Die so genannte Euro-Krise
hat uns schon bald zwei Jahre im Griff. Es handelt sich dabei nicht um eine Krise
des Euro, – wie man meinen könnte – sondern um eine Krise einiger
Volkswirtschaften, die den Euro als Zahlungsmittel verwenden. In einem Beitrag
gegen Ende letzten Jahres, der sich auch mit dem Thema beschäftigte, schrieb
ich:
Wer im Moment uneingeschränktes
Vertrauen genießt, sind die Zentralbanken, also die EZB, die Europäische
Zentralbank, und die Fed, die amerikanische Notenbank. …Sie definieren das Geld
an sich. Sie erhöhen oder reduzieren die Geldmengen, die im Umlauf sind.
Zumindest nimmt man das an. Wird mal erkannt, dass sie das kaum noch tun, ist
auch ihr Ruf dahin. …Erst wenn der Glaube an die Macht der EZB erschüttert
wird, gerät der Euro wirklich in eine Krise.
Es scheint, als ob jetzt der Ruf der EZB angekratzt werden soll. Gestern stellte EZB-Chef Mario Draghi – zwar
noch etwas zögernd – seine Doppelstrategie vor. EZB und ESM wollen demnach den
Kauf von Staatsanleihen aus Krisenländern koordinieren, so heißt es. Gleichzeitig
ist zu lesen, dass die deutsche Regierung, die FDP und der Bundesverband der
Deutschen Industrie strikt dagegen seien. Wirtschaftswissenschaftler werden noch
nicht zitiert. Vielleicht melden sich diese in einigen Tagen zu Wort.
Wissenschaftler benötigen meist etwas länger als Politiker und Manager, um sich
eine Meinung zu bilden. Normalerweise ist diese dann auch besser begründet.
Leider ist jedoch von Wissenschaftlern in der augenblicklichen Situation nicht
viel Erhellendes zu erwarten. Die Probleme, mit denen man es heute zu tun hat,
sind nicht exakt vergleichbar mit denen, die die Wissenschaft bisher analysiert
hat. Deshalb sind ihre Vertreter so unsicher.
Da Ben Bernanke,
der Chef der Fed, die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre gründlich studiert hat,
weiß er, was damals falsch gemacht wurde. Bewiesenermaßen falsch war die
Sparpolitik, die bei uns mit dem Namen Heinrich Brüning
verbunden ist. Das Gegenmittel heißt Keynes,
und nochmals Keynes. Etwas anderes kennt man nicht, oder ist nicht
wissenschaftlich fundiert. Also muss man die Tore aufmachen, und den Markt mit
Geld überfluten. Das machen die Amerikaner seit Jahren. SPD und Gewerkschafter
tendieren schon immer in die Richtung, dass nur der Staat in der Lage ist, die
Wirtschaft zu lenken.
Brüning konnte Hitler bekanntlich nicht aufhalten. Hitlers Methode, mit
der er die Wirtschaftskrise bekämpfte, war ein durchschlagender Erfolg. Es war
Planwirtschaft, wie sie im Buche steht. Aber er hat sich durch andere Ansichten
und Maßnahmen diskreditiert. Bei uns trauen sich Wirtschaftswissenschaftler weder
die Methode Brüning (sturer Konservatismus!) noch die Methode Bernanke (dumme
Amerikaner!) gutzuheißen, von Hitlers Methode ganz zu schweigen. Sagen sie
etwas, was dazwischen liegt, verlassen sie festen Grund. Sie führen oft waghalsige
Seiltänze auf.
Ob man überhaupt noch einem Wissenschaftler zuhört, hängt meist damit
zusammen, wo er politisch steht, und was er früher gesagt hat. Nur drei
Beispiele. Thomas Straubhaar
ist ein liberaler Schweizer und denkt unabhängig. Was er sagt, macht oft Sinn. Hans-Werner Sinn, der
IFO-Chef, liebt es, die Kassandra zu spielen. Nach seiner Meinung ging die
deutsche Wirtschaft in den letzten 10 Jahren schon dreimal unter. Zuerst verlor
sie ihre Substanz (als Basar), dann wurde sie von Bankern (im Casino) ihres
Kapitals beraubt, und schließlich von der Regierung zu Tode reguliert. Peter Bofinger vertritt
die Gewerkschaften und plädiert für Keynes. Ehe er den Mund aufmacht, weiß man
bereits, was kommt, egal, was die Situation ist. Es gibt einige Politiker, die
glaubten, dass Wissenschaft etwas mit Wahrheit zu tun hätte. Diese Politiker
(und Bürger) sind enttäuscht oder verunsichert. Wenn die Wissenschaftler nur
durcheinander reden, dann können wir sie gleich vergessen. War es doch schön ̶ denken einige ̶ als auch die Wissenschaft ‚gleichgeschaltet‘
war. Das war der Ausdruck, den man während der Nazizeit benutzte, um mögliche Abweichler von vornherein ins Glied zu holen.
