Dieter
Rombach (*1953) ist seit 2018 Senior Forschungsprofessor im Fachbereich
Informatik der TU Kaiserslautern. Davor war er von1992 bis 2018 Professor für
Software Engineering im Fachbereich Informatik der TU Kaiserslautern. Im Jahre 1996
gründete er das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE)
in Kaiserslautern und war bis Ende 2015 dessen geschäftsführender
Institutsleiter. Von 2015 bis 2018 war er Institutsleiter Business Development
des Fraunhofer IESE, seit 2018 Executive Berater des IESE. Seit 2015 amtiert er
ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender der Science & Innovation Alliance
Kaiserslautern (SIAK) und seit 2018 als Chief Digital Officer (CDO) der Stadt
Kaiserslautern. Rombachs Forschungsschwerpunkte lagen im Bereich
ingenieursmäßigen Methoden zur Entwicklung von Software mit vorhersagbarer
Qualität, quantitativen Methoden zum Messen und Bewerten von Softwareprodukten
und -prozessen zum Zwecke des Projektmanagements und der Qualitätssicherung; ferner
Sprachen, Methoden und Werkzeugen zur Erstellung und zum Management von
Entwicklungsprozessen auf der Basis expliziter Softwareprozessmodelle; sowie
empirischen Methoden und deren Anwendung zur Bestimmung der Effekte von
Methoden der Softwareentwicklung. Im Jahr 2009 ehrte die finnische Universität Oulu
ihn für sein Lebenswerk als Softwareingenieur mit der Ehrendoktorwürde. Im
gleichen Jahr wurde er mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik
Deutschland ausgezeichnet. Rombach ist Fellow der ACM (seit 2010) und der IEEE
Computer Society (seit 2003). Rombach ist Autor von mehr als 200
wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
Bertal Dresen (BD): Das IESE lernte ich in seiner Gründungs- und Aufbauphase kennen. Seine
damalige Forschungsrichtung wurde sehr stark von Vic Basili und seinen Kollegen
beeinflusst, die an der University of Maryland die empirischen Methoden des
Software Engineering populär machten. Das IESE ist heute eine
Forschungseinrichtung mit etwa 250 Mitarbeitern. Die Themenspanne reicht von
Automobil- und Transportsystemen über Automatisierung und Anlagenbau, Energiemanagement,
Informationssysteme und Gesundheitswesen bis hin zu Softwaresystemen für den
öffentlichen Sektor. Folgende Schlagworte stehen auf der Homepage: Smart Rural
Areas, Smart Ecosystems, Industrie 4.0, Big Data, Cloud Computing und Business
Goes Mobile. Können Sie mir erklären, was diese phänomenale Entwicklung und
Ausweitung bewirkte. Was ist der gemeinsame rote Faden, der alle diese
Aktivitäten verbindet, wenn wir einmal davon ausgehen, dass heute fast auf
allen Gebieten der Technik Software-Strukturen und Software-Qualität eine
gewisse Rolle spielt?
Dieter Rombach (DR): Das Erfolgsrezept des Fraunhofer IESE war es, von Anfang an auf
skalierbare und Fakten-basierte Software-Entwicklungsmethoden zu setzen. Alle
unsere Methoden sind sowohl für kleinere als auch grössere Softwaresysteme
robust einsetzbar und darüber hinaus haben wir (über experimentelle Ansätze)
Fakten zur Effektivität und Effizienz unserer Methoden in unterschiedlichen
Kontexten verfügbar. Damit haben wir den ingenieurmässigen Anspruch umgesetzt,
nämlich „Prozess-Produkt-Einflüsse“ quantifizieren zu können. Dies reduziert
das Einführungsrisiko neuer Methoden in das industrielle Umfeld signifikant.
Durch die wachsende Bedeutung der Digitalen Transformation wurden unsere Angebote
in allen Sektoren der Wirtschaft und Gesellschaft benötigt, und die Ausweitung
auf System Engineering durch meinen Nachfolger Peter Liggesmeyer hat ein
Übriges bewirkt. Heute ist das Fraunhofer IESE bundesweit führend bei der
Entwicklung von Middleware-Plattformen für Industrie 4.0 (siehe BaSYS4.0) und
kognitive Landwirtschaft (COGNAC).
BD: Was sehen Sie als die herausragenden Ergebnisse Ihrer Tätigkeit
am IESE an? Welches dieser Ergebnisse hat Sie am meisten überrascht? Wo ist der
Nutzen besonders klar erkennbar?
