Sonntag, 22. September 2019

Klimawandel zwischen Überzeugungsproblem und Aktionsdilemma

Für lange Zeit richtete ich mich nach Bill Clintons Wahlspruch ‘It‘s the economy, stupid!‘ Deshalb hatten ökonomische Themen stets Hochkonjunktur auch in diesem Blog. Diese Woche verkündete der ARD-Deutschland-Trend, dass zum ersten Mal das Thema Klima das Thema Wirtschaft ‚toppt‘. Außerdem hat die Groko gerade ihr Klimapaket vorgelegt. Ich halte daher die Zeit für gekommen, dass auch das Thema Klima Eingang in diesen Blog findet.

Zur Faktenlage

Klima ist kein rein-deutsches Problem, sondern ein Weltproblem. Die Rolle, die Deutschland spielt, wird aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich. Die ersten drei Spalten stammen von SPIEGEL-Online 2017. Ich habe zwei Spalten hinzugefügt. Nach beiden Betrachtungsweisen gehören wir Deutsche zu den aktivsten Weltverschmutzern.

Der Spalte 1 dieser Tabelle liegt eine Berechnungsmethode zugrunde, die international einheitlich ist. Sie heißt Treibhausgasprotokoll (engl. greenhouse gas protocol, Abk. GHG). Danach können Unternehmen und Gebietskörperschaften (Städte, Länder) ihre CO2-Emissionen selbst berechnen. Erfasst werden (a) alle direkten Emissionen aus Quellen innerhalb der Gebietsgrenzen stammend, (b) alle indirekten Emissionen aus außerhalb erzeugtem und eingekauftem Strom, Dampf, Wärme und Kälte, sowie (c) alle sonstigen Emissionen, darunter die aus der Herstellung und dem Transport eingekaufter Güter oder der Verteilung und Nutzung der eigenen Produkte oder der Entsorgung von Abfällen. Ganz entscheidend ist, dass es hier nicht um gemessene Werte geht, sondern um von den Verursachern abgegebene Schätzungen.



Nach der Erklärung der Herkunft dieser Zahlen wird es auch verständlich, wieso diese Angaben oft eklatante, nicht erklärbare Unterschiede aufweisen. So liegen bei den Pro-Kopf-Emissionen Saudi-Arabien an der Spitze, vor den USA und Australien, gefolgt von Kanada, Südkorea und Russland. Auf die Fläche bezogen führt Südkorea vor Japan, Deutschland, Großbritannien, Italien und China. Wieso Frankreich bei beiden Sichtweisen doppelt so gut ist wie Deutschland kann nicht allein am verstärkten Einsatz der Atomenergie liegen. Vielleicht denken Frankreichs Statistiker mal wieder anders als ihre Kollegen in Deutschland [eine analoge Aussage machte vor Jahrzehnten ein französischer Informatiker mir gegenüber].

Inzwischen gibt es erste punktuelle Messergebnisse, die die langfristige Veränderung der Atmosphäre bestätigen. Von der Messstation Mauna Loa auf Hawai wurde 2015 eine mittlere CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre von über 400 ppm gemessen. Vor der Industrialisierung hatte sie bei etwa 280 ppm gelegen.

Treibhaus-Effekt und globale Erwärmung

Der Treibhaus-Effekt bewirkt eine Temperaturerhöhung auf Planetenoberflächen, so auch auf der Erde. Der Effekt entsteht dadurch, dass die Atmosphäre weitgehend transparent ist für die von der Sonne ankommende kurzwellige Strahlung, jedoch wenig transparent für die langwellige Infrarotstrahlung, die von der warmen Erdoberfläche und von der erwärmten Luft emittiert wird. Die wichtigsten auf der Erde heute für den Treibhauseffekt verantwortlichen Treibhausgase sind Wasserdampf (H2O) gefolgt von Kohlenstoffdioxid (CO2). Der jeweilige Anteil beträgt 62 bzw. 22 %. Der durch menschliche Eingriffe wie vor allem die Emission langlebiger Treibhausgase (Kohlendioxid, Methan und Stickoxide) aus Verbrennungsprozessen bewirkte Anteil am atmosphärischen Treibhauseffekt wird anthropogener Treibhauseffekt genannt.

