Ephraim
Kishon wurde unter dem Namen Ferenc (Franz) Hoffmann in Budapest in eine ungarisch-jüdische
Familie geboren. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Schriftsteller der
deutschen und israelischen Literatur. Er veröffentlichte in beiden Sprachen,
manchmal gleichzeitig, manchmal mit kurzer Verzögerung für die Übersetzung. Sein
Genre war die Satire. Ich habe in den letzten Wochen einige hundert dieser
Satiren gelesen, ehe ich mir sagte ‚Jetzt reicht‘s!‘. Dennoch glaube ich, dass
ich Einiges gelernt habe, dass ich weitergeben sollte.
Leben
in Ungarn
Kishons
Vater war Bankdirektor. Er hatte eine Schwester namens Ágnes. Schon sehr früh
wurde seine schriftstellerische Begabung erkannt. So erlangte er 1940 den 1.
Preis des ungarischen Novellenwettbewerbs für Mittelschüler. Da ihm das Studium
an einer Hochschule verwehrt war, begann er 1942 eine Ausbildung zum Goldschmied.
Gegen Ende des Krieges kamen er und seine Familie in ein Arbeitslager in der Slowakei.
Von dort gelang ihm 1945 die Flucht nach Polen. Ein Teil seiner Verwandtschaft
kam in Auschwitz ums Leben. Er, seine Eltern und die Schwester Agnes
überlebten. Nach dem Krieg geriet er zeitweilig in ein sowjetisches Gefangenenlager.
Er konnte jedoch wieder entkommen. Nach Abschluss seiner Ausbildung als Metallbildhauer
und Kunsthistoriker floh er in einem Viehwagon über Bratislava nach Wien. Von
dort wanderte er über Italien im Mai 1949 mit einem Flüchtlingsschiff nach
Israel aus.
Da der
Name Hoffmann zu Deutsch klang, hat er sich bereits im kommunistischen Ungarn
den Namen Kishont zugelegt (Kishont war eine Grafschaft im Königreich Ungarn). In
seinen Büchern beschrieb er, wie er zu seinem aktuellen Namen kam: Ein Beamter
im Hafen von Haifa stutzte Kishont bei der Einreise kurzerhand auf Kishon. Der
Kishon ist ein Nebenfluss des Jordan. Den Vornamen Ferenc ersetzte der Beamte mit
der Bemerkung „gibt es nicht“ durch Ephraim. Dies ist ein alter jüdischer
Vorname, der in früheren Zeiten auch in Deutschland verwandt wurde. Ein
bekanntes Beispiel ist Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781).
Leben
in Israel und internationaler Ruhm
Kishons
erste Ehe mit Eva Chawa (geb. Klamer) wurde geschieden, in zweiter Ehe
heiratete er 1959 in Israel die aus Polen stammende Sara Lipovitz († 2002). In
seinen Büchern bezeichnet er Sara mit Vorliebe als ‚die beste Ehefrau von allen‘.
Aus der ersten Ehe stammt der Sohn Raphael (Rafi genannt), aus zweiter Ehe der
Sohn Amir und die Tochter Renana. Auch alle drei Kinder kommen in seinen Werken
immer wieder vor. Kishon war seit 2003 in dritter Ehe mit der Österreicherin Lisa
Witasek verheiratet.
Bereits
im Jahre 1952 begann er in hebräischer Sprache in der Zeitung Ma’ariv, der größten Tageszeitung
Israels, unter dem Pseudonym Chad Gadja („Lämmchen“) eine tägliche Kolumne
zu schreiben. Diese betreute er 30 Jahre lang. 1953 wurde sein Theaterstück Der
Schützling im Nationaltheater Habimah aufgeführt; 1959 wählte die New York
Times sein Buch Drehn Sie sich um, Frau
Lot! (engl.: Look Back Mrs. Lot) zum „Book of the Month“. Damit begann Ephraim Kishons internationale
Karriere.
Die
Weltauflage seiner Bücher liegt bei 43 Millionen (davon 33 Millionen in
deutscher Sprache). Auf Hebräisch sind rund 50 Bücher, im Deutschen etwa 70
Bücher erschienen (viele davon sind Zusammenstellungen bereits erschienener
Geschichten). Weltweit gibt es von Kishon etwa 700 Bücher in 37 Sprachen. Viele
seiner in Deutsch erschienenen Bücher wurden von seinem österreichischen Freund Friedrich
Torberg
übersetzt. Im Jahre 1964 gab Kishon mit dem Film Sallah – oder: Tausche Tochter gegen
Wohnung)
sein Debüt als Filmregisseur. Kishons Filme wurden zweimal für den Oscar
nominiert (Schlaf gut, Wachtmeister) und wurden dreimal mit
dem Golden Globe bedacht. Bis 1986 folgten acht weitere Produktionen, bei denen
Kishon als Regisseur beteiligt war.
Die Zielscheibe
von Kishons Satiren waren neben den kleinen Ärgernissen des Alltags vor allem
die Bürokratie und die große und kleine Politik, speziell die in Israel. Kishon
betätigte sich auch als Kunsthistoriker. Er war ein scharfer Kritiker der modernen
Kunst und des dazugehörigen Kunstmarktes. An einigen Künstlern wie etwa Joseph Beuys oder Andy Warhol ließ er kein gutes
Haar.
