Sonntag, 20. Oktober 2019

Ephraim Kishon (1924-2005), ein Meister der Satire

Ephraim Kishon wurde unter dem Namen Ferenc (Franz) Hoffmann in Budapest in eine ungarisch-jüdische Familie geboren. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen und israelischen Literatur. Er veröffentlichte in beiden Sprachen, manchmal gleichzeitig, manchmal mit kurzer Verzögerung für die Übersetzung. Sein Genre war die Satire. Ich habe in den letzten Wochen einige hundert dieser Satiren gelesen, ehe ich mir sagte ‚Jetzt reicht‘s!‘. Dennoch glaube ich, dass ich Einiges gelernt habe, dass ich weitergeben sollte.

Leben in Ungarn

Kishons Vater war Bankdirektor. Er hatte eine Schwester namens Ágnes. Schon sehr früh wurde seine schriftstellerische Begabung erkannt. So erlangte er 1940 den 1. Preis des ungarischen Novellenwettbewerbs für Mittelschüler. Da ihm das Studium an einer Hochschule verwehrt war, begann er 1942 eine Ausbildung zum Goldschmied. Gegen Ende des Krieges kamen er und seine Familie in ein Arbeitslager in der Slowakei. Von dort gelang ihm 1945 die Flucht nach Polen. Ein Teil seiner Verwandtschaft kam in Auschwitz ums Leben. Er, seine Eltern und die Schwester Agnes überlebten. Nach dem Krieg geriet er zeitweilig in ein sowjetisches Gefangenenlager. Er konnte jedoch wieder entkommen. Nach Abschluss seiner Ausbildung als Metallbildhauer und Kunsthistoriker floh er in einem Viehwagon über Bratislava nach Wien. Von dort wanderte er über Italien im Mai 1949 mit einem Flüchtlingsschiff nach Israel aus.

Da der Name Hoffmann zu Deutsch klang, hat er sich bereits im kommunistischen Ungarn den Namen Kishont zugelegt (Kishont war eine Grafschaft im Königreich Ungarn). In seinen Büchern beschrieb er, wie er zu seinem aktuellen Namen kam: Ein Beamter im Hafen von Haifa stutzte Kishont bei der Einreise kurzerhand auf Kishon. Der Kishon ist ein Nebenfluss des Jordan. Den Vornamen Ferenc ersetzte der Beamte mit der Bemerkung „gibt es nicht“ durch Ephraim. Dies ist ein alter jüdischer Vorname, der in früheren Zeiten auch in Deutschland verwandt wurde. Ein bekanntes Beispiel ist Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781).

Leben in Israel und internationaler Ruhm

Kishons erste Ehe mit Eva Chawa (geb. Klamer) wurde geschieden, in zweiter Ehe heiratete er 1959 in Israel die aus Polen stammende Sara Lipovitz († 2002). In seinen Büchern bezeichnet er Sara mit Vorliebe als ‚die beste Ehefrau von allen‘. Aus der ersten Ehe stammt der Sohn Raphael (Rafi genannt), aus zweiter Ehe der Sohn Amir und die Tochter Renana. Auch alle drei Kinder kommen in seinen Werken immer wieder vor. Kishon war seit 2003 in dritter Ehe mit der Österreicherin Lisa Witasek verheiratet.

Bereits im Jahre 1952 begann er in hebräischer Sprache in der Zeitung Ma’ariv, der größten Tageszeitung Israels, unter dem Pseudonym Chad Gadja („Lämmchen“) eine tägliche Kolumne zu schreiben. Diese betreute er 30 Jahre lang. 1953 wurde sein Theaterstück Der Schützling im Nationaltheater Habimah aufgeführt; 1959 wählte die New York Times sein Buch Drehn Sie sich um, Frau Lot! (engl.: Look Back Mrs. Lot) zum „Book of the Month“. Damit begann Ephraim Kishons internationale Karriere.

Die Weltauflage seiner Bücher liegt bei 43 Millionen (davon 33 Millionen in deutscher Sprache). Auf Hebräisch sind rund 50 Bücher, im Deutschen etwa 70 Bücher erschienen (viele davon sind Zusammenstellungen bereits erschienener Geschichten). Weltweit gibt es von Kishon etwa 700 Bücher in 37 Sprachen. Viele seiner in Deutsch erschienenen Bücher wurden von seinem österreichischen Freund Friedrich Torberg übersetzt. Im Jahre 1964 gab Kishon mit dem Film Sallah – oder: Tausche Tochter gegen Wohnung) sein Debüt als Filmregisseur. Kishons Filme wurden zweimal für den Oscar nominiert (Schlaf gut, Wachtmeister) und wurden dreimal mit dem Golden Globe bedacht. Bis 1986 folgten acht weitere Produktionen, bei denen Kishon als Regisseur beteiligt war.

