Karl der Große bekämpfte nicht nur die Sachsen im Norden Deutschlands, sondern auch die Araber in Spanien. Das Rolandslied erzählt von diesen Kämpfen. Später gab es aber auch friedliche Kontakte über die Pyrenäen hinweg. Die geschichtliche Persönlichkeit, die ich jetzt beschreibe, fällt in diese Epoche. Gemeint ist Gerbert d’Aurillac, der spätere Papst Silvester II.
Ein katalanischer Fürst, Graf Borell II. von Barcelona, der gute Kontakte zu den Herrschern in Cordoba und zum französischen König pflegte, besuchte 963 das Kloster Aurrillac in der Auvergne. Der dortige Abt bat ihn, einen jungen Mönch, namens Gerbert, unter seine Fittische zu nehmen. Er sei sehr begabt und sollte Mathematik in Spanien studieren können. Gerbert kam zunächst in die Obhut des Bischofs Atto von Vic (in der Nähe von Barcelona). Als Atto von einer diplomatischen Mission aus Cordoba zurückkehrte, berichtete er über die Eindrücke, die er dort gewonnen hatte. Er war des Lobes voll bezüglich der Pracht der dortigen Bauten, dem hohen Stand der Wissenschaft und der ritterlichen Haltung seiner Gastgeber. Gerbert war fasziniert und begann damit, sich in arabisches Kultur- und Wissensgut einzuarbeiten.
Wie und wo genau er dies tat, darüber wird spekuliert. Teilweise heißt es, dass er alles heimlich in seinem Kloster in Katalonien tat. Andere Quellen berichten, dass er an den arabischen Universitäten in Sevilla und Cordoba eingeschrieben war. Ich selbst stieß zum ersten Mal auf Gerberts Namen bei einem Besuch der Universität von Fez in Marokko. Sie nahm für sich in Anspruch, Studienort dieses prominenten Europäers gewesen zu sein. Wieder andere Autoren meinen, dass er seine Arabisch-Kenntnisse in Kairouan im heutigen Tunis gewann. Alles etwas mysteriös.
Gerbert in der Münsterschule zu Reims
(Quelle: fr.Wikipedia)
(Quelle: fr.Wikipedia)
Im Jahre 969, also sechs Jahre nach ihrem ersten Zusammentreffen, durfte Gerbert den Grafen Borell und Bischoff Atto nach Rom begleiten. Hier traf man sowohl Papst Johannes XIII. als auch Kaiser Otto I. Nachdem Bischof Atto in Rom ermordet worden war, nahm Gerbert das Angebot Ottos an, Lehrer für seinen Sohn, den späteren Kaiser Otto II. zu werden. Der enge persönliche Kontakt zu den drei ottonischen Kaisern sollte fortan Gerberts ganzes Leben bestimmen.
Nach der Hochzeit von Otto II. mit Theophanu, der Kaisertochter aus Byzanz, ging Gerbert 972 an die Münsterschule in Reims, um sich dort weiterzubilden. Nachdem Otto II. im Jahre 973 Kaiser geworden war, übertrug dieser Gerbert das Kloster Bobbio in den Apenninen, das eine der größten Bibliotheken des Abendlands besaß (in unserer Zeit als Vorbild des Romans ‚Im Namen der Rose‘ bekannt geworden). Gerbert gelang es nicht, in dieser neuen Umgebung Fuß zu fassen, so dass er sich 984, also nach dem Tode Ottos II., entschloss wieder nach Reims zurückzukehren. Dort wurde er jetzt Leiter der Münsterschule. Das Bild, das ihn in dieser Funktion zeigt, erinnert im Stil an die Bilder der Manessischen Liederhandschrift, stammt aber aus einer französischen Buchpublikation
Es ist diese Phase seines Lebens, in der ich Gerberts Namen ein weiteres Mal begegnete. Von Reims aus beriet er nämlich das Kloster Echternach darin, welche lateinischen Texte man haben sollte, wollte man selbst den Rang einer Klosterschule erreichen. Er gab nicht nur Empfehlungen ab, sondern lieh den Echternacher Mönchen die entsprechenden Kodices auch aus, damit sie vor Ort kopiert werden konnten. Das Material, das in Echternach um 993 kopiert wurde, umfasste Texte lateinischer Klassiker (wie Horaz, Vergil und Ovid), die Werke der Kirchenväter, sowie das Erbe der griechischen Philosophie und der arabischen Astronomie und Mathematik. Sie blieben dort bis kurz vor der französischen Revolution. Zu einer Klosterschule kam es jedoch nicht in Echternach. Das ist aber nur der Hintergrund einer andern spannenden Geschichte [1], die damit beginnt, dass etwa 60 Jahre später ein junger Mönch einen Teil dieser Manuskripte so zu sagen verhunzt, indem er in einigen von ihnen seine Lesespuren in Form von Glossen hinterlässt.
Papst Silvester II.
Nach dem Tod seines Amtsvorgängers wurde Gerbert 991 zum Bischof von Reims gewählt. In den politischen Streitigkeiten um den französischen Thron unterstützte er Hugo Capet gegenüber dem karolingischen Prätendenten. Sobald Hugo Capet gestorben war, entzog Papst Gregor V. ihm den Bischofsstuhl. Er ging daraufhin im Jahre 998 als Berater zu Kaiser Otto III. nach Italien. Als wirtschaftliche Basis erhielt er den Bischofssitz von Ravenna. Otto III. war ab dem Jahre 983 deutscher König und gleich darauf auch Römischer Kaiser geworden. Er soll mehr Zeit in Italien als in Deutschland verbracht haben. Als Papst Gregor V. im Jahre 999 starb, war es Otto III., der bewirkte, dass Gerbert dessen Nachfolger wurde. Als Papst nannte er sich Silvester II.