DR: Herausragendes
Ergebnis ist sicherlich die Tatsache, dass ein solches auf
Wirtschaftskooperationen angewiesenes Fraunhofer-Institut in einer kleinen Großstadt
wie Kaiserslautern aufblühen kann und nachhaltig die Entwicklung ganzer Wirtschaftssektoren
positiv beeinflussen kann. Ein weiteres herausragendes Ergebnis ist sicherlich
der maßgebliche Beitrag zur Wirtschaftskonversion in Kaiserslautern. In den
letzten 15 Jahren sind laut Wirtschaftsförderung der Stadt ca. 10.000 neue
Arbeitsplätze entstanden und große Firmen wie John Deere haben Kaiserslautern
(und insbesondere die Kooperationsmöglichkeiten mit dem Fraunhofer IESE) zum
Anlass genommen hier Ihre Forschungs-und Entwicklung für Europa zu
konzentrieren. Darüber hinaus hat das IESE inzwischen einen ausgezeichneten Ruf
als Innovationsbeschleuniger bei vielen Firmen in Deutschland – aber auch
weltweit. Wissenschaftler aus vielen Ländern tragen zum bunten Bild der
Kulturen im IESE bei.
BD: In
dem Interview im Jahre
2011 meinten Sie, dass noch sehr viel zu tun sei, bis empirische
Modelle im Software Engineering (SE) sich durchsetzen. Täuscht mich mein
Eindruck, dass das Interesse an SE als Wissenschaft und praktische Methodik auf
dem Rückzug ist? Nehmen nicht wissenschaftlich weniger rigorose Ansätze die
Aufmerksamkeit in Anspruch, nicht zuletzt die Methoden der Künstlichen
Intelligenz (KI)? Was glauben Sie, was als Aufgabe für die SE-Forschung übrig bleibt?
DR: Empirisches
Software Engineering existiert auch im Fraunhofer IESE nicht mehr als
Forschungsgebiet. Statt dessen hat es sich als Querschnittsaufgabe in allen
Abteilungen festgesetzt. Die grundlegende Forschung im empirischen Software
Engineering wird seither im Universitätsumfeld durchgeführt und fokussiert im
Kontext Big Data auf die Analyse heterogener Datensätze sowie deren
Visualisierung. Allerdings ist es inzwischen breiter akzeptiert, dass –
unabhängig welche Methoden und Technologien bei der Entwicklung eingesetzt
werden – Kenntnis über deren Effekte Voraussetzung für ziel-orientiertes
Management ist.
BD: In
der einleitenden Beschreibung Ihrer Tätigkeit wird die Science & Innovation
Alliance Kaiserslautern (SIAK)
erwähnt. Sie versteht sich als ein
Netzwerk für digitale Transformation, Zukunftsinnovationen und
interdisziplinäre Spitzenforschung. Ihre Mitglieder sind Hochschulen und
Forschungsinstitute sowie Wirtschaftsunternehmen – insbesondere aus dem
Mittelstand. Ihr Ziel ist es, Kaiserslautern und die Westpfalz zu einen
national und international herausragenden Standort zu machen. Welche konkreten Maßnahmen
haben Sie ergriffen, um ihr Ziel zu erreichen? Wo sind erste Ergebnisse zu
erkennen?
DR: Der Wissenschaftsstandort Kaiserslautern hat alle wesentlichen
Kompetenzen zur Beschleunigung der Digitalen Transformation in hoher Qualität
vertreten: (a) Ingenieurswissenschaften (z.B.: TU und IVW), Informationstechnik/Software
(z.B.: Fraunhofer IESE und ITWM, Max-Planck-Institut für Software), Big Data
und KI (z.B.: DFKI). Es gibt in Deutschland wenige Standorte mit einem solchen
breiten Angebot – es gibt keinen Standort, der Max-Planck und Fraunhofer zu
diesen Themen hat. Ziel der SIAK ist es, diese Kompetenzen weiter zu vernetzen
und damit noch attraktiver für die Wirtschaft zu werden. Erste Erfolge sind die
Ansiedlung der Europäischen Forschungszentrums von John Deere (ETIC) zu Fragen
der Autonomie und daten-basierter Dienstleistungen, die deutsche Führerschaft
bei der Entwicklung von industrie-weiten Plattformen für Industrie 4.0
(BaSYS4.0) und kognitiver Landwirtschaft (Cognac), aber auch die Erfolge und
Führerschaft der „Herzlich Digitalen“ Stadt Kaiserslautern, deren erster CDO
ich ehrenamtlich bin.
BD: Im
oben erwähnten Interview sprachen Sie viel von einem
saarländisch-pfälzisch-hessisch-badischen Forschungsverbund. Ist diese
geografische Orientierung inzwischen überholt? Dank Ihrer fachlichen Verbindung
zur University of Maryland schienen Sie thematische Gemeinsamkeiten stets hoch
einzuschätzen.
DR: Ich
bin überzeugt, dass nur interdisziplinäre und über Standorte vernetzte
Zusammenarbeit den heutigen disruptiven Herausforderungen im Kontext der
Digitalen Transformation gerecht werden kann. Dazu gehören Standort-Netzwerke
wie die SIAK, regionale nationale Netzwerke wie der in Ihrer Frage angesprochen
Softwarecluster zwischen dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen,
aber auch internationale thematische Netzwerke mit den USA (z.B.: Maryland) und
anderen Ländern in Europa und darüber hinaus. Gerade die internationalen
Netzwerke sind durch die Kombination kulturell unterschiedlicher methodischer
Herangehensweisen besonders fruchtbar.
