Cochlea-Implantate weltweit.
Durch
das Spiel Pokémon Go wurden bereits Millionen auf die Möglichkeiten der Augmented Reality (AR) aufmerksam
gemacht. Googles Glass sei zu früh gewesen. An
besseren Lösungen würde überall auf der Welt gearbeitet. Auch Anwendungen virtueller
Realität (VR) beginnen sich auszubreiten. Es wurden bereits 10 Millionen VR-Brillen
ausgeliefert. VR erlaube das Eindringen in ein Bild (Immersion), wie zuvor
nicht möglich. Das Bruegel-Museum in Brüssel biete diese Möglichkeit, und zwar dank
eines Projekts der Firma Google.
Überhaupt
gibt es den Trend, durch Spielifizierung (engl. gamification) das Erlernen
vieler Prozesse und Inhalte zu erleichtern. Davon profitieren Wirtschaft und
Wissenschaft. Neue Erlebniswelten entstehen. Es kann dies aber auch zur Realitätsflucht führen.
Verschobenes
Machtgefüge
Dass
das Verbreiten von falschen Nachrichten (engl. fake news) und die Bildung von
Filterblasen im Internet eine große Gefahr darstellen, das weiß inzwischen
jedes Kind. Sehr zu bekümmern scheint es den Autor, dass es private Firmen sind,
die große Datenmengen besitzen. Google und Amazon seien in der Lage, aus diesen Daten Dinge über uns Menschen zu
lernen, die sonst niemand weiß. Gesteigert wird diese Sorge nur dadurch, dass
auch China, Russland, die Türkei oder die Regierung der USA durch die willkürliche Auswahl freigegebener
Daten Meinungsmanipulation betreiben könnten.
Bei öffentlichen
Einrichtungen wie Archiven und Museen würde Digitales immer noch weniger
geschätzt als Reales. Da seien Firmen wie Goolge, Apple, IBM und Baidu weiter.
Die mangelnde Kulturfinanzierung durch Staaten sei notorisch. Zum Glück helfen Private.
So bietet die Stadt Paris ein wahres Chagall-Erlebnis, allerdings nur dank einer
Initiative der Firma Google. Google habe es ja zum Geschäftszweck erhoben,
weltweit Wissen zu organisieren. In Wirklichkeit gehe es dabei um Macht, frei
nach dem Grundsatz Wissen ist Macht. Viele Museen ließen sich von dem Geld, das
ihnen Google anbietet, dazu verleiten, ihre Schätze preiszugeben. Selbst
Berliner Museen stellten ihre digitalen Datenbestände einem Kultur-Hackathon zur
Verfügung. Auch sie machen gerne ihre Daten zu Gold, und damit zu Geld.
Dürftige
Empfehlungen und leise Kritik
Wir müssen
KI ernst nehmen – fordert Volland. Sie dringt immer weiter vor, auch in
Kulturbereiche. Wir müssten uns ansehen, wofür sie gut ist. Vielleicht lernen
wir durch die KI besser zu verstehen, was Intelligenz ist. Sie umfasst eine große
Bandbreite beim Menschen. Dem kann ich nur beipflichten. Die USA und China täten mehr
für die KI als Deutschland. Wir seien primär Anwender, also keine Entwickler.
Wir sollten unsere Daten nicht leichtfertig hergeben.
Die
Menschheit sollte nicht alles umsetzen, was technisch machbar ist. Die Politik sollte
einen ‚Masterplan‘ entwickeln, der Forschung und Wirtschaft zusammenbringt. Was da inhaltlich hineingehört, sagt Volland nicht. Alle Schüler
sollen programmieren lernen. Auch hier bleibt er vage. Er sagt nicht, an welche
Sprachen oder Konzepte er denkt. Ist es Assembler, Algol, Prolog, Java oder
Scratch? Ist es prozedural oder funktional?
Volland
versteht es Staunen zu vermitteln. Auch das hat einen Wert. Er erklärt allerdings
reichlich wenig. Wie hätte wohl sein Bericht ausgesehen, wenn er im Jahre 1835 in
seiner Heimatstadt Nürnberg die erste Eisenbahnfahrt in Deutschland unternommen
hätte? Ermöglicht wurde dies dank einer Maschine, die zuvor in England gebaut worden war. Sie
wurde von englischen Ingenieuren importiert und vorgeführt. Das hätte ihn
bestimmt bedrücken müssen, wenn er daraus Schlussfolgerungen für Deutschlands
und Nürnbergs Zukunft hätte ziehen müssen.
Hartmut Wedekind aus Darmstadt schrieb: Aber KI ist und war immer ein usurpatorisches Fach. Alles wird vereinnahmt und mit dem Etikett KI als Markenname versehen. Letzte Eroberung ist „pattern recognition“ (Mustererkennung) als eine Informtik-Theorie der Wahrnehmung. Unsere Wahrnehmungsorgane sind dem Gehirn sehr nahe. Mehr aber auch nicht. Mechanical reasoning oder KI findet nicht in den Wahrnehmungsorganen statt.
