Vorbemerkung: In einem früheren Beitrag über ein Geschichtswerk fiel die Bemerkung, dass man aus der Menschheitsgeschichte kaum Lehren für unsere Zukunft ziehen könnte. Dennoch gibt es Aspekte der Geschichte, die ich sehr faszinierend finde. Als Beispiel will ich hier mehrere Personen vorstellen, die mich sehr beeindruckten. Ich bin oft mehrmals auf sie gestoßen worden. Ihre Namen stehen zwar nicht in jedem Geschichtsbuch, meinen Bekannten und Freunden sind sie jedoch möglicherweise schon begegnet.
Decimius Magnus Ausonius entstammt einer Familie mit teils aquitanischen, teils griechischen Wurzeln. Er war bereits seit 338 als Grammatik- und Rethoriklehrer in seiner Heimatstadt Bordeaux (lat. Burdigala) angestellt, als Kaiser Valentinian auf ihn aufmerksam wurde. Er lud ihn ein, nach Trier zu kommen und die Ausbildung seines Sohnes Gratian zu übernehmen. Da er außer als Lehrer auch als Schriftsteller und Dichter tätig war, ist sein Leben sehr gut dokumentiert. Vieles hat er rückblickend erst im Alter aufgeschrieben.
Ausonius (310-394)
Fünfzehn Jahre lang, von 368 bis 383, hielt er sich in Trier auf. Seine Frau war bereits tot. Sein Sohn und seine Tochter begleiteten ihn. Die Reise nach Trier erfolgte zunächst das Rhônetal hinauf, dann den Rhein hinunter bis nach Bingen. Wo dies möglich war, reiste man per Boot. Von Bingen aus begab sich die Reisegruppe zu Fuß oder per Pferd auf einen Weg, der über das heutige Rheinböllen zur Hunsrückhöhenstraße führte. Das Moseltal erblickte er zum ersten Mal in der Gegend von Neumagen. Er war begeistert von der Kulturlandschaft, die sich vor ihm auftat, und verglich die Gegend mit dem Tibertal bei Rom. Jedes Mal, wenn ich heute auf der Autobahn vom Hunsrück kommend über die Feller Talbrücke ins Moseltal fahre, denke ich daran, wie überwältigend dieser Anblick für Ausonius gewesen sein muss.
Seinen Eindruck vom Moseltal fasste er später in dem bekannten lyrischen Gedicht ‚Mosella‘ zusammen. Das um 371 entstandene Werk hat 483 Hexameterzeilen und enthält sehr viele geographische Details. Ausschnitte aus dem Gedicht werden heute noch gerne in Werbetexten verwendet, vor allem die leicht pathetischen Übersetzungen früherer Jahrhunderte. Ehe ich zwei Kostproben in der neuen Übersetzung von Dräger [1] bringe, weise ich darauf hin, dass Trier (lat. Augusta Treverorum) die Hauptstadt der römischen Provinz Belgien (genau Belgica I) war.
Gruß dir, o Strom, der du gelobt von Äckern, gelobt auch bist von deinen Siedlern,
dem Belgiens Menschen danken ihre Stadt, die nun der Herrschaft ist gewürdigt.
O Strom, bewachsen an den Rebenhöhn von Bacchus, der den Duft verbreitet,
o grünster Strom, zugleich von Wein bewachsen an seinen grasbedeckten Ufern!
[23-26]
dem Belgiens Menschen danken ihre Stadt, die nun der Herrschaft ist gewürdigt.
O Strom, bewachsen an den Rebenhöhn von Bacchus, der den Duft verbreitet,
o grünster Strom, zugleich von Wein bewachsen an seinen grasbedeckten Ufern!
[23-26]
Gruß dir, der Ackerfrüchte großem Vater wie der Männer, o Mosella!
Es zieren dich berühmte Edle, dich im Krieg geübte Jungmannschaft,
dich auch die Kunst der Rede, die sich misst sogar mit Zungen Latiums,
Ja, auch Gesittung und bei strenger Stirn den fröhlich-heiteren
Charakter hat als Vorzug die Natur gewährt den eigenen Pflegekindern.
