Gestern hörte ich ein Youtupe-Interview mit Sahra Wagenknecht
bei Mission
Money. Dabei wurde mir klar, dass zumindest einige ihrer Ansichten gut
überlegt sind und nicht allen ihre Sinnhaftigkeit abzusprechen ist. Ob sie
politisch konsensfähig sind, darf bezweifelt werden. Offensichtlich hat
Wagenknecht selbst einen gewissen Reifeprozess durchlaufen. Sie galt lange Zeit
als Sprachrohr einer Kommunistischen Denkschule. Im Folgenden greife ich einige
ihrer im Interview vertretenen Thesen heraus. Sie sind in Themenkreisen
zusammengefasst, um die Diskussion und Bewertung entsprechend zu gliedern.
Unternehmensstruktur
Sahra Wagenknecht (SW): Wir brauchen
Unternehmer, die aktiv ihre Unternehmen entwickeln. Mitarbeiter müssen
beteiligt werden. Wir brauchen keine Aktionäre, die nichts tun. Wir brauchen
keine Rentiers, die nur Geld abschöpfen. Eine Stiftung ist die ideale
Unternehmensform. Sie gehört allen Mitarbeitern; kann nicht übernommen werden;
kann nicht vererbt werden. Das wäre Verantwortungseigentum. Familienbetriebe
sind ok, nur solange die Erben beim Fach bleiben.
Diskussion: Viele erfolgreiche
Unternehmensgründungen der letzten 30 Jahre verdanken ihre Existenz technischen
oder kaufmännischen Innovatoren. War es bei Google die vom Larry Page und
Sergej Brin erfundene Ranking-Methode für Suchergebnisse, waren es bei Amazon
die von Jeff Bezos konzipierten Liefermodalitäten für klassische Papierbücher.
Beide Unternehmen konnten nur deshalb so schnell wachsen und den Weltmarkt
erobern, weil ihr Wachstum von Dritten finanziert wurde, die selbst nicht im
Unternehmen arbeiteten. Im Falle von Google gaben Andreas
von Bechtolsheim und andere beträchtliches Startgeld, das ihnen später einen hohen
Gewinn einbrachte. Ebenso erging es vielen der frühen Aktionäre. Es ist eine
Illusion anzunehmen, dass der Markt solange geduldig wartet, bis der
Unternehmensgründer sein Wachsen aus eigenen Mitteln finanzieren kann. Noch
unsinniger wäre es, vom Staat zu erwarten, dass er den Finanzbedarf aller
Unternehmen abdecken kann.
Stiftungen
dienen primär dazu vorhandenes Vermögen zu sichern. Sie versagen, wenn es darum
geht, kurzfristig neues Kapital zu sammeln oder sich einem sich ändernden Markt
anzupassen. Familienunternehmen
profitieren oft davon, dass mehrere Familienmitglieder ihre Arbeitskraft zu
günstigen Bedingungen zur Verfügung stellen und dass das Engagement
überdurchschnittlich ist. Familienmitglieder zu enteignen, die sich nicht.engagieren,
schwächt nicht nur den Begriff des Eigentums, sondern entzieht der Wirtschaft
Mittel, die sie benötigt.
Private und öffentliche Aufgaben
SW: Wohnungen sollten nicht vom Markt angeboten werden, sondern nur
von Kommunen. Dasselbe gilt für Pflege und Bildung. Firmen, die eigene Aktien
zurückkaufen, fehlen Ideen, wie sie wachsen können. Sie agieren nicht
nachhaltig. Wir brauchen eine Wirtschaft, die neue und nachhaltige Produkte
erzeugt. Wenn Private dies nicht leisten, muss der Staat helfen. In den USA
half der Staat immer wieder. Eine staatliche Planwirtschaft jedoch kann dies
nicht, selbst bei den Chinesen nicht, abgesehen davon, dass man dort
individuelle Freiheiten mit Füssen tritt.