Im Leben gilt nicht nur die Wissenschaft. Meist gibt es ein Spektrum
von Sichten, das unser Handeln bestimmt. Es beginnt manchmal mit Wissenschaft,
öfter endet es dort. Manche Leute handeln rein kommerziell. Zahlt sich das, was
ich tue, auch aus? Andere Leute denken an die Wirkung ihres Handels. Was hat
das, was ich tue, für Folgen für meine Freunde, meine Landsleute oder meine
Mitmenschen? Manche denken sogar an Ungeborene, also über unsere Generation
hinaus. Wieder andere lassen sich davon leiten, was sie für gerecht, moralisch
oder gar gut halten. Da diese Begriffe schwer zu präzisieren sind, können sich
auch diese Leute irren.
Die derzeitige Bundesregierung, vertreten durch die Kanzlerin und den Finanzminister,
scheint sich von einem Bauchgefühl lenken zu lassen, das näher an Brüning als
an Keynes liegt. Das ist sehr gut nachzuvollziehen. Das Bild der ‚schwäbischen
Hausfrau‘ kommt in einigen Kreisen immer noch gut an. Dass beide Politiker
dabei warnend den Zeigerfinger heben, wird ihnen, vor allem im Ausland, sehr
verübelt. ‚Deutsche Politiker wirken oft moralisierend‘ meint ein belgischer
Wirtschaftswissenschaftler. Das ist höflich gesagt. Der Pöbel auf griechischen
Straßen drückt es anders aus.
Manche Politiker behaupten, dass den deutschen Wähler die 13 Weimarer
Jahre (1919-1932) mehr belasten als die 12 Hitlerjahre (1933-1945). Eine
Inflation von 2% mache ihnen daher mehr Angst als der Groll aller Griechen,
Italiener und Spanier. Diese deutsche Haltung mag schwer verständlich sein. Davon
ungeachtet, gibt es Erwartungen, die uns nicht überraschen sollten. Wir
erreichen niedrige Zinssätze für unsere Staatsschulden, weil andere Länder weniger
sicher sind als wir. Dort kann man sogar sein Geld verlieren. Wenn wir so gut
sind, dass wir bald auf Staatsschulden verzichten können, warum regen wir uns
auf, wenn die Zinsen für mögliche Schulden anwachsen? Vielleicht glauben wir
selbst nicht an die Schuldenbremse, die wir anderen zur Nachahmung empfohlen
haben.
Es ist schon recht eindrucksvoll. Fast alle noch aktiven Politiker
vereint in dieser Situation ein gewisses Maß an Verantwortungsgefühl. Ob das
Verfassungsgericht dies als relevant ansieht, muss sich noch zeigen. Anders sieht
es bei einigen ehemaligen Politikern aus. Sie fühlen sich von Skrupeln
unbehelligt. Sowohl Hans-Olaf
Henkel wie Thilo
Sarrazin fühlen sich frei, das zu fordern, was ihnen logisch erscheint. Henkel
möchte die Gemeinschaft der Europäer beenden, so wie Leute eine Ehe beenden,
wenn die Fortführung unbequem wird. Dabei sagt er gleich dazu, wer die Guten
und wer die Bösen sind. Sarrazin beweist, dass die Sache sich nicht rechnet.
Wir machten uns zu viel Arbeit für eine Sache, die sich nicht lohnt. Da ich
beiden glaube, dass ihre Rechnungen stimmen, habe ich ihre Bücher auch nicht
gekauft oder gar gelesen.
Auch die Medien spielen eine etwas seltsame Rolle. Sie scheinen Lust
daran zu finden, über den angeblichen Brand des europäischen Hauses zu
berichten. Dabei wirken sie als Brandbeschleuniger. Jetzt kommen Berichte aus
Sizilien über Zustände, die dort schon seit Jahrzehnten üblich sind. Der SPIEGEL
sieht sich die Autobahnen und Flugplätze in Spanien an, die in den letzten 10
Jahren gebaut wurden, und stellt fest, dass da wenig Verkehr ist. In der
Bundeshauptstadt Berlin reihte sich in den letzten Jahrzehnten fast ein Skandal
an den andern. Allmählich war es für die staatstragenden Medien nicht mehr
interessant, darüber zu berichten. Gerade wurde das Flughafenprojekt als neuer Sumpf
entdeckt. Kostenüberschreitungen um bis zu 300% hätte man am liebsten verschwiegen.
