Nicht nur im Karneval und an Aschermittwoch wird das Land mit
politischen und und philosophischen Aussagen traktiert, die zum Teil tiefe Erkenntnisse und Wahrheiten
enthalten. Etwas anders sind unsere Erwartungen, wenn zwei der bekanntesten
Berufsintellektuellen des Landes sich zu Wort melden. Ein Interview, das der schweizerische
Journalist Frank A.
Meyer im Rahmen einer Veranstaltung des Magazins Cicero im Jahre 2013 mit Martin Walser und Peter
Sloterdijk führte, erhebt genau diesen Anspruch. Ich gestatte mir dieses
Interview etwas unter die Lupe zu nehmen.
Großschriftsteller Walser
Martin Walser (*1927 in Wasserburg) ist derzeit Deutschlands
produktivster Schriftsteller. Von ihm stammen rund 60 Romane und 15
Theaterstücke. Da kommen Goethe und Schiller kaum mit. Beide schafften es nur auf
je etwa 50 Dramen oder Prosatexte. Walsers Hauptthema ist das Scheitern im
Leben. Unangenehm fiel er 1998 durch seine Paulskirchenrede auf. Darin warnte
er davor, den Holocaust zu instrumentalisieren. Auschwitz eigne sich nicht als
Drohroutine und Moralkeule. Es war dies die Zeit als Joschka Fischer den Kosovo
bombardieren ließ und Günter Grass gegen die Wiedervereinigung argumentierte. Später
warb er um Unterstützung für Griechenland, weil Europa ihm das Platonische
Schönheitsideal verdanke.
Volksphilosoph Sloterdijk
Volksphilosoph Sloterdijk
Peter Sloterdijk (*1947 in Karlsruhe), ist Philosoph,
Kulturgeschichtler und Sprachwissenschaftler. Nach seiner Wiederkehr aus Pune
ist er seit 1992 an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe tätig, derzeit als
deren Rektor. In Analogie zu Reich-Ranickis Literarischem Quartett betrieb er
ein Philosophisches Quartett im deutschen Fernsehen. Bekannt wurde er 1999
durch seine ‚Regeln für den Menschenpark‘. Alle Leute sahen darin ein Aufwärmen
von Nazi-Ideologien. In seinen fast 50 Veröffentlichungen betreibt er
Vergleichende Religionsgeschichte, äußert sich aber auch zu Euro, Feminismus
und Flüchtlingskrise. Er scheint sehr belesen zu sein und hat mit dem
französischen Philosophen Alain Finkielkraut zusammen veröffentlicht und über
Jacques Derrida geschrieben.
Aussagen eines Interviews von 2013
Einige Zitate aus dem Cicero-Interview sollen kurz wiedergegeben werden: Walser verkündet, dass eine Erlösung der Menschheit nur durch Schönheit möglich sei. Er meint, Angela Merkel habe ein schönes Mädchengesicht. Das Flugzeug, das ihn heute nach Berlin brachte, sei voller schöner Menschen gewesen. Sloterdijk hält Walser vor, er sei jetzt für Schönheit als Gegenreaktion zur Hässlichkeit der kritischen 68er-Diskussion. Er zitiert einen Religionsphilosophen mit der Aussage, verschiedene Religionen seien nur Schuldgefühle mit verschiedenen Feiertagen. Außerdem: Farnwälder versanken im Meer, ehe es Menschen gab. Die Welt sei heute ohne Zentralperspektive. Sie sei in Kosmen und Subsysteme ausdifferenziert. Experten verstehen die Welt nicht mehr; sie wirken wie Hofnarren. Walser möchte sich nicht an früher erinnern. Für ihn zähle nur das Heute. Er schreibe, um zu erfahren, ob nur er die Welt so sieht. Er lebe von Zustimmung.
Einige Zitate aus dem Cicero-Interview sollen kurz wiedergegeben werden: Walser verkündet, dass eine Erlösung der Menschheit nur durch Schönheit möglich sei. Er meint, Angela Merkel habe ein schönes Mädchengesicht. Das Flugzeug, das ihn heute nach Berlin brachte, sei voller schöner Menschen gewesen. Sloterdijk hält Walser vor, er sei jetzt für Schönheit als Gegenreaktion zur Hässlichkeit der kritischen 68er-Diskussion. Er zitiert einen Religionsphilosophen mit der Aussage, verschiedene Religionen seien nur Schuldgefühle mit verschiedenen Feiertagen. Außerdem: Farnwälder versanken im Meer, ehe es Menschen gab. Die Welt sei heute ohne Zentralperspektive. Sie sei in Kosmen und Subsysteme ausdifferenziert. Experten verstehen die Welt nicht mehr; sie wirken wie Hofnarren. Walser möchte sich nicht an früher erinnern. Für ihn zähle nur das Heute. Er schreibe, um zu erfahren, ob nur er die Welt so sieht. Er lebe von Zustimmung.