Ende in
der Schweiz
Kishon
empfand es als Ironie der Geschichte, dass er gerade in Deutschland so beliebt
ist. ‚Ich verspüre Genugtuung darüber,
dass die Enkel meiner Henker in meinen Lesungen Schlange stehen‘, hat er
einmal gesagt. Den jungen Deutschen gegenüber empfand er keinen Hass. Es gebe
keine kollektive Schuld, sondern nur kollektive Schande.
Anfang
der 1980er Jahre ließ er sich in der Schweiz nieder und lebte abwechselnd in
Appenzell-Innerrhoden und in Tel Aviv. Kishon starb am 29. Januar 2005 an
einem Herzinfarkt im Appenzeller Land. Noch am Vorabend seines Todes hatte er
den Stuttgarter Nachrichten ein viel beachtetes Interview gegeben. Zusammen
mit einer Vielzahl würdigender Nachrufe ist es auf einer speziellen Kishon-Homepage zu lesen. Er wurde
in Tel Aviv begraben.
Kostprobe von Kishon-Satiren
Kishons Satiren sind alle als eBuch zugänglich. Eine
Zusammenfassung erschien 1998 unter dem Titel Alle
Satiren. Dieses eBuch hat über 1300 Seiten. Ich hatte mit dem Lesen begonnen.
Etwa bei Seite 800 gab ich auf. Ich habe festgestellt, dass es im Internet
bereits ausgezeichnete Auswahlen gibt. Die auf der bereits erwähnten Homepage
angebotene Auswahl von rund 20 Satiren ist so gut wie jede
Zusammenstellung, die ich hätte machen können. Deshalb sei auf sie verwiesen (Sie dürfen klicken!).
- 2 X 2 = Schulze
- Abenteuerlicher Alltag
- Ein Aberglaube kommt selten allein
- Gäste willkommen
- Ihre Zimmernummer, Sir
- Interview mit mir selbst
- Die Irische Frage
- Kontakt mit dem Jenseits
- Marginalien
- Menasche weiß es ganz genau
- Die Nacht in der mein Haar ergraute
- Philharmonisches Hustenkonzert
- Die Roten Lichter von Amsterdam
- Ein Strauß ohne Blumen
- Die Syrischen Höhen
- Überwältigung in A-Dur
- UN-Recht
- Warten auf Nebenzahl
- Wiener Titelwalzer
Auswahl von Kishon-Satiren
Satire als Kunstform
Die Satire ist
eine Kunstform, die seit der Antike existiert. Sie galt als Gegenstück zur
Tragödie. Als römische Satiriker gelten Juvenal und Lukull, aber auch Horaz und
Catull. Es werden Personen, Ereignisse oder gesellschaftliche Zustände
kritisiert, verspottet oder angeprangert. Es wird verzerrt und übertrieben mit
dem Ziel uns nachdenklich zu machen oder zum Lachen anzuregen. Die in
öffentlichen Medien vorgetragenen Satiren richten sich oft ‚gegen die da oben‘
oder die politische Klasse. Sie können aber auch das Verhalten normaler Bürger
oder der Massen zum Gegenstand haben. Satire-Sendungen sind im Fernsehen sehr
stark vertreten, zumindest in westlichen Demokratien. Manche Satiriker
beschränken sich nicht allein auf Kritik. Einige haben auch Wahlen gewonnen, so
Martin Sonneborn bei uns und Wolodymyr Selenskyj in der Ukraine. Dieses
Phänomen ist echt beunruhigend. Es drückt sich damit die Meinung aus, dass
Politik kein ernst zunehmendes Geschäft ist. Das ist bestimmt eine
Fehlentwicklung.
Abgesang
an eine Kunstform
Im
September 2001 – also nach dem 9/11-Angriff − sagte Kishon in einen Chat des
Nachrichten-Senders N-TV etwas überraschend: Er höre jetzt auf zu schreiben. Er
habe bereits über alles geschrieben. ... ‚Schreiben ist eine außerordentlich
anstrengende und langweilige Sache. Meine Entscheidung steht absolut fest und
ist nicht nur Propaganda. Ich möchte wirklich aufhören, Bücher zu schreiben‘… Das
Fernsehen habe den gedruckten Humor „totgetrampelt“. Schon einige Monate vorher
hatte er in einem Interview mit der Zeitung „Junge Freiheit“ dazu verlauten
lassen: „Ich bin sicher, der geschriebene Humor wird verschwinden. Ich bin der
letzte Mohikaner. Der visuelle Humor wird ihn verdrängen. Beim Lesen von
geschriebenen Büchern muss man selber mitmachen, vom Fernsehen dagegen wird man
höflich bedient. ... Nun wird eine ganze Generation nur mit diesem billigen,
ordinären TV-Humor aufwachsen. Das führt dazu, dass ihr der niveauvolle Humor
unverständlich sein wird oder gar langweilig‘. Leider scheint Kishon Recht zu bekommen.
Ich glaube nicht, dass Kishon sich an die obige Drohung gehalten hat. Zumindest hat er nach 2001 noch verschiedene Interviews gegeben und Vorträge gehalten. Dass visuell dargestellte Satiren generell schlechter sind als das textuelle Gegenstück, das darf bestritten werden. Jedes Medium hat andere Stärken und Schwächen.
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