Wille zum
Überleben oder Wille zur Macht
Vielen neuzeitlichen
Autoren scheint es vor allem der Verfall des imposanten Römerreich angetan zu
haben. Sie suchen dafür Gründe und entwickeln eine Vielzahl von Theorien. Mir
erscheint dagegen der Aufstieg die viel interessantere Phase zu sein. Warum hat
es diese kleine Stadt in der Provinz Latium anstatt aller ähnlichen Städte geschafft,
ein Weltreich zu gründen, das über Jahrhunderte Bestand hatte? Auch die
Beantwortung dieser Frage erfordert viel Phantasie und hat diverse Thesen
hervorgebracht. Oft wird dann vergangenes Geschehen anhand neuer Denkweisen und
Begriffe interpretiert.
Sehr
früh hat Rom seine so genannte Königszeit hinter sich gelassen. Dabei darf man
sich diese Könige nicht wie feudale Herrscher vorstellen, sondern eher als
Bandenführer (ital. condottiere). Sie
kamen aus unterschiedlichen Orten und Gegenden. Das aus mehreren Dörfern
zusammengewachsene Stadtgebiet schuf sich sehr früh (um 500) eine
republikanische Verwaltungsstruktur. Sie als Demokratie zu bezeichnen, wäre
falsch. Es war eher eine Mischform zwischen Oligarchie und Demokratie. Es gab
die alten Familien, die Land besaßen, sowie deren Gesinde, die Handwerker und
die vielen Besitzlosen. Diese zwei Gruppen nannte man Patrizier einerseits (also
von Vätern abstammend) und Plebejer (lat. plebs)
andererseits. Manchmal spricht man auch von Adeligen und gemeinem Volk. Nur
wenige konnten aufsteigen. Es waren dies dann so genannte neue Männer (lat. homines novi). Das Maß an Verschuldung
war oft extrem hoch. Im Falle einer totalen Zahlungsunfähigkeit konnte jemand
als Sklave (‚über den Tiber‘) verkauft werden. Ansonsten entstammten Sklaven
den häufigen Kriegszügen. Politisch spielten Frauen fast immer eine Nebenrolle.
Im
Krieg waren die Patrizier beritten oder kämpften als Schwerbewaffnete
(Hopliden), die Plebejer stellten nur Leichtbewaffnete. Lange herrschte unter
Historikern die Meinung vor, dass Roms Angriffslust hauptsächlich aus purer
Angst vor den Nachbarn und den vagabundierenden Galliern und Germanen erwuchs.
Rom habe also vorwiegend Präventivkriege geführt. Das sieht Bloesel anders. Er sieht
die Stärken Roms im Vergleich zu seinen Nachbarn und damit den Grund für seinen
Aufstieg vor allem in drei Punkten:
- Eine auf Leistung und Wettbewerb ausgerichtete Oberschicht mit einem daraus resultierenden großen Reservoir an Führungskräften und Heerführern.
- Einer geschickten Vertrags- oder Beherrschungsstrategie für nahe und entlegene Partner mit brutalen Strafen für Vertragsbrüche.
- Einer enormen Ausdauer bei der Erreichung langfristiger Ziele.
Aufstieg
dank Familienbindung und Meritokratie
Zwischen
20 und 30 Familien (lat. gens, pl. gentes) bestimmten die Geschicke Roms. Beispiele
waren die Cornelier, die Flavier und die Julier. Dabei wechselten diese sich
ab, je nach dem wer gerade in der Lage war, öffentliche Ämter auszuüben. Neben
dem Besitz spielte es eine Rolle, welche Beziehungen in der Stadt oder
außerhalb man besaß. Hier konnten Eheschließungen (so wie später bei den
Habsburgern) gezielt für politische Zwecke eingesetzt werden.
Für
alle Ämter galt eine Reihenfolge, in der sie ausgeübt werden konnten. Es begann
mit rein administrativen Aufgaben, stieg über richterliche zu den religiösen
und militärischen. Die vorgeschriebene Laufbahn (lat. cursus honorum) führte vom Quästor über den Ädilen und Prätor zum
Konsul. Ein Quästor war der Verwalter der Staatskasse und des Staatsarchivs.
Der Ädil übte Polizeigewalt aus, beaufsichtigte Märkte und Feste und versorgte
die Tempel. Der Prätor sprach Recht und vertrat die Konsuln. Zwei Konsuln bildeten
die Spitze des Staates. Die Regeln der Republik bildeten sich im Laufe der
Jahrhunderte heraus, wobei folgende Prinzipien von besonderer Bedeutung waren:
- Alle Ämter durften nur für ein Jahr ausgeübt werden (Annuitätsprinzip).
