Montag, 17. Juni 2019

Mietdeckel in Großstädten – nur ein Denkanstoß

Es ist offensichtlich ein weltweites Phänomen. Die Megastädte wachsen, das sie umgebende Land dünnt bevölkerungsmäßig aus. Früher hieß dies Landflucht. In Deutschland klagen Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Leipzig und Köln über einen starken Zustrom von Einwohnern und eine recht angespannte Wohnungssituation. Im Folgenden betrachte ich Berlin näher, obwohl in den andern genannten Städten gewisse Parallelen zu entdecken sind.

Berlin und die Berliner ließen die übrigen Deutschen manchmal staunen. Einst war Berlin Zufluchtsort für Kriegsdienstverweigerer, NATO-Kritiker und diverse linke Gruppen. Rudi Duschke ist uns allen in Erinnerung. Klaus Wowereits Slogan ‚Arm aber sexy‘ war kaum geeignet, das Mitgefühl der Berlin unterstützenden Bundesländer zu stärken. Jetzt, gut 50 Jahre nach Duschke, sind Berliner Politiker mal wieder dabei, meine Geduld zu strapazieren. Der linke Senat der Stadt trägt sich nämlich mit dem Gedanken, einen Mietenstopp einzuführen. Fünf Jahre lang sollen Mieten nicht erhöht werden dürfen. Manche sehen darin einen eklatanten Verstoß gegen unser Grundgesetz.

Abgesehen davon, dass die Eigentümer sich wehren und klagen werden, hoffe ich, dass der Markt seine Konsequenzen zieht. Ich wünsche mir, dass eine signifikante Zahl von Firmen, vor allem junger Firmen, aus Berlin wegzieht, so dass die Mitarbeiter der verbleibenden Firmen kein Problem mehr haben, Wohnungen zu finden. Leider ist in Berlin der Anteil der aus öffentlichen Mitteln geschaffenen Stellen unverhältnismäßig hoch. Hier wird es daher etwas länger dauern, bis sich eine Wirkung zeigt. Sie tritt erst ein, wenn die Verantwortlichen in den Geberländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen die Geduld verlieren und den Finanzausgleich der Länder kündigen. Ich rechne, dass dabei etwa ein Jahrzehnt vergeht.

Nachdem unter anderem aufgrund der 5G-Versteigerung der Bund reichlich Mittel besitzt, um in flächendeckende Netze zu investieren, wäre es an der Zeit die ländlichen Regionen etwas aufzuwerten. Junge Firmen sollten sich primär dort ansiedeln. Gäbe es Kapital, das frei investieren dürfte, würde es dahin fließen, wo junge Firmen entstehen. Der Bund könnte durch die Verlegung von Behörden den sich abzeichnenden Trend weiter unterstützen. Dass die Bundesländer da etwas tun werden, ist nicht zu erwarten. Einige von ihnen sind eh Stadtstaaten, andere neigen eher zu einer kurzsichtigen Kirchturmpolitik.

Bekanntlich ist Wohnraum in ländlichen Regionen kein Problem. Hier gibt es nicht nur viele leerstehende Wohnungen, sondern auch nicht ausgelastete soziale Einrichtungen wie Kliniken und Arztpraxen. Auch Schulen und Polizeistationen sind noch nicht überfordert. Warum denkt die Politik vorwiegend an Großstädte, wobei doch die mittleren Städte den Charakter unseres Landes prägen? Warum berichten Medien lieber über Probleme als über Lösungen?

Klaus Küspert aus St. Leon-Rot schrieb:

Viele junge Leute möchten halt bekanntlich gerne im Großstädtischen leben - deshalb ja auch der Zuzug Richtung Berlin, München, Leipzig,…Das gilt für ausländische Fachkräfte etwa aus Asien sogar noch stärker.

SAP z. B. tut sich mit seinem Standort Walldorf schon seit langem deshalb etwas schwer. Oder Zeiss mit Oberkochen. „Metropolregion Rhein-Neckar“ sagt eben dem Inder oder Chinesen auch nur beschränkt etwas  „Greater Frankfurt“ scheint gelegentlich zu helfen, ein bisschen zumindest. SAP hat mit Gründung des Innovation Centers in Potsdam und dergleichen reagiert. Telekom Labs in Berlin. IBM Watson in München usw.  Schambachs jüngste Firma (seit 2015), NewStore, hat ihre Entwicklertruppe auch hauptsächlich in Berlin - sogar in Sichtweite zum Reichstag.

