Dienstag, 16. Juli 2019

Geglückter Neustart für Europa

Spannend war es heute. Die magische Zahl hieß 374. Dieser Anzahl von Ja-Stimmen bedurfte es, damit Ursula von der Leyen Präsidentin der EU-Kommission wurde. Sie hat es geschafft. Es wurden 383. Das sind neun mehr als nötig. Die heutige Rede gab vermutlich den Ausschlag.

Vorgeschichte

Zwei EU-Insider unterhielten lange Zeit das Wahlvolk. Der Allgäuer Manfred Weber, Vorstandsmitglied der CSU, war von der Europäischen Volkspartei (EVP) zum Kandidaten erkoren. Europas Sozialdemokraten standen hinter dem Niederländer Frans Timmermans. Auch andere Gruppierungen ernannten Spitzenkandidaten für die Europa-Wahl im Mai 2019. Diese fielen jedoch kaum auf.

Das Vorschlagsrecht für den EU-Kommissar hat aber nicht das EU-Parlament, sondern der EU-Rat. Dies ist die Runde der 28 Regierungschefs. Zum letzten Mal gehörte das Vereinigte Königreich dazu. Dieses Gremium drückt den föderalen Charakter der EU aus. Vergleichbar zum deutschen Bundesrat sind hier kleine Länder überrepräsentiert. Dass dies im EU-Parlament ebenfalls der Fall ist, ist ein politisches Kuriosum.

Im EU-Rat bekam keiner der so genannten Spitzenkandidaten eine Mehrheit. Nach wochenlangem Ringen einigte man sich schließlich auf von der Leyen. Als deutsche Verteidigungsministerin war sie offensichtlich den Regierenden bekannter als die beiden Parlamentarier. Sie wussten, dass sie Dinge energisch durchsetzen konnte und dass sie dennoch stets sehr höflich und verbindlich blieb. Sie hatte den drei baltischen Staaten den Rücken gestärkt gegen Russland und sie hatte mit Frankreich und Spanien den Vertrag ausgehandelt, um ein gemeinsames Kampfflugzeug zu entwickeln.

Von der Leyens Einsatz und das Wahlergebnis

Ab dem Tage ihrer Ernennung zur Kandidatin wirbelte von der Leyen durch ganz Europa. Ihr standen zwei Wochen zur Verfügung. Sie verhandelte mit allen Parteien im EU-Parlament. Sie machte ihnen Zugeständnisse für den Fall ihrer Wahl. Diese betrafen den Klimaschutz, den Mindestlohn, die Migration und die Rechtsstaatlichkeit. Auch machte sie Hoffnungen in Personalsachen. Sie hat mit Leidenschaft gekämpft, scheute auch nicht das Klinkenputzen. Einen Tag vor der Wahl kündigte sie an, dass sie in jedem Falle ihr bisheriges Amt als Verteidigungsministerin abgeben würde.

Noch ist nicht klar, woher von der Leyen ihre Ja-Stimmen bekam. Die Stimmen der EVP und der Liberalen waren von Anfang an sicher. Die 16 deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament waren bei den Ja-Stimmen wohl nicht darunter. Die Rechtsradikalen (AfD) vermutlich auch nicht. Vielleicht hat sie einige Grüne aufgeweicht mit ihrer Bewerbungsrede am Morgen.

Regierungsbildung

Der Prozess, der zur Bildung der Kommission, also der Regierung, führt, ist skurril, ja haarsträubend. Sie muss je einen Vertreter oder eine Vertreterin jedes der 27 Länder nehmen, den oder die sie möglicherweise persönlich gar nicht kennt. Sie kann ihnen nur Aufgaben zuteilen, von denen das sendende Land meint, dass sie wichtig genug sind. Dann muss sie die Kommission vom Parlament absegnen lassen. Das Parlament kann einzelne Kommissare oder die Kommission als Ganzes ablehnen. Das kann Zeit und Ärger kosten.

Politische Konsequenzen

Mit von der Leyen übernimmt jemand das Amt des Kommissars, der nicht nur sehr qualifiziert, sondern auch sehr engagiert ist. Sie ist alles andere als eine Oma, die ihr Leben ausklingen lässt.

Sie will dem Bummelzug mit Namen Europa neuen Dampf verleihen. Deshalb ist mal wieder eine große Konferenz mit Bürgern im Jahre 2020 geplant. Europa soll stärker und einiger werden. Es soll an Einfluss gewinnen und Verantwortung übernehmen. Solche Absichtserklärungen gab es in der Vergangenheit viele. Von der Leyen ist zuzutrauen, dass sie es ernst meint.

Die Konzessionen, die sie in ihren Reden an das Parlament machte, waren in erster Linie Honigkuchen. Ob sie das Initiativrecht durchsetzen kann, ist zu bezweifeln. Das vom Parlament so geliebte Modell der Spitzenkandidaten ist im Grunde realitätsfern. Es ist der Versuch, den EU-Vertrag zu umgehen. Dass sie auch an die Stellung der Frauen denkt, bewies sie in ihrer Rede durch den Hinweis auf Simone Veil, die erste Präsidentin des EU-Parlaments.

Nachtrag vom 18.7.2019

Frau von der Leyens Erklärungen zu ihrer Kommisiionspräsidentschaft sind im Netz verfügbar.

2 Kommentare:

  1. Hans Diel aus Sindelfingen schrieb: Ich bewundere ja sowieso Menschen die gute Reden halten können. Ich finde von der Leyen hat eine exzellente Rede gehalten in der Vieles gut durchdacht war und Absichten zu erkennen waren. Das garantiert natürlich noch nicht den Erfolg, den ich ihr wünsche.

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  2. Peter Hiemann aus Grasse schrieb: In ihrer Rede zu den EU-Parlamentariern und in einem Interview mit dem ARD-Korrespondenten Markus Preiß hat Ursula von der Leyen wichtige Erklärungen abgegeben:

    Sie habe ihr Programm schriftlich auf den Tisch gelegt, das den Rahmen für die nächsten fünf Jahre in der Europäischen Union und der Kommissionsarbeit umfasst. "Das heißt, die Menschen müssen auch wissen, dass es der richtige Rahmen ist, in dem sie leben und arbeiten." Klimaschutz sei wichtigste Aufgabe. „Wir müssen handeln und müssen ehrgeiziger sein.“ Für den Bereich Migration kündigte sie einen "Neustart" an: Vermittels eines "Gesamtpakets", das alle Problemstellungen - Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen, Grenzsicherung und Kampf gegen illegale Migration – umfasse. Sie versicherte, dass sie illiberalen Bestrebungen der Fraktion Identität und Demokratie (ID) nicht tolerieren werde.

    Von der Leyen erachtet es als eine der Hauptaufgaben der EU der nächsten Jahre, wieder Schwung und Bewegung für Europa vermittels eines Themas hineinzubringen, "das uns existentiell angeht". Das Thema 'China'könnte geeignet sein. Es betrifft die existentiell wichtige Erhaltung liberaler Demokratien in Europa. Von der Leyen erklärte, es sei jetzt an ihr, mit Rat und Parlament ein gemeinsames Modell zu entwickeln, so dass der nächste Spitzenkandidat auch tatsächlich von allen Seiten wählbar sei. Frau von der Leyen alles Gute zu wünschen ist selbstverständlich. Es wird darauf ankommen, dass ihre zukünftigen Entscheidungen bei der Mehrheit der Bevölkerungen der EU-Mitgliedstaaten Anklang finden werden. Die nächsten schwierigen Entscheidungen betreffen die Selektion der zukünftigen Kommissare und Kommissarinnen.

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