Dass das Startdatum sich um Jahre verschiebt, ließ sich nicht unter den Teppich
kehren. Desgleichen kann bisher aus Spanien nicht berichtet werden.
Vor lauter Unsicherheit darüber, wie die so genannte Euro-Krise zu
lösen ist, hilft es auch wenig gleichzeitig noch über die Ursachen zu reden. Die
Nachwelt wird ohnehin der Erklärung Glauben schenken, die am überzeugendsten
vorgetragen wird. Da die Wissenschaft als Problemlöser offensichtlich versagt,
ist es am besten, kleine vorsichtige Schritte zu unternehmen. Dass dies Jahre,
ja Jahrzehnte dauern kann, scheint einigen Leuten zu dämmern. Es mag uns sogar
missfallen. Daher ist es nicht falsch, auch begleitende Maßnahmen ins Auge zu
fassen.
Die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre lehrte uns, dass außer viel
Vermögen auch sehr schnell viel politische Kultur verloren gehen kann. Dem
sollte vorgebeugt werden. Warum überlegen wir uns keine vertrauensbildenden Maßnahmen?
Anstatt Abwrackprämien für alte Autos ließen sich Industrie-Praktika bei
deutschen Unternehmen fördern für junge Griechen, Portugiesen und Spanier.
Natürlich müssten die Empfängerländer ebenso viel investieren wie die
Geberländer. Umgekehrt könnte man in Erwägung ziehen, Schulklassen den Besuch
von Athen, Florenz oder Madrid statt von Berlin nahezulegen. Es würde dann
klarer, dass das vielgerühmte Europäische Erbe nicht allein aus der Sicht
Preußens gesehen werden muss.
So wie der Marshall-Plan
für das am Boden liegende Europa als Wohltat empfunden wurde, könnten gezielte
Hilfen für Länder an der europäischen Peripherie wie Griechenland und Portugal
nützlich sein. Es war damals ein Akt der Vernunft oder der politischen
Weisheit. Um einem unserer älteren Politiker ein Denkmal zu setzen, schlage ich
dafür die Bezeichnung ‚Helmut-Schmidt-‘ oder ‚Hans-Dietrich-Genscher-Plan‘ vor.
Die Namen von Westerwelle oder gar Rösler würden schlecht passen.
Am 3.8.2012 schrieb
Hartmut Wedekind aus Darmstadt:
Man lächelt mittlerweile ja nur noch milde, wenn man hört, was da
passiert und vorgeschlagen wird. Ist das schon Panik-Stimmung? Steht den
Euro-Protagonisten qua Amt oder aus politischer, zwangsweise optimistischer Überzeugung
das Wasser schon bis zum Hals?
Inflation 2 %? Ich bekomme von meiner Sparkasse z.Z.
1,2% Zinsen. Der übliche Nicht-Krisen-Zinsfuß liegt aber bei 4 % und höher. Ich
zahle also jetzt schon rund 4% Solidarbeitrag für Griechenland und andere
Krisenverursacher. Das sagt auch Herr Sarrazin. Wenn die vorhergesagten 2% mehr
Inflation noch dazu kommen, sind das für den deutschen Sparer und die
Rentenkassen 6 % Solidarität. Sagt das mal, auch von der SPD, dem deutschen
Arbeiter.
Am besten man verkonsumiert alles als alter
Sack. Schöne teure Weine in der Toskana mit der Toskana-Fraktion, das ist doch
auch was. Und die Jugend geht vor die Hunde.
Ebenfalls am 3.8.2012 schrieb Peter
Hiemann aus Grasse:
Mir scheint, dass die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler nach wie
vor davon ausgeht, dass im sogenannten Markt Gesetzmäßigkeiten dafür sorgen,
jederzeit ökonomisches Gleichgewicht herzustellen. Dass der sogenannte Markt
wellen-artigen Charakter mit mehr oder weniger dramatischen Höhen und Tiefen
hat, ist den gleichen Gesetzmäßigkeiten zu „verdanken“.Solange die Höhen und Tiefen des sogenannten Marktes nur als
ökonomisches Phänomen an der Börse Beachtung finden, macht sich der
Normalsterbliche keine Gedanken, weil er nicht davon betroffen ist.
Die Eurokrise findet offensichtlich mehr Beachtung als ökonomische
Krisen der Vergangenheit. Vor allem in Griechenland und Spanien hat die Krise
bereits zu Situationen geführt, die der wirtschaftlichen Situation in
Deutschland des Jahres 1931 nicht unähnlich sind.
„Die wirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland schien sich bis 1930 nicht von den Jahren zuvor zu unterscheiden.