AntwortenLöschenDie Meinung, dass KI die Menschheit gefährden könnte, wurde unter anderem von dem Physiker Steven Hawking geäußert. Eine KI könne viel schneller lernen und sich viel schneller entwickeln, als wir Menschen dies können. Sollte es irgendwann einmal dazu kommen, dass wir eine KI haben, die sich ihrer Existenz bewusst ist, könnte diese die Existenz der Menschen in Frage stellen und uns vernichten wollen. (http://www.gulli.com/news/25318-stephen-hawking-warnt-vor-kuenstlicher-intelligenz-2014-12-09)
AntwortenLöschenPeter Hiemann schrieb: Viele Aussagen über KI (auch von Experten) dienen weniger der Aufklärung, welche Bedeutung den technischen KI Entwicklungen zukommt. Viele Aussagen sind eher den Kategorien Marketing von Produkten oder Spekulationen hinsichtlich gesellschaftlicher Einflüsse zuzuordnen.
AntwortenLöschenUm Missverständnisse hinsichtlich des Begriffs 'Intelligenz' zu vermeiden, ist es angebracht, den Rahmen menschlicher Fähigkeiten zu betrachten, bei denen geistige Prozesse zu intelligenten Denk- und Verhaltensweisen beitragen. Man beachte, dass die unterschiedlichen menschlichen geistigen Fähigkeiten bzw. Funktionen das Resultat der menschlichen biologischen Evolution und kultureller Entwicklungen sind.
(1) Einige Grundfunktionen ‚intelligenter' Verhaltensweisen bzw. Fähigkeiten dienen dem Zweck, einem menschlichen Wesen ein autonomes Dasein zu ermöglichen, ein menschliches Individuum mit Reproduktionsfunktionen auszustatten, um die menschlichen Art am Leben zu erhalten. Einige Basisfunktionen regulieren überlebenswichtige Prozesse wie Herzschlag, Atmung und Stoffwechsel. Zu diesen Funktionen gehören auch Fähigkeiten sich zu erinnern und menschliche Instinkte und Triebe, um sich zu ernähren, natürliche Energiequellen zu nutzen und sich zu vermehren.
(2) Funktionen sinnlicher Fähigkeiten betreffen lebenswichtige Prozesse, um die Umwelt wahrzunehmen, emotionale Bewertungen von Dingen und Ereignissen vorzunehmen und mit anderen Menschen zu kommunizieren (emotionale Intelligenz).
(3) Funktionen kognitiver Fähigkeiten betreffen alle geistigen Prozesse eines Individuums, die dem Zweck dienen, Vorstellungen in Form 'innerer Bilder' seiner Umwelt herzustellen und sie für sein Verhalten zu nutzen.
(4) Die menschliche Fähigkeit des individuellen Bewusstseins umfasst Funktionen, Vorstellungen bzw. innere Bilder zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. Umfassende innerliche Bilder entstehen durch die Fähigkeiten, aus existierenden Erkenntnissen innerliche Bilder so zu generieren (zusammenzufügen), dass sie für ein menschliches Individuum Sinn ergeben. Innere Bilder, die ein sinnvolles Ganzes repräsentieren, sind Voraussetzung, um sich seiner individuellen Orientierung und seiner gesellschaftlichen Rolle bewusst zu werden und sinnvolle, intelligente Denk- oder Verhaltensweisen zu rechtfertigen bzw. zu verantworten.
KI-Funktionen sind vorwiegend Hilfsmittel, um menschliche kognitive Fähigkeiten zu unterstützen. Die Befürchtung, dass es irgendwann einmal dazu kommen könnte, dass wir ‚eine KI haben, die sich ihrer Existenz bewusst ist, die Existenz der Menschen in Frage stellen könnte und die menschliche Spezies vernichten könnte‘, gehört ins Reich der Fantasie. Es ist nicht vorstellbar, dass künstliche Systeme jemals Grundfunktionen ‚intelligenter' Verhaltensweisen besitzen könnten, um ein autonomes Wesen zu sein, d.h. sich selbständig zu vermehren, zu erhalten und geistig umfassend zu kommunizieren.
Es ist schwer vorstellbar, dass Steven Hawking, ein Wissenschaftler von Rang, die Möglichkeit geäußert hat, dass eine autonome transhumanistische Gesellschaft existieren könnte, die aufgrund künstlicher Intelligenz menschlichen sich fortlaufend dynamisch weiterentwickelnden Gesellschaften überlegen sein könnte. Eine solche Aussage entspricht einer leichtfertigen Erfindung. Jedoch ist die Befürchtung berechtigt, dass Computeralgorithmen und KI-Funktionen zunehmend das geistige, kulturelle Leben einer Gesellschaft beeinflussen. Wenn Computeralgorithmen und KI-Funktionen das geistige, individuelle Leben dominieren, bedeutet es Verlust an individueller Autonomie und Kreativität. In diesem Fall unterstützen Computeralgorithmen und KI Funktionen das Entstehen und Dominanz autokratischer Gesellschaftssysteme.
Mir scheint es zu früh zu sein, um unseren Enkeln schon Ratschläge zu geben, wie sie sich professionell für eine KI-Welt vorbereiten können. Der beste Ratschlag ist, sich nicht verrückt machen lassen und wachsam bei der Nutzung sozialer Netzwerke, verführerischer Computerspiele und VR zu sein.