[381-385]
Es zieren dich berühmte Edle, dich im Krieg geübte Jungmannschaft,
dich auch die Kunst der Rede, die sich misst sogar mit Zungen Latiums,
Ja, auch Gesittung und bei strenger Stirn den fröhlich-heiteren
Charakter hat als Vorzug die Natur gewährt den eigenen Pflegekindern.
[381-385]
Nicht nur reich an Früchten und Reben sei das Land, der Fluss sei schiffbar und voller bester Fische und an seinem Ufer tanzten Nymphen und Satyrn. Heutige Leser beeindruckt es besonders, dass er alle Seitentäler einzeln benennt und beschreibt und auf die dichte Bebauung mit römischen Villen hinweist. Der Zweck des Gedichtes war, der urbanen Oberschicht im Reich zu beweisen, dass die Gegend um Trier sicher und friedlich sei und es trotz der gerade stattgefundenen Germaneneinfälle attraktiv sei dort zu leben.
Kaiser Gratian (375-383)
Als sein Schüler Gratian 375 Kaiser wurde, übertrug dieser Ausonius das Amt des Präfekten von Gallien und später eines der beiden Konsulämter. In dieser Funktion musste Ausonius unter anderem (unterstützt von seinem Sohn als Heerführer) einen Vergeltungsschlag gegen die Alemannen durchführen, die im Jahre 377 ins heutige Elsass eingefallen waren. Dieser Kriegszug führte ihn auf die Höhen des Schwarzwalds, vermutlich sogar bis zur Donauquelle beim heutigen Donaueschingen.
Danach besaß Ausonius in seinem Haushalt das „Schwarzwaldmädel“ Bissula, eine Beutesklavin alemannischer Herkunft. Ihr Aussehen und ihr Charakter gefielen dem fast 70-jährigen Witwer sehr, was er in einem Bissula gewidmeten Gedicht zum Ausdruck brachte. Er schenkte ihr später die Freiheit, allerdings erst nachdem sie die lateinische Sprache beherrschte. Für Historiker interessant ist eine im Stile griechischer Lobeshymnen verfasste Dankrede an den Kaiser (ein so genannter Panegyrikus), die er im August 379 in der Palastaula, der heutigen Basilika, hielt. Einen in Dalmatien lebenden 15-jährigen Enkel, dem es nicht in der Schule gefiel, ermahnte er von Trier aus, doch die Texte der Klassiker (Horaz, Ovid, Vergil) zu lesen. Das sei sehr nützlich.
Über sein Verhältnis zum christlichen Glauben können sich Historiker nicht einigen. So hat er z.B. ein Ostergedicht verfasst, in dem er den auferstandenen Erlöser preist. Andererseits fühlt er sich der griechisch-römischen Kultur- und Philosophentradition verbunden. Ob er zwischen Christentum und Griechentum einen Widerspruch sah, oder ob er sie bereits in Übereinstimmung bringen konnte, ist nicht bekannt. Offiziell erfolgte die Übernahme griechischen Gedankenguts durch die Kirche erst während der Scholastik (Albert der Große, Thomas von Aquin), also fast 1000 Jahre später. Ausonius verkörperte Toleranz und Humanismus, lange bevor der Rest der Welt sich diese Begriffe zu eigen machte.
Eine ganz überraschende Querverbindung zu Ausonius ergab sich für mich, als ich im Sommer 2000 nach einem Besuch der Lerinischen Inseln vor Cannes damit begann, das Leben des Klostergründers Honoratus zu studieren. Diese Geschichte ist lang und spannend und wurde von mir im Jahre 2001 veröffentlicht [2]. Details wiederzugeben, würde hier zu weit führen. Über die möglichen genealogischen Beziehungen tauschte ich mich damals mit dem Trierer Althistoriker Altay Coşkun intensiv aus. Nur so viel: Obwohl es keine eindeutige Erklärung gibt, deutet alles darauf hin, dass Honoratus ein Enkel des Ausonius gewesen sein muss, und zwar aus der ersten Ehe seiner Tochter stammend.