BD: Noch
keinen Niederschlag auf Ihrer Homepage hat das von Ihnen kürzlich angetretene Amt
des Chief Digital Officers (CDO) der Stadt Kaiserslautern gefunden. Wie Ihr Oberbürgermeister
der Presse sagte, erwartet er, dass Sie den Slogan „herzlich digital“
verwenden. Sie sollen die ‚Digitalisierung nicht um ihrer selbst willen
betreiben, sondern an der Lebenswirklichkeit der Menschen ausrichten. Alle
Projekte sollen einen nachgewiesenen Nutzen für die Bevölkerung erbringen‘.
Abgesehen davon, dass Sie jetzt einen Arbeitsplatz im Rathaus haben, wie
glauben Sie, wie Sie der Stadt helfen zu können, die sicherlich sehr hohen
Erwartungen der Bürger zu erfüllen? Sind Ihre Ansprechpartner primär die
Bürger, also die Privatleute der Stadt oder auch Behörden und Unternehmen?
DR: Meine
Aufgabe als CDO ist es aufgrund meiner Erfahrungen in der Informatik aber auch
meinen Erfahrungen bei der Umsetzung die Roadmap so zu gestalten, dass wir zum
einen die technischen Möglichkeiten nutzen, aber dies zum Nutzen der
Bevölkerung gestalten. „Herzlich digital“ bedeutet, dass jedes unserer
Digitalisierungsprojekte einen messbaren Nutzen (hier ist also wieder Empirie
notwendig!) für die Bevölkerung hat, dass mit persönlichen Daten verantwortlich
umgegangen wird, dass die Finanzierung nachhaltig möglich ist, und dass in
allen Bereichen eine Balance zwischen analogen und digitalen Alternativen
erhalten bleibt. Mit diesem Ansatz haben wir eine enorme Akzeptanz und
Unterstützung bei der Bürgern, Firmen und Behörden erzielt. Regelmässig tausche
ich mich mit Bürgern über einen breit aufgestellten Beirat aus und berichte
Ergebnisse an den Stadtrat.
BD:
Bei dieser Geschichte fällt mir das Sprichwort ein: ‚Nach dem
Rathaus ist man schlauer‘. Sind es im Grunde nichts mehr als gute Worte und Ratschläge,
die Sie Ihren Besuchern geben können? Wo glauben Sie, dass Sie etwas bewirken
können? Wird die Stadt Kaiserslautern demnächst nicht mehr wieder zu erkennen
sein?
DR: Schlaue
Sprüche würden eher das Gegenteil bewirken. Wir nehmen die Bürger aktiv mit,
indem wir in Arbeitsgruppen gemeinsam neue Digitalisierungsangebote
identifizieren. Heute bereits ist Kaiserslautern Vorreiter in Rheinland-Pfalz
(offiziell so durch die Landesregierung bezeichnet), einige unserer digitalen
Verwaltungsangebote haben bundesweit in Wettbewerben erste Preise erhalten, und
auch bundesweit werden wir anerkannt. Wir arbeiten daran, dass schrittweise die Stadt in allen Bereichen digitalisiert wird.
BD: Laut unserem Kollegen Manfred
Broy ist die Digitalisierung eine Art von Revolution, die kaum
Vergleichbares in der Vergangenheit hatte. Sie sei die ‚größte technologische
Veränderung in Wirtschaft, Gesellschaft, aber auch Politik in der letzten
Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts‘.
Sehen Sie dies auch so? Werden Aktionen, wie die der Stadt Kaiserslautern,
diesem Ereignis gerecht?
DR: Dieser
Einschätzung des Kollegen Broy kann ich nur ohne Vorbehalt zustimmen. Der
revolutionäre Charakter kommt zum einen durch die ungeheuere Geschwindigkeit
der technischen Revolutionen, zum anderen durch die Auswirkungen auf alle
Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft zustande. Dies stellt natürlich auch
für uns in Kaiserslautern eine große Herausforderung dar. Wir glauben
allerdings, dass die nutzen-orientierte Vorgehensweise (Herzlich Digital), die Nutzung der breiten technisch wissenschaftlichen Ressourcen vor
Ort (SIAK), aber auch unsere sozial-wissenschaftliche Begleitforschung zur
Mitnahme breiter Kreise der Bevölkerung (Projekt „Dialog Zivilgesellschaft“)
diesen Herausforderungen gerecht werden.
BD: Lieber
Herr Rombach, haben Sie vielen Dank, dass Sie mir und meinen
Lesern diesen Einblick gewähren in die Vielzahl der Tätigkeitten, mit denen Sie
sich in Ihrer Stadt und in Ihrem Bundesland engagieren. Mögen diese Aktivitäten
Ihnen Freude und Zufriedenheit bereiten!
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