Kann man gut oder schlecht finden. Ich sehe durchaus den Reiz des ländlichen Raums. Unsere erwachsenen Kinder sehen es teils anders. Vielleicht verschiebt sich diesbezüglich auch wieder etwas mit anwachsendem Lebensalter.

Bertal Dresen ergänzte:

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine gute Strategie ist, krampfhaft neuen Wohnraum zu beschaffen durch das Aufstocken von Garagen und Einkaufszentren oder das Schließen von Baulücken. Für diejenigen Jugendlichen, die sich von Party-Meilen angezogen fühlen, könnten Lösungen basierend auf dem Prinzip von Airbnb ausreichen. Ähnlich der Mode, so können sich die Vorlieben der jungen Leute innerhalb weniger Jahre ändern. Vielleich erhält dann ein anderes Lebensgefühl denn Vorrang, etwa die Nähe zur Natur oder die Selbstversorgung mit Lebensmitteln.

Ich sehe auch nicht ein, warum der Berliner Senat Mieten einfrieren oder Sozialwohnungen bauen muss für ausländische Ingenieure, Künstler und Programmierer, egal ob sie aus der EU, dem früheren Ostblock, dem britischen Commonwealth oder China kommen. Oder denkt er primär an deren Hauspersonal und ihre Dienstleister? Die kurz bevorstehende massenhafte Zurverfügungstellung von E-Tretrollern bietet außerdem eine Alternative zum ÖPNV, sofern es darum geht, Entfernungen zwischen Wohnort und Arbeitsstelle zu überwinden.

Übrigens geht es hier nicht nur um den Reiz des ländlichen Raumes, sondern um Milliarden Euro, die falsch oder sinnvoll von öffentlichen Stellen investiert werden.

Lother Monshausen aus Bitburg schrieb:

Auch für Eigenheimbesitzer wie mich hält der Staat die gierigen Finger drauf. Bedenken Sie mal die immensen Kosten beim Brandschutz bei Neubauten! Man faselt immer von Mietern, aber nie über die Vorgaben, die ein Investor heute leisten muss. Es wird auch in Zukunft keine billigen Sozialwohnungen geben, weil staatliche Förderer in den Bundesländern das Sagen haben. Auch den Solidaritätsbeitrag wird man nie mehr los. Eine Klimasteuer wird bei einer Bundesregierung mit der "Grünen Partei" sicherlich kommen.

Fazit: Das Limit für staatliche Steuerabgaben bleibt! Nur haben diese einen anderen Namen. Das ist die Meinung von sehr vielen "normalen Bürgern", die das mittlerweile auch begriffen haben. Andere politische Parteien profitieren natürlich davon.

Peter Hiemann aus Grasse schrieb:   

Das Problem unbezahlbaren Wohnraums existiert gleichermaßen in Stuttgart, München und anderen Städten. Die Antwort auf die Frage "Warum berichten Medien lieber über Probleme als über Lösungen?" lautet: Es ist Aufgabe seriöser (!) Journalisten, über Pläne und Aktionen von Vertretern der Politik und Wirtschaft aufzuklären und zu berichten. 
 
Die politischen Entscheidungsträger haben den vorhersehbaren Engpass an bezahlbarem Wohnraum schlicht ignoriert bzw. nicht ernst genommen.Die Bewohner betroffener Städte finden die Kritik an politischen Entscheidungsträgern mehr als berechtigt. 

Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Jetzt ist guter Rat sehr teuer. Im Raum steht nun die Frage: Welche Möglichkeiten haben die Bürgermeister betroffener Städte, das Kind zu retten? 


Bertal Dresen ergänzte:

Man darf doch fragen, welches Problem es ist, das man lösen muss. Sie sagen, es sei das beschränkte Angebot an bezahlbarem Wohnraum. Ich wende dagegen ein, es könnte auch der modehafte Dünkel sein, dass das Wohl der Menschheit in Megacities zu suchen ist.

Die Erwartungen, die Sie an Kommunalpolitiker stellen, sind übermenschlich. Sollten in fünf Jahren nur noch vor Ort gewachsenes Obst Absatz finden, müssten Wowereits Nachfolger und Kollegen heute Obstbäume pflanzen. Das überfordert sogar jede Form der Planwirtschaft.