Aussagen einer Sendung von 2008
Peter Hiemann aus Grasse schrieb: Peter Sloterdijk ist mir in
einer Gesprächsrunde zum Thema Ist die Welt noch zu retten? von
2008 aufgefallen: Über diese Frage diskutierten Peter Sloterdijk und Rüdiger
Safranski im "Philosophischen Quartett" des ZDF mit dem
Sozialpsychologen Harald Welzer und Franz Josef Radermacher, dem Beobachter der
Globalwirkungen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
Radermacher glaubt, dass sich unter gewissen gesellschaftlichen Bedingungen wissen-orientierte (individuell vernünftige) Orientierungen in der Gesellschaft durchsetzen – im Sinne gesellschaftlicher kultureller Phasenbrüche. Individuelle werte-orientierte (emotionale) Einstellungen (Haltungen) erschweren zwar kulturelle Phasenübergänge, werden sie aber nicht verhindern. Welzer glaubt nicht an die Möglichkeit, dass sich wissen-orientierte (individuell vernünftige) Einstellungen (Haltungen) in der Gesellschaft durchsetzen, weil individuelle egoistische Einstellungen immer dominieren werden.
Nach meiner Einschätzung argumentierten Radermacher und Sloterdijk progressiv, wissen-orientiert. Welzer und Safranski vertraten konservative, werte-orientierte Prinzipien. Beim nochmaligen Anschauen der Sendung könnte man meinen, dass Radermachers und Sloterdijks Vorstellungen eine Rolle bei meinem Essay 'Einsicht ins Ich' gespielt haben. Mit anderen Worten: Sloterdijk halte ich für einen Vertreter der Philosophenzunft, die sich auch für aktuelle Vorstellungen unserer Epoche interessiert und aufklären will.
Reaktion und Diskussion
Radermacher glaubt, dass sich unter gewissen gesellschaftlichen Bedingungen wissen-orientierte (individuell vernünftige) Orientierungen in der Gesellschaft durchsetzen – im Sinne gesellschaftlicher kultureller Phasenbrüche. Individuelle werte-orientierte (emotionale) Einstellungen (Haltungen) erschweren zwar kulturelle Phasenübergänge, werden sie aber nicht verhindern. Welzer glaubt nicht an die Möglichkeit, dass sich wissen-orientierte (individuell vernünftige) Einstellungen (Haltungen) in der Gesellschaft durchsetzen, weil individuelle egoistische Einstellungen immer dominieren werden.
Nach meiner Einschätzung argumentierten Radermacher und Sloterdijk progressiv, wissen-orientiert. Welzer und Safranski vertraten konservative, werte-orientierte Prinzipien. Beim nochmaligen Anschauen der Sendung könnte man meinen, dass Radermachers und Sloterdijks Vorstellungen eine Rolle bei meinem Essay 'Einsicht ins Ich' gespielt haben. Mit anderen Worten: Sloterdijk halte ich für einen Vertreter der Philosophenzunft, die sich auch für aktuelle Vorstellungen unserer Epoche interessiert und aufklären will.
Reaktion und Diskussion
Obwohl beide Veranstaltungen bereits einige Jahre zurückliegen, liefern
beide einen Beleg dafür, wie wenig hilfreich diese Diskussionen sind. Sie sind
leider sehr abgehoben und entfernt von dem, was eine Gesellschaft braucht, um auf der Höhe
der Zeit mitreden und mitentscheiden zu können. Einige
dieser Koryphäen sind zu elitär oder ich-bezogen. Andere schweben in den philosophischen
Welten der Antike. Beides sollte man ihnen sagen dürfen. Ich breche hier ab,
wohlwissend, dass dies sehr unbefriedigend ist. Ich hoffe, dass durch
nachfolgende Beiträge ein etwas klareres Bild entsteht.
Nachtrag am 16.2.2018
Peter Hiemann schrieb: Herausragende Literaten haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf individuelle Denk- und Verhaltensweisen einer Epoche. Dieser Einfluss wird vorwiegend deutlich, wenn Literaten erklären, von welchen geistigen Prinzipien sie sich leiten lassen, welche Weltanschauung sie vertreten.