Die globale Erwärmung seit der vorindustriellen Zeit bis zum Jahr 2017 betrug nach Angaben des Weltklimarates (IPCC) etwa 1° Celsius. 2016 war das wärmste Jahr seit Beginn der systematischen Messungen im Jahr 1880. So warm war es nach aktuellen Forschungsergebnissen zuletzt am Ende der Eem-Warmzeit vor 115.000 Jahren. Der Weltklimarat ist eine Einrichtung der UNO. Ihm gehören 190 Staaten an. Er nennt sich Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaveränderungen (engl. Intergovernmental Panel on Climate Change, Abk. IPCC),

Beobachtete Folgen

Zu den laut Klimaforschung erwarteten und teils bereits beobachteten Folgen der globalen Erwärmung gehören je nach Erdregion: Meereis- und Gletscherschmelze, ein Meeresspiegelanstieg, das Auftauen von Permafrostböden, wachsende Dürrezonen und zunehmende Wetter-Extreme mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Lebens- und Überlebenssituation von Menschen und Tieren (Artensterben). Das Ausmaß der Folgen ist abhängig von der Höhe und Dauer der Erwärmung. Einige Folgen können zudem irreversibel sein. Einige dieser Folgen wirken zudem als Kippelemente im Erdsystem, die die globale Erwärmung ihrerseits wieder beschleunigen, etwa die Freisetzung des Treibhausgases Methan aus den aufgetauten Permafrostböden.

Verursacher und Leugner

Ursache für die Erwärmung ist die andauernde anthropogene Anreicherung der Erdatmosphäre mit Treibhausgasen, insbesondere Kohlenstoffdioxid (CO2) und Methan, die vor allem durch die Nutzung fossiler Energie (Brennstoffe), durch weltumfassende Entwaldung sowie Land- und insbesondere Viehwirtschaft freigesetzt werden. Hierdurch erhöht sich das Rückhaltevermögen für infrarote Wärmestrahlung in der Troposphäre. Wichtigstes Treibhausgas bei der derzeitigen globalen Erwärmung ist Kohlenstoffdioxid. Seit etwa Anfang der 1990er Jahre besteht ein wissenschaftlicher Konsens, dass die gegenwärtige globale Erwärmung vom Menschen verursacht wird.

Mit der AfD ist in dieser Wahlperiode eine Partei im Bundestag vertreten, die sagt, dass der Klimawandel nicht von Menschen verursacht sei. Im Vergleich zu andern Themen ist hier ihre geistige Entwicklung nicht schon 1944, sondern erst um 1990 zum Stehen gekommen. Fast 30 Jahre lang hat man sich neueren Einsichten gegenüber verschlossen. Es ist dies kein Grund zum Aufregen. Die USA leisten sich derzeit sogar einen Präsidenten, der sagt, dass das Problem des Klimawandels von den Chinesen erfunden sei, nur um den Westen zu ärgern.

Gegenmaßnahmen

Um die Folgen der globalen Erwärmung für Mensch und Umwelt abzumildern, zielen nationale und internationale Klimapolitik sowohl auf das Stoppen des Klimawandels durch Klimaschutz als auch auf eine Anpassung an die bereits erfolgte Erwärmung. Um die menschengemachte globale Erwärmung aufhalten zu können, müssen einerseits weitere energiebedingte Treibhausgasemissionen vollständig vermieden werden und andererseits die seit dem Beginn der Industrialisierung in der Atmosphäre eingebrachten Emissionen sowie fortan nicht vermeidbare Emissionen mittels geeigneter Technologien rückgängig gemacht werden.

Mit Stand 2016 war bereits etwa 2⁄3 des CO2-Budgets der maximal möglichen Emissionen für das im Übereinkommen von Paris vereinbarten Zwei-Grad-Ziel aufgebraucht, sodass die weltweiten Emissionen schnell gesenkt werden müssten, wenn das Ziel noch erreicht werden soll. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass das Zwei-Grad-Ziel nicht ambitioniert genug ist, um langfristig einen als Treibhaus Erde bezeichneten Zustand des Klimasystems zu verhindern.