Hartmut Wedekind aus Darmstadt schrieb:

Die Nazis nannten das 1936 Preisstoppverordnung. Das ist ein bekannter Akt. Das Messgerät, das mir einen Zustand darstellen soll, schlägt man kaputt. Mich regt das schon gar nicht mehr auf. Ein Preisstopp beruhigt die Gemüter, und das ist der Hauptsinn. Wenn der Stopp sich perpetuiert, hat das bekanntlich schlimme Folgen, in diesem Fall auf die Bausubstanz. Die wird dann wie in der ehemaligen DDR. Die Baufälligkeit dominiert dann. Die Klagen höre ich heute schon.

Bertal Dresen ergänzte:

Zur DDR-Tradition bekennt sich auch der fast 30-jährige Berliner Student und JUSO-Vorsitzende Kevin Kühnert. Ein Beitrag dieses Blogs vor einem Monat und die Titelgeschichte des SPIEGELs 24/2019 waren ihm gewidmet. Er fordert unter anderem die Verstaatlichung der Wohnwirtschaft.

Lothar Monshausen aus Bitburg schrieb: 

Die Bundesregierung hat heute (17.6.) Einiges beschlossen wegen der (teilweisen) Abschaffung des Solidaritätsbeitrags. Ob man das ernst nehmen kann? Bei der Grundsteuer wurde auch nur etwas Schwammiges auf die Bundeländer übertragen. Aus längjähriger Erfahrung, weiß auch jeder in abgelegenen Orten wie in der  Eifel, dass die Aussagen nur heiße Luft sind. 

Warum ziehen die händeringend nach Wohnungen suchenden nicht in abgelegene Dörfer, da gibt es leerstehende Häuser satt. Jeder will ja am besten im München, Hamburg oder Frankfurt wohnen, dafür hat man doch studiert, oder? Heute ist das Mobilfunknetz dort [d.h. in der Eifel] fast kaum vorhanden (habe ich selbst oft erlebt), aber man muss die gleichen Tarife zahlen bei der Telekom oder sonstigen. Hauptsache in Berlin geht es dem Flughafen gut...

Peter Hiemann aus Grasse schrieb:

Wir unterscheiden uns in der Sichtweise auf ein existierendes Problem: Ich sehe mich als Beobachter einer Kontroverse und versuche zu verstehen, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Sie sehen sich vermutlich als Verteidiger privater Vermieter und Immobilieninvestoren und vermuten, dass 'linksorientierte'  Regierungsvertreter die Gesetze des freien Marktes nicht kapieren bzw. einfach nicht akzeptieren wollen.

Ich füge dem drei Bemerkungen hinzu:
(1) Ich nehme an, dass Städte über moderne Computersysteme verfügen, die Experten  bei der Stadtplanung benutzen.  Moderne Planungen haben nichts mit der Planwirtschaft der ehemaligen DDR zu tun.
(2) Marko Rosteck, Sprecher der Deutsche Wohnen SE, hat erklärt: „ In den vergangenen Jahren haben immer wieder Vertreter der Kritischen Aktionäre ihr Rederecht genutzt  und  ihre Anliegen platziert.“ (Christian Russau, Vorstand des Dachverbands Kritische Aktionäre: „Wir fragen nach, legen den Finger in die Wunden. Denn Wachstum und Rendite beißen sich zu oft mit Umweltschutz, Frieden und Menschenrechten.“)
(3) Als Warren Buffett von Journalisten über seine Rolle in der heutigen Gesellchaft befragt wurde, antwortete er unmissverständlich: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen". „Meine Freunde und ich sind lange genug von einem milliardärfreundlichen Kongress verhätschelt worden. Es ist Zeit, dass unsere Regierung Ernst damit macht, allen gemeinsame Opfer abzuverlangen" .

Ich schlage vor, es bei der Feststellung unterschiedlicher Sichtweisen zu belassen. Unsere Sichtweisen spielen für kommende Entscheidungen sowieso keine Rolle.


Bertal Dresen ergänzte:

Die Erfahrungen, die meine Frau und ich als private Vermieter machten, waren sehr durchwachsen. Sie waren jedoch nicht so schlecht, dass wir dieses Geschäftsmodell total in Frage stellen würden.

Nochmals Bertal Dresen:
Wer die Mieten in den Metropolen künstlich niedrig hält, verschärft den Konflikt zwischen Stadt und Land. Es wäre ein Drama, sollte diese Art von Wirtschaftspolitik Schule machen. So sieht es Der SPIEGEL in seiner Online-Ausgabe. Also noch jemand, der die Politik des Berliner Senats für krottenschlecht findet.



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