- Zwischen zwei Ämtern musste ein ämterloser Zeitraum von zwei Jahren liegen (Bienniat).
- Eine zweite Amtszeit war ausgeschlossen (Iterationsverbot).
- Alle Ämter – mit Ausnahme der Diktatur – wurden von mindestens zwei Personen gleichzeitig besetzt (Kollegialität), die sich gegenseitig kontrollierten.
- Wer ein Amt ausüben wollte, musste zuvor das nächstniedrigere Amt innegehabt haben.
In
Krisenzeiten gab es für Konsuln und Senat die Möglichkeit, für ein halbes Jahr
einen Diktator zu ernennen. Diesem unterstanden alle anderen Ämter. Eine ähnliche
starke Stellung hatte der Volkstribun als Vertreter der Volksgemeinschaft (lat.
populus). Alle Ämter wurden von der
Legislative bestellt und kontrolliert. Diese bestand quasi aus zwei Häusern,
dem Senat, der sich primär aus dem Adel rekrutierte, und der Volksversammlung
(Komitie). Die Konsuln leiten die Sitzungen sowohl des Senat wie der Volksversammlung.
Sie sprachen Recht, kontrollierten das Finanzwesen und leiteten das Heer. Als spezielle
Voraussetzung für das Amt des Konsuls galt die vorherige Teilnahme an einer
Mindestzahl von fünf bis acht Kriegszügen. Die Konsuln stammten in der Regel
aus Adelsfamilien, einer konnte auch aus dem gemeinen Volk stammen.
Auf vielen Gebäuden im von Rom kontrollierten Staatsgebiet wurde auf diese Machtbalance voller Stolz hingewiesen. Es waren die vier Buchstaben S.P.Q.R., stehend für Senatus Populusque Romanus (deutsch: Senat und Volk Roms).
Römisches Staatssymbol
Die
Ausübung eines Amtes wurde immer dann als Erfolg angesehen, wenn es den Ruhm
des Trägers und damit den seiner Familie vermehrte. Die Taten und Leistungen
eines Beamten oder eines Soldaten wurden akribisch erfasst und bewertet. So
wurde nach einem Kriegszug festgehalten, wer als Erster die Mauerkrone einer
feindlichen Stadt erklommen, einem Mitbürger das Leben gerettet oder dem Heer eine
Niederlage erspart hatte. Als Folge dieser Meritokratie konnten Kriegshelden
aus einfachen Verhältnissen anschließend Karriere machen. Ein Kriegsherr durfte
einen Siegeszug feiern, und zwar immer nur dann, wenn er möglichst viele Feinde
vernichtet hatte. Die Mindestgrenze lag bei 5000 gefangenen oder getöteten
Feinden. Ähnliches galt für das Recht öffentliche Totenfeiern (Funebrien) für
berühmte Familienmitglieder zu feiern. Historiker haben für die Zeit von 100
Jahren (367 bis 264) mehr als 67 Triumphzüge gezählt.
Bundesgenossen
und Rivalen
Nach
und nach wurden alle Stämme Süditaliens (auch Italiker genannt) als
Bundesgenossen gewonnen. Sie konnten das römische Bürgerrecht erwerben oder
sich durch Heirat mit römischen Familien verbinden. In Sizilien stieß man jedoch
auf einen starken externen Gegner, nämlich Karthago. Dies führte zu einer
längeren Auseinandersetzung, den drei punischen Kriegen.
Volksgruppen der Italiker
Das
Gebiet nördlich der Linie Arno-Rubicon galt als Gallia cisalpina. Dort gründete
Rom neue Siedlungen und Städte, die es mit Veteranen oder Bundesgenossen
bevölkerte. In Spanien und Südfrankreich verließ man sich zunächst auf
Vasallen, was aber nicht immer funktionierte. Die Vasallen sollten Tribut
zahlen und ihr Gebiet stabil halten. Sobald sich die Einsicht verbreitete, dass
indirekte Herrschaft nicht funktionierte, veranlasste dies die Römer Provinzen
zu bilden, die sie selbst verwalteten.
Solche
Schwierigkeiten bewogen Julius Caesar nach seiner Zeit als Konsul im
transalpinen Gallien militärisch tätig zu werden. Er führte einen blutigen,
acht Jahre dauernden Feldzug in Gallien (58-50). Er eroberte ganz Gallien für
Rom. Britannien und das rechtsrheinische Germanien besuchte er je zweimal. In
einem Buch Der Gallische Krieg (2017, 271 S.) von Markus Schauer, einem Bayreuther
Althistoriker, welches ich vorher las, wurde Caesars Motivation ausführlich dargelegt.