Klimapaket der Groko

Die junge Schwedin Greta Thunberg rüttelte das politische Establishment auf der ganzen Welt auf. Auch die ehemals als Klima-Kanzlerin bezeichnete Angela Merkel gibt zu, von Thunberg beeinflusst worden zu sein. Die Regierung Merkel IV, allgemein nur Groko genannt, legte deshalb vorigen Freitag ihr neuestes Klimapaket vor. Es war nicht zu erwarten, dass dies alle Klima-Aktivisten befriedigen würde.

Sehr scharf ins Gericht mit dem Klimapaket der Groko ging der mir bisher unbekannte Berliner Experte Volker Quaschning. Er meint, das Paket hätte weder Logik noch Sachverstand. Im Vergleich zu Ländern wie Norwegen, Schweden und Schweiz seien viele Maßnahmen zu spät und zu zögerlich. Wollen wir bis 2050 klimaneutral werden, müssten wir die Maßnahmen verfünffachen. 

Angeblich grenzt sich die Politik von der Wissenschaft dadurch ab, dass sie sich nicht nur um ein Problem allein kümmern kann. Sie muss gleichzeitig an alle offenen Probleme denken und versuchen alle Wählergruppen mitzunehmen. Nur so ist zu verstehen, dass der Benzinpreis erhöht wird, aber mit ihm auch die Pendlerpauschale.

Peter Hiemann aus Grasse schrieb:

Volker Quaschnings Einschätzungen der Regierungsarbeit sind einleuchtend. Ich vermisse aber klare Worte, die sich mit dem Verhalten der frei global agierenden Unternehmen auseinandersetzen.

Dass SPD und CDU/CSU ein völlig unzureichendes Programm für den Klimaschutz im Rahmen des existierenden Regierungssystems vorstellen, ist verständlich. Sowohl SPD als auch CDU/CSU fehlt der Mut, am derzeitigen demokratisch regelnden Regierungssystem etwas grundlegend ändern zu wollen. Insbesondere hoffen sie, dass die 'Normalsterblichen' ihr Verhalten ändern. Die Hauptursache der existierenden Klimasituation ist jedoch das Verhalten frei global agierender Unternehmen. Sie sind nicht gehalten, gesellschaftlich relevante Umweltschäden in Produktpreisen zu berücksichtigen. Dazu kommt, dass global agierende Investmentunternehmen zunehmend Einfluss nehmen auf Unternehmen und Regierungen, um Aktiengewinne zu erzielen.

Eine 'elitäre' Vorstellung ist mit ein Grund für eher defensive Regierungspolitik. Danach gilt als erwiesen, dass Homo sapiens von Natur aus unbeschränktes Wachstum anstrebt, und nur wirtschaftlich frei agierendes Unternehmertum diesem Streben gerecht wird. Staatliche Wirtschaftsplanung wird grundlegend verworfen. Diese Vorstellung wird sich früher oder später als Irrtum herausstellen. Chinas Regierung scheint ein sehr effektives Planungssystem zu verwenden, das Chinas technischen und wirtschaftlichen Erfolg ermöglicht. Chinas Einsatz von KI-Technologie, um die Bevölkerung zu kontrollieren, ist für demokratisch regelnde Regierungssysteme nicht akzeptabel.

2 Kommentare:

  1. Ungeachtet des Geheuls deutscher Klimaaktivisten konnte Angela Merkel mit ihrem Klimapaket bei der UNO im New York punkten. Sogar Donald Trump kam vorbei, um Merkels Vortrag zu hören. Vorher musste er die Wutrede von Greta Thunberg über sich ergehen lassen. Ob er jetzt wohl eine Lernphase einlegt?

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  2. Anlässlich des UN-Klimagipfels haben 66 Staaten zugesagt bis 2050 klimaneutral zu werden. Deutschland gehört dazu. Eine entsprechende Zusage gibt es von 10 Regionen, 102 Städten und 93 Konzernen.

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