Diskussion: Sieht man von kommunalen
Angestellten ab, so haben die am Ort ansässigen Firmen ein natürliches
Bedürfnis für ihre Mitarbeiter bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Das geschieht
auch. Wird Wohnraum, der mit privaten Mitteln geschaffen wurde, dem Markt
entzogen, wenn der Ersteller wegzieht oder verstirbt, so ist das eine starke
Einschränkung des Angebots, aber auch eine weitere Einschränkung des
Eigentumsbegriffs.
Wenn Firmen eigene Aktien zurückkauften, hatte ich immer das
Gefühl, dass dort die Buchhalter das Sagen hatten. Als Techniker wollte ich
nicht in solchen Unternehmen arbeiten.
Immerhin erkennt Sahra Wagenknecht an, dass neue und nachhaltige
Produkte und Dienste am ehesten von privat agierenden Wirtschaftsunternehmen
angeboten werden. Wie wir wissen, besteht keinerlei Garantie, dass sie besser
werden, wenn der Staat hierzu Vorgaben macht. Dass der Staat Personen und
Firmen unterstützt, die sich in politischer oder gesellschaftlicher Hinsicht
wohl verhalten, wird gerne gesehen. Das darf aber nicht Überhand nehmen.
Rentensystem und Altersvorsorge
SW: Ein Rentensystem wie in Österreich wäre besser als unseres. Alle
zahlen ein. Die Renten sind wesentlich höher als bei uns. Sahra Wagenknecht hat
ihre Ersparnisse auf dem Sparbuch. Sie hat keine Lust, das Auf und Ab des
Aktienmarkts zu verfolgen. Amerikaner, die ihre Altersversorgung auf Aktien aufbauten,
stehen oft dumm da.
Diskussion: Österreich besitzt gegenüber
Deutschland in einigen Punkten eine stärkere sozialistische Tradition. So zum
Beispiel bei der Schaffung von Mietwohnungen. Wer heute noch das Sparbuch als
beste Anlageform ansieht, disqualifiziert sich. Ich habe einen eigenen Blog-Beitrag
zu diesem Thema geschrieben. Zu sagen, es macht zu viel Arbeit den Aktienmarkt
zu verfolgen, dem helfen gerne Fondmanager der verschiedensten Art.
Euro und Steuern
SW: Der Euro ist für Deutschland gut, aber für Europa schlecht.
Italiener und Griechen haben immer ihre Währung dazu benutzt, um wieder konkurrenzfähig
zu werden. Irgendwann werden sie den Euro verlassen. Dass Amazon nur in Irland
geringe Steuern zahlt, ist ein Skandal. Firmen wie Amazon müssten auch in
Deutschland mehr Steuern zahlen. Die Finanztransaktionsteuer wurde von Emmanuel
Macron verwässert. Die Banken haben erreicht, dass Derivate nicht besteuert
werden. Daher trifft sie nur den Kleinaktionär.
Diskussion: Wer Italien und Griechenland
nahelegt, den Euro zu verlassen, macht sich offensichtlich wenig Sorgen, was
das ökonomische Schicksal dieser Länder anbetrifft. Aussagen wie ‚Sie haben es
ja so gewollt‘ oder ‚Das sind sie selbst Schuld‘ erlauben es, die Hände in
Unschuld zu waschen. Die Erfahrung mit dem Brexit regt vielleicht dazu an,
Fragen wie diese etwas gründlicher zu überdenken.
Es ist sehr beliebt, die Besteuerung ausländischer Firmen zu
verlangen, die bei uns erhebliche Umsätze haben. Man vergisst dabei leicht, was
es bedeutet, wenn das Gleiche von deutschen Firmen verlangt wird, für die der
Export einen signifikanten Anteil ihres Geschäfts darstellt.
