Donnerstag, 16. August 2012

Der Euro bei Thilo Sarrazin, dem erfahrenen Sanierer

Bereits viermal hat uns (man beachte den Plural) der Euro in diesem Blog beschäftigt, schon zweimal Thilo Sarrazin. Beides sind Phänomene, jedes etwas schwer verständlich, jedes auf seine eigene Art interessant.

Sarrazin hat in den letzten zwei Jahren zwei Bücher geschrieben, mit denen er sich – laut Presseberichten – quasi die Lufthoheit an den Stammtischen erkämpfte. Da es – vor allem für einen Besitzer eines Flatrate-Abos für aktuelle E-Bücher – so unendlich viel Interessantes zu lesen gibt, wollte ich mir den Sarrazin nicht antun. Da ich aber in meinem Bekanntenkreis mehrere Kollegen habe, die Sarrazin in Sachen Euro in der Tendenz Recht geben, entschloss ich mich die Zeit zu investieren, um das Wort des Meisters zu lesen. Das Anfang 2012 erschienene Buch hat den Titel: Europa braucht den Euro nicht. In großer Schrift hat es etwa 450 Seiten.

Sarrazin hatte in seiner fachlichen Laufbahn immer wieder mit Währungsfragen zu tun. Er war Mitarbeiter des Bundesfinanzministers, als Gastmitarbeiter beim Internationalen Währungsfond (IWF) und vor allem im Vorstand der Bundesbank, bevor er durch das Buch über unsere Immigrationsprobleme nicht mehr tragbar war. Als Finanzminister im Land Rheinland-Pfalz, im Vorstand der Deutschen Bundesbahn und zuletzt als Finanzsenator des Landes Berlin war er als Sanierer gefordert und – nach seinen eigenen Worten – nicht ganz erfolglos.

Man erfährt von ihm, sozusagen aus erster Hand, nochmals die Geschichte der Währungsunion. Er schildert, welche Mühen aufgewandt wurden, um eine sichere rechtliche Basis zu schaffen. Die Partnerländer waren bereit, als Modell die rechtliche Struktur der Deutschen Bundesbank unverändert zu übernehmen. Es wurden Konvergenzkriterien definiert und eine gegenseitige Haftung (engl. bail out) ausdrücklich ausgeschlossen. Die Verhandlungen schlugen sich im Maastricht-Vertrag nieder. Der Vertrag gilt auch aus heutiger Sicht als sehr solide Basis der gemeinsamen Währung.

Mehrere Probleme führten nach Sarrazins Meinung zu der heutigen Krise. Das eine waren die hohen Belastungen, die einige Staaten in ihren Haushalten erlitten als Folge der von den USA ausgehenden Bankenkrise (engl. subprime crisis). Irrtümlich oder wider besseres Wissen wurde von der gesamten Finanzwelt angenommen, dass im Euroland eine gemeinsame Haftung für alle Schulden gelten würde. Deshalb hatten alle Länder, auch die finanziell schwachen, Zugang zu billigen Darlehen. Anstatt das ‚leichte Geld‘ für notwendige Umstrukturierungen und Anpassungen zu nutzen, verführte es zu Nichtstun. Als Folge davon haben sich die Südländer bezüglich Lohnkosten und Produktivität immer mehr von den Nordländern entfernt. Alle Vertragspartner hatten darauf vertraut, dass die aufgrund der Konvergenzkriterien gleich startenden Länder, sich auch gleich entwickeln würden. Plötzlich hat man erkannt, dass das Gegenteil eingetreten ist. Die Union vergrößerte die Unterschiede.

Über die Gründe für diese Unterschiede zu philosophieren, ist nicht sehr erhellend. Sarrazin tut es trotzdem. Ist das wärmere Klima schuld, oder sind es doch die Gene? Die Nordstaaten haben nicht nur eine leistungsfähigere Wirtschaft, sie haben auch besseres staatliches Personal. Das behauptet er. Die Situation in den einzelnen Ländern unterscheidet sich bezüglich ihrer Ursachen und Auswirkungen. Sie werden ausführlich analysiert. Hier nur das Wichtigste:

  • Frankreich: Genereller Verfall der Wettbewerbsfähigkeit
  • Italien: Leistungsfähiger Norden, aber Notstandsgebiete im Süden
  • Spanien: Überreizte Baukonjunktur
  • Portugal: Verlust der Konkurrenzfähigkeit gegenüber Osteuropa und Asien
  • Griechenland: Vorgetäuschte Konvergenz, völliges Miss-Management

Griechenland scheint bei Sarrazin kein Pardon zu verdienen (wobei Pardon in einer wirtschaftlichen Welt fehl am Platze ist). Nicht nur hat das Land falsche Statistiken nach Brüssel geliefert, um seine Konvergenzkriterien zu schaffen. In den zehn Jahren der gemeinsamen Währung stiegen die Lohnkosten um 64% (gegenüber 2% in Deutschland). Das Land hat 60% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Hilfen von der EU erhalten. Im Vergleich dazu hat die Hilfe aus dem Marshall-Plan innerhalb von vier Jahren nur 1% des BIP der Bundesrepublik betragen. Nach Sarrazins Überzeugung erhöhte die gemeinsame Währung weder den Wohlstand noch die Beschäftigung im Euroraum. Dafür legt er zahlreiche Statistiken als Beweis vor.