Sie bestand hauptsächlich darin, den Ruhm seiner Familie, der Julier, zu
mehren. Dass er später mit dazu beitrug, die Republik zu zerstören und einer
Monarchie den Weg zu bereiten, steht außer Frage.
Langfristige
Orientierung und Ausdauer
Durch
die oben erwähnte strenge zeitliche Beschränkung aller Regierungsämter sollte der
Gefahr der Bereicherung im Amt gegengesteuert werden. Eine langfristige
Kontinuität der Politik wurde dennoch dadurch gewährleistet, dass alle Senatoren
auf Lebenszeit ernannt wurden. Das waren immerhin 300 angesehene und
einflussreiche Persönlichkeiten. Als Ausdruck eines langfristigen Ziels ist zum
Beispiel Catos berühmten Satz zu verstehen, den er in jeder Senatssitzung wiederholt
haben soll, nämlich dass Karthago zerstört werden müsse (lat. ceterum censeo Carthaginem esse delendum).
Portius Cato (234-149) war ein homo novus und diente 30 Jahre im Senat. Es
benötigte über 100 Jahre (264-146) ehe das von Cato anvisierte Ziel erreicht
war. Auch Caesar benötigte volle acht Jahre zur Bezwingung desselben Gebietes, in dem eine spätere Auseinandersetzung in sechs Wochen ablief und das Wort
‚Blitzkrieg‘ verwendet wurde.
Politischer
Stil und gezielte Aktionen
Es
steht außer Frage, dass die Oberschicht Roms sehr politisiert war. Dabei gingen
Innen- und Außenpolitik fast nahtlos in einander über. Am Beispiel des Julius
Caesar wird dies offensichtlich. Das bereits erwähnte Buch von Schauer ist hier
eine gute Quelle.
Caesar
hatte gerade sein Jahr als Konsul beendet, als er sich um einen militärischen
Auftrag zur Befriedung einer Provinz bewarb. Fast zufällig fiel seine Wahl auf
Gallien. Es war reich und lag nicht zu weit weg. Er konnte beliebig oft in Rom
auftauchen und sich um die dort anstehenden Fragen kümmern. Er selbst war
äußerst bemüht, dafür zu sorgen, dass seine Taten nicht ignoriert oder in
falschem Licht erschienen. Deshalb diktierte er für jedes der ersten sieben
Kriegsjahre einen Bericht. Das achte Kriegsjahr dokumentierte einer seiner
Offiziere.
Römisches Imperium
Caesar erzählte nur das, was er für den Ruhm seines Namens und seiner Familie als hilfreich ansah. Er lobte seine Gegner über alle Maßen, da damit der Wert seiner Leistung stieg. Manchmal charakterisierte er sie als Bestien, einmal sogar als Kannibalen. Er erwähnte seine Offiziere kaum. Er schrieb in der dritten Person Singular (Caesar tat dieses, Caesar tat jenes). Er nannte das ganze Werk einen Kommentar, hoffend, dass das Material von andern Autoren verwendet würde, um daraus einen richtigen Geschichtstext zu erstellen. Nur war sein Latein so gut, dass sich niemand traute. Der Text gilt auch heute noch als die ideale Lektüre für Lateinschüler überall in der Welt. Er beschäftigte bis zu sieben oder acht Schreiber, denen er oft gleichzeitig unterschiedliche Texte diktierte. Freunde in Rom reproduzierten und verteilten das Material.
Soziale
Spannungen und Konflikte
Als
Beispiel eines auf sozialen Spannungen beruhenden Konflikts gilt das Schicksal
der Gebrüder Gracchus. Der Volkstribun Tiberius Sempronius Gracchus ließ um
133 Land aus dem Gemeindebesitz (lat. ager
publicus) an Proletarier verteilen. Jeder Großgrundbesitz, der über 125
Hektar hinausging, sollte von einer Kommission verteilt werden. Als der andere Volkstribun
(Marcus Octavius) diese Reform per Veto verhinderte, ließ Gracchus ihn abwählen
und das Ackergesetz von der Volksversammlung beschließen. Als er im Begriff
stand, sich erneut zum Volkstribun wählen zu lassen, wurde er erschlagen.
Sein
jüngerer Bruder Gaius Sempronius Gracchus hatte ähnliche Ziele wie sein Bruder.
Auch ging es ihm darum, die Ehre seiner altadligen Familie wiederherzustellen.
Er war quasi zur Rache verpflichtet. Zehn Jahre nach der Ermordung des Tiberius
begann Gaius mit der Erneuerung des Ackergesetzes und mit der Versorgung der
bedürftigen Stadtbevölkerung mit billigem Getreide. Wie bereits sein Bruder
fand er keine Mehrheit im Senat. Es gelang diesem durch Demagogie seine
Anhänger abspenstig zu machen. Es kam im Jahre 121 zu Straßenkämpfen, bei denen
seine Gefolgsleute zu Hunderten erschlagen wurden. Er selbst ließ sich von
einem Sklaven töten.