Will man Goethes Weltanschauung verstehen, so darf man sich nicht damit begnügen, hinzuhorchen, was er selbst in einzelnen Aussprüchen über sie sagt. Goethe sieht sich selber so: «Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht, und sich sodann in der Grenze des Begreiflichen zu halten.» Ein Problem, das der Mensch gelöst zu haben glaubt, entzieht ihm die Möglichkeit, tausend Dinge klar zu sehen, die in den Bereich dieses Problems fallen. Goethe hatte in sich die Vorstellung ausgebildet, dass sich seinem Geist „eine plastisch-ideelle Form offenbart, wenn er die Mannigfaltigkeit der Pflanzengestalten über schaut und ihr Gemeinsames beachtet“. Über die symbolische Pflanzengestalt schrieb Goethe: «Eine solche muss es denn doch geben! Woran würde ich sonst erkennen, dass dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären.»
Schiller betrachtete dieses Gebilde, das nicht in einer einzelnen, sondern in allen Pflanzen leben sollte, und sagte kopfschüttelnd: «Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee.» Wie aus einer fremden Welt kommend, erschienen Goethe diese Worte. Er konnte nichts entgegnen als: «Das kann mir sehr lieb sein, wenn ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe.» Und er war ganz unglücklich, als Schiller daran die Worte knüpfte: «Wie kann jemals eine Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemessen sein sollte. Denn darin besteht das Eigentümliche der letzteren, dass ihr niemals eine Erfahrung kongruieren könne.»
Zwei entgegengesetzte Weltanschauungen stehen in diesem Gespräch einander gegenüber. Es hat für Goethe keinen Sinn zu sagen, ein Ding entspreche der Idee nicht. Anders denkt Schiller. Ihm sind Ideenwelt und Erfahrungswelt zwei getrennte Reiche. Quelle: Rudolf Steiner - Goethes Weltanschauung. In den »Philosophischen Briefen« gibt Schiller seiner spiritualistisch-optimistischen Weltanschauung beredten Ausdruck. »Das Universum ist ein Gedanke Gottes.« »Wo ich einen Körper entdecke, da ahne ich einen Geist.« Alle Geister werden von Vollkommenheit angezogen, alle streben nach dem Zustand der höchsten freien Äußerung ihrer Kräfte. Die Natur ist »ein unendlich geteilter Gott«. Quelle: textlog.de – Historische Texte – Friedrich Schiller
Versuchen wir herauszufinden, welche Weltanschauung Martin Walser vertritt, werden wir von ihm belehrt, dass er das Wort 'Weltanschauung' meidet, weil es einen fragwürdigen 'kentaurischen' Sinn hat: „Das dunkle Wortgebräu Weltschmerz zeigt durch seine schwer auflösbare Konstruktion nur, daß man eben nicht genau weiß, woran man leidet, wenn man unter Weltschmerz leidet. Aber so zurückhaltend und verhangen ein allgemeiner Kummer sich als Weltschmerz beklagt, so unverfroren kann jede unerkannte Verdauungsbeschwerde bei uns als Weltanschauung auftreten. Das liegt in der kentaurischen Natur dieser sprachlichen Möglichkeit.“ Quelle: Martin Walser: Einheimische Kentauren oder: Was ist besonders an der deutschen Sprache? (DIE ZEIT Nr. 47 / 1964)
Mit anderen Worten: Martin Walser hält es für angebrachter, über die Schönheit der Welt zu reden, als darüber, wie wissenschaftliche, technische, ökonomische und politische Erfahrungen und Erkenntnisse Weltanschauungen und individuelle Denk- und Verhaltensweisen prägen. In dem Cicero-Interview beruft sich Walser mehrfach auf philosophische Aussagen, speziell auf Platons Vorstellung einer absoluten Ideenwelt. Man fragt sich: Hat Walser jemals darüber nachgedacht, dass die Schönheit einer Blume in seinem Garten am Bodensee weniger für ihn attraktiv sein will, sondern dass die Blume attraktiv für die Hummel sein muss, um sie zu bestäuben.
Nachtrag am 17.2.2018
Peter Hiemann ergänzte: Ich habe keine spezielle Einsicht oder Meinung zu Peter Sloterdijks philosophischer Arbeit. Mir ist bei Sloterdijk lediglich aufgefallen, dass er mit wissenschaftlich orientierten Gesprächspartnern effektiv interagiert.