Aus kirchengeschichtlicher Sicht bestand seine herausragende Leistung darin, dass es ihm gelang, die gerade zum Christentum konvertierten Magyaren für die römische Kirche zu gewinnen. Alle Nachbarländer gehörten bereits der Ostkirche an. In Absprache mit seinem Freund, dem Kaiser, verlieh Silvester Graf Stephan aus dem Geschlecht der Arpaden auf dessen Erbitten die Königswürde. Im Jahre 1000 führte ein päpstlicher Gesandter die Königskrönung durch. Um mit dem Königreich Polen gleichzuziehen, erfolgte vertraglich die Schenkung des Königreichs Ungarn an den Papst, der es darauf als Lehen an Stephan zurückgab. Im Schloss von Gran (Esztergom) wurde ich an diese Ereignisse erinnert. König Stephan wurde nach seinem Tode heiliggesprochen.
Das Leben Ottos III. und Silvesters II. wurde im Jahre 1001 durch einen Volksaufstand in Rom bedroht und zwang beide nach Ravenna zu flüchten. Nach Niederschlagung des Aufstands kehrte Silvester im Jahre 1002 nach Rom zurück. Dort starb er im Jahr darauf. Sein Grab ist in der Kirche St. Johann im Lateran. An einer Säule gibt es ein Flachrelief zu seiner Erinnerung. Bei einem Besuch der Patriarchalkirchen Roms im Jahre 2002 suchte und fand ich diese Säule. Im unteren Teil des Reliefs ist der Empfang der ungarischen Delegation durch den Papst in Ravenna dargestellt.
Grab Silvesters in der Laterankirche
Die kurze Amtszeit Silvesters als Papst fiel mit dem Jahrtausendwechsel zusammen. Das bereitete der Kirche echte Probleme, weil viele Christen der Meinung waren, dass mit dem Ende des Jahrtausends das Ende der Welt verbunden sei. Manche verkauften ihren Besitz und begannen ein Leben als Einsiedler. Dieses Jahrtausendproblem stellte sich dann doch als unbegründet heraus, ähnlich wie das 2kY-Problem in unserer Zeit.
Gerberts Wirken hatte großen Einfluss auf das Denken seiner Zeit. Man darf ihn als echten Universalgelehrten ansehen. Wegen der frühen Berührung mit der arabischen Kultur hatte er seinen Zeitgenossen gegenüber einen Wissensvorsprung. Er hätte sich selbst als Philosophen bezeichnet, da er zwischen theoretischer und praktischer Philosophie unterschied. Zur ersten rechnete er Physik, Mathematik und Theologie, zur zweiten Ethik, Wirtschaftslehre und Politik. Gerberts Zugang zur Philosophie ging über die Mathematik, da er alles als von Gott nach Zahl, Maß und Gewicht geordnet sah. Er war eine anerkannte Autorität als Mathematiker. Er übernahm die indisch-arabischen Ziffern zum Rechnen mit dem Abakus. Nach Meinung vieler Autoren soll er deshalb dafür verantwortlich gewesen sein, dass die arabische Zahlendarstellung in Europa akzeptiert wurde. Andere Autoren sehen dies als langfristigen Übergang an, der sich bis weit ins 12. Jahrhundert erstreckte, so dass Gerberts Einfluss eher marginal war. Stärker anerkannt sind seine Beiträge zur Astronomie. So soll er verbesserte Daten zu den Planetenbahnen veröffentlicht haben. Er soll diverse Sonnenuhren berechnet und das Prinzip es horizontalen Schwingbalkens (Unruhe genannt) in Uhren erfunden haben. Zur Darstellung der Bewegungen von Himmelskörpern benutzte er im Unterricht unter anderem eine Armillarsphäre, ein komplexes Gerät, das er von Arabern übernommen hatte. Außer religiösen, philosophischen, astronomischen und mathematischen Schriften hinterließ Gerbert über 200 Briefe.
Schließlich ranken sich um seine Person eine Reihe von Legenden. So wurde ihm unter anderem nachgesagt, einige seiner Leistungen nur durch einen Vertrag mit einem Magier, oder gar dem Teufel zustande gebracht zu haben. Als der Teufel ihn dafür zur Rechenschaft ziehen wollte, sei es zu einer Verfolgungsjagd gekommen. Wissend, dass die Macht des Teufels an die Erde gebunden ist, sei er dem Teufel schließlich entkommen, indem er stundenlang unter den Trägern einer Brücke über einem Abgrund baumelte. Auch soll er eine bronzene Kopfnachbildung besessen haben, die Fragen zur Politik und zur Lage der Christenheit beantworten konnte.
Zusätzliche Referenz:
- Endres, A.: Abt Thiofrid von Echternach - Über seine Herkunft, seine Schriften und sein Verhältnis zu Trier. In: Endres, A.: Geschichten aus der Eifelheimat. Eine Sammlung heimatkundlicher Beiträge über Niederweis und die Südeifel. Sindelfingen: Eigenverlag 2008; 223-238
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