Die Finanztransaktionssteuer
wird seit Jahrzehnten diskutiert. Ihre Befürworter hoffen mit ihrer Hilfe den
rein spekulativen Teil des Wertpapiergeschäfts zu reduzieren. Neun von 27
EU-Ländern beabsichtigen sie irgendwann einzuführen. Dies war mit ein Grund,
warum das Vereinigte Königreich die EU verließ. Auch Luxemburg und die
Niederlande sind strikt dagegen.
Eingeführt wurde die Steuer 2012 in Frankreich und 2013 in
Italien. In Frankreich wird der Erwerb der Aktien französischer Firmen ab einer
gewissen Größe mit 0,3% besteuert, sowie gewisse Formen des
Hochfrequenzhandels. In Italien beträgt der Steuersatz 0,12%. Die Einführung in
Deutschland ist derzeit offen. Alle Parteien außer AfD und FDP sind inzwischen
dafür. Laut Koalitionsvertrag soll ein ‚substanzieller Teil‘ noch während der
laufenden Wahlperiode eingeführt werden.
Schlussbemerkung
Die Positionen, die Sahra Wagenknecht in dem Interview vertritt,
lassen aufhorchen. Der Wandel von einer strenggläubigen Kommunistin ist
durchaus beachtlich. Immerhin ist sie ja mehr als 40 Jahre alt [1]. Ob sie mit
einigen Positionen Schwierigkeiten innerhalb ihrer Partei, der Linken, bekommt,
kann ich nicht abschätzen. Es kann ja sein, dass auch die Partei, sich ändert.
Ich halte dies jedoch für wenig wahrscheinlich.
Anmerkung
1. Die Aussage, dass manche Menschen mit 40 Jahren ihre
jugendlichen Spinnereien aufgeben und vernünftig werden, gibt es in mehr als
einer Form. Ein Satz der Form 'Wer mit 20 Jahren
nicht Sozialist ist, der hat kein Herz, wer es mit 40 Jahren noch ist,
hat kein Hirn' wird sowohl George Clemenceau wie Winston Churchill angedichtet.
Peter Hiemann aus Grasse schrieb: Sahra Wagenknecht kennt sich aus in Wirtschaftswissenschaft und aktuellen ökonomischen Prozessen. Meines Erachtens nutzt Wagenknecht ihre Kenntnisse nicht, um zu konkreten Veränderungen demokratisch regelnder Gesellschaftssysteme konstruktiv beizutragen. Ich halte Wagenknecht für eine Persönlichkeit, die ideologischen Zielen verhaftet ist.
AntwortenLöschenKlaus Küspert aus St. Leon-Rot schrieb: Es gibt ja Firmen, die auf Fördermittel ausdrücklich verzichten und dies auch kundtun. Ich erinnere mich, dass SAP das mal so ausdrückte (zu Tschira-Zeiten?). Dort also nicht wegen des gefürchteten bürokratischen Aufwands, sondern weil man Wachstum ohne „pampering“ für sich als sinnvoller und nachhaltiger erachtete als ein vom Steuerzahler (mit-) finanziertes. Hut ab.
AntwortenLöschenIn vielen Fällen mag das heute schwieriger sein als früher: Wenn der Wettbewerber alles abgreift an Fördermitteln was immer möglich, dann wird man im diesbezüglichen Verzicht vielleicht am Ende nicht wettbewerbsfähig sein können. Nehmen wir etwa Themen wie Batteriefertigung heute oder künftig. Oder wenn die Chinesen staatlich subventioniert agieren und man selbst dagegen in deutscher Bescheiden- und Schönheit unterginge.
Sahra Wagenknecht hätte SAP bestimmt dazu geraten, sich mit Steuergeldern helfen zu lassen. Für Leute ihres Schlags ist das etwas Selbstverständliches. Wozu hat der Staat denn sein Geld? Für Tschira, Hopp und Plattner war es jedoch kein Problem privates Geld zu nehmen, so lange sie die Kontrolle behielten.
AntwortenLöschen