Bei früheren Überlegungen zum Thema 'Gelassenheit und Wirklichkeit', die ich aufgrund einer persönlich schwierigen Situation nach meiner Krebsoperation angestellt habe, habe ich gesehen, wie Philosophen untereinander kommunizieren: Der Philosoph Manfred Frank wirft seinem Kollegen Peter Sloterdijk in einem offenen Brief in der ZEIT vor, „Geschweife und Geschwefel“ zu produzieren und zu verbreiten. Das klingt so: „Heidegger hat den Humanismus wie so viele Denker seiner Generation (auch Karl Barth gehört zu ihnen) zu überwinden versucht - das sei ihm, denken Sie, gutgeschrieben. Er hatte schon in Sein und Zeit Philosophie nicht mehr vom Subjekt, dem Agenten der Menschlichkeitsideologie, sondern vom Sein aus zu begründen unternommen. Aber noch hielt das "Dasein" - der fundamentalontologische Nachfolgebegriff für "Subjekt" oder "Mensch" - eine bedeutende Stellung, die auch in den Schriften nach der "Kehre" nicht aufgegeben wird. So bleibt das Dasein im Brief über den ,Humanismus' zwar "nicht der Herr des Seienden", wohl aber der "Hirt des Seins". Diese ontologische "Pastorale" gilt es nunmehr - meinen Sie - durch Radikalisierung der Absage an den Humanismus zu entharmlosen, aber ebenso, dass keinerlei Moral die Berufung des Hirten zur Wahrung seiner Wahrheit normativ anleitet.“
Wer Lust hat, kann Manfred Franks Brief mit dem Titel 'Geschweife und Geschwefel' lesen. Franks Brief ist einer der Gründe, dass ich (leider?) nur Philosophen respektiere, die auch in der Lage und Willens sind, aktuelle wissenschaftliche, technische, ökonomische und politische Situationen zu reflektieren. Wir haben ja Erfahrungen, dass das bei philosophisch orientierten Gesprächspartnern nicht selbstverständlich ist.
Nachtrag am 16.2.2018
Peter Hiemann schrieb: Herausragende Literaten haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf individuelle Denk- und Verhaltensweisen einer Epoche. Dieser Einfluss wird vorwiegend deutlich, wenn Literaten erklären, von welchen geistigen Prinzipien sie sich leiten lassen, welche Weltanschauung sie vertreten.
Will man Goethes Weltanschauung verstehen, so darf man sich nicht damit begnügen, hinzuhorchen, was er selbst in einzelnen Aussprüchen über sie sagt. Goethe sieht sich selber so: «Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht, und sich sodann in der Grenze des Begreiflichen zu halten.» Ein Problem, das der Mensch gelöst zu haben glaubt, entzieht ihm die Möglichkeit, tausend Dinge klar zu sehen, die in den Bereich dieses Problems fallen. Goethe hatte in sich die Vorstellung ausgebildet, dass sich seinem Geist „eine plastisch-ideelle Form offenbart, wenn er die Mannigfaltigkeit der Pflanzengestalten über schaut und ihr Gemeinsames beachtet“. Über die symbolische Pflanzengestalt schrieb Goethe: «Eine solche muss es denn doch geben! Woran würde ich sonst erkennen, dass dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären.»
Schiller betrachtete dieses Gebilde, das nicht in einer einzelnen, sondern in allen Pflanzen leben sollte, und sagte kopfschüttelnd: «Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee.» Wie aus einer fremden Welt kommend, erschienen Goethe diese Worte. Er konnte nichts entgegnen als: «Das kann mir sehr lieb sein, wenn ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe.» Und er war ganz unglücklich, als Schiller daran die Worte knüpfte: «Wie kann jemals eine Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemessen sein sollte. Denn darin besteht das Eigentümliche der letzteren, dass ihr niemals eine Erfahrung kongruieren könne.»