Die Zielscheibe von Kishons Satiren waren neben den kleinen Ärgernissen des Alltags vor allem die Bürokratie und die große und kleine Politik, speziell die in Israel. Kishon betätigte sich auch als Kunsthistoriker. Er war ein scharfer Kritiker der modernen Kunst und des dazugehörigen Kunstmarktes. An einigen Künstlern wie etwa Joseph Beuys oder Andy Warhol ließ er kein gutes Haar.

Ende in der Schweiz

Kishon empfand es als Ironie der Geschichte, dass er gerade in Deutschland so beliebt ist. ‚Ich verspüre Genugtuung darüber, dass die Enkel meiner Henker in meinen Lesungen Schlange stehen‘, hat er einmal gesagt. Den jungen Deutschen gegenüber empfand er keinen Hass. Es gebe keine kollektive Schuld, sondern nur kollektive Schande.

Anfang der 1980er Jahre ließ er sich in der Schweiz nieder und lebte abwechselnd in Appenzell-Innerrhoden und in Tel Aviv. Kishon starb am 29. Januar 2005 an einem Herzinfarkt im Appenzeller Land. Noch am Vorabend seines Todes hatte er den Stuttgarter Nachrichten ein viel beachtetes Interview gegeben. Zusammen mit einer Vielzahl würdigender Nachrufe ist es auf einer speziellen Kishon-Homepage zu lesen. Er wurde in Tel Aviv begraben.

Kostprobe von Kishon-Satiren

Kishons Satiren sind alle als eBuch zugänglich. Eine Zusammenfassung erschien 1998 unter dem Titel Alle Satiren. Dieses eBuch hat über 1300 Seiten. Ich hatte mit dem Lesen begonnen. Etwa bei Seite 800 gab ich auf. Ich habe festgestellt, dass es im Internet bereits ausgezeichnete Auswahlen gibt. Die auf der bereits erwähnten Homepage angebotene Auswahl von rund 20 Satiren ist so gut wie jede Zusammenstellung, die ich hätte machen können. Deshalb sei auf sie verwiesen (Sie dürfen klicken!).

Auswahl von Kishon-Satiren

Satire als Kunstform

Die Satire ist eine Kunstform, die seit der Antike existiert. Sie galt als Gegenstück zur Tragödie. Als römische Satiriker gelten Juvenal und Lukull, aber auch Horaz und Catull. Es werden Personen, Ereignisse oder gesellschaftliche Zustände kritisiert, verspottet oder angeprangert. Es wird verzerrt und übertrieben mit dem Ziel uns nachdenklich zu machen oder zum Lachen anzuregen. Die in öffentlichen Medien vorgetragenen Satiren richten sich oft ‚gegen die da oben‘ oder die politische Klasse. Sie können aber auch das Verhalten normaler Bürger oder der Massen zum Gegenstand haben. Satire-Sendungen sind im Fernsehen sehr stark vertreten, zumindest in westlichen Demokratien. Manche Satiriker beschränken sich nicht allein auf Kritik. Einige haben auch Wahlen gewonnen, so Martin Sonneborn bei uns und Wolodymyr Selenskyj in der Ukraine. Dieses Phänomen ist echt beunruhigend. Es drückt sich damit die Meinung aus, dass Politik kein ernst zunehmendes Geschäft ist. Das ist bestimmt eine Fehlentwicklung.

Abgesang an eine Kunstform

Im September 2001 – also nach dem 9/11-Angriff − sagte Kishon in einen Chat des Nachrichten-Senders N-TV etwas überraschend: Er höre jetzt auf zu schreiben. Er habe bereits über alles geschrieben. ... ‚Schreiben ist eine außerordentlich anstrengende und langweilige Sache. Meine Entscheidung steht absolut fest und ist nicht nur Propaganda. Ich möchte wirklich aufhören, Bücher zu schreiben‘… Das Fernsehen habe den gedruckten Humor „totgetrampelt“. Schon einige Monate vorher hatte er in einem Interview mit der Zeitung „Junge Freiheit“ dazu verlauten lassen: „Ich bin sicher, der geschriebene Humor wird verschwinden. Ich bin der letzte Mohikaner. Der visuelle Humor wird ihn verdrängen. Beim Lesen von geschriebenen Büchern muss man selber mitmachen, vom Fernsehen dagegen wird man höflich bedient. ... Nun wird eine ganze Generation nur mit diesem billigen, ordinären TV-Humor aufwachsen. Das führt dazu, dass ihr der niveauvolle Humor unverständlich sein wird oder gar langweilig‘. Leider scheint Kishon Recht zu bekommen.

1 Kommentar:

  1. Ich glaube nicht, dass Kishon sich an die obige Drohung gehalten hat. Zumindest hat er nach 2001 noch verschiedene Interviews gegeben und Vorträge gehalten. Dass visuell dargestellte Satiren generell schlechter sind als das textuelle Gegenstück, das darf bestritten werden. Jedes Medium hat andere Stärken und Schwächen.

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