Donnerstag, 12. September 2019

Lebensablauf im betreuten Alterswohnsitz

Seit über einem Jahr bin ich Witwer. War vorher mein Leben durch die Zweisamkeit bestimmt, wo jeder seine Aufgaben hatte, so bin ich jetzt für alles selbst zuständig. Ich wohne, wie bisher, in einer süddeutschen Kleinstadt. Zum Glück fand ich eine Haushaltshilfe, die mir sehr viel Arbeit abnimmt. Ihre Tätigkeit wird vor allem dadurch bestimmt, dass ich gehbehindert bin, und dass dadurch mein Wirkungsraum auf das Erdgeschoss des Hauses beschränkt ist. Keller, Speicher und Garage sind für mich nicht erreichbar.

Inzwischen hat sich mein Leben eingependelt. Es läuft mehr oder weniger nach einem festen Schema ab. Es gibt Zeiten und Termine, die größtenteils vorgegeben sind. Ich will den Ablauf im Folgenden kurz beschreiben, wobei ich zwischen Tages-, Wochen- und Monatszyklen unterscheide. Vorweg stelle ich zwei Maßnahmen vor, die Ausstattung des Wohnsitzes betreffend. Zu bemerken ist noch, dass ich in Waldesnähe und nicht weit weg von einer katholischen Kirche wohne. Zu mehreren Nachbarn pflege ich telefonisch Kontakt. Wir sehen uns nur äußerst selten.

Zusätzliche Ausstattungen

Mein Gejammer, dass mir das Aufstehen Schwierigkeiten bereitet, führte dazu, dass mein altes Bett durch ein Pflegebett ersetzt wurde. Jetzt gleite ich in Höhe des Rollators in das Bett und heraus. Das Bett wurde mir von meiner Versicherung zur Verfügung gestellt.

Schon lange hatten wir an der Straßenseite des Hauses einen Bewegungsmelder. Näherte sich jemand, schaltet sich eine Lampe ein. Einige Vorfälle in der Nachbarschaft bewogen uns dazu, an der Gartenseite des Hauses zusätzlich eine moderne Videoüberwachung zu installieren. Diese meldet sowohl Tiere wie Personen, die sich dort aufhalten. Bei Personen wird ein akustisches Signal ausgelöst.

Tageszyklus 

Vor 7 Uhr: Feststellen, welche Nachtbesucher da waren, ob Fuchs und/oder nur Katzen. Tagsüber können auch Eichhörnchen und große Vögel auftauchen.

7 Uhr: Geläut der Kirchenglocken, Aufstehen, Erster Besuch des Klo; Teekochen (mit Ostfriesen-Beutel), Frühstück mit Orangensaft und einem Honig- und zwei Quarkbroten; zwei Tassen Tee. Prüfen der Blog-Statistiken, Stöbern bei Google News, Süddeutscher Zeitung, FAZ, SPIEGEL Online, NTV; 4 von 6 Pillen einnehmen. Rasieren, Waschen (außer Montag).

Ab 8:30: Wuselei (nach Jakob Grimm: wimmelnde Geschäftigkeit) an iPad und PC: Online-Zeitungen + Blogs durchstöbern; SPIEGEL + eBücher lesen; Videos auf YouTube konsumieren; eMails + Blog-Beiträge schreiben; Rechnungen per Online-banking bezahlen.

Etwa 10 Uhr: Essen auf Rädern wird geliefert.

12 Uhr: Geläut der Kirchenglocken; Essen aufwärmen; Wecker stellen auf 45 Minuten.

12:45 Uhr: Mittagessen mit Coca Cola; anschließend Mittagsruhe.

Ab 14:30 Wuselei (Fortsetzung).

15 Uhr: Besuche empfangen oder Fruchtsaft/Apfelwein (Viez) trinken.

18 Uhr: Geläut der Kirchenglocken, Umzug ins Wohnzimmer; Abendnachrichten im Fernsehen (auf iPad) anhören. Danach Doku-Sendung ansehen oder eBook/SPIEGEL lesen.

Etwa 19:30 Uhr Abendbrot (1 Scheibe Schwarzbrot mit Wurst + Käse) mit einem Glas Rotwein; 2 von 6 Pillen einnehmen.