In meinen Augen hat das Buch seine Stärken in der Analyse der Vergangenheit. Darüber zu streiten, wer hier Recht hat, ist wenig zielführend. Oder anders gesagt: Wo Sarrazin Recht hat, hat er Recht.

Interessant ist, wie er die zurzeit laufenden Diskussionen bewertet. Zunächst sieht er eine seltsame Interessengemeinschaft zwischen angelsächsischen Liberalen und Finanzinteressen und der deutschen Linken. Diese sehen das Hauptübel in der ausgeschlossenen Haftung des Nordens für den Süden. Finanzler suchen sichere Märkte. Der Euro-Markt ist dies nicht, solange es keine Haftung der Starken für die Schwachen gibt. Worum es den deutschen Linken (vertreten durch Peter Bofinger und Sigmar Gabriel) geht, ist ihm als überzeugtem Sozialdemokraten rätselhaft. Dass die Südländer Hilfe haben wollen, ohne Strukturreformen durchführen zu müssen, ist verständlich, aber verderblich.

Der arme Herr Weidmann von der Bundesbank kann nur noch nörgeln, aber nichts mehr bestimmen. Die Mehrheit der Südländer in den Gremien der EZB hat längst das Sagen. Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble unterstellt er, dass sie bereit sind, dem politischen Ziel einer stärkeren Integration das wirtschaftliche Wohl unseres Landes zu opfern. Die Drohformel ‚Scheitert der Euro, scheitert Europa!‘ sei nicht realistisch. Es sei der Versuch die Währung zu missbrauchen, um eine bestimmte Politik zu erzwingen.

Leider ist das Buch sehr enttäuschend, wenn man Lösungsvorschläge erwartet. Sarrazin gesteht zu, dass wir nicht an den Ausgangspunkt zurück können. Wir müssen da weitermachen, wo wir stehen. Die Kosten des Ausstiegs sind enorm. Wirtschaftsregierung und Transferunion schwächen den Norden. Ob sie dem Süden helfen, ist fraglich. Der Euro ist eine Kette geworden, die Nord und Süd zusammenzwingt. Für wen der Euro zu schwer ist, solle ihn verlassen (dürfen). Deutschland wird durch den dauernden Bruch der No-Bail-Out-Klausel zur Geisel der Südländer, usw. Wir können nicht länger sagen, es hätte uns niemand gewarnt.

Einerseits rät Sarrazin zu sensiblem Umgang mit den Schuldenländern. Man sollte z.B. die Griechen nicht durch Druck ‚infantilisieren‘. Sie müssten sich selbst helfen. Vermutlich bleibt uns eine Art ‚Mezzagiorno‘ der EU, der auch im Falle Italiens 130 Jahre nach der Staatsgründung noch Empfänger von Transfers ist. Andererseits überspitzt er die Kritik an Griechenland, indem er Forderungen formuliert, die man nur als Beleidigung auffassen kann. Wörtlich heißt es: Die Griechen können im Euroland bleiben, wenn sie

  • Korruption in Politik und Verwaltung abschaffen,
  • alle Einkommen um 30% senken,
  • die Finanzämter wie deutsche Finanzämter betreiben und
  • die Leute steuerehrlich werden.

Sehr gut ist es, dass wir darüber nachdenken, was Europa für uns ist und sein soll. Ist es eine Gemeinschaft von 740 Millionen Menschen, von 500 oder von 327? Gemeint sind damit das geografische Europa, die EU oder die Euroländer. In ihm leben heute Christen, Juden, Muslime und Nicht-Religiöse. Alle schätzen Demokratie und freie Wirtschaft. Es ist eher ein Staatenbund als ein Bundesstaat, und soll es bleiben. Basken, Schotten, Waliser und Wallonen streben darin nach Autonomie, nach Verwirklichung ihrer Gemeinschaftsideale. Gleichzeitig gehen die Ideale einer klassischen Bildung immer mehr verloren. Neue Erlebnis- und Gemeinschaftsformen drängen vor, z.B. Facebook und Pop-Konzerte.

Auch versucht er die ganze Diskussion zu relativieren. Der Wunsch nach Frieden, Demokratie und der Möglichkeit, sein Leben frei zu gestalten, hängen nicht von einer gemeinsamen Währung ab. Sich selbst bezeichnet er als Außenseiter und tröstet sich mit dem Satz:

Außenseitertum ist der Preis dafür, dass man Kollektivirrtümern entgeht.

In Hartmut Wedekinds Beitrag vor gut einer Woche ging es primär darum, wie sich das Phänomen Sarrazin in die Wissenschaftstheorie der Moderne einordnen lässt. Sarrazin hat halt viele Gesichter.

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