Die
Gracchen wurden bereits in der Antike als Vorkämpfer des einfachen Volkes gefeiert.
Nach Meinung der heutigen Althistoriker waren es jedoch ausschließlich
Rivalitäten zwischen den Adelsfamilien, die hier zum Ausbruch kamen.
Demilitarisierung
und Zerfall der Führungsschicht
Eine
sich ausbreitende militärische Disqualifikation des Adels begann bereits nach
dem zweiten Punischen Krieg (218-201). Auch waren die Verluste an
Führungskräften in den Kämpfen sehr hoch. Der bereits erwähnte Cato beklagte,
dass junge Adlige neuerdings mehr Wert auf Reden legten als auf militärische
Taten. Durch die großen Gewinne, die in den Provinzen erzielt wurden, bildete
sich ein Vermögensgefälle zwischen den dort Tätigen und den Daheimgebliebenen. Dank
einer zunehmenden Spezialisierung auf Wein, Obst und Gemüse konnten einige Landbesitzer
höhere Erträge erzielen als andere. Kleine Bauern verarmten, die Großbauern wurden
reich.
Viele
gebildete Römer huldigten der griechischen Kultur. Sie sprachen lieber
Griechisch als Latein. Cato wehrte sich auch gegen den Einfluss der griechischen
und persischen Welt. So gelang es ihm eine aus Athen angereiste griechische
Philosophengruppe nach Hause zu schicken, bevor sie aufgetreten war.
Ende
der Republik und Etablierung der Monarchie
Der
Verfall der republikanischen Ordnung begann schrittweise. Lucius Cornelius Sulla
(138-78) gab den ersten Anstoß. Als ihm die Befehlsgewalt entzogen werden
sollte, begann er einen Marsch auf Rom. Sein Konkurrent Marius musste zunächst
fliehen, kam jedoch zurück und vertrieb seinerseits Sulla. Nachdem Sulla in
Griechenland neue Kräfte gesammelt hatte, unternahm er einen zweiten Marsch auf
Rom (82). Dabei tötete er viele seiner Gegner und verschleuderte deren
Landbesitz. Er beschnitt die Rechte der Volkstribunen und erhöhte die Zahl der
Senatoren auf 600.
Als
starker Mann profilierte sich Gnaes Pompeius (106-46) bei der Auslöschung des berühmten Spartacus-Aufstands.
Anschließend befriedete er Kleinasien und eroberte Armenien und die Kolchis
(das heutige Gebiet um Sotschi). Danach wurde er nach Rom gerufen, um die Verschwörung
Catilinas zu bekämpfen (62). Der Senat verweigerte ihm die erwartete Ehrung.
Auf Betreiben Caesars wurde darauf ein Triumvirat gebildet, bestehend aus Caesar,
Pompeius und Crassus. Anschließend verbrachte Caesar seine acht Jahre in Gallien.
Nachdem Crassus im Kampf gegen die Parther (52) gefallen war, erklärte sich
Pompeius zum alleinigen Konsul. Er forderte Caesar auf, seine Provinzen abzugeben.
Als dann der Senat verlangte, dass Caesar seine Truppen auflöste, überschritt dieser
den Rubicon (49). Er zitierte dabei einen griechischen Dichter mit den Worten
‚Die Würfel sind geworfen‘ (lat. iacta
sunt alea).
Pompeius
und die Senatoren flohen aus Italien nach Griechenland. Nach Caesars Sieg über Pompeius
(bei Pharsalos) floh dieser nach Alexandrien. Dort wurde er ermordet. Nach
seiner Affäre mit der ägyptischen Königstochter Kleopatra, aus der ein Sohn mit
Namen Kaisarion hervorging, ließ Caesar sich für 10 Jahre zum Diktator ernennen.
Er besaß damals 34 Legionen (mit je bis zu 6000 Soldaten). Das bewog eine Gruppe
im Senat, geführt von Brutus und Cassius, Caesar zu ermorden, und zwar an den
Iden des März des Jahres 44. Caesars Freund Antonius hielt die Grabrede. Keiner
der am Mord beteiligten wurde je angeklagt. Caesars Neffe Oktavian schaffte es
dann doch, Caesars Mörder zu vernichten und sich selbst zum erhabenen Kaiser (lat.
caesar augustus) aufzuschwingen. Er
leitete eine längere Periode des Friedens ein. In diese Zeit fiel auch die
Erhebung Triers zu einer
Augustus-Stadt (lat. Augusta Treverorum).
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