Bleiben wir bei Ausonius. Die Wende seines Schicksals kam im Jahre 383. Am 25. August dieses Jahres wurde nämlich der erst 24-jährige Kaiser auf dem Marktplatz von Lyon ermordet. Sein Nachfolger wurde der Ursupator Maximus, der Militärkommandant von Britannien. Ausonius kehrte im selben Jahr nach Aquitanien zurück, um sich - wie er schrieb - um den von den Eltern geerbten „nicht sehr großen, aber ausreichenden“ Landbesitz (700 Morgen, davon 100 Morgen Weinberge) zu kümmern. Unter anderem schrieb er jetzt eine Familiengeschichte, in der alle 30 ihm bekannten Vorfahren vorgestellt werden. Als letztes in Bordeaux entstandenes Werk sei noch die Beschreibung von verschiedenen römischen Städten erwähnt, beginnend mit Rom, endend mit Bordeaux.
Weingut Chateau Ausone in St. Emilion
Ausonius starb um 394 in St. Emilion, einem heute sehr bekannten Weinort. Seine Kinder und Enkelkinder, die zwischendurch als Beamte, Soldaten oder Geistliche in mehreren römischen Provinzen ‚dienstverpflichtet‘ waren, kamen im Laufe der Zeit nach Aquitanien zurück und übernahmen den Familienbesitz. Zwei seiner Erben waren der literarisch bekannt gewordene Paulinus von Pella (nach seinem Geburtsort in Mazedonien benannt), sowie Honoratus, der Gründer des Klosters Lérin und spätere Bischof von Arles – beim letzterem mit Fragezeichen.
Jetzt wieder ein Sprung in unser Jahrhundert. Ich wusste, dass Ausonius in drei Städten Grundbesitz besaß, nämlich in Saintes, Bazas und St. Emilion. Bei einer Frankreichreise im Sommer 2006 konnte ich in St. Emilion das Weingut Chateau Ausone besuchen. Der dort geerntete Wein wird in örtlichen Weinläden angeboten und kostet so viel wie die bekannteste Lage in St. Emilion (Cheval Blanc), allerdings gibt es ihn nur in kleineren Mengen. Nach Rückfrage im Fremdenverkehrsamt wurde mir mitgeteilt, dass kürzlich durchgeführte Ausgrabungen ergeben haben, dass das Weingut, das Chateau Ausone heißt, seit der Römerzeit existiert. In Bazas, dem Geburtsort seines Vaters, fand ich als einzige Spur eine Straße mit dem Namen Val d’Ausone. In Saintes, wo seine Mutter herstammte, kannte das Fremdenverkehrsamt den Namen Ausone nicht.
Noch ein Bonbon zum Schluss: Von Bordeaux aus fuhren wir damals zur Atlantikküste im Westen, um in Arcachon die berühmten Austern zu probieren. Es wird berichtet, dass ein Freund des Ausonius aus Arcachon jedes Jahr eine Ladung Austern nach Trier schickte. Wie die Frischhaltung bewerkstelligt wurde, ist nicht überliefert. Vielleicht wurden sie in großen Amphoren voll Meerwasser transportiert. Ein Gourmet war Ausonius offensichtlich auch noch.
Weitere Referenzen
- Dräger, P. (Hsg.): Ausonius, Mosella, Lateinisch/Deutsch Trier 2001
- Endres,A.: Das Kloster Lérin bei Cannes und sein Bezug zur Stadt Trier. Neues Trierisches Jahrbuch 2001, 221-230
Am 3.8.2011 bittet mich Altay Coskun diesen Kommentar für ihn zu veröffentlichen:
AntwortenLöschen"Ein schoener Beitrag zu Ausonius, der Appetit auf eine Suedfrankreichreise macht ...
Glueckwunsch und Gruss von
Altay Coskun (Exeter, UK, und Waterloo, ON)"