Die Zahl der Arbeitslosen lag 1927 bei etwa 1 Million; Ende September 1929 gab
es 1,4 Millionen Arbeitslose, im Februar 1930 waren es 3,5 Millionen, was auf
jahreszeitliche Schwankungen zurückgeführt wurde. Als diese Zahl wider Erwarten
im Frühjahr 1930 nicht zurückging, hofften Reichsregierung und die Reichsbank
noch lange auf eine Selbstheilung der Wirtschaft, obwohl die Arbeitslosenzahl
schon Ende des Jahres mit 5 Millionen Arbeitslosen im weltweiten Vergleich auf
höchstem Niveau stand. Erst als sich der geringe Rückgang Mitte 1931 nicht
fortsetzte, wurde man sich der extremen Entwicklung der Krise vollends bewusst.
Zu dieser Zeit lief Brünings Sparprogramm bereits auf vollen Touren. Die
öffentlichen Gehälter wurden um 25 % vermindert und die Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe wurden stark gekürzt. Im Februar 1932 erreichte die Krise auf dem
Arbeitsmarkt ihren Höhepunkt: Es standen 6.120.000 Arbeitslosen, also 16,3 %
der Gesamtbevölkerung, nur 12 Mio. Beschäftigte gegenüber. Zu den Arbeitslosen
könnte man auch noch die große Masse der schlecht bezahlten Kurzarbeiter und
Angestellten zählen, aber auch die kurz vor dem Ruin stehenden Kleinunternehmer.“
Diesen Absatz habe ich Wikipedia entnommen. Die Information über die
wirtschaftliche Entwicklung vor 1931 finde ich zusätzlich interessant, weil
viele Leute in Deutschland in 2012 denken, sie werden schon von der globalen
Eurokrise verschont bleiben.Ich möchte aber auch auf zwei grundsätzliche Unterschiede zwischen der
Eurokrise und wirtschaftlichen Krisen der Vergangenheit hinweisen.
1. Der Eurokrise kann mit nationalen Währungsmodifikationen (Auf- und
Abwertungen) nicht entgegengesteuert werden.
2. In der Eurokrise werden die Auswirkungen eines internationalen
Finanzsystems sichtbar, das sich vom sogenannten „realen“ Wirtschaftssystem der
Entwicklung, Produktion, Handel und Konsum von Gütern und Dienstleistungen
komplett abgekoppelt hat. Es wird geschätzt, dass die umlaufende globale
Kapitalmenge den Wert der tatsächlichen existierenden Werte des „realen“
Wirtschaftssystems um das Zehnfache übersteigt.
Historische Wirtschaftskrisen waren die Folge des „Platzens“ von
„Spekulationsblasen“. Die Eurokrise ist eine Überschuldungskrise von Staaten.
Auch die USA steckt in einer Überschuldungskrise. Die Überschuldungskrisen
wurden 2008 nicht ausgelöst durch das Platzen der Subprime-Immobilienkredite in
den USA. Es wurde in 2008 nur sichtbar, was die Finanzindustrie mit der leichtfertigen
Handhabung von Schuldverschreibungen (und Spekulationen damit) angerichtet hatte,
natürlich mit Hilfe immer verfügbarer Kreditnehmer.
Anmerkung (Bertal): Ich wäre vorsichtiger. Ich vermute, es gibt viele Ursachen. In 30 Jahren werden die Ökonomen noch etwa 10 davon als signifikant ansehen. Könnte man wenigstens eine effektive Lösung benennen, wäre das ein enormer Erfolg der Theorie. Ohne Theorie hilft nur Probieren.
Anmerkung (Bertal): Ich wäre vorsichtiger. Ich vermute, es gibt viele Ursachen. In 30 Jahren werden die Ökonomen noch etwa 10 davon als signifikant ansehen. Könnte man wenigstens eine effektive Lösung benennen, wäre das ein enormer Erfolg der Theorie. Ohne Theorie hilft nur Probieren.
Am 4.8.2012 schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:
AntwortenLöschenMeiner Meinung ist der Grundkonflikt nicht zwischen den Wirtschaftstheoretikern (ich vermeide den Begriff Wissenschaft, er passt schlecht) und Politikern, sondern zwischen Hartwährungs- und Weichwährungsländern. Diese beiden in ein gemeinsames Währungssystem zu pressen, war schlicht dumm und verantwortungslos, genauso wie die Aktivität von Herrn Verheugen auf Biegen und Brechen die Union zu vergrößern, ohne vorher eine Verfassung zu haben.
Antwort (Bertal): Natürlich ist das, was Sie benennen, eine der Hauptursachen. Ich wollte den Blick primär auf die Therapien lenken. Da ist die Wissenschaft oder - wenn Sie so wollen - die Theorie gefragt. Da reden die Doktoren etwas durcheinander.