Zwei entgegengesetzte Weltanschauungen stehen in diesem Gespräch einander gegenüber. Es hat für Goethe keinen Sinn zu sagen, ein Ding entspreche der Idee nicht. Anders denkt Schiller. Ihm sind Ideenwelt und Erfahrungswelt zwei getrennte Reiche. Quelle: Rudolf Steiner - Goethes Weltanschauung. In den »Philosophischen Briefen« gibt Schiller seiner spiritualistisch-optimistischen Weltanschauung beredten Ausdruck. »Das Universum ist ein Gedanke Gottes.« »Wo ich einen Körper entdecke, da ahne ich einen Geist.« Alle Geister werden von Vollkommenheit angezogen, alle streben nach dem Zustand der höchsten freien Äußerung ihrer Kräfte. Die Natur ist »ein unendlich geteilter Gott«. Quelle: textlog.de – Historische Texte – Friedrich Schiller
Versuchen wir herauszufinden, welche Weltanschauung Martin Walser vertritt, werden wir von ihm belehrt, dass er das Wort 'Weltanschauung' meidet, weil es einen fragwürdigen 'kentaurischen' Sinn hat: „Das dunkle Wortgebräu Weltschmerz zeigt durch seine schwer auflösbare Konstruktion nur, daß man eben nicht genau weiß, woran man leidet, wenn man unter Weltschmerz leidet. Aber so zurückhaltend und verhangen ein allgemeiner Kummer sich als Weltschmerz beklagt, so unverfroren kann jede unerkannte Verdauungsbeschwerde bei uns als Weltanschauung auftreten. Das liegt in der kentaurischen Natur dieser sprachlichen Möglichkeit.“ Quelle: Martin Walser: Einheimische Kentauren oder: Was ist besonders an der deutschen Sprache? (DIE ZEIT Nr. 47 / 1964)
Mit anderen Worten: Martin Walser hält es für angebrachter, über die Schönheit der Welt zu reden, als darüber, wie wissenschaftliche, technische, ökonomische und politische Erfahrungen und Erkenntnisse Weltanschauungen und individuelle Denk- und Verhaltensweisen prägen. In dem Cicero-Interview beruft sich Walser mehrfach auf philosophische Aussagen, speziell auf Platons Vorstellung einer absoluten Ideenwelt. Man fragt sich: Hat Walser jemals darüber nachgedacht, dass die Schönheit einer Blume in seinem Garten am Bodensee weniger für ihn attraktiv sein will, sondern dass die Blume attraktiv für die Hummel sein muss, um sie zu bestäuben.
Nachtrag am 17.2.2018
Peter Hiemann ergänzte: Ich habe keine spezielle Einsicht oder Meinung zu Peter Sloterdijks philosophischer Arbeit. Mir ist bei Sloterdijk lediglich aufgefallen, dass er mit wissenschaftlich orientierten Gesprächspartnern effektiv interagiert.
Bei früheren Überlegungen zum Thema 'Gelassenheit und Wirklichkeit', die ich aufgrund einer persönlich schwierigen Situation nach meiner Krebsoperation angestellt habe, habe ich gesehen, wie Philosophen untereinander kommunizieren: Der Philosoph Manfred Frank wirft seinem Kollegen Peter Sloterdijk in einem offenen Brief in der ZEIT vor, „Geschweife und Geschwefel“ zu produzieren und zu verbreiten. Das klingt so: „Heidegger hat den Humanismus wie so viele Denker seiner Generation (auch Karl Barth gehört zu ihnen) zu überwinden versucht - das sei ihm, denken Sie, gutgeschrieben. Er hatte schon in Sein und Zeit Philosophie nicht mehr vom Subjekt, dem Agenten der Menschlichkeitsideologie, sondern vom Sein aus zu begründen unternommen. Aber noch hielt das "Dasein" - der fundamentalontologische Nachfolgebegriff für "Subjekt" oder "Mensch" - eine bedeutende Stellung, die auch in den Schriften nach der "Kehre" nicht aufgegeben wird. So bleibt das Dasein im Brief über den ,Humanismus' zwar "nicht der Herr des Seienden", wohl aber der "Hirt des Seins". Diese ontologische "Pastorale" gilt es nunmehr - meinen Sie - durch Radikalisierung der Absage an den Humanismus zu entharmlosen, aber ebenso, dass keinerlei Moral die Berufung des Hirten zur Wahrung seiner Wahrheit normativ anleitet.“
Wer Lust hat, kann Manfred Franks Brief mit dem Titel 'Geschweife und Geschwefel' lesen. Franks Brief ist einer der Gründe, dass ich (leider?) nur Philosophen respektiere, die auch in der Lage und Willens sind, aktuelle wissenschaftliche, technische, ökonomische und politische Situationen zu reflektieren. Wir haben ja Erfahrungen, dass das bei philosophisch orientierten Gesprächspartnern nicht selbstverständlich ist.
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