Etwa 22:15 Uhr: Schlafen gehen in Pflegebett.

[Geschätzte Mediennutzung pro Tag: 

                Gerät        Häufigkeit           Dauer in Stunden

                iPads              6                             8
                iPhone          15                             2
                Desktop          2                            0,5
                TV  + Print      0                             0


Bei meinem iPhone kann ich auch die Häufigkeit der Anwendungen feststellen. Die heutige Reihenfolge war Safari, ntv, SPON, Google, Evernote, Dropbox, WhatsApp]

Wochenzyklus

Montag (1) Haushaltshilfe: Einkaufen für Kühlschrank + Keller/Garage, Obst besorgen; Putzen, Spülen, Wäsche + Betten machen; Getränke aus Keller oder Garage holen; Mülltonnen bewegen; (2) Pflegedienst: Baden mit Wannenlift, Cremen, Rasieren.

Dienstag Telefonieren mit jüngster Tochter; Essen für nächste Woche auswählen anhand des Speiseplans.

Mittwoch: Haushaltshilfe (s.o.).

Donnerstag Telefonieren mit Schwiegertochter.

Freitag  Haushaltshilfe (s.o.); 18 Uhr SPIEGEL erscheint; Vollständig gelesen bis Sonntagabend.

Samstag Telefonieren mit ältester Tochter.

Sonntag Telefonieren mit Bruder und ältester Schwester;  Pillen für die Woche nachfüllen.

[Für viele der hier angegebenen Tätigkeiten sind feste Uhrzeiten vereinbart. Sie sind aus Sicherheitsgründen hier weggelassen]

Monatszyklus

Überweisung an Sozialstation für Haushaltshilfe + Pflegedienst; Abbuchungen für Essen auf Rädern, Telefon, SPIEGEL, Krankenkasse,  Stadtwerke (Müll, Strom, Wasser).

Unregelmäßig

Schwiegersöhne: Störungen beseitigen bei Haushaltsgeräten oder Computern, Gartenarbeiten ausführen.

Töchter: Kleingeld (10er + 20er Scheine) mitbringen, Klopapier, Honig + Marmelade kaufen (je 10 Gläser).

Jährlich wiederkehrend

Abonnement für Örtliche Zeitung bezahlen; TV-Gebühren; Fachvereine; Grundsteuer, usw.

Zusammenfassung

Mein Leben läuft vollkommen in sicheren Bahnen ab. Die Tatsache, dass der Kühlschrank sich automatisch füllt, entspricht einer bekannten Utopie. Rechne ich Keller und Garage noch hinzu, so ist dies eine Form des Schlaraffenlandes.

Dass mir dadurch Freiheiten verloren gehen, kann ich sehr gut verkraften. Sorgen mache ich mir, dass meine Muskeln immer mehr an Kraft verlieren. Wie weit die medizinische Wissenschaft auch dieses Problem im Griff hat, weiß ich nicht. Außer in Andeutungen meinem Hausarzt gegenüber, habe ich dieses Problem bisher noch nicht ernsthaft thematisiert.

Der Vergleich mit einem externen Altersheim ist mir bisher erspart geblieben. Dass ich dieser Alternative nicht entgehen kann, sollte der Stand meiner Gesundheit dies erforderlich machen, ist mir klar. Das Gleiche gilt für einen Aufenthalt im Krankenhaus, mit dem Unterschied, dass ich dort über reichliche Erfahrungen verfüge.

1 Kommentar:

  1. Ich möchte es nicht versäumen, außergewöhnliche Dienstleitungen anzuerkennen. Neigt sich der Vorrat eines meiner sechs Medikamente dem Ende zu, rufe ich die Praxis des Hausarztes in der Stadtmitte an. Ich lese nur den halsbrecherischen Namen des Medikaments vor. Daraufhin wird ein Rezept erstellt. Es wird in die im Erdgeschoss desselben Hauses befinliche Apotheke gebracht und spätestens um 18 Uhr desselben Tages steht der Sohn des Apothekers vor meiner Haustür. Er weiß, dass ich etwas Zeit brauche, bis ich an der Tür bin, um die Lieferung in Empfang zu nehmen. Trotzdem trennten wir uns stets mit einem